Bald | Ein behaarter Mond | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 170 Seiten

Reihe: Edition Periplaneta

Bald Ein behaarter Mond

Roman
1. Auflage 2014
ISBN: 978-3-943876-45-1
Verlag: Periplaneta
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection

Roman

E-Book, Deutsch, 170 Seiten

Reihe: Edition Periplaneta

ISBN: 978-3-943876-45-1
Verlag: Periplaneta
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection



Künstler und Medienschaffende sind dekadent, promisk, arrogant und ziemlich durch - lautet das Klischee. Das Problem ist, dass Klischees meistens stimmen. Auch der legendäre Berliner Synchron- und Hörbuchsprecher Frank Schaller säuft, hurt und behandelt Kollegen wie Dienstboten. Bis er eines Morgens aufwacht und keine Stimme mehr hat. An die verhängnisvolle Nacht davor kann er sich aber nur schemenhaft erinnern. Plötzlich wird Schaller bewusst, dass er längst kein Star mehr ist, sondern ein gewöhnlicher Endvierziger, der langsam aus dem Leim geht - mit einer Frau, die ihn verachtet, einem Sohn, der ihn für einen entfernten Bekannten hält und einer Mutter, die schon immer der Meinung war, er solle endlich einen richtigen Beruf ergreifen. Während seine Welt aus den Fugen gerät, erhält Schaller das Angebot, einen Jahrhundertroman einzulesen. Er braucht seine Stimme wieder, und zwar schnell, selbst, wenn er dafür sein Leben in Ordnung bringen muss. Florian Bald schreibt in seinem Coming-of-Age-Roman für Erwachsene über die Vergänglichkeit von Ruhm, Liebe und Lebenslügen und wühlt dabei vergnüglich in den Abgründen und Marotten der Unterhaltungsindustrie.

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1
Wann genau haben Krankheiten eigentlich aufgehört, richtige Krankheiten zu sein? Ich meine solche, mit denen wir aufgewachsen sind. Als eine Krankheit noch eine böse Laune der Natur oder, je nach Blickwinkel, eine Heimsuchung Gottes war, aber doch beim besten Willen nichts, wofür man selbst Verantwortung trug. Nicht wie heute: Jemand hat Blähungen oder Durchfall? Diagnose: Laktoseintoleranz und/oder Gluten. Welke Haut? Zu viel UV-Strahlung. Depressionen? Zu wenig Sport. Fehlende Libido? Zu viel Sport und zu wenig UV-Strahlung. Krebs? Zu wenig Geschlechtsverkehr. Und zu viel Angst. Viel zu viel Angst. Die große Frage nach dem Warum ist uns, wie man sieht, geblieben. Die Zahl der Antworten aber kennt kein Mensch mehr. „Also, ich kann hier nichts finden“, sagt Dr. Euler, in dessen Behandlungsstuhl ich kauere. „Nichts?“, flüstere ich und schiebe den Spatel in meinem Mund mit der Zunge von links nach rechts. Mein Schädel brummt. „Nein, gar nichts“, sagt Euler, richtet sich im Sitzen auf und legt den Spatel beiseite. Er ist mittelalt, hat einen Abschluss in Hals-, Nasen-, Ohrenheilkunde, diverse Diplome an der Wand und sieht in seinem hellblauen Maßhemd mit den Manschetten eher wie jemand aus, der im Top-Management viel Geld verdient. „Nur, damit ich alles richtig verstanden habe, Herr … ähm … Sie sind heute Morgen aufgewacht und da war Ihre Stimme bereits weg?“ Ich nicke und forme mit den Lippen ein fast. „Und gestern Abend war alles noch in Ordnung?“ Er scheint zu überlegen. „Keine kürzlich ausgestandene Erkältung, anhaltende Heiserkeit … so etwas?“ Nein. „Und mit dem Veilchen und der Platzwunde an Ihrer Lippe hat es ebenfalls nichts zu tun?“ Ich hebe die linke Braue. Auch das tut weh. „Verstehen Sie mich nicht falsch“, Euler verschränkt die Beine, „natürlich dürfen Sie sich so viele Hämatome im Gesicht zulegen, wie Sie wollen, allerdings … kann eine plötzliche, auch teilweise Sprechstörung viele Ursachen haben, und wenn wir bei Ihnen weder am Kehlkopf noch an den Stimmbändern Anomalien feststellen, kann das auch bedeuten …“ Er lächelt sanft. „Hm?“, hauche ich. „… dass der Auslöser für Ihren Stimmverlust seelische Ursachen hat.“ Seelische Ursachen? Grundgütiger! Ich dachte, der Mann sei Arzt. „Weist Ihr Leben“, er schlittert mit seinem Bürostuhl hinüber zum Schreibtisch und damit aus meinem Blickfeld, „in letzter Zeit irgendwelche Turbulenzen auf, ungewöhnliche Belastungen, die meinen Verdacht erhärten würden?“ „Pfff“, mache ich und höre seine Computertastatur klappern. „Berufliche Veränderungen? Private? Eventuell ein Todesfall in der Familie?“ Ich schüttle den Kopf, was er vermutlich gar nicht sieht. „Nicht selten sind es ja kleine, scheinbar unbedeutende Vorfälle, die einem in ihrer Summe trotzdem, im wahrsten Sinne des Wortes, die Sprache rauben können. Fällt Ihnen nichts ein?“ Nein. „Was machen Sie denn beruflich? Der Vermerk fehlt mir hier in der Anamnese.“ „Sprecher.“ Eine Behauptung, die durch das schwache Krächzen, das bis gestern meine Stimme war, nicht gestützt wird. „Sprecher?“, wiederholt er und gleitet auf seinem Stuhl zurück in mein Sichtfeld. „Ja“, sage ich kaum hörbar, „Hörspiele, Hörbücher … und Synchron.“ „Oh“, Euler wirkt aufrichtig bedauernd, „das ist dann ja wirklich äußerst ungünstig.“ Ich seufze. „Andererseits“, sein Gesicht hellt sich auf, „sollte uns dieser Umstand zusätzlicher Ansporn sein, Sie baldmöglichst wieder hinzukriegen.“ Hinkriegen. Endlich. Das ist eine Vokabel, mit der ich etwas anfangen kann. Vielleicht bin ich doch beim richtigen Heiler gelandet. „Allerdings“, sein dynamisches Strahlen verfliegt so schnell, wie es gekommen ist, „möchte ich Sie keinesfalls über Folgendes im Unklaren lassen: Eine Störung wie diese ist nichts, was man auf die leichte Schulter nehmen sollte. Es ist gut, dass Sie damit gleich zu mir gekommen sind.“ Er sieht mich ernst an. Ich schließe die Augen. „Ich kann Ihnen nur dringend raten, Ihr Leben der, sagen wir, letzten paar Wochen noch einmal Revue passieren zu lassen. Eventuell ziehen Sie einen Psychologen zu Rate, das bleibt Ihnen überlassen.“ Er beugt sich auf seinem Stuhl nach vorne und legt seine rechte Hand auf mein Knie. „Wir brauchen den Grund.“ Während er das sagt, führt er die linke Hand zum Mund und beginnt, auf dem Handrücken herumzukauen. „Und den gibt es so sicher wie das … Na, Sie wissen schon.“ Mir wird schlecht, während Euler wieder zum Computer hinüberschnurrt. Er wird mich doch jetzt nicht unverrichteter Dinge nach Hause schicken? Ich wollte, dass er mir kurz in den Hals sieht, einen Saft verschreibt und fertig. Bei dem Hokuspokus, den er gerade veranstaltet, könnte man glauben, ich hätte etwas … Schlimmes. „Wenn es Sie beruhigt: Meine Praxis arbeitet mit einem sehr fähigen Logopädie-Team zusammen. Sie kriegen von mir jetzt erst einmal eine Verschreibung für zehn Therapiestunden. Danach sehen wir weiter.“ Der Drucker fiept zweimal, stößt das Dokument aus und verstummt. Euler erhebt sich und hält mir zur Verabschiedung die Hand hin. „Blut haben wir Ihnen ja bereits abgenommen, Urin auch“, sagt er und sieht auf die Uhr. „Jetzt suchen wir Ihnen draußen noch die Adresse von den Logopäden raus – und dann hätten wir’s für heute.“ Ich habe so lange halb liegend in dem Stuhl zugebracht, dass mir, als Euler mich zur Tür bugsiert, schwindlig wird. „Und“, fügt er hinzu, „bis wir den Befund aus dem Labor kriegen, rate ich Ihnen, vorerst auf weitere Sprechversuche zu verzichten. Nicht, dass wir doch etwas Organisches übersehen haben. Besser kein Risiko. In Ihrem Interesse. Klar?“ Er hebt mahnend den Zeigefinger. „Und packen Sie sich Eis aufs Auge.“ Ich nicke. Mein Handy läutet. Ohne nachzudenken (der größte Teil meines Blutes ist noch in den Füßen), ziehe ich es aus der Jacke und drücke die Rufannahme. Bevor ich allerdings etwas sagen kann, rupft Euler es mir aus der Hand und räuspert sich. „Hallo?“ Er lauscht und kneift dabei die Augen zusammen. „Hallo? Hm, komisch“, sagt er schließlich und gibt mir das Telefon zurück, „einfach aufgelegt. Leute gibt’s“. Ich zucke mit den Achseln, als es erneut klingelt. Ein Blick auf das Display erübrigt sich. Das ist Dagmar. Nur Dagmar legt einfach auf, um sofort wieder anzurufen. Ich schalte den Lautsprecher ein, Euler hat bereits die Hand ausgestreckt. „Ja, hallo“, sagt er, „hier …“, er wirft einen Blick auf die Kopfzeile meiner Patientenakte und zwinkert mir zu, „… hier Schaller, Frank Schaller.“ Der Anrufer schweigt (zweimal aufzulegen ist allerdings nicht Dagmars Art), man hört gepresstes Atmen und gleich darauf, ich hatte recht, die leicht verzerrte Stimme meiner Frau. „Frank, bist du das?“ Euler hält das Gerät in meine Richtung und spitzt die Lippen. „Hallo? Frank, jetzt sag schon was!“ Mein Arzt sieht mich an, als sei ich sein Souffleur, und brummt ins Mikrofon: „Ja.“ Ich unterdrücke ein Lachen, denn ich weiß genau, welchen Gesichtsausdruck Dagmar in diesem Moment hat. Sie denkt, ich will sie verscheißern. Das denkt sie immer. „Weißt du was“, doch sie klingt gar nicht besonders wütend, eher müde, „ich bin es leid: dein postpubertäres Getue, deine Unzuverlässigkeit, deine …“, sie hält inne und fährt, um Freundlichkeit bemüht, fort. „Ich wollte dich eigentlich nur daran erinnern, dass morgen das Treffen mit unseren Anwälten ist. 17.30 Uhr. Sei bitte pünktlich, das ist sonst peinlich.“ Schnaufen. „Wenn die Scheidung durch ist, kannst du sowieso tun, was du willst … und mit wem du willst, und …“, sie zögert noch einmal, „… alles andere meinetwegen auch.“ Ich schlucke. „Also dann, bis morgen, ja? Ciao.“ Dagmar legt auf. Wie oft ich dieses „Ciao“ über die Jahre von ihr gehört habe, am Anfang verliebt und zärtlich, später, ohne merklichen Übergang, immer häufiger traurig. So fremd wie eben aber hat es nie geklungen. Euler reicht mir das Telefon. Wir schweigen. Er hat schon die Hand auf der Türklinke, als es wieder klingelt. Die Rufnummer ist unterdrückt. Für mich ein Grund, nicht ranzugehen, für ihn offenbar nicht. „Guten Tag“, sagt er, „hier Dr. Euler am Apparat von Herrn“, wieder wirft er einen Blick auf meine Akte, „Schaller.“ „Tach, Herr Doktor“, röhrt es ohne Zögern aus dem kleinen Lautsprecher, „Wollny hier, Berta Wollny, ick bin die Agentin von Herrn Schaller. Isser in der Nähe? Kann ick ihn ma’ sprechen?“ „Ja“, sagt Euler, „er ist in der Nähe. Sogar neben mir. Das mit dem Sprechen ist zur Zeit aber leider nicht möglich.“ „Wieso? Schläft er? Hamm Sie ihm watt jegeben? Watt sind Sie überhaupt für een Doktor, wenn ick fragen darf?“ „HNO“, sagt Euler, „und nein, Herr Schaller schläft nicht. Allerdings hat er …“ Euler sieht mich fragend an, ich nicke, „… eine akute Sprechstörung, deren Ursache wir noch nicht auf den Grund …“ „Sprechstörung?“, bellt es. „Na, wer weeß schon, watt er da jestern Abend wieder jetrieben hat....



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