E-Book, Deutsch, 240 Seiten
Barnett Deutschland für die Hosentasche
1. Auflage 2013
ISBN: 978-3-10-402097-6
Verlag: S. Fischer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Das Land in Listen und Geschichten
E-Book, Deutsch, 240 Seiten
ISBN: 978-3-10-402097-6
Verlag: S. Fischer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Stephen Barnett war Programmleiter bei Penguin Books und Random House New Zealand und arbeitet heute als freier Autor und Redakteur. Er ist Autor und Herausgeber von über 25 Büchern, hauptsächlich in den Bereichen Populärkultur, Sozialgeschichte und Kinderbuch. Der gebürtige Neuseeländer lebt seit sechs Jahren in Deutschland.
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Berühmte im Zweiten Weltkrieg verlorengegangene, zerstörte oder gestohlene Kunstwerke
Schätzungen gehen davon aus, dass die Nazis während des Zweiten Weltkriegs etwa 750000 Kunstwerke zerstört oder gestohlen haben, was in etwa zwanzig Prozent aller europäischen Kunstwerke entspricht. Bis heute gelten Hunderttausende der gestohlenen Kunstschätze als vermisst, wurden ihrem rechtmäßigen Eigentümer nicht zurückgegeben oder die Eigentumsfrage konnte nicht restlos geklärt werden.
Keine Frage, Hitler wusste ganz genau, was ihm gefiel. Eine seiner ersten Amtshandlungen als Reichskanzler im Jahr 1933 war seine Befreiung der deutschen Kultur von »entarteter Kunst« in all ihren Formen, vor allem aber von Werken der modernen Kunst und des Expressionismus. Zugleich plünderten die Nazis unter dem Deckmantel des Programms gegen die »Verfallskunst« – und später dann unter dem Deckmantel der Invasionen und des Kriegs – Kunstschätze, um damit Hitlers geplantes Führermuseum zu bestücken.
Die Plünderungen wurden systematisch organisiert, es gab sogar eine eigens dafür geschaffene Institution, die sich damit befasste, welche der öffentlichen und privaten Kunstsammlungen dem Nazi-Regime besonders am Herzen lagen. Manche der Kunstobjekte waren für das Führermuseum vorgesehen, andere wurden hochrangigen Nazigrößen überlassen, und wieder andere wurden verkauft, um Geld für die Naziaktivitäten zu machen.
Im Jahr 1937 war der Kampf gegen die entartete Kunst nicht mehr aus der Politik der Nazis wegzudenken. Ein Komitee von sechs Personen erhielt in diesem Jahr die offizielle Befugnis, aus Museen und Kunstsammlungen im ganzen Reich alle Kunstwerke zu beschlagnahmen, die als »moderne, entartete oder subversive Kunst« eingestuft wurden. Diese Arbeiten wurden dann der Öffentlichkeit in einer Ausstellung vorgestellt, die Stimmung gegen die »Entartung der Künste« machen sollte, insbesondere aber gegen den »perversen jüdischen Geist«, der die deutsche Kultur befallen hatte.
Über 5000 Arbeiten wurden damals beschlagnahmt, darunter berühmte Werke von Picasso, Matisse, van Gogh und Chagall. Die Ausstellung zeigte über 650 Gemälde, Skulpturen, Drucke und Bücher und wurde im Juli 1937 in München eröffnet, wanderte später aber in andere Städte Deutschlands und Österreichs. In den Themenräumen wurde die »entartete Kunst« zur Schau gestellt. Im ersten Ausstellungsraum befanden sich alle Arbeiten mit christlichen Motiven, im zweiten ausschließlich Werke jüdischer Künstler und im dritten Arbeiten, die angeblich die Würde von Frauen, Soldaten und Landwirten mit Füßen traten.
Die Ausstellung sollte die Vorstellung verbreiten, dass die moderne Kunst nichts anderes war als das Produkt einer Verschwörung von Leuten, die deutschen Anstand aus tiefster Seele verabscheuten. Nach Beendigung der Wanderausstellung wurden einige Werke zum Verkauf auf einer Auktion in der Schweiz ausgewählt; andere wurden von Museen oder privaten Sammlern gekauft. Viele Nazis schnappten sich die wertvollen Gemälde für ihr Zuhause. Im März 1939 verbrannte die Berliner Feuerwehr etwa 4000 Arbeiten, die nur geringen Wert auf dem internationalen Markt besaßen. Im Juli 1942 wurden im Garten der Galerie Nationale du Jeu de Paume in Paris weitere »entartete Kunstwerke« von Picasso, Dalí, Ernst, Klee, Léger und Miró verbrannt.
Besonders bedauerlich ist der Verlust, der Diebstahl beziehungsweise die Vernichtung folgender Werke:
?»Maler auf dem Weg nach Tarascon«, Vincent van Gogh
Eines der berühmtesten Gemälde, die im Zweiten Weltkrieg verlorengingen. Wahrscheinlich wurde es bei einem Bombenangriff der alliierten Streitkräfte auf Magdeburg 1944 zerstört, als das Kaiser-Friedrich-Museum in Flammen aufging, das eine große Anzahl gestohlener Werke beherbergte. »Maler auf dem Weg nach Tarascon« zeigt das Porträt eines einsam dreinblickenden Vincent van Gogh. Der Künstler Francis Bacon beschrieb es als eindringliches Selbstbild van Goghs, das ihn als entfremdeten Außenseiter zeigt.
?»Porträt des Dr. Gachet«, Vincent van Gogh
Einen Monat bevor Vincent van Gogh Selbstmord beging, malte er zwei unterschiedliche Versionen des »Porträts des Dr. Gachet« und erzählte seinem Bruder in einem Brief darüber. »Ich habe M. Gachet einen melancholischen Ausdruck verliehen, der dem Betrachter auch wie eine Grimasse vorkommen mag … Traurig, aber freundlich und doch klar und intelligent, so sollten viele Porträts aussehen … Es gibt moderne Porträts, die man sich noch in vielen Jahren ansehen wird, und die man vielleicht Hunderte von Jahren später mit einer Sehnsucht im Blick betrachtet.«
Das »Porträt des Dr. Gachet« stammt aus dem Städel-Museum in Frankfurt und wurde 1937 konfisziert. Göring wusste, wie wertvoll dieses Gemälde war, und ließ es auf einer Auktion versteigern. Der jüdische Bankier Siegfried Kramarsky erwarb es dort, später musste er nach New York fliehen, um der Verfolgung durch die Nazis zu entgehen. 1990 verkaufte Siegfried Kramarskys Familie ihre Version des »Porträts des Dr. Gachet« für 82,5 Millionen US-Dollar – damals eine der höchsten für ein Gemälde bezahlten Summen. Käufer war der japanische Geschäftsmann Ryoei Saito. Die andere Version des Porträts des Dr. Gachet befindet sich im Besitz des Musée d’Orsay in Paris, Frankreich.
?»Adele Bloch-Bauer I«, Gustav Klimt
1904 beauftragte der wohlhabende österreichische Industrielle Ferdinand Bloch-Bauer den Künstler Gustav Klimt, ein Porträt seiner Frau Adele zu malen. Klimt brauchte drei Jahre für das in Öl und Gold gehaltene Werk. Im Jahr 1938 wurde der gesamte Besitz von Ferdinand Bloch-Bauer als »Schutzmaßnahme« von der NSDAP beschlagnahmt. Nach Kriegsende forderten drei der noch lebenden Bloch-Bauer-Nachkommen einige der Gemälde ihres Vaters von der österreichischen Regierung zurück, da diese nach der Befreiung Nazideutschlands in den Besitz der Werke gelangt war. Im Jahr 2006 urteilte ein österreichisches Gericht, dass Maria Altmann, Erbin des Block-Bauer-Vermögens, rechtmäßige Eigentümerin des Porträts der Adele Bloch-Bauer sei. Kurze Zeit später, noch im selben Jahr, verkaufte sie es für 135 Millionen US-Dollar an den Geschäftsmann Ronald Lauder, der es in seiner Neuen Galerie in New York ausstellte.
?»Place de la Concorde«, Edgar Degas
»Place de la Concorde« gilt von jeher als eines der berühmtesten Gemälde von Degas. Man dachte, dass es im Zweiten Weltkrieg verlorengegangen wäre, aber es tauchte 1995 in der Eremitage in St. Petersburg auf, wo es noch heute gezeigt wird. Details über das Wiederauffinden dieses wertvollen Gemäldes sind nicht bekannt, es wird schlicht in der Rubrik »Unbekannte Herkunft« geführt. Es steht jedoch fest, dass das Werk von russischen Truppen aus der Sammlung des bekannten Kunstsammlers Otto Gerstenberg gegen Kriegsende gestohlen worden war. Das Gemälde gilt als Meilenstein in der Geschichte der französischen Malerei des 19. Jahrhunderts, sein Aufbau stellt eine wichtige Entwicklungsstufe moderner Kunst dar. Es zeigt einen Freund des Künstlers, den Schriftsteller Daniel Halevy, und den Künstler Ludovic-Napoleon Lepic mit seinen Töchtern und einem Hund am Place de la Concorde in Paris.
?»Der Astronom«, Jan Vermeer
Hitler war ein großer Bewunderer des niederländischen Malers Jan Vermeer und machte es sich zum erklärten Ziel, alle Werke Vermeers sein Eigen nennen zu können. Nach mehreren Vorbesitzern verkaufte der Pariser Kunsthändler Léon Gauchez das Gemälde 1888 an den Banker und Kunstsammler Alphonse James de Rothschild, der das Bild dann seinem Sohn Edouard Alphonse James de Rothschild vermachte. Im Jahr 1940, nach der Invasion Deutschlands in Frankreich, beschlagnahmte die Rauborganisation der Nazis, der Einsatzstab für die Besetzten Gebiete unter der Leitung von Reichsleiter Rosenberg, den »Astronom« aus Rothschilds Stadtpalais in Paris. Auf die Rückseite des Bildes wurde ein kleines Hakenkreuz aufgestempelt. Nach Kriegsende wurde es den Rothschilds zurückgegeben und 1983 vom französischen Staat als Anrechnung auf die fällige Erbschaftssteuer erworben. Seitdem kann man es im Louvre bewundern.
?»Das Bernsteinzimmer«, Andreas Schlüter
Das Bernsteinzimmer war das größte Werk des deutschen Architekten und Barockbildhauers Andreas Schlüter. Es handelte sich um einen komplettes Zimmer mit Wandverkleidungen aus Bernsteinelementen, Blattgold und Spiegeln. Er hatte es im 18. Jahrhundert im Auftrag des preußischen Königs Friedrich Wilhelm I. geschaffen, doch seit Ende des Zweiten Weltkriegs ist es verschollen.
Schlüter hatte den Raum entworfen, zunächst wurde der dänische Bernsteindreher Gottfried Wolffram mit der Konstruktion beauftragt, die von 1701 bis 1711 dauerte. 1716 schenkte der König seinem russischen Verbündeten, Zar Peter dem Großen, den Raum. In Russland wurde das Bernsteinzimmer vergrößert. Nach mehreren Renovierungen war es über 55 Quadratmeter groß...