E-Book, Deutsch, 491 Seiten
Barrenscheen-Loster Neue Arbeitswelten, alte Führungsstile?
1. Auflage 2023
ISBN: 978-3-593-45461-0
Verlag: Campus Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Das mittlere Management in westdeutschen Großunternehmen (1949-1989)
E-Book, Deutsch, 491 Seiten
ISBN: 978-3-593-45461-0
Verlag: Campus Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Stina Rike Barrenscheen-Loster ist Leiterin der Gedenkstätte KZ-Außenlager Braunschweig Schillstraße und Geschäftsführerin des Arbeitskreis Andere Geschichte e.V.
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2.Zwischen alten Arbeitswelten und neuen Herausforderungen: Kollektive Erwartungen an die bundesdeutschen Führungskräfte
Bei der Geschichte des mittleren Managements ist es bis heute noch weitgehend unklar, ob sich durch den vieldiskutierten soziokulturellen Wertewandel, sozioökonomische Strukturbrüche oder die neue Kompetenzansprüche an Führungskräfte formten und professionalisierten, die es zu adaptieren, erlernen sowie antizipieren galt und wie diese konkret aussahen.166 Um sich dieser Geschichte zu nähern, müssen Dynamiken in der Erwartungsentwicklung an Führungskräfte in der Außendarstellung der Unternehmen diskursanalytisch betrachtet und historisch in der Entwicklung postindustrieller Gesellschaften eingebettet werden. Zwar bahnte sich bereits Ende der 1960er Jahre ein natürlich bedingter Generationswechsel an, jedoch unterstrich u.a. die OECD 1968 noch immer, dass die deutsche Wirtschaft aufgrund ihrer verhältnismäßig alten Manager rückständig sei.167
Unterschiedliche Akteure, gesetzliche Änderungen aufgrund von gesellschaftlichen Forderungen und neue Ideen humanisierter und demokratischer Lebens- und Arbeitswelten führten zur Professionalisierung des mittleren Managements und mündeten in einer breiten Diskussion um den Inhalt dieser neuen Führung. Während einige Expert:innen von gruppenkollektiven Führungs sprachen, fokussierten sich andere eher auf das Problem des individuellen Führungs. Insgesamt wirkten sich antiautoritäre gesellschaftliche Neuorientierungen, Humanisierungsdebatten zwischen Arbeitnehmer:in und Arbeitgeber:in sowie die Aufwertung des Personalbereichs zur Vorstandsangelegenheit auf die Gesamtorganisation der Unternehmen aus, die sich für die mittleren Führungskräfte in der Systematisierung von Führungskonzepten und -stilen wiederfand.
In den 1960er Jahren fingen deutsche Führungskräfte an, sich um ihre Positionierung im Unternehmen Gedanken zu machen. Dies geschah in den seltensten Fällen aus intrinsischer Motivation; eher wurden die aktuellen Strukturen unter den gegebenen gesellschaftspolitischen Aspekten vermehrt als veraltet und nicht mehr der Zeit entsprechend wahrgenommen. Die tradierten Führungsideen und -praktiken als zu deklarieren, war daher keine einseitige Entwicklung. Vielmehr ging es hier um Veränderungen in der Unternehmenskultur, die sich keinesfalls hierarchisch getrennt lesen lassen.
Im Folgenden wird dargestellt, wie sich zum einen die alten, erprobten Arbeitswelten wieder festigten, zum anderen aber immer mehr neue Herausforderungen auf die Unternehmen und ihre Akteure zukamen. Die Kontinuität in den Führungsstrukturen während des Wiederaufbaus zeigen, wie an Autorität und alten Führungsbildern festgehalten wurde, darüber hinaus aber auch schon demokratische Neuanfänge gewagt und erprobte sowie neue Anforderungen an die Führungskräfte gestellt wurden. Darüber hinaus zeigten sich seit den 1960er Jahren neue Herausforderungen in puncto Führungsorganisation aber auch Anforderungen an die mittleren Manager in den Großunternehmen. Wesentliche neue Herausforderungen in alten Arbeitswelten bündelten sich im Generationenwandel und dem steigenden Bedarf an jungen Managern mit professionellem Managementwissen.
2.1Kontinuitäten der Führungsstrukturen im Wiederaufbau
2.1.1Der Geschäftsführer und die Unternehmerpersönlichkeit in den 1950er Jahren
1954 veranstaltete einen Gesprächskreis, zu dem Unternehmer und Professoren zusammenkamen, um zu diskutieren, wie der Unternehmer von morgen aussehen musste. Neben den Unternehmern der Großindustrie gestaltete sich die Auswahl der Professoren interdisziplinär: Ein Hamburger Professor der Soziologie und ein Bonner Professor der Philosophie sprachen mit weiteren Professoren der Wirtschaftswissenschaften und Staatswissenschaften. Der Soziologe Heinz Hartmann nahm dieses Forum zum Anlass, um in seinem Werk über die »Unternehmerausbildung« die Leitbilder und Typologien des Unternehmers im Nachkriegsdeutschland zu untersuchen, denn gerade dort spielten »Fragen der unternehmerischen Ideologien und Leitbilder eine wichtige Rolle.«168 Die deutschen »Eigenheiten« der unternehmerischen Führungskräfteakquise waren dabei keine gänzlich neue Entdeckung. Dies spiegeln auch die Stellenanzeigen der 1950er Jahre ganz im Sinne der Nachkriegszeit wider. Die geschwächte Wirtschaft und deren Neuaufbau stehen als Sinnbild für die Anwerbung von neuen Führungskräften. Während in der BRD eine bis dato ungeahnte Prosperitätsphase ganz neue Möglichkeiten in der Wirtschaft schuf, waren auch in der Gesellschaft Veränderungen vor dem Hintergrund neuer demographischer Zusammensetzungen zu erkennen.169 Und dennoch zeichneten sich die Stellenanzeigen und die Beobachtungen Heinz Hartmanns durch wesentliche Kontinuitäten aus; nicht zuletzt die Abneigung gegenüber , der als der Feind des »wahren« Unternehmers ist.170
Das Wort , wie es heute selbstverständlich genutzt wird, war in der Bundesrepublik der 1950er Jahre zunächst noch verpönt:171 1952 kam es in der Zeitschrift der zu einer Debatte über die Zulässigkeit des Wortes. Widerstände und Gegenargumente gegen die Nutzung häuften sich und führten zu Überlegungen alternativer und bereits genutzter Begriffe. Anstelle des zog man es vor, sich vielmehr als , und als zu bezeichnen.172 Das im Dritten Reich gebräuchliche Wort für einen Unternehmensleiter verschwand zwar nach 1945 gänzlich, jedoch kamen der und der , wie sie im auch üblich waren, wieder auf.173
Es waren insbesondere drei weitere Stellenbezeichnungen, die das Jahrzehnt aus Sicht der Führungskräfteanwerbung in den Stellenanzeigen prägten: 1) der , 2) der und 3) die 174 Fernab der Branche, Größe oder Bedeutung des Unternehmens wurden diese Berufsbezeichnungen synonym für die Position einer Führungskraft verwendet.175 Der Geschäftsführer war dabei eine neutrale Bezeichnung, die sowohl in der wissenschaftlichen Praxis, als auch beim Gesetzgeber Anwendung fand, um die Führungskräfte der oberen Ebenen zu bezeichnen, ohne dass diese dabei auch die organische Stellung des in einer GmbH üblichen Geschäftsführers inne hatten.176 Die Begriffsnutzung zeigt deutlich, dass die unterschiedliche semantische Anwendung häufig zu Problemen mit der Eindeutigkeit der Begrifflichkeiten führen. In der Analyse kristallisierten sich vier Aspekte heraus, die in den meisten Stellenanzeigen gefordert wurden: 1) der Titel der Stelle, 2) die Qualifikationsanforderung, 3) das gewünschte Alter der Person und 4) die benötigten Schlüsselqualifikationen.177 Diese Kategorien wurden von den Unternehmen im Laufe des Untersuchungszeitraum ungleich schwer gewichtet.
Eines der markantesten Analyseergebnisse der 1950er Jahre sei vorweggenommen: Es ist keinerlei Einheitlichkeit in den Bezeichnungen zu erkennen, weder zwischen den unterschiedlichen Bezeichnungen der Führungsposition noch innerhalb der einzelnen Begrifflichkeiten. Innerhalb der Kategorien stellt sich heraus, dass es keinen gängigen Kanon beim Schalten von Stellenanzeigen gegeben hat. Bei der Betrachtung der Stellenanzeigen für ist die Uneinheitlichkeit gekennzeichnet durch die durchgehend unterschiedliche Gewichtung der Typisierungskategorien:
»Geschäftsführer – Der Bewerber soll möglichst nicht jünger als 35 Jahre sein, muß ideenreich, aktiv und für die Kosmetik aufgeschlossen sein und muß den Depositären gegenüber, die er neben den Vertretern von Zeit zu Zeit aufzusuchen hat, als ein fähiger Repräsentant des Hauses auftreten können. Die gestellten Aufgaben setzen...