Barth / Jochum / Littig | Nachhaltige Arbeit | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, Band 13, 356 Seiten

Reihe: International Labour Studies

Barth / Jochum / Littig Nachhaltige Arbeit

Soziologische Beiträge zur Neubestimmung der gesellschaftlichen Naturverhältnisse

E-Book, Deutsch, Band 13, 356 Seiten

Reihe: International Labour Studies

ISBN: 978-3-593-43474-2
Verlag: Campus
Format: PDF
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Da Umweltprobleme immer drängender werden, gewinnt die Debatte um den Übergang zu einer nachhaltigen Arbeitsgesellschaft wieder an Bedeutung. Die eingeforderte "große Transformation" bringt fundamentale Veränderungen für die Arbeitenden in verschiedenen Wirtschaftsbereichen mit sich. Dieser Band diskutiert aus arbeits- und umweltsoziologischer Sicht die Potenziale und Probleme dieses Wandels.
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Inhalt
Vorwort9
Einleitung13
Thomas Barth, Georg Jochum und Beate Littig
I. Konzeptionelle Zugänge zum Verhältnis von Arbeit und Natur
Vom "Ende der Arbeitsgesellschaft" zum "Peak Capitalism" - Ein kurzer Rückblick auf die deutsche Forschungsliteratur zu Arbeit und Umwelt33
Günter Warsewa
Das Verbundprojekt Arbeit und Ökologie (1998-2000). Ein Beispiel inter- und transdisziplinärer Forschungsorganisation55
Sebastian Brandl
Nachhaltige Zukünfte von Arbeit? Geschlechterpolitische Betrachtungen77
Beate Littig
Arbeit als Naturerfahrung101
Hans J. Pongratz
Kolonialität der Arbeit. Zum historischen Wandel der durch Arbeit vermittelten Naturverhältnisse125
Georg Jochum
II. Arbeit und Natur in Nord-Süd-Perspektive
Der Nord-Süd Konflikt in der gewerkschaftlichen Umweltpolitik. Standpunkte südlicher Gewerkschaften
und die Oikos Perspektive153
Nora Räthzel und David Uzzell
Die Kämpfe und Widerstände um das Wasserkraftwerk Belo Monte: Bewegungen gegen den Staudamm
und die Streiks der Bauarbeiter173
Sergio Corrêa und Jörg Nowak
Von der Agrar- zur Industriegesellschaft. Eine sozialmetabolische Sicht auf Arbeit195
Willi Haas und Hailemariam B. Andarge
III. Akteure und institutionelle Kontexte sozial-ökologischer Transformation
Gewerkschaften zwischen ökologischer Modernisierung
und sozial-ökologischer Transformation223
Ulrich Brand und Kathrin Niedermoser
Energieeffizienz, was habe ich damit zu tun? - Fachkräfte gestalten betriebliche Nachhaltigkeit mit245
David Kühner, Martin Burgenmeister und Sabine Pfeiffer
Zur Arbeit an der Natur im Krankenhaus. Perspektiven nachhaltiger Krankenbehandlung267
Ulli Weisz
Sozialökologischer Wandel im Energiebereich - Bürgerenergieprojekte im Grenzbereich von informeller und formeller Arbeit289
Rüdiger Mautz
Nachhaltige Arbeit und gesellschaftliche Naturverhältnisse: Theoretische Zugänge und
Forschungsperspektiven311
Thomas Barth, Georg Jochum und Beate Littig
Autorinnen und Autoren353


Vorwort
Der vorliegende Band beschäftigt sich mit dem Verhältnis zwischen Arbeit und Natur. Diese zwei Begriffe muten zunächst etwas altmodisch an, sie erinnern an die sozialen Kämpfe in den entstehenden Industriegesellschaften und die im 19. Jahrhundert entstehende Evolutionstheorie. Gleichzeitig könnten sie nicht aktueller sein, denn sie stehen im Zentrum von zwei großen gesellschaftlichen Herausforderungen unserer Zeit: der Digitalisierung von Produktion und Konsum, die große Teile gegenwärtig von Menschen geleistete Arbeit überflüssig machen wird, und der globalen Erwärmung, die voraussichtlich schneller als erwartet zu klimatischen Bedingungen führen wird, unter denen menschliche Gesellschaften bisher nicht existiert haben.
In der öffentlichen Debatte und in der Forschung werden diese beiden Herausforderungen bisher nur punktuell miteinander verbunden, obwohl oder vielleicht gerade weil sie die Lebenswelten der Menschen und gesellschaftliche Dynamiken radikal verändern werden.
Im 19. Jahrhundert war es ebenfalls zu solchen tiefgreifenden Veränderungen gekommen: In der Evolutionstheorie wurde die Entstehung der menschlichen Spezies grundlegend neu gedacht und in den Prozess der Entstehung allen Lebens eingeordnet. Die Vorstellung einer durch göttlichen Willen begründeten Suprematie des Menschen wurde abgelöst durch die Erfahrung der praktischen Neuordnung der Beziehungen zwischen Natur und Gesellschaft: die rasante technologische Entwicklung und Neuordnung gesellschaftlicher Strukturen im Zuge der Industriellen Revolution suggerierten die völlige Gestaltbarkeit der Natur nach gesellschaftlichen Zielen und Bedürfnissen, also die Heraushebung menschlicher Gesellschaften aus den Prozessen und Verläufen der Natur, durch menschlichen Erfindungsgeist, technologischen Fortschritt und gesellschaftliche Organisation.
Im 20. Jahrhundert wurden die Grenzen und tiefgreifenden Folgen dieses Veränderungsprozesses deutlich, durch zwei Weltkriege, die Konzentration erheblich verbesserten menschlichen Wohlstands auf 20 Prozent der Weltbevölkerung, die zunehmenden Gefährdungen durch globale Umweltveränderungen. Nunmehr zeichnen sich auch Veränderungen ab, die Chancen für eine zukunftsfähige Gestaltung der innergesellschaftlichen Beziehungen und ihrer Naturverhältnisse eröffnen: Nicht nur die Naturwissenschaften haben erhebliche Fortschritte beim Verständnis der wesentlichen ökologischen Regelsysteme gemacht, von denen (auch menschliches) Leben auf unserem Planeten abhängt. Die Sozialwissenschaften haben Theorien und Begriffsapparate für das Verständnis unterschiedlicher historischer und gegenwärtiger sozialer Naturverhältnisse erarbeitet, mit denen die Ursachen der ökologischen Krise analysiert und Lösungsansätze vorstellbar werden können. Dadurch wird es möglich, technologische und organisatorische Innovationen zu entwickeln und anzuwenden, die zukünftigen Generationen keine neuen Hypotheken aufbürden. Vielfältige alte und neue Erfahrungen mit Regulierungssystemen für Arbeits- und Umweltbeziehungen liegen vor, die dabei helfen, Formen und Inhalte einer sozial-ökologischen Transfor-mation besser zu beschreiben. Auf globaler Ebene wurden Normensysteme entwickelt, vor allem durch transnationale Akteure und Organisationen, die die notwendige internationale Verständigung über langfristige Ziele einer sozial-ökologischen Transformation und wie sie erreicht werden können, befördern können. Neue Kommunikati-onstechnologien können horizontale, weltumspannende kapillare Lern- und Verständigungsprozesse ermöglichen, die solche Transformationspro-zesse benötigen.
Arbeit spielt in all diesen Bereichen eine zentrale Rolle, wird aber in diesem Zusammenhang kaum untersucht. Deshalb sind die Beiträge des vorliegenden Bandes für die beschriebenen Aufgaben unverzichtbar. Sie stellen einen theoretischen und konzeptionellen Rahmen bereit, der die zentrale Bedeutung von Arbeit unterstreicht, insbesondere mit Blick auf:
-Anknüpfungspunkte für die Transformationsdebatte in der Arbeitswelt, in der Arbeitende sowohl als Subjekte gefordert sind als sich auch mit ihren Vorstellungen wünschenswerter gesellschaftlicher Veränderungen einbringen;
-die Frage, welche Art von Naturerfahrung und Bedürfnisbefriedigung zukünftige Beschäftigungsverhältnisse von Frauen und Männern in ei-ner green economy bereitstellen und ermöglichen müssten oder werden;
-Möglichkeiten, den rationalistischen und auf den Menschen fokussier-ten modernen Arbeitsbegriff zu überwinden, um zu Vorstellungen von "nachhaltiger Arbeit" zu kommen.
Die Beiträge gehen über den vergleichsweise begrenzten Erfahrungsraum Deutschlands hinaus und betrachten Arbeit und Natur in der internationalen Perspektive: welche Standpunkte Gewerkschaften aus Schwellenländern in der internationalen Gewerkschaftsbewegung einnehmen, wie Arbeit an der Natur sich beim Übergang von der Agrar- zur Industriegesellschaft in Äthiopien verändert und welche Bedeutung Arbeitskämpfe beim Bau des jüngsten Staudamms und Wasserkraftwerks im brasilianischen Amazonasgebiet, Belo Monte, haben.
Und schließlich wird gefragt, welche Akteure für eine Neugestaltung von Arbeitsverhältnissen als Naturgestaltung und Naturerfahrung bereit-stehen und was sie leisten können: die "Gewerkschaften zwischen ökolo-gischer Modernisierung und sozialökologischer Transformation", die Mög-lichkeiten von Fachkräften in ihren Betrieben und von Bürgerenergie-gesellschaften.
Die Ergebnisse dieser Arbeiten und die offenen Fragen, die sie benen-nen, zeigen, wie wichtig sozialwissenschaftliche Forschung an der Schnitt-stelle zwischen Arbeit und Natur ist, um den sozial-ökologische Transfor-mationsprozess angemessen zu begreifen und zu gestalten. Es geht dabei in den Industriegesellschaften nicht nur um die Abmilderung der sozialen Folgen des ökonomischen Strukturwandels beispielsweise im Energie- und Verkehrssektor, sondern auch um die Frage, wie Arbeitsbeziehungen im weiteren Sinne verändert werden können, um die Möglichkeiten für aktive Beiträge der Menschen in Betrieben, Gemeinden, Haushalten zu diesem Prozess zu erweitern. In den Ländern des Südens, in denen erhebliche Teile der Bevölkerung kaum Zugang zu den formellen Arbeitsmärkten haben, stellt sich die Frage, wie der Übergang ins nicht-fossile Zeitalter und umweltverträgliche Produktions- und Konsummuster so bewältigt werden kann, dass er nicht auf Kosten der Lebensbedingungen und Teilhabemöglichkeiten der breiten Bevölkerung geht.
Hier besteht viel Raum für eine neue Forschungsagenda, die sich der Bewältigung großer gesellschaftlicher Herausforderungen verpflichtet sieht. Es wird auch deutlich, welch wichtige Beiträge die sozialwissen-schaftliche Forschung zum Verhältnis von Arbeit und Natur für laufende gesellschaftspolitische Debatten und Strategien einbringen kann, insbeson-dere in die neue deutsche Nachhaltigkeitsstrategie, die anstrebt, bis 2030 die Lebensbedingungen der Menschen nicht nur in Deutschland, sondern global zu verbessern und umweltverträglich zu gestalten. Ohne ein besse-res Verständnis davon, wie sich Menschen in diesen Veränderungsprozes-sen als Bürgerinnen und Bürger und als Arbeitende selbst sehen und in verschiedenen Formen kollektiv einbringen, werden diese Ziele schwer zu erreichen sein.

Imme Scholz,
Bonn, im Juni 2016

Stellvertretende Direktorin des Deutschen Instituts
für Entwicklungspolitik (DIE) und Mitglied des Rates
für nachhaltige Entwicklung


Einleitung
Thomas Barth, Georg Jochum und Beate Littig
Als 1992 auf dem Weltgipfel in Rio de Janeiro die Vision einer nachhalti-gen Entwicklung zur Maxime der Weltgemeinschaft erklärt wurde, schien eine neue Epoche in der Umweltpolitik wie auch der globalen Zusammen-arbeit zu beginnen. Doch die anfängliche Euphorie wich bald der Ernüch-terung. Die Hoffnungen, mit dem neuen Leitbild die Krisen der kapitalis-tisch-industriellen Moderne integriert zu bewältigen, wurden weitgehend enttäuscht. Zwar breitete sich der Nachhaltigkeitsbegriff aus, jedoch war damit häufig offensichtlich nur ein Etikettenwechsel und kein grundsätzli-cher Wandel von nicht-nachhaltigen Praktiken und Strukturen der Gesell-schaft verbunden. Zum Nachhaltigkeitsdiskurs gehört seitdem ganz we-sentlich die Kritik, dass er zwar allgegenwärtig aber im Grunde substanzlos geworden sei.
Vor diesem Hintergrund, fortbestehenden und neuen globalen Prob-lemlagen wie Hunger, Energie- und Trinkwasserknappheit, Armut, zuneh-mender sozialer Ungleichheit, Krieg und Flucht trägt die Verabschiedung der Sustainable Development Goals durch die 193 Mitgliedstaaten der Verein-ten Nationen im September 2015 zu einer Reanimierung der Diskussion um nachhaltige Entwicklung bei (UN 2015). Eines der übergeordneten Ziele besteht in der Gewährleistung eines "nachhaltigen Wirtschafts-wachstums und menschenwürdiger Arbeit für alle" (Ziel 8). Den Themen Arbeit und Beschäftigung wird hierdurch wieder eine größere Bedeutung zugeschrieben. Dabei wird stark an die bereits zuvor geführten Debatten um green jobs und decent work angeknüpft und ein auf ökonomisches Wachstum fokussiertes Nachhaltigkeitsverständnis bleibt vorherrschend (Martens/Obenland 2016: 69).
Eine darüber hinaus gehende Neubestimmung der Zusammenhänge von Arbeit und nachhaltiger Entwicklung wird hingegen im Bericht des United Nations Development Programme "Arbeit und menschliche Entwick-lung" (UNDP 2015) unter dem Begriff der "nachhaltigen Arbeit" vorge-nommen. Damit wird eine Debatte belebt und ausgeweitet, die zuvor nur noch in vereinzelten wissenschaftlichen Veröffentlichungen (zum Beispiel Garibaldo/Yi 2012) geführt wurde. "Nachhaltige Arbeit" wird in dem UNDP-Bericht "definiert als Arbeit, die der menschlichen Entwicklung förderlich ist und gleichzeitig negative Außenwirkungen […] verringert oder ausschaltet. Sie ist nicht nur für die Erhaltung unseres Planeten ent-scheidend, sondern auch, um sicherzustellen, dass künftige Generationen weiterhin Arbeit haben." (UNDP 2015: 45) Damit werden soziale Zielset-zungen verfolgt, die über die in den letzten Jahrzehnten dominierende vor allem technisch verstandene ökologische Modernisierung hinausgehen. Sie legen eher eine umfassende gesellschaftliche Transformation nahe, indem auch globale Entwicklungsfragen und die Konsequenzen des Wandels der Arbeitsgesellschaft thematisiert werden.
Debatten um einen sozial-ökologischen Strukturwandel und "große Transformationen" erleben derzeit ohnehin erheblichen Aufwind. Sie be-gleiten die sozialen, ökonomischen und ökologischen Veränderungspro-zesse - verschiedene Handlungskonzepte werden entworfen: Während sich in sozialer Hinsicht globale sozialen Ungleichheiten vertiefen, gehen mit den ökonomischen Krisentendenzen massive Verwerfungen der Weltwirtschaft einher; ökologische Grenzen verengen nicht nur Zukunftsperspektiven, sondern wirken drastisch hier und heute - etwa in Form zunehmender Wetterextreme, anhaltenden Trockenperioden und Ernteausfälle und daraus folgendem Hunger und der Zerstörung wirtschaftlicher Existenzen. Auf internationaler Ebene kann spätestens seit den Jahren 2007/08 mit Beginn der gegenwärtigen Wirtschafts- und Finanzmarktkrise und der kurz zuvor erfolgten breitenwirksamen Thematisierung des Klimawandels (Stern 2006, IPCC 2007) eine intensive Diskussion von verschiedenen Lösungsstrategien beobachtet werden. Im Überschneidungsbereich von Wissenschaft, Politik, Ökonomie und Zivilgesellschaft wird etwa für eine inklusive, grüne Ökonomie als neuer Wachstumsmotor geworben. Im Kontext der sozialen Bewegungen werden dagegen wachstumskritische Gegenkonzepte wie degrowth und alternative Wohlstands- und Lebensmodelle diskutiert. Dazwischen liegen andere, eher reformistischer ausgerichtete Zugänge, wie das deutsche WBGU-Gutachten von 2011, das laut Titel die soeben erwähnte Große Transformation fordert.
So heterogen die Vorschläge eines avisierten sozial-ökologischen Wan-dels in Richtung sozialer und ökologischer Nachhaltigkeit auch sein mögen - ein erheblicher Veränderungsdruck auf die gesellschaftlichen Basisinstitutionen wie Demokratie, Sozialstaat und Arbeit scheint aus jeder Strategie zu folgen. In Auseinandersetzungen mit der wachsenden Bedeutung von "grünen Industrien" oder Szenarien einer "Postwachstumsgesellschaft" wird das durchaus thematisiert (zum Beispiel in so verschiedenen Diskussionsbeiträgen wie WSI-Mitteilungen 2014; Räthzel/Uzzell 2013; Jänicke 2012; Jackson 2009). Dabei mangelt es jedoch an einer grundlegenden und systematischen Reflexion des Verhältnisses von Arbeit und Natur. Die Beschäftigung mit den arbeitspolitischen Auswirkungen der gegenwärtigen vage als "grün" etiket-tierten Transformationen oder den für die Arbeitenden voraussehbar ein-schneidenden Folgen, wie des Verlusts und der Veränderung von Arbeits-plätzen, sind ausgesprochen rar. Auch die ökologischen Konsequenzen der im Zuge von Entgrenzung und Digitalisierung sich verändernden Formen der Arbeitsorganisation, sind in der Soziologie (wie auch in anderen Sozialwissenschaften) kaum Thema. Was die Formen einer "nachhaltigen Arbeit" in einer sozial, ökologisch und ökonomisch nachhaltig operierenden Gesellschaft sein könnten, ist weitgehend unklar und weder in der Arbeitssoziologie noch in der Umweltsoziologie ein Thema. Sehr zugespitzt, könnte mit Bezug auf die beiden hier maßgebli-chen Subdisziplinen gar von einer "arbeitslosen Umweltsoziologie" und einer "naturvergessenen Arbeitssoziologie" gesprochen werden.
Dabei gibt es durchaus eine Geschichte der soziologischen Beschäfti-gung mit Arbeit und Natur, die bis zu Marx' Konzept von Arbeit als "Stoffwechselprozess mit der Natur" zurückreicht (Marx 1962 [1867]: 192). Allerdings blieb diese bis zuletzt von wechselnden Konjunkturen abhängig und nur in wenigen Ausnahmefällen wie dem deutschen Verbundprojekt "Arbeit und Ökologie" (HBS 2000) bildeten sich kontinuierliche Forschungszusammenhänge heraus. Das Verbundprojekt bezog sich explizit auf die damals gut zehnjährige internationale Diskussion über eine globale nachhaltige Entwicklung. Dennoch blieb die Befassung mit der Bedeutung von Arbeit für eine gesellschaftliche Entwicklung, die sich am Leitbild der Nachhaltigkeit orientiert, über viele Jahre randständig. Eine Ursache dafür ist sicher auch in der generell eher distanzierten Haltung der Soziologie gegenüber dem Thema nachhaltiger Entwicklung zu sehen (Jetzkowitz 2012, Opielka 2016).
Die soziologische Theorieentwicklung und Begriffsbildung in Bezug auf das Verhältnis von Arbeit und Natur blieb von den genannten Ausei-nandersetzungen nicht unberührt, sie erfolgte jedoch vornehmlich in den jeweiligen Subdisziplinen und kaum als dezidierte Verknüpfung von im Nachhaltigkeitsdiskurs zentralen "Entwicklungsfragen" und solchen des ökologischen Umbaus der Arbeitsgesellschaft. So drängt sich uns der Ein-druck auf, dass Konzepte für die adäquate theoretische und empirische Erfassung der mit der angestrebten "Transformation unserer Welt" (UNO 2015) einhergehenden Wandlungsprozesse im Schnittfeld von Arbeit und Ökologie erst noch zu entwickeln sind. Wir sehen in der thematischen Fokussierung auf nachhaltige Arbeit die Chance, die in diesem Feld bestehenden sub- und interdisziplinären Schnittmengen zu verbreitern sowie theoretische und empirische Forschungsprogramme zu entfalten. Trotz der vielfach zu recht kritisierten weitgehenden Entleerung des Nachhaltigkeitsbegriffes (Lange 2008) haben wir uns für den Term der nachhaltigen Arbeit entschieden, weil wir hierin das Potenzial zur Wiederbelegung einer Debatte sehen, deren Ausrichtung bereits Ende der 1990er Jahre treffend formuliert wurde: In diesem Zusammenhang ist die "entscheidende Frage […], welche Arbeit die Regenerationsfähigkeit der Natur - einschließlich der menschlichen - ebenso unterstützt und stärkt wie die Regenerationsfähigkeit der Gesellschaft bzw. der sozialen Gemeinschaft." (Biesecker/von Winterfeld 1998: 43) Ein ähnliches Arbeitsverständnis teilt auch der bereits zitierte UNDP-Bericht (2015). Dort wird unter dem Begriff sustainable work die Verbindung von zwei potenziell auch in einem Gegensatz zueinander stehenden Zielsetzungen diskutiert: "zunehmende [ökologische] Zukunftschancen" und die "Förderung des [sozialen] menschlichen Potenzials in der Gegenwart" (ebd.: 17).
Das Ziel des vorliegenden Bandes besteht allerdings nicht primär in der Entwicklung eines umfassenden Konzepts von nachhaltiger Arbeit. Die folgenden Beiträge sind eher als Versuch einer tiefer gehenden sozialwissenschaftlichen Reflexion durch Arbeit vermittelter gesellschaftlicher Naturverhältnisse und ihres Wandels anzusehen. Wir gehen dabei einerseits von der irreduziblen Wechselbeziehung von Natur und Gesellschaft in symbolischer und materieller Hinsicht aus. Indem die hier versammelten Analysen andererseits die vermittelnde Rolle der Arbeit im Natur-Gesellschaft-Verhältnis ins Zentrum stellen, fragen sie beispielsweise nach den Auswirkungen ökologischer Veränderungen und umweltpolitischer Strategien auf die Arbeit(enden) oder danach, welche ökologischen Auswirkungen veränderte Arbeitswirklichkeiten haben.
Angesichts der diskontinuierlichen Behandlung und der erneuten Aktualität der Thematik erscheint uns einerseits eine Bestandsaufnahme und Weiterentwicklung der soziologischen Diskussion um Arbeit und Natur dringend geboten (I.). Des Weiteren sind im vorliegenden Band Beiträge versammelt, die im Themenfeld aktuell empirisch forschen; dabei stehen zum einen die Nord-Süd-Verhältnisse (II.) sowie zum anderen die maßgeblichen Akteure und die institutionellen Kontexte der sozial-ökologischen Transformation (III.) im Zentrum des Interesses.
I.Konzeptionelle Zugänge zum Verhältnis von Arbeit und Natur
Aus unserer Sicht muss am Beginn der gedanklichen und empirischen Auseinandersetzung mit nachhaltiger Arbeit zunächst eine Überprüfung der bisherigen Zugänge zum Verhältnis von Arbeit und Natur erfolgen. Zentrale Fragen in diesem ersten Teil sind, welchen Stellenwert Arbeit in der sozialwissenschaftlichen Umweltforschung hat bzw. hatte und welchen die Umwelt in der soziologischen Arbeitsforschung. Welche Schnittmen-gen und Kooperationen beider Subdisziplinen gab und gibt es? Lassen sich Ursachen und Bruchlinien identifizieren, die eine gemeinsame Perspektive auf Arbeit und Natur behindert haben? Darüber hinaus geht es um grundlegende theoretisch-konzeptionelle Fragen des Verhältnisses von Arbeit und Umwelt, nicht zuletzt um die Frage, wie überhaupt Natur respektive Arbeit zu fassen sind. Wie verhält sich etwa die menschliche Natur zur natürlichen Umwelt? Welche Formen von Arbeit - formelle Erwerbsarbeit, informelle Versorgungs- und Care-Arbeiten und welche weiteren - sollten konzeptionell zur Natur ins Verhältnis gesetzt werden? Inwiefern werden geschlechterpolitische Fragen in den gegenwärtigen Debatten um "grüne Transformationen" berücksichtigt?
Das erste Kapitel nimmt mit den Beiträgen von Günter Warsewa und Sebastian Brandl zunächst einen Rückblick und Ausblick auf die arbeits- und umweltsoziologische Auseinandersetzung mit Arbeit und Natur vor. Daran schließt der Artikel von Beate Littig an, der die die geschlechterspezifischen Zusammenhänge in den aktuellen Auseinandersetzungen mit Arbeit und Ökologie im Kontext des Nachhaltigkeitsdiskurses nachzeichnet.
Günter Warsewa stellt fest, dass bis in die 1980er Jahre von einer eigen-ständigen sozialwissenschaftlichen Umweltforschung in Deutschland nicht die Rede sein kann. Auch in der damaligen Arbeits- und Industriesoziolo-gie spielte das Umweltthema kaum eine Rolle. Seitdem fanden ökologische Motive und Forschungsthemen jedoch zunehmend Eingang in die sozialwissenschaftlichen Debatten, und gerade von der Arbeits- und Industriesoziologie gingen Impulse für das neue Forschungsgebiet der Umweltsoziologie aus. Entsprechend reflektiert der Beitrag die Abfolge von Themen und Themenkonjunkturen und ihren Zusammenhang mit den jeweils vorherrschenden Akteurs- und Diskurskonstellationen. In einer synchronen Perspektive werden zudem einige der wechselseitigen Beziehungen zwischen arbeits- und umweltsoziologischen Arbeiten aufgezeigt: In dem Maße, in dem sowohl ökologische als auch arbeitsbezogene soziale Risiken sich in der öffentlichen Wahrnehmung entdramatisierten und in gewissem Umfang zur Normalität der Risikogesellschaft wurden, gerieten die Schnittmengen zwischen der Arbeits- und Industriesoziologie und der zwischenzeitlich etablierten Umweltsoziologie zusehends zu Leerstellen. Von der Forschung wird dabei bislang nicht wahrgenommen, dass sich mit diesen Entwicklungen in der gesellschaftlichen Realität neue Verknüpfungen von Arbeits- und Umweltthemen sowie eventuell auch eine neue praktische Relevanz dieses Themenfeldes abzeichnen. Im Zuge von Verbetrieblichungs- und Subjektivierungstendenzen ergeben sich aber - so der Autor - womöglich um ökologische Fragen gruppierte, neue kollektive Formen der Interessenvertretung.
Die Suche nach Schnittmengen zwischen Arbeit und Umwelt hat aber durchaus eine, wenn auch singuläre, Geschichte. Das verdeutlicht Sebastian Brandl in seinen Ausführungen über das transdisziplinäre Verbundprojekt "Arbeit und Ökologie" (HBS 2000). Dessen Kernaussage war, dass eine gleichzeitig ökologisch, ökonomisch und sozial nachhaltige Entwicklung möglich sei. Zentraler Anker sozialer Nachhaltigkeit war dabei ein erweiterter Arbeitsbegriff. Nicht einfach nur die Umweltfolgen von Erwerbsarbeit wurden untersucht, sondern auch die Veränderungsprozesse der verschiedenen Arbeitsformen wurden hinsichtlich ihrer Potenziale für Nachhaltigkeit einbezogen.
Blickt man auf die heute wieder weitgehend voneinander getrennte Umwelt- und Arbeitsforschung und auf die gesellschaftlichen Auseinan-dersetzungen um die Gestaltung einer nachhaltigen Entwicklung, wird deutlich, dass die damals gestellten Fragen nach wie vor aktuell sind. Der Stellenwert von Arbeit in der Umweltforschung und der Umwelt in der Arbeitsforschung ist wieder oder weiterhin unzureichend. Angesichts ho-her (sub)disziplinärer Ausdifferenzierung stellen sich ähnliche theoretisch-konzeptionelle und methodische Herausforderungen, das Verhältnis von Arbeit und Umwelt zu denken. Schließlich ist weiterhin die Rolle verschie-dener Akteursgruppen im sozial-ökologischen Wandel zu hinterfragen, in Bezug auf Arbeit v.a. die der Gewerkschaften und der Arbeitgeber.
Auch der vom Verbundprojekt beschrittene innerwissenschaftliche Weg, auf die Fragen Antworten zu finden, bleibt relevant. Das Novum des Projekts lag in der erstmaligen Umsetzung der Gleichwertigkeit der drei Säulen der Nachhaltigkeit. Gemäß des Dreisäulenansatzes wurde das Projekt von drei disziplinär verorteten Instituten getragen. In Ermangelung einer die Disziplinen übergreifenden konzeptionellen oder theoretischen Basis war die Integration der Wissensbestände prozessual und diskursiv angelegt; sie folgte der Idee von Nachhaltigkeit als regulative Idee. Die interdisziplinäre Integration führte zur Zuspitzung von Nachhaltigkeitskontroversen, die auch mit Blick auf die heutigen Auseinandersetzungen um Arbeit und Nachhaltigkeit weiterhin aktuell sind. Sie bieten Ansatzpunkte für Arbeits- und Umweltforschung integrierende Forschungsstrategien. Beispielhafte Themen hierbei wären die arbeits- und sozialpolitischen Folgen der Energiewende und deren Gestaltung in einer globalisierten Wirtschaft, die sich andeutenden negativen sozialen Auswirkungen einer sharing economy, oder die in Mel-dungen über hohe und steigende Arbeitsbelastungen deutlich werdenden Grenzen der inneren Natur des Menschen.
Die beiden ersten Beiträge geben folglich sowohl einen Einblick in die bereits erreichten Wissensbestände zum Thema Arbeit und Natur. Zu-gleich unterstreichen sie die drängende Aktualität der Auseinandersetzung mit Natur und Arbeit angesichts der "actually existing unsustainability" (Barry 2012) sich verändernder Arbeitswelten sowie weiter verschärfter Umweltkrisen. In den folgenden drei Kapiteln loten die AutorInnen die theoretischen Herausforderungen aus, die sich in dieser Konstellation stellen.
Beate Littig befasst sich mit dem aktuellen Diskussionsstand der Zu-sammenhänge von Arbeit und Nachhaltigkeit aus einer geschlechterpoliti-schen Perspektive. Bei den Zukunftsszenarien von nachhaltiger Arbeit und nachhaltigen Arbeitsgesellschaften unterscheidet sie zwei Gruppen, die sich anhand ihrer Leitbilder einteilen lassen: a) eine "Grüne Ökonomie" als "grüne" (Vollerwerbs-) Arbeitsgesellschaft, b) sozial-ökologische Tätigkeitsgesellschaften mit einem breiten Arbeitsbegriff und einer reduzierten Vollerwerbsarbeitszeit, die entweder für eine Neubewertung und Umverteilung von Arbeit oder für neue sozial-ökologisch motivierte Vergemeinschaftungsformen im Sinne alternativer Lebens- und Arbeitsprojekte plädieren. In der Diskussion der Zukunftsentwürfe stellt sie fest, dass geschlechterpolitische Voraussetzungen bzw. Konsequenzen oftmals vage oder unberücksichtigt bleiben. In Bezug auf die green economy sind das etwa die Fragen, ob und inwieweit die bestehenden oder neu zu schaffende green jobs auch Ar-beitsplätze für Frauen sind bzw. sein werden. Oder im Hinblick auf die Postwachstumsgesellschaften: Wie kann die Umverteilung und Neubewertung von Erwerbsarbeit und privater Care-, ehrenamtlicher oder eigenproduktiver Arbeit gestaltet werden, so dass sie geschlechterge-rechter ist? Die Frage nach gleichberechtigten Geschlechterarrangements bei der Arbeitsteilung stellt sich auch im Fall der alternativen Wohn- und Arbeitsprojekte. Grundlegend gilt aber, dass Geschlechterpolitik von Be-ginn an Teil des internationalen Nachhaltigkeitsdiskurses war (siehe UN 1992, Agenda 21, Kap. 24), dessen grundlegende Ziele - die Schaffung einer nachhaltig umwelt- und sozialverträglichen globalen Wirtschafts- und Lebensweise - auch beim 20-Jahr-Jubiläum (2012) noch einmal bestätigt wurden. Insofern sind Konzepte oder Szenarien, die sich als Beiträge zu einer nachhaltigen Entwicklung verstehen, auch an gleichstellungspoliti-schen Maximen zu messen. Letztlich heißt das, dass bei der Konzeption nachhaltiger Arbeit geschlechtsspezifische Zusammenhänge an zentraler Stelle zu berücksichtigen sind.
Die beiden folgenden konzeptionellen Beiträge von Hans Pongratz und Georg Jochum thematisieren weitere zentrale Bausteine einer Konzeption der durch Arbeit vermittelten gesellschaftlichen Naturverhältnisse, indem sie die Dimension der Naturerfahrung respektive der Kolonialität der Arbeit kritisch reflektieren.


Thomas Barth ist akademischer Rat am Institut für Soziologie der Universität München. Georg Jochum ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Wissenschaftssoziologie/ Fach Soziologie der TU München. Beate Littig ist Abteilungsleiterin am postgradualen Institut für Höhere Studien und Universitätsdozentin an der Universität Wien.


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