E-Book, Deutsch, 284 Seiten
Bartsch Schunkelgate - Schlagerkönigin am Abgrund
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-492-98660-1
Verlag: Piper Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman
E-Book, Deutsch, 284 Seiten
ISBN: 978-3-492-98660-1
Verlag: Piper Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ingo Bartsch, Baujahr 1979, Erstzulassung 1980, ist Schriftsteller. Sein großes Ziel ist der Literaturnobelpreis 2040, dann die Titelverteidigung 2041 sowie im Jahr darauf das Double aus Literatur- und Friedensnobelpreis. Bis dahin schreibt er fleißig Bücher, die nobelpreisverdächtig unterhaltsam sind, etwa über höllische Altenheime oder eskalierende Schlagerköniginnen. Die erfreuliche Nachricht vom Nobelpreiskomitee wird ihn vermutlich in einer Bar oder auf dem Tennisplatz erreichen. Und Deutschland kann aufatmen: Zur Verleihung wird er sicher nicht in einem peinlichen Outfit erscheinen, denn er hat gleich drei Töchter, die ihn beraten.
Autoren/Hrsg.
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15. Dezember 2019
Besser als Kim Kardashians Arsch
Die Spendengala auf Schloss Weidelsburg war ein rekordverdächtiger Erfolg gewesen. Das Line-up – allen voran Schlagerstar Larissa Sturm – hatte über zehn Millionen Zuschauer vor die TV-Geräte gelockt. Sagenhafte acht Millionen Euro an Spendengeldern waren erzielt worden. Im Schloss selbst hatten sich unzählige Promis und Würdenträger die vergoldeten Klinken in die Hand gegeben. Der Herr Ministerpräsident mit Gattin, die Frau Staatssekretärin, beliebte Schauspielerinnen und Schauspieler, Models, Fußballstars, ein Modezar, natürlich eine schier kaum zu überblickende Masse von Adligen aller möglichen Königsfamilien, und man hatte sogar einen ehemaligen US-Präsidenten im Festsaal ausmachen können. Das Galaprogramm stand den prominenten Gästen in nichts nach. Ein berühmtes Zaubererduo, ein gregorianischer Chor, Zirkusakrobaten von Weltrang, und als Höhepunkt der Gänsehautauftritt von Larissa Sturm – es war einfach unglaublich, was Marsilius von Weidelsburg hier auf die Beine gestellt hatte, ganz zu schweigen von einem Sahnebonbon wie dem frechen Kuss, den Newcomerin Laura der Schlagergöttin aufgedrückt hatte.
Und das alles war scheißegal.
Artur Peters zog an seiner E-Zigarette. Er pustete den Dampf in die Stille des Büros. Dann tippte er: GALA-SKANDAL: PROLL-PRINZ VERPRÜGELT LARISSAS MANAGER
Artur lehnte sich zurück und grinste zufrieden. Prinz Morty hatte ihn einen Vogel und einen Lutscher genannt. Bitte schön. Jetzt bekam er das Echo, gedruckt und online. Schon jetzt ging die Story viral. Es gab ein Video des Handgemenges, das bereits Abertausend Views hatte. Es war verwackelt und unscharf, doch man erkannte eindeutig, dass Mortimer dem Manager von Larissa Sturm einen Faustschlag ins Gesicht verpasste und ihn damit zu Boden schickte.
Bevor Artur auf den letzten Drücker den Artikel zur Skandal-Gala verfasste, genehmigte er sich noch einen Tweet unter dem Hashtag #mortimer. Er schrieb: Seine Hoheit Prinz #mortimer von Weidelsburg war schon vor Beginn des Galaprogramms offenkundig stark alkoholisiert. Uns Journalisten gegenüber zeigte er sich gewohnt aggressiv und wurde sofort ausfallend. Schade, denn die Gala auf #schlossWeidelsburg war ansonsten ein voller Erfolg. Glückwunsch an Seine Hoheit, Prinz Marsilius von Weidelsburg, zu diesem spektakulären Event! #spendengala #Weidelsburg #larissasturm #dankbar
Der Chef hatte es ihm noch eingeschärft: »Die Leute wollen keine good news, Artur!« Klar, eine Spendengala war nett, und eine Menge Promis zeigten sich dort. Freilich war es eine hehre Tat, wenn ein gut vernetzter Westeuropäer Geld sammelte, um blinden Kindern in Fernost eine schulische Bildung zu ermöglichen. Doch: »Sieh zu, dass du Mortimer im Auge behältst. Pirsch dich an ihn ran. Geh zu ihm hin. Bring ihn auf Temperatur, stell ihm unangenehme Fragen. Ein flotter Bericht über eine von Mortimers Entgleisungen bringt uns mehr zahlende Abonnenten als eine exklusive Fotostrecke von Kim Kardashians Arsch, glaub mir.« Das alles hatte Artur sich zu Herzen genommen. Sein Fazit lautete: Der Abend hätte nicht besser verlaufen können.
Johanna aus der Rechtsabteilung rief noch in der Nacht an: »Eine Berliner Anwaltskanzlei hat ein Fax geschickt, es geht um deine Tweets über Mortimer. Unterlassung und so weiter. Glückwunsch!«
Und zeitgleich whatsappte sein Kollege Simon: Mortimer verkloppt Larissas Manager! Alter, was ein Scoop!
Es war ein Scoop. Und die Story hatte gerade erst begonnen.
Es ist nicht mehr da
Larissa lag nackt auf dem weißen Teppich, die Beine angewinkelt, den Kopf so tief in der Ellenbeuge vergraben, dass nur ein Auge rausguckte, und dieses Auge blickte durch einen Vorhang aus feinen dunklen Haarsträhnen. Ein anspruchsvoller Fotograf hätte für dieses Motiv gemordet.
Es war völlig still in der Präsidentensuite. Sie war nicht verwüstet. Sie sah nicht mal benutzt aus. Allein auf dem Rand des Whirlpools, den Larissa hinter einer breiten Glastür erfasste, lag der Inhalt ihrer Handtasche.
Sie stand auf. Es ging überraschend einfach. Dann versuchte sie, sich zu erinnern. Sie hatte Thanos gefeuert. Es war ihr letzter klarer Moment gewesen. Hatte sie Vivian mit Zunge geküsst? War sie von uniformierten Beamten aus dem Schloss geleitet worden? Fragen stellten sich. Ihr Gehirn wollte nicht mitziehen.
Sie taumelte zum Whirlpool und drehte den Wasserhahn auf. Dann betätigte sie die Sprechanlage und diktierte dem Zimmerservice ihre Bestellung: starker Kaffee, viel Obst und die Blitz-Zeitung. Und sicherheitshalber Champagner.
Allmählich löste sich der Traumnebel in ihrem Kopf auf. Der Zungenkuss mit ihrer Visagistin und ihre Verhaftung waren Hirngespinste aus einem jener real wirkenden Träume, die das Unterbewusstsein kurz vorm Aufwachen abspielte. Larissa seufzte erleichtert. Tatsache war hingegen, dass sie Thanos gefeuert hatte. Sie seufzte noch mal – diesmal vor Melancholie. Sicher, Thanos hatte sie nach oben gebracht, und sie hatten eine schöne Zeit miteinander gehabt. Dennoch stand sie zu ihrer Entscheidung, auch jetzt, da sie halbwegs nüchtern war. Er hatte sie verarscht – nichts Großes, es ging bloß um einen zusätzlichen Song. Doch er hatte es eben getan, und Larissa fand, dass sie an einem Punkt angelangt war, an dem sie sich nicht mehr verarschen lassen musste, geschweige denn sich verarschen lassen durfte.
Sie glitt schnurrend in das mild sprudelnde, angenehm warme Wasser. Ihr Blick fiel auf das kleine Etui, in dem sie die verschiedenen Puder aufbewahrte, mit denen sie ihre Stimmung schminkte. Nein, erst frühstücken, beschloss sie. Genau in diesem Augenblick läutete der Zimmerservice.
»Bringen Sie es zum Whirlpool«, rief sie.
Ein ergrauter Lakai stellte das Tablett und den Eiskühler auf den Rand des Whirlpools, ohne auch nur die Andeutung eines Blickes auf die nackte Schlagerschönheit im blubbernden Wasser zu wagen. Larissa mochte professionelles Personal. Er schenkte ihr Kaffee ein. Sie bedankte sich, was sie sonst längst nicht mehr tat, und wies den Mann an, sich den Hunderteuroschein zu nehmen, der zwischen Tampons, Tablettenlagen und dem Etui lag. Der Bote bedankte sich höflich und ging, die verdächtig gerollte Banknote in die entgegengesetzte Richtung drehend, hinaus.
Larissa naschte etwas Drachenfrucht. Allmählich konnte sie sich erinnern. Nachdem sie Thanos gefeuert hatte, war sie noch einmal in den V. I. P.-Bereich gegangen und hatte dort einen fantastischen Cassis-Likör entdeckt, den sie, mit Wodka gemischt, wohl in zu hoher Dosis getrunken hatte. Sie erinnerte sich dunkel an den Barkeeper. Ein sexy Kerl, sicher kein Deutscher. Sein Akzent hatte niederländisch geklungen, oder belgisch, in seinem guten Aussehen schien eine afrikanische Sonne auf skandinavische Männlichkeit. Sie wunderte sich, warum sie ihn nicht mit in die Suite genommen hatte. Oder hatte sie? Hatten sie es getrieben? Aber das Bett war unbenutzt. Oder hatten sie es auf dem weichen, weißen Teppich getan? Larissa hasste Filmrisse.
Ihr Smartphone vibrierte. Sie griff danach, doch dann beschloss sie, erst die Zeitung zu lesen. Sicher war es Thanos, der sie nun mit Nachrichten bombardieren würde, um seinen Job zurückzubekommen. Das konnte sie zum Frühstück nicht gebrauchen.
Als sie die Blitz-Zeitung auseinanderfaltete, erschrak sie. Die Gala war riesengroß auf der Titelseite – allerdings in Gestalt der Handgreiflichkeiten zwischen ihrem Manager und dem zugedröhnten Prinzen. Schlagartig kam die Erinnerung an den zudringlichen Säufer und die hässlichen Szenen. Männer. Erbärmliche Geschöpfe, immer wieder. Larissa überflog den Beitrag im Innenteil. Am Seitenrand wurde über den frechsten Kuss des Gala-Abends berichtet und wie cool die Sturm die Stürmische belehrt hatte. Ein verkatertes Lächeln schleppte sich durch Larissas Gesicht. In dem großen Bericht ging es vor allem um die Prügelei. Larissa kämpfte sich durch eine langweilige Aufzählung, welche wichtigen Leute anwesend gewesen waren, und schließlich war sie beruhigt, von ihrem Gänsehaut-Auftritt zu lesen: Als Larissa die letzten Zeilen ihrer Ballade »Augenblick« hauchte, hatten einige der Gäste im Saal Tränen der Rührung in den Augen. Danach folgte minutenlanger Applaus für Deutschlands Schlagerkönigin, stand da. Ja, so ging Kunst: Leute zum Lachen bringen, das konnte jeder angesoffene Slam-Poet. Leute zum Heulen bringen, Menschen zu Tränen verzücken, Zement zu Zuckerwatte machen, zehn Millionen Menschen auf einmal umarmen, den Himmel mit Sternen würzen, das war nur sehr wenigen Menschen gegeben. Larissa lächelte zufrieden in die Kaffeetasse. Beste Publicity. Genau solche Berichterstattung brauchte sie jetzt, um sich geschmeidig von Thanos zu trennen. Larissa, die professionelle Künstlerin – Thanos, der peinliche Raufbold. Das passte. Und wenn die Trennung erst einmal öffentlich war, würden sich die Kandidaten für Thanos’ Nachfolge sehr schnell bei ihr melden.
Wieder vibrierte ihr Smartphone.
»Leck mich, Thanos«, sagte Larissa grinsend, schloss die Augen und ließ sich so tief sinken, dass ihr Kinn die blubbernde Wasseroberfläche berührte. Warme Tropfen sprangen in ihr Gesicht. Alles war still, alles war schön.
Bis zum nächsten Knurren des Geräts.
Larissa schoss aus dem Wasser wie ein hungriger Raubfisch und langte nach dem Smartphone. Kein Sicherheitscode. Und jemand hatte das Hintergrundbild geändert. Eine blondierte, solariumbraune Frau jenseits der vierzig mit clownhaft viel Lippenstift glotzte sie benommen und lüstern zugleich an.
Sie öffnete Whatsapp. Anwalt K schrieb: Ruf mich dringend an!...