Barz | Der Heiler von Solingen | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, Band 538, 200 Seiten

Reihe: Frederike Suttner

Barz Der Heiler von Solingen

Historischer Kriminalroman
1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-95441-714-8
Verlag: KBV
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Historischer Kriminalroman

E-Book, Deutsch, Band 538, 200 Seiten

Reihe: Frederike Suttner

ISBN: 978-3-95441-714-8
Verlag: KBV
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Wunden, die nie verheilen werden

April 1945: Kurz vor Kriegsende werden 71 Häftlinge am Wenzelnberg hingerichtet. Ein junger, an dem Massaker beteiligter Soldat will kurz darauf desertieren und kommt an der Müngstener Brücke in Solingen ums Leben.

Es vergehen fünf Jahre, in denen sich die Menschen im Bergischen Land nach und nach wieder an die Normalität gewöhnt haben. Die Erinnerungen an den schrecklichen Krieg verblassen. Da wittert die aufstrebende Journalistin Edith Hartkop eine heiße Story: In Solingen macht der Pastor Magnus Eichenlaub mit Wunderheilungen auf sich aufmerksam. Edith hält das alles für faulen Zauber – selbst dann noch, als sie in einem Heilungsgottesdienst erlebt, wie der erblindete Besenbinder Ben Laddach durch Magnus' Gebete wieder sehen kann.

Edith forscht nach – und erkennt bald, dass Krankheit, Heilung und ungesühnte Schuld aus den Kriegsjahren eng miteinander verbunden sind. Dieser Verdacht erhärtet sich, als Ben Laddach eines Tages nur mit knapper Not einem Mordanschlag entkommt …

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Kapitel 1:
TAG FÜR TAG
23. Februar 1950 Ben Laddach streckte die Hand langsam in die ewige Dunkelheit hinein und suchte nach den Rosshaarbürsten. Als er sie endlich ertastete, setzte er seine Arbeit fort. Mit der rechten Hand umklammerte er die Haare, mit der linken suchte er den Draht, und als er ihn gefunden hatte, zog er die Rosshaare mit dem Draht in den Holzrohling vor ihm ein. Der Vorgang dauerte eine Weile, und als er ihn beendet hatte, wiederholte er ihn. Tag für Tag, Stunde für Stunde die immer gleichen Handgriffe, für die er eigentlich völlig überqualifiziert war – wenn er nicht blind geworden wäre. Ben lebte seit fünf Jahren in der Unterwelt, wie er seinen Zustand nannte. Sie war dunkel, kalt, manchmal Furcht einflößend, und sie war unerträglich langweilig. Er erlebte in unendlich langen Stunden diese Ödnis in der Finsternis. Was er Tag für Tag tat, war völlig absurd, denn er konnte das Ergebnis seiner Arbeit nicht einmal sehen. Aber er musste irgendwie weiter Geld verdienen. Und am Ende des Tages sagte er sich, dass es seine Arbeit, sein Leben, sein Schicksal sei, und manchmal half ihm das für kurze Zeit, seinen Lebensekel zu überwinden. Ein kalter, unangenehmer Luftzug drang in die Werkstatt, dann vernahm er Schritte. Heute war Donnerstag, da holte ihn Iris ab, seine Schwester, und lud ihn zu sich nach Hause zum Abendessen ein. Jeden Donnerstag. Eine kleine Abwechslung, eine kleine Auszeit von der Unterwelt. »Bin gleich so weit«, sagte Ben tonlos, fummelte die letzten Haarbüschel in den Rohling und legte ihn vorsichtig ab. Dann schob er seine Hand vor, bis er seinen Blindenstock zu fassen bekam, stand auf und schlurfte zu Iris. »Vorsicht!«, rief sie und schob einen Hocker zur Seite. »Manchmal glaube ich, du machst das mit Absicht!« Ben antwortete nicht darauf. Iris hakte sich bei ihm ein, und sie verließen die Werkstatt. Eine Weile gingen sie stumm den Hügel zum Ronsdorfer Ortskern hinunter. »Am Wochenende besucht mich meine Freundin Maria aus Osnabrück. Sie bleibt für ein paar Tage hier«, sagte Iris schließlich. »Wenn du magst, hole ich dich auch ab, und wir unternehmen was zusammen.« »Ich weiß noch nicht«, antwortete Ben. »Ich habe schon so viele Termine am Wochenende.« »Sehr witzig!«, erwiderte Iris. »Du solltest wirklich mal mehr unter Menschen gehen.« »Das lässt sich manchmal nicht vermeiden!« Er hörte ein lautes Stöhnen, dann sagte Iris: »Ihr würdet gut zusammenpassen.« »Ich bin blind!« »Aber immer noch ein Mann!«, erwiderte Iris. »Also: Kommst du mit, wenn ich sie abhole?« Na schön, dachte Ben. Es gab doch immer zwei Möglichkeiten. Entweder war diese Maria nett, und das Schicksal meinte es gut mit ihm – oder er blieb allein, und nichts würde sich ändern. Er beschloss, seine Entscheidung vom Zufall abhängig zu machen. Wenn er den Nachhauseweg diesmal schaffte, ohne sich zu erschrecken, würde er sich verweigern und Iris’ Freundin nicht kennenlernen wollen. Am Ronsdorfer Marktplatz vernahm er ein Gewirr aus unterschiedlichen Stimmen: hellen, dunklen, kindlichen, männlichen, weiblichen Sprachfärbungen. Dazwischen Motorgeräusche. Er hatte Ronsdorf als schönen Ort mit vielen Bergischen Schieferhäusern in Erinnerung, außerdem erinnerte er sich an die braunen Steine der Lutherkirche und an das Zweikaiserdenkmal am Marktplatz. Er fragte sich, ob alles wieder so aufgebaut worden war wie vor der Bombardierung. Vielleicht stellte er sich den Ort, an dem er gerade war, ganz anders vor, als er heute tatsächlich aussah. Ein lauter Knall ertönte ganz in der Nähe. Ben zuckte zusammen. »Es ist alles in Ordnung, Bruderherz. Das war nur die Ladeklappe eines Lastwagens.« Eines Lastwagens … Eigentlich hatte er in den Jahren gelernt, die Geräusche des Alltags von Kriegsgeräuschen zu unterscheiden. Aber hin und wieder warf er sie durcheinander. Sein Herz klopfte immer noch. Der Zufall hatte also entschieden. Ben musste Maria kennenlernen. »Du musst wieder ins Leben zurückfinden, Ben. Jeden Tag Besen zu binden, ist doch nichts für dich.« »In meinen alten Beruf kann ich ja wohl schlecht zurück …« »Ben, es gibt viele Berufe, die man auch als Blinder machen kann.« »Nenn mir ruhig alle, dann suche ich mir einen aus.« »Lass uns noch kurz bei dir vorbeigehen, dann nehme ich deine Wäsche mit«, warf Iris ein. Sie schwiegen sich eine Weile an, während sich Ben auf den Weg konzentrierte und zu erraten versuchte, ob er schon am richtigen Haus war. Es war ihm auch nach fünf Jahren Blindheit immer noch zu mühsam, Schritte zu zählen. Stattdessen wollte er sich auf seine Intuition verlassen. »Hier sind wir«, sagte er. »Es ist noch ein kleines Stück«, lachte Iris und führte ihn einige Meter weiter. »Hier!« Plötzlich hielt sie inne. »Verdammt noch mal! Diese Plagegeister!« »Was ist?«, fragte Ben. Iris antwortete nicht, stattdessen hörte er, wie sie mit dem Schlüssel hektisch an der Holztüre kratzte. »Hat mir wieder jemand eine Nachricht auf die Tür geschrieben?« »Es ist nichts«, sagte Iris und kratzte weiter. »Was steht diesmal dran? Schweine? Verbrecher? Oder gar Mörder?« Iris kratzte weiter. »Die meinen ja gar nicht dich oder mich. Die meinen alle. Vielleicht sogar sich selbst.« »Ja, wahrscheinlich …« »Ich meine, was können wir denn dafür? Was haben wir denn schon getan? Es waren halt andere Zeiten. Aber das wird sicher bald aufhören. Komm, ich bring dich rein, dann mache ich es mit warmem Wasser weg.« »Ich kann es auch wegmachen …« »Dein Zynismus ist manchmal nicht zu ertragen, Ben.« »Du sagst doch selbst, es gibt viele Berufe für Blinde. Und gute Putzkräfte werden immer gebraucht. Man muss mir hinterher nur sagen, ob es noch dreckig ist.« »Lass uns reingehen«, sagte Iris, nahm seinen Schlüssel und schloss die Tür auf. * * * Das Abendmahl, ein voller Käseteller und zwei Scheiben Brot, hatte er gerade beendet, als es an der Tür klingelte. Magnus Eichenlaub war kurz davor zu fluchen, konnte sich aber im letzten Moment beherrschen. Der Käse lag ihm schwer im Magen, die beiden Gläser Wein hatten ein Übriges getan, Magnus war müde, ihm war leicht schwindelig, daher beschloss er, heute niemandem mehr zu öffnen – schließlich war es schon nach zehn – und schnell ins Bett zu gehen. Entschlossen schaltete er das Licht im Flur aus, um dem ungebetenen Besucher vor seinem Haus in Solingen-Ohligs unmissverständlich klarzumachen, dass er heute nicht mehr zu sprechen war. Auch ein Pastor hatte mal Feierabend. Langsam schlich Herbert durch den Flur die Treppen zum Schlafzimmer hoch, zog seine Pantoffeln aus, fühlte den weichen Teppich mit dem Blumenmuster unter seinen Füßen und hob die blau karierte Bettdecke an. Es klingelte erneut. Nein, ärgerte sich Magnus. Nicht jetzt. Er hatte Magenschmerzen und war nicht mehr ganz klar im Kopf. Er brauchte seinen Schlaf … Magnus atmete tief durch, legte seinen Kopf aufs Kissen und faltete die Hände zum Abendgebet, doch bevor er sprechen konnte, vernahm er eine Stimme. Sie war hell und klar. Geh hin, forderte sie ihn auf. Er kannte diese Stimme gut. Sie kam von seinem Herrn. Geh, um meinetwillen, sagte sie. Mit einem tiefen Seufzer schwang sich Magnus aus dem Bett, knipste das Flurlicht wieder an und stapfte die Treppe hinunter. Es klingelte zum dritten Mal. Magnus legte die Hand auf den Türgriff, atmete einmal tief durch, dann öffnete er seine Tür. Draußen stand ein blonder Mann mit grauen Schläfen, den Magnus auf Mitte vierzig schätzte, jedoch fragte er sich, ob der Mann vielleicht einfach deutlich älter aussah, als er eigentlich war. Schließlich war im Krieg für viele Menschen die Zeit einfach stehen geblieben, einige waren schneller gealtert. Erst jetzt sah er, dass sein Besucher am ganzen Leib zitterte, obwohl es für diese Jahreszeit ungewöhnlich mild war. »Kann ich etwas für Sie tun?«, fragte Magnus, obwohl die Antwort auf der Hand lag. »Helfen Sie mir, Pastor!«, wimmerte der Mann. »Helfen Sie mir bitte! Es wird immer schlimmer!« Magnus hielt kurz inne, dann nickte er, trat zur Seite und gewährte dem armen Mann Einlass. Er führte ihn in die enge Küche, in der der alte Herd viel zu weit in den Raum ragte, machte Licht und bot ihm einen Platz an dem kleinen Tisch in der Ecke am Fenster. Dann wartete er, setzte sich zu seinem Gast, und nach einer kurzen Stille begann der Mann: »Mein Name ist Thomas Freiberg. Mein Vater hat mal bei Ihnen in der Rasierklingenfabrik gearbeitet, bevor Sie … bevor Sie Ihren Beruf gewechselt haben.« Magnus’ Erinnerung blitzte kurz auf. Seine Rasierklingenfabrik in Solingen … Die Erweckung … Dann der Krieg und seine Abkehr von Gott … Schließlich das zerbombte Haus und die Rückkehr zu seinem Herrn, dem einzig wahren Herrn … Der späte Gast zitterte immer noch. »Seit ich im Krieg war«, fuhr Thomas Freiberg fort, »habe ich immer diese verfluchten – Verzeihung … diese schlimmen Zitteranfälle. Tag für Tag, sie kommen immer aus dem Nichts. Dabei wurde ich gar nicht richtig verletzt. Nicht verletzt, aber ein bisschen irre geworden, hat mein Hausarzt gesagt.« Während er sprach,...


Barz, Stefan
Stefan Barz, geboren 1975 in Köln, wuchs in Kommern auf und lebt heute in Wuppertal. In Bonn studierte er Germanistik und Philosophie und arbeitete nebenbei als freier Journalist. Nach dem Studium wurde er Lehrer und begann mit dem Schreiben fiktionaler Texte.
2014 erschien sein erster Kurzkrimi »Erbsünde«, mit dem er für den Agatha-Christie-Krimipreis nominiert wurde. Im selben Jahr erschien sein Debütroman »Schandpfahl«, für den er den »Jacques-Berndorf-Förderpreis« verliehen bekam. Seither veröffentlichte er eine Eifel-Krimi-Reihe um den Kommissar Jan Grimberg und Krimis aus seiner Wahlheimat, dem Bergischen Land.
www.stefan-barz.de

Stefan Barz, geboren 1975 in Köln, wuchs in Kommern auf und lebt heute in Wuppertal. In Bonn studierte er Germanistik und Philosophie und arbeitete nebenbei als freier Journalist. Nach dem Studium wurde er Lehrer und begann mit dem Schreiben fiktionaler Texte.
2014 erschien sein erster Kurzkrimi »Erbsünde«, mit dem er für den Agatha-Christie-Krimipreis nominiert wurde. Im selben Jahr erschien sein Debütroman »Schandpfahl«, für den er den »Jacques-Berndorf-Förderpreis« verliehen bekam. Seither veröffentlichte er eine Eifel-Krimi-Reihe um den Kommissar Jan Grimberg und Krimis aus seiner Wahlheimat, dem Bergischen Land.
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