Barz | Die Schreie am Rande der Stadt | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, Band 479, 250 Seiten

Reihe: KBV-Krimi

Barz Die Schreie am Rande der Stadt

Kriminalroman aus Wuppertal
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-95441-595-3
Verlag: KBV
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Kriminalroman aus Wuppertal

E-Book, Deutsch, Band 479, 250 Seiten

Reihe: KBV-Krimi

ISBN: 978-3-95441-595-3
Verlag: KBV
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Wenn die Erinnerungen geweckt werden ...

Im Frühling des Jahres 1993 findet der Journalist Martin Tesche bei der Auflösung der Wohnung seines verstorbenen Vaters Johannes ein sechzig Jahre altes Tagebuch. Martin ist erschüttert: Sein Vater verrät darin unmissverständlich, an einem Mord beteiligt gewesen zu sein.

Martin begibt sich auf Spurensuche und reist an Johannes Tesches früheren Wohnort Wuppertal. Dort macht er Gerda Steinjans ausfindig, deren Name ihm in den Aufzeichnungen mehrfach begegnet ist.

Die alte Frau kann sich noch gut an seinen Vater erinnern. Und auch an die Freunde Georg, Henri und Friedrich, an die Wandervogel-Gruppe, in der sie damals ihre jugendliche Freiheitsliebe auslebten und sich an der Natur berauschten …

Aber mit den Erinnerungen kehren auch die Schreie wieder zurück, die von der Putzwollfabrik im Ortsteil Kemna zu ihnen herüberdrangen, einer Anlage, in der den Gerüchten nach ein Konzentrationslager eingerichtet worden war.
Und der Nebel des Vergessens, der sich über die Mordtat gelegt hat, lichtet sich langsam …

Barz Die Schreie am Rande der Stadt jetzt bestellen!

Autoren/Hrsg.


Weitere Infos & Material


1. Kapitel
26. April 1993
Die Schreibtischlampe warf ein schwaches Licht in das Arbeitszimmer seines Vaters, das gegen die einsetzende Dunkelheit nicht viel ausrichten konnte und ihn daran erinnerte, dass es in diesem Haus kein Leben mehr gab. Es war zu dunkel und zu still. So kannte Martin Tesche das Zuhause seiner Kindheit nicht. Er war noch nie allein hier gewesen. Ohne seinen Vater war das Haus unheimlich. Neben dem rotbraunen Mahagoni-Schreibtisch, der sicher noch viel wert war, lag auf dem Boden eine liberale Wochenzeitung – ungelesen, allerdings schon drei Wochen alt. So hatte er das Arbeitszimmer vorgefunden. Es sah aus, als würde sein Vater jeden Augenblick wiederkommen. Aber er würde nicht mehr wiederkommen. Sie hatten Johannes Tesche letzte Woche beerdigt, hier in Kommern. Er war mit 78 Jahren kurz und beinahe schmerzlos an einem Herzinfarkt gestorben. Eigentlich ein Tod, wie man ihn sich für seine Angehörigen, die man liebt, nur wünschen konnte. Sein Vater hatte einen Weltkrieg überlebt und war von Krankheiten und Unfällen verschont geblieben. Er hatte es verdient, von dieser Welt zu gehen, ohne leiden zu müssen. Wenn der Tod nur nicht so plötzlich und unerwartet gekommen wäre. Und nun war es Martins Aufgabe als einziger Erbe, das schöne Haus aufzulösen. Es war ein frei stehendes Einfamilienhaus mit einer schützenden Backsteinfassade. Martin sah durch das Sprossenfenster im Arbeitszimmer auf den verwilderten Garten. Sein Vater hatte sich nie besonders um das Gartengewächs gekümmert. Er fühle sich wohl, wenn die Natur um sein Haus herum ein bisschen ihrer eigenen Wege gehen könne, hatte er mal gesagt. Das Grundstück grenzte an den Wald, das war der Grund, weswegen sein Vater das Haus überhaupt gekauft hatte. Er hatte den Wald geliebt, und als Aita, seine Labradorhündin, noch gelebt hatte, war er jeden Tag stundenlang spazieren gegangen. Die Vorstellung, dass bald andere Menschen hier leben würden, erzeugte Unbehagen, aber Martin hatte pragmatisch entschieden, dass er das Haus verkaufen würde. Für sich und Melanie war es einfach zu groß, und die Bonner Zeitung, bei der er arbeitete, war zwar aus der Eifel erreichbar, aber die Strecke war einfach zu weit, um sie jeden Tag zwei Mal zu fahren. Martin lief durch den Flur des Obergeschosses, die Holztreppe hinunter, sah sich noch einmal das Schlafzimmer, sein Kinderzimmer und im Erdgeschoss die Küche und das Wohnzimmer an. Das Haus seines Vaters war immer noch dasselbe. Nur verlassener. Aber das war es nicht, was sich so verändert hatte. Es war vielmehr der Klang. Als würde ein fast unmerkliches Zischen und Rauschen und Dröhnen die Stille des Hauses hier am Waldrand zu durchbrechen versuchen. Martin hatte die Redaktion heute früher verlassen, um von Bonn aus in die Eifel zu fahren. Vorgestern hatte er mit der Auflösung begonnen und Hunderte von Büchern sortiert: insbesondere natürlich Werke der Weltliteratur, Gesamtausgaben von Goethe, Schiller, Mann, Kafka und so weiter. Sein Vater hatte sich als Germanistikprofessor an der Universität Bonn zwar auf Literatur des 20. Jahrhunderts spezialisiert, aber er hatte sich natürlich immer wieder durch die gesamte Literaturgeschichte gelesen. Martin erinnerte sich an keinen einzigen Tag in seiner Kindheit, an dem sein Vater kein Buch in der Hand gehabt hatte. Daneben fanden sich viele Bücher zur Geschichte, Politik und Philosophie, die Martin selbst behalten wollte, dann einige Werke, die er an Antiquariate verkaufen konnte, und Taschenbücher, die wertlos waren und an die Tafel für Bedürftige verschenkt werden konnten. Er ging zurück ins Arbeitszimmer. Den Stapel mit Kladden, die er in einem Schrank gefunden hatte, legte er auf den Mahagonitisch, schlug das erste Büchlein auf und überflog einige Seiten. Das waren alte Tagebücher. Martin schlug die Kladde sofort wieder zu. Die Tagebücher seines Vaters waren privat, sie gingen ihn nichts an. Sein Blick fiel auf den Einband. 1933 war dort handschriftlich vermerkt worden. Das Jahr, das in Deutschland alles verändert und die Welt in eine unvergleichliche Katastrophe geführt hatte. Wie mochte sein Vater diese Zeit erlebt haben? Martin schlug die Kladde wieder auf und las die ersten Seiten. Sofort war er gefangen von dem, was sein Vater dort schrieb. Er rieb sich mit der Hand über die Koteletten und fuhr sich dann über die kurzen, dunklen Haare. Das machte er immer, wenn er auf ein Thema stieß, das ihn interessierte. Die Handschrift seines Vaters konnte er gut lesen. Die Tagebücher stammten aus der späten Jugend seines Vaters. Ein kurzer Blick auf die ersten Seiten genügte, dann war ihm sofort klar, dass er die Sachen behalten würde. Nicht in erster Linie, weil ihn die intimen Gedanken seines Vaters interessierten. Solche seltenen Zeitdokumente waren ein besonderer Schatz. Und als Journalist interessierte er sich für Dokumente aus vergangenen Zeiten, von denen er sich neue Erkenntnisse erhoffte – und vielleicht neue Geschichten, die er schreiben konnte. Er sah auf die Uhr. Halb neun am Abend. Für heute reichte es. Melanie wartete bestimmt schon. Martin Tesche packte die Tagebücher in einen kleinen Karton und machte sich auf den Heimweg. Der nächste Tag verlief zunächst routiniert, nur dass Martin noch die zusätzliche Arbeit bewältigen musste, die gestern liegen geblieben war. Dazu gehörte eine Geschichte über den Alltag von Krankenhauspflegern, einige kurze Berichte über die letzte Stadtratssitzung und die Planung weiterer Reportagen. Er kam erst nach 20 Uhr nach Hause, aber da seine Frau Melanie heute ihren Chorabend hatte, spielte es keine Rolle, da niemand auf ihn wartete. Martin aß eine aufgebackene Tiefkühlpizza, öffnete einen Acolon-Wein, dann setzte er sich bequem hin und blätterte in drei ausgewählten Tagebüchern seines Vaters. Schließlich entschied er sich wieder für die Lektüre des Jahres 1933 – in diesem Jahr war sein Vater aus Deutschland geflohen, weil er mit den Sozialdemokraten sympathisierte und es für seinesgleichen gefährlich wurde. Erst nach dem Krieg war er zurückgekehrt. Früh schon hatte sein Vater dem kleinen Martin erzählt, was in Deutschland damals passiert sei und warum er das Land verlassen habe. Als Martin noch zu jung war, um die politischen Zusammenhänge zu verstehen, hatte sein Vater ihm erzählt, dass damals ein böser Zauberer in das Land gekommen sei und alle Menschen verhext habe. 1933 – das Jahr des Hexers … Martin schlug das Tagebuch auf und las: 1. März 1933 Gestern für das Abitur gelernt, den Faust noch mal gelesen und endlich auch die Mathematik begriffen. Ich will es schaffen und Literaturprofessor werden, immer noch. Aber was bedeutet die neue Zeit, in der wir jetzt leben, für meine Zukunftsplanung? Wird freies Denken bald noch erlaubt sein? Der Reichstag hat gebrannt. Die Kommunisten sollen es gewesen sein. Ich habe das keinen Moment geglaubt. Hitler und seine Schreckgespenster waren es doch selbst. Ich schreibe hier kein Buch für die Nachwelt, muss aber doch meine Erschütterung niederschreiben. Martin war fasziniert von der Authentizität dieser Worte. Das hier war nicht vergleichbar mit den Geschichtsbüchern, die er bisher zum Thema gelesen hatte. Das Tagebuch zeigte doch, dass sich die großen geschichtlichen Ereignisse nicht einfach nur unter Hitler, Hindenburg und Mussolini abgespielt hatten, sondern auch bei den Individuen, beim einfachen Volk. Und dass Johannes Tesche selbst ein Teil dieser großen Geschichte gewesen war, die bis zu ihm, Martin, nachwirkte. Hier bekam er einen viel tieferen Einblick in das, was sein Vater gefühlt und gedacht hatte, als er von der Welle der Machtergreifung Hitlers überrollt worden war – als junger Mensch, der Pläne hatte und sich plötzlich, über Nacht, in einer Zeit wiederfand, die alles infrage zu stellen schien. Martin wusste natürlich eine Menge über seinen Vater und seine Vergangenheit. Johannes Tesche floh zunächst nach Dänemark, später schaffte er es dann in die USA, wo er bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs blieb und sich mit Gelegenheitsjobs durchschlug. Im Krieg hatte er nie gekämpft, auch nicht gegen die Deutschen. Er sei froh gewesen, dass er im Krieg nie einen Menschen habe töten müssen, hatte er immer wieder mal gesagt. Johannes Tesche war kein Mitläufer gewesen, er hatte von Anfang an gegen das Nazi-Regime rebelliert und war mit gerade mal achtzehn Jahren im Exil auf sich allein gestellt gewesen – dafür hatte Martin seinen Vater bewundert. Für ihn war Johannes Tesche immer ein Held gewesen, weil er sich nicht hatte gleichschalten lassen. Martin schenkte sich noch ein Glas Wein ein und las weiter, bis er zutiefst erschüttert die Kladde zuschlug und die Welt nicht mehr verstand. Kurz darauf kam seine Frau Melanie zurück. »Hallo Schatz, wie war dein Abend?«, fragte sie und gab ihm einen...


Stefan Barz, geboren 1975 in Köln, wuchs in Kommern auf und lebt heute in Wuppertal. In Bonn studierte er Germanistik und Philosophie und arbeitete nebenbei als freier Journalist. Nach dem Studium wurde er Lehrer und begann mit dem Schreiben fiktionaler Texte.
2014 erschien sein erster Kurzkrimi "Erbsünde", mit dem er für den Agatha-Christie-Krimipreis nominiert wurde. Im selben Jahr erschien sein Debütroman "Schandpfahl", für den er den "Jacques-Berndorf-Förderpreis" verliehen bekam. Seither veröffentlichte er eine Eifel-Krimi-Reihe um den Kommissar Jan Grimberg.



Ihre Fragen, Wünsche oder Anmerkungen
Vorname*
Nachname*
Ihre E-Mail-Adresse*
Kundennr.
Ihre Nachricht*
Lediglich mit * gekennzeichnete Felder sind Pflichtfelder.
Wenn Sie die im Kontaktformular eingegebenen Daten durch Klick auf den nachfolgenden Button übersenden, erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Ihr Angaben für die Beantwortung Ihrer Anfrage verwenden. Selbstverständlich werden Ihre Daten vertraulich behandelt und nicht an Dritte weitergegeben. Sie können der Verwendung Ihrer Daten jederzeit widersprechen. Das Datenhandling bei Sack Fachmedien erklären wir Ihnen in unserer Datenschutzerklärung.