E-Book, Deutsch, 424 Seiten, Format (B × H): 210 mm x 275 mm
Reihe: Vetpraxis
Baumgartner / Karbe Wildtierfindlinge in der Tierarztpraxis
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-8426-0078-2
Verlag: Schlütersche
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Grundlagen der Wildtierhilfe, praktische Anwendung, tierärztliche Versorgung
E-Book, Deutsch, 424 Seiten, Format (B × H): 210 mm x 275 mm
Reihe: Vetpraxis
ISBN: 978-3-8426-0078-2
Verlag: Schlütersche
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Patient Wildtier: Was ist zu tun?
Wenn Wildtiere in Not geraten und es darum geht, sie aufzuziehen, zu pflegen und medizinisch zu versorgen, möchten viele Praxisteams helfen. Doch was ist im Umgang mit Wildtieren erlaubt, dürfen sie überhaupt behandelt werden und welche Gesetze greifen wann?
Dieses Buch bietet Ihnen einen umfassenden Einblick in die rechtlichen Grundlagen und zum Umgang mit Wildtieren in der tierärztlichen Praxis. Tierartspezifisch werden die Biologie, das Handling und die besonderen Bedürfnisse bezüglich Fütterung, Handaufzucht und Haltung vorgestellt. Auf die Diagnostik und Behandlung gängiger Krankheiten und Verletzungen wird ebenso eingegangen wie auf die Euthanasie und Auswilderung. Das erfahrene Autorenteam bietet Ihnen hier eine fundierte und reich bebilderte Hilfestellung zur Wildtierversorgung und -rehabilitation – damit Sie die richtige Entscheidung im Sinne des Wildtiers treffen.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
1 Artbestimmung bei Wildtieren
1.1 Bedeutung
Wenn Wildtier-Findlinge als Patienten in die Tierarztpraxis kommen, ist die Artbestimmung bzw. die Zuordnung zur richtigen Tiergruppe die Grundvoraussetzung für die weitere Vorgehensweise. Nur wenn man weiß, um welches Tier es sich handelt, kann man die speziellen Anforderungen der jeweiligen Art berücksichtigen und entscheiden, was zu tun ist – sei dies bei der Behandlung, Unterbringung, Ernährung, Aufzucht oder Auswilderung. Im europäischen Raum gibt es ungefähr 500 Vogel-, 270 Säugetier- und 120 Reptilienarten. In Deutschland sind an die 300 Vogelarten, darunter auch seltene oder solche, die nur als saisonale Gäste da sind, sowie etwa 100 Säugetierarten beschrieben. Allein diese Vielzahl gestaltet die sichere Artbestimmung schwierig. Zwar ist die Reptilienfauna mit nur 14 einheimischen Arten recht überschaubar, trotzdem herrscht große Unsicherheit bei der Artbestimmung. Die folgenden Beispiele zeigen eindrucksvoll, warum eine korrekte Artbestimmung wichtig für eine erfolgreiche Findlings-Rehabilitation ist: • Unterscheidung von Kuckuck und Sperber ( Abb. 1-1): Beide Vögel sehen auf den ersten Blick durch ihre dunklen Flügel und ihr gestreiftes Gefieder sehr ähnlich aus und lassen sich leicht verwechseln. Dies ist kein Zufall, sondern nennt sich Greifvogel-Mimikry. Die Nahrung, welche die beiden Tiere benötigen, ist jedoch grundverschieden. Kuckucke sollten ausschließlich mit Insekten, idealerweise mit Schmetterlingsraupen, ernährt werden, Sperber mit Küken und Kleinsäugern. Eine falsche Artbestimmung hätte eine Verabreichung von falscher Nahrung zur Folge – mit fatalen Folgen für das betroffene Tier. Wenn man sich nicht vom Gefieder täuschen lässt, sondern den Schnabel betrachtet, fällt die Unterscheidung leicht: Der Kuckuck hat einen schmalen Insektenfresserschnabel, der Sperber den deutlich kräftigeren, für Greifvögel typischen Hakenschnabel. • Unterscheidung von Singschwan und Höckerschwan ( Abb. 1-2): Zweifelsohne sind beide Arten Vertreter der Gattung Schwäne; Unterbringung und Ernährung sind gleich. Warum ist es trotzdem wichtig, die Tiere genau zu bestimmen? Der Singschwan unterliegt nicht dem Jagdrecht, ist aber nach dem Naturschutzrecht streng geschützt. Der Höckerschwan hingegen unterliegt dem Jagdrecht; in den meisten Bundesländern besteht eine Jagdzeit vom 1. November bis zum 20. Februar. Bei einer Naturentnahme zur Pflege müssen beide Arten gemeldet werden, der Singschwan bei der zuständigen Naturschutzbehörde, der Höckerschwan beim Jagdausübungsberechtigten oder der Unteren Jagdbehörde. Das wichtigste Unterscheidungsmerkmal beim adulten Tier ist der Schnabel – beim Höckerschwan orange-rot mit einem mehr oder weniger ausgeprägten Höcker, beim Singschwan gelb mit einer schwarzen Schnabelspitze. • Unterscheidung von Mäusebussard und Wespenbussard ( Abb. 1-3): Bei beiden Bussardarten gibt es jeweils große Variationen in der Gefiederfärbung; so kommen Mäusebussarde vor, die beinahe weiß sind, und auch solche mit sehr dunklem Gefieder. Wespenbussarde gibt es von grau bis braun-gesperbert mit sehr unterschiedlichen Färbungen und Musterungen. Somit ist es auf den ersten Blick nicht einfach, die beiden Arten zu unterscheiden. Erst bei genauerer Betrachtung fallen die markanten Unterschiede in der Kopfform, bei der Augenfarbe und in der Ausformung der Nasenlöcher auf. Der Wespenbussard ist zwar nicht so selten, gelangt aber aufgrund seiner Lebensweise seltener als Pflegling in die Tierarztpraxis. Er ernährt sich überwiegend von den Larven der Erdwespen, die er mit den kräftigen Füßen und Krallen ausgräbt, und verbringt den Winter als Zugvogel in Afrika. Die Freilassung eines genesenen Vogels ist somit auf die Sommermonate beschränkt. Nur so kann er noch rechtzeitig in den Süden ziehen. Im Winter würde er in Deutschland keine Nahrung finden und verhungern. Der ganzjährig in Deutschland lebende Mäusebussard hingegen kann bei günstiger Witterung auch in den Wintermonaten freigelassen werden. Bei der Fütterung und Aufzucht muss beachtet werden, dass der Wespenbussard einen höheren Insektenanteil in der Nahrung benötigt. Abb. 1-1 Unterscheidung von Kuckuck und Sperber. Beide Vögel sehen auf den ersten Blick sehr ähnlich aus (Greifvogel-Mimikry). a Kuckuck (Cuculus canorus): Typisch ist der Insektenfresser-Schnabel (Foto: Fritz Karbe). b Sperber (Accipiter nisus): Der gebogene Greifvogel-Schnabel ist deutlich sichtbar (Foto: Fritz Karbe). c Sieht man Kuckuck und Sperber nebeneinander, so fällt die Artbestimmung leichter (Foto: Katrin Baumgartner). Abb. 1-2 Unterscheidung von Singschwan und Höckerschwan. Der Singschwan unterliegt nicht dem Jagdrecht, ist jedoch streng geschützt. Der Höckerschwan hingegen unterliegt dem Jagdrecht. Bei einer Naturentnahme zur Pflege müssen beide Arten gemeldet werden. a Singschwan (Cygnus cygnus): Der gelbe Schnabel mit der schwarzen Spitze und die gerade Haltung des Halses sind deutliche Merkmale (Foto: AGAMI - stock.adobe.com). b Höckerschwan (Cygnus olor): Die orange-rote Schnabelfarbe, der Schnabelhöcker und der gebogene Hals sind arttypische Merkmale (Foto: Katrin Baumgartner). Abb. 1-3 Unterscheidung von Mäusebussard und Wespenbussard. Der Mäusebussard ist ein Standvogel und einer der häufigsten Greifvögel Deutschlands. Wespenbussarde gelangen dagegen eher selten in menschliche Obhut – sie sind Zugvögel, die den Winter in Afrika verbringen. Die Auswilderung im Winter ist hierzulande also nicht möglich. Auch bei der Fütterung gibt es wichtige Unterschiede. a Mäusebussard (Buteo buteo): Hier gibt es viele verschiedene Gefiederfarben; eindeutiges Merkmal sind die acht bis zwölf Querstreifen am Stoß (Foto: Katrin Baumgartner). b Wespenbussard (Pernis apivorus): Typisch sind die schlitzförmigen Nasenlöcher und der taubenartige Kopf; am Stoß hat der Wespenbussard eine breite Endbinde. Bei Jungvögeln ist die Iris noch dunkel und dient somit nicht als Unterscheidungsmerkmal (Foto: Fritz Karbe). • Unterscheidung von Turmfalke und Baumfalke ( Abb. 1-4): Turm- und Baumfalke sind deutlich als Falken zu erkennen und etwa gleich groß. Sie werden allein aufgrund der Gefiederfärbung unterschieden. Für die Wildtier-Rehabilitation ist es wichtig, die zwei Arten korrekt zu bestimmen. Der Turmfalke ist ein Standvogel und ernährt sich von Mäusen, der Baumfalke ein Zugvogel und Vogeljäger. Dies hat insbesondere Konsequenzen für die Entscheidung bezüglich einer Wildbahntauglichkeit sowie für die Auswilderung. • Unterscheidung von Kreuzotter und Schlingnatter ( Abb. 1-5): Die giftige Kreuzotter und die ungiftige Schlingnatter werden häufig verwechselt. Für einen ungeübten Betrachter sehen beide Schlangen gleich aus; doch es gibt eindeutige Unterschiede. Auf die ZickZack-Zeichnung als Erkennungs- bzw. Unterscheidungsmerkmal kann man sich nicht verlassen; das sicherste und auffälligste Unterscheidungsmerkmal ist die Form ihrer Pupillen. Die Kreuzotter hat senkrecht geschlitzte Pupillen, die Schlingnatter runde. Zudem besitzt die Schlingnatter ungekielte Schuppen, weshalb sie auch Glattnatter genannt wird. Obwohl beide Arten das Gleiche fressen, ist es trotzdem wichtig zu wissen, um welche Art es sich handelt. Denn ein Biss der giftigen Kreuzotter kann durchaus unangenehme Folgen für den Menschen haben. Abb. 1-4 Links im Bild sind zwei Baumfalken (Falco subbuteo) mit den typischen schiefergrauen Flügeldecken zu sehen; rechts ein Turmfalke (Falco tinnunculus) mit bräunlicher Grundfarbe und dem für weibliche Tiere typischen braunen Kopf (Foto: Katrin Baumgartner). Abb. 1-5 Unterscheidung von Kreuzotter und Schlingnatter. Die giftige Kreuzotter und die ungiftige Schlingnatter werden häufig verwechselt. Das sicherste Unterscheidungsmerkmal ist die Form ihrer Pupillen. a Die Kreuzotter (Vipera berus) hat senkrecht geschlitzte Pupillen (Foto: Helmut Mägdefrau). b Die Pupillen der Schlingnatter (Coronella austriaca) sind rund (Foto: Helmut Mägdefrau). • Einordnung von Jungtieren ( Abb. 1-6): Manchmal ist die Artbestimmung selbst bei Säugetieren oder bekannten Singvogelarten nicht so einfach – Jungtiere, die noch nicht die Morphologie der adulten Tiere ihrer Spezies aufweisen, sind oft noch viel schwieriger zu bestimmen und Bestimmungsbücher in vielen Fällen auch keine Hilfe. Es bleibt einzig die Möglichkeit, sich der Art soweit wie möglich zu „nähern“ und sie zumindest einer Gruppe zuzuordnen, um das Tier richtig versorgen zu...