Bayron | Schneewittchen schlägt zurück | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 384 Seiten

Bayron Schneewittchen schlägt zurück

Roman
1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-641-32331-8
Verlag: Heyne
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, 384 Seiten

ISBN: 978-3-641-32331-8
Verlag: Heyne
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Prinzessin Eve wurde seit ihrer Kindheit darauf trainiert, eines Tages gegen den Ritter anzutreten, der das Reich ihrer Mutter, Königin Regina, seit Jahrhunderten terrorisiert. Der Ritter ist ein mächtiger Zauberer, der Wünsche erfüllt. Doch seine Magie hat immer einen Preis, wie Königin Regina nur allzu gut weiß. Eves eigene magische Fähigkeit macht sie zu einer würdigen Gegnerin. Doch kurz vor Eves siebzehnten Geburtstag, vor dem entscheidenden Kampf, verhält sich Regina zunehmend seltsam: Fast jede Nacht spricht sie mit einem magischen Spiegel. Dann taucht ein Bote des Ritters auf, der Eve eine Nachricht über ihre Herkunft überbringt, die alles auf den Kopf stellt, was sie zu wissen glaubt. Um ihr Königreich zu retten, muss Eve kämpfen – aber wird sie den Mut finden, sich der Vergangenheit zu stellen?

Kalynn Bayron ist ausgebildete Sängerin, und wenn sie nicht gerade schreibt, hört sie sich die Songs von Ella Fitzgerald an, geht ins Theater, schaut gruselige Filme und verbringt Zeit mit ihren Kindern. Sie lebt derzeit mit ihrer Familie in San Antonio, Texas.
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1


Es ist einfacher, der Fährte eines Tieres – oder einer Person – zu folgen, wenn es blutet.

Rote Tropfen im Schnee sind leicht zu sehen. Blut auf herabgefallenen Herbstblättern oder dunkler Erde ist schwerer auszumachen, aber es ist immer noch einfacher, als sich ausschließlich auf Spuren zu verlassen. Die Methode funktioniert wie gesagt auch bei Menschen. Ein Pfeil in den Oberschenkel oder die Seite hinterlässt definitiv eine Fährte, der ich folgen kann.

Und Fährten zu folgen, ist eine Kunst. Huntress kann selbst aus der Ferne erkennen, wenn ein einziges Blatt ganz leicht gekrümmt ist. Sie kann das Gewicht und das Alter eines Bären, eines Wolfes oder eines Wildschweins schätzen, indem sie sich ganz tief zu den Spuren hinunterbeugt und die Abdrücke mit den Fingerspitzen nachfährt. Diese Taktik funktioniert nicht ganz so gut bei Menschen, weswegen ich kein Interesse daran habe, sie zu erlernen. Die Dinge, die mich interessieren, müssen zu meinem wahren Ziel führen. Wenn die Lektion den Abstand zwischen mir und meinem Feind nicht verringert, wo liegt dann der Sinn?

Huntress hat mir versichert, dass ich früher oder später lernen werde, die Jagd zu genießen. Meiner Meinung nach wird das nur passieren, wenn ich auf die Schliche komme.

»Eve«, spricht mich Huntress an. »Du musst dich konzentrieren.«

Konzentrieren.

Das ist leichter gesagt als getan, wenn ich unter dem dunkler werdenden Himmel auf spitzen Felsen und feuchter Erde liege und versuche, mich so flach auf den Boden zu drücken, dass die Rehe auf der Lichtung weder mich noch den Pfeil sehen können, den ich auf sie gerichtet habe. Ich bevorzuge den Degen, aber Huntress besteht darauf, dass ich meine Fertigkeiten mit dem Bogen optimiere. Ein Teil von mir glaubt, es liegt daran, dass sie das Gefühl nicht mag, wenn ihre Klinge über die Knochen unter dem verwundeten Fleisch schabt. Ihr gefällt die Distanz, die der Bogen ermöglicht. Ich dagegen habe keine derartigen Vorbehalte.

Huntress ist froh, dass es mir gelungen ist, die Rehe bis zur Lichtung zu verfolgen, aber ich bin nicht ehrlich zu ihr gewesen. Ich hatte Unterstützung. Noch immer kann ich ihn hören, meinen sanftmütigen Helfer, während ich still daliege – der Klang ist nicht direkt eine Stimme, sondern vielmehr ein leises Summen, das sich an meinem Rücken hinaufschlängelt und in meinem Nacken festsetzt. Jede feine Intonation enthält eine Bedeutung – Furcht, Neugier, Fröhlichkeit –, und ich kenne sie alle. Ich lausche den Geräuschen des Waldes schon mein ganzes Leben.

Mein Helfer geht auf der anderen Seite der Wiese auf und ab, kurz hinter der Baumgrenze. Er hat mich hergeführt. Wir haben immer eine Vereinbarung, er und ich.

»Spann den Bogen und erlege ein Reh, das wir deiner Mutter mitbringen können«, flüstert Huntress. »Ich hab es satt, im Dreck zu liegen.«

Ich richte den Pfeil aus und spüre, wie sich die Muskeln an meinem Rücken spannen, als ich die Bogensehne zu meiner Schulter ziehe. Während ich einatme, lausche ich meinem eigenen Herzschlag. Mein Pfeil wird sein Ziel treffen, wenn ich ihn zwischen zwei Atemzügen, zwischen zwei Herzschlägen abfeuere.

Der schlanke Hals des Rehs ist ungeschützt. Es hat sich gerade ein kleines Stück von den anderen entfernt, aber das genügt.

Eins.

Zwei.

Drei.

Mein Pfeil trifft das Tier mit einem leisen schmatzenden Geräusch. Das Reh taumelt und fällt dann auf die Seite.

Ich erhebe mich, klopfe mir die feuchte Erde von der Kleidung und gehe zur Lichtung. Die anderen Rehe stieben auseinander und lassen ihre verletzte Gefährtin zurück. Ich knie mich neben das Tier und beende seine Qualen mit meinem frisch geschliffenen Degen.

»Gut«, lobt Huntress. »Wir dürfen sie nicht leiden lassen. Und wir nehmen uns nicht mehr, als wir brauchen.«

»Es gibt andere, die leiden sollten.«

Huntress streicht sich ein paar Strähnen ihres ergrauenden Haares aus dem Gesicht. »Diese Denkweise führt zu nichts.« Sie kommt auf mich zu und legt mir eine Hand auf die Schulter. »Dein Kopf sollte frei sein. Rache, Verbitterung … Arroganz. All das wird dich zerfressen.«

Ich schiebe meinen Degen zurück in die Scheide und hänge mir den Bogen über die Schulter.

»Du glaubst, ich sei arrogant?«, frage ich.

Sie schnaubt und versetzt mir einen festen Schlag auf die Schulter. »Ich , dass du es bist.«

Huntress holt eine Kordel aus ihrer Tasche und bindet die Beine des Rehs zusammen, damit wir es zurück nach Castle Veil bringen können.

Während sie beschäftigt ist, sehe ich, dass mein hilfsbereiter Freund aus dem Unterholz hervorkommt. Sein Fell glänzt und ist so schwarz wie der Abendhimmel, genauso wie seine neugierigen Augen. Die Spitzen seines Schwanzes und seiner vier Pfoten sind rot.

Ich atme tief ein, um mein hämmerndes Herz zu beruhigen.

Der Fuchs legt die Ohren an und neigt den Kopf auf eine Art, dass es beinahe wirkt wie eine Verbeugung. Als ich mit der Sohle meines Stiefels auf die Erde tippe, huscht er davon.

Huntress sieht ihm hinterher und bedenkt mich dann mit einem Blick, in dem tiefe Enttäuschung liegt. »Bitte sag mir, dass das nicht wahr ist.« Sie seufzt und reibt sich die Schläfe. »Du hast dich von dem Fuchs hierherführen lassen? Hast du überhaupt versucht, selbst die Fährte der Rehe aufzunehmen?«

»Ja, hab ich. Das ist aber schwieriger, als es auf den ersten Blick scheint.«

Huntress richtet sich auf und wendet sich mir mit gequälter Miene zu. »Du musst lernen, es ohne fremde Hilfe zu tun. Du kannst nicht jedes Mal schummeln, Eve.«

Ich verstehe nicht, warum. Schließlich kann ich die einzigartigen Laute jedes Tieres hören. Das Summen des Fuchses ist wie ein sanftes Zwicken in meinem Nacken. Vögel sind wie ein melodisches Pfeifen. Pferde sind tief und volltönend. Jedes Tier hat eine Stimme, die ich hören und verstehen kann. Ich betrachte meine Methode im Gegensatz zu Huntress nicht als schummeln. Wenn sie diese Fähigkeit hätte, würde sie sie gewiss auch einsetzen.

Ein Grollen dringt durch die Wolkendecke, und in der Ferne erklingt ein lautes Krachen. Die Luft um mich herum ist auf einmal zum Leben erwacht, Regen prasselt auf Blätter und Äste. Innerhalb weniger Momente öffnet sich der Himmel, und wir sind in einem Wolkenbruch gefangen.

»Immerhin haben wir das Reh erlegt, nicht wahr?«, merke ich an. »Das ist die Hauptsache.«

»Es ist nicht die Hauptsache«, entgegnet Huntress gepresst. »Ich bin beeindruckt von deiner Gabe, Eve, das weißt du, aber du kannst nicht einfach …«

Ein lauter Knall teilt den bewölkten Himmel über uns, und für einen kurzen Augenblick ist der Wald taghell, als ein Blitz das Blätterdach erleuchtet.

»Grandios«, murrt Huntress. Eilig schiebt sie ihren Gehstock zwischen die Beine des Rehs und bedeutet mir, das andere Ende zu packen, damit wir das Tier hochheben und nach Hause tragen können.

Gerade als ich nach dem Stock greifen will, vibriert etwas – ein intensives Grollen – bis in meine Knochen. Kein Donner, sondern der Ruf eines Tieres. Es ist erst das zweite Mal in meinem Leben, dass ich ihn höre. Ein Anflug von Angst durchfährt mich, aber ich vertreibe ihn und umklammere fest meinen Degen.

»Stell dich hinter mich«, sage ich.

»Was ist los?«, fragt Huntress mit panischer Stimme. Sie schaut sich um und tritt dann ohne ein weiteres Wort hinter meine rechte Schulter.

Nur ich kann die Stimme des Tieres hören. Sie hallt in meinem Kopf und wird mit jeder Sekunde lauter. Als ich es schließlich durch den strömenden Regen hindurch sehe, ist es zu spät, um wegzurennen oder uns zu verstecken, aber ich hätte ohnehin keines von beidem getan.

Huntress zieht scharf die Luft ein, als der Wolf vor uns auf die Lichtung tritt. Gewöhnliche Wölfe gehen so oft in Queen’s Bridge ein und aus, dass die Menschen wissen, wie sie sie meiden oder mit welchen Waffen sie sich auf Reisen durch den Wald vor ihnen schützen können. Ich kenne ihren Ruf, aber dieser ist anders. Dies ist kein gewöhnlicher Wolf. Es ist ein Schattenwolf. Ein Riese, der fast alles und jeden töten kann, der das Pech hat, seinen Weg zu kreuzen.

Seine Augen befinden sich auf der gleichen Höhe wie meine, als er sich uns auf der Lichtung nähert. Würde er sich auf die Hinterbeine stellen, wäre er doppelt so groß wie ich. Im Regen wirkt er wie ein wuchtiger, monströser Schatten mit gelben Augen und langen blitzenden Zähnen.

Wir sind in den Wald gekommen, um Rehe und Fasane zu jagen. Huntress und ich sind beide bewaffnet, aber nicht schwer genug, um uns gegen einen Wolf von dieser Größe zu verteidigen.

Als Huntress einen Schritt nach hinten macht, senkt das Tier den Kopf, legt die Ohren an und fletscht seine riesigen Reißzähne.

»Nicht bewegen«, flüstere ich.

Der Wolf knurrt so laut, dass er sogar den Regen übertönt. Dann nimmt er Witterung auf. Kaum dass ihm der Geruch von Blut in die Nase gestiegen ist, wird er den Rehkadaver als sein Eigentum betrachten, das er verteidigt. Er wendet sich mir zu, verlagert sein Gewicht auf die Hinterbeine und macht sich bereit, mich anzugreifen.

Mein Herz flattert wie ein Vogel im Käfig, als ich den Blick zum Himmel hochwandern lasse. Donner grollt in der Ferne. Ich strecke langsam den Arm über meinem Kopf nach oben aus.

Der Wolf knurrt erneut. Die riesige Kreatur stürzt sich in dem Moment auf mich, als ein weißer Blitz seinen Weg bis zu meiner...


Bayron, Kalynn
Kalynn Bayron ist ausgebildete Sängerin, und wenn sie nicht gerade schreibt, hört sie sich die Songs von Ella Fitzgerald an, geht ins Theater, schaut gruselige Filme und verbringt Zeit mit ihren Kindern. Sie lebt derzeit mit ihrer Familie in San Antonio, Texas.

Hengesbach, Bettina
Bettina Hengesbach lebt in Oslo und übersetzt seit vielen Jahren Romane unterschiedlicher Genres aus dem Englischen. Zudem ist sie als freie Lektorin tätig.



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