Becher Murmeljagd
Erweiterte Neuausgabe 2013
ISBN: 978-3-89561-868-0
Verlag: Schöffling
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 712 Seiten
ISBN: 978-3-89561-868-0
Verlag: Schöffling
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ulrich Becher, geboren 1910 in Berlin, studierte Jura und war der einzige Meisterschüler von George Grosz. 1932 erschien sein Debüt Männer machen Fehler, das 1933 von den Nationalsozialisten als sogenannte entartete Literatur verbrannt wurde. Becher verließ Deutschland, lebte in verschiedenen europäischen Städten und floh 1941 nach Brasilien. Er übersiedelte 1944 nach New York und kehrte 1948 nach Europa zurück, zunächst nach Wien, 1954 nach Basel, wo er 1990 starb.
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Wissen Sie, Gnädige Frau, es hat wirklich gar keinen Sinn, sentimental zu sein.«
Der Spruch war nicht von mir. Nur eine Floskel aus dem Puppenspiel KASPERL UND DIE BÜRGERLICHE KRAPFENBÄCKERSWITWE. Floskel, die an sich witzlos, vom Kasperl gequäkt und aus der besondren Situation heraus gebracht, stets ein Lacherfolg gewesen war im Wiener Prater-Kasperltheater des Professors Salambutschi: auf halbem Weg etabliert zwischen KOLARIK’S SCHWEIZERHAUS und der NEUEN GEISTERBAHN.
»Wissen Sie, Gnädige Frau, es hat wirklich gar keinen Sinn, sentimental zu sein«, quäkte ich an diesem verfluchten Abend Ende Mai, was für ein Mai? wieso nannte sich das Mai? Hatte mit meinem sehstarken Aug den Felsblock am Uferpfad erspäht, Klippe, deren Überhang wie ein Sprungbrett aufs fast unsichtbare Wasser hinauszackte, und die weißliche Erscheinung, das konnt ihr safrangelbes Trikotkleid sein, sie hatte noch ein hellblaues mit, aber heut abend das gelbe angehabt, als sie sich Auf Englisch von der Acla Silva verdrückt hatte. Ich war die Klippe angesprungen mit allen vieren und am kaltglitschigen Stein abgerutscht und hatte mir die rechte Handfläche leicht geschrammt und das linke Knie leicht geprellt und mich in kaltschwammiges Moos gekrallt und emporgezogen und war auf Knien zum ›Sprungbrett‹ vorgerutscht, im geprellten Knie tauben Schmerz, der nicht schmerzte, und hatte etwas Rund-Weich-Kaltes, etwas wie einen halberfrorenen Pfirsich, ertastet, die Wange der Frau, und mit beiden Armen die apathisch Kauernde umpackt und gekeucht. Und das kaltfeuchte Schauern aus dem lichtlosen Wasser und das maschinengewehrartige Tacktack fliegenden Pulses, das in meiner Stirnnarbenmulde klopfte, und der Schweiß, unter meinem Hemd niederkitzelnd, und die rauhe Quäkstimme, die mir selber fremd klang, wie verstellt, wie die des Puppenspielers Prof. Salambutschi:
»Wissen Sie wirklich, Gnädige Frau, sentimental zu sein, das hat doch gar keinen Sinn. Weil die – weil d-i-e den Maxim Grabscheidt in Dachau umgebracht haben, deswegen wollen S-i-e ins eiskalte Wasser gehn wie eine geschwängerte Dienstmagd aus einem Dreigroschenroman von anno Schnee? Denken Sie doch etwas moderner, Gnädige Frau!« (All das war bei Prof. Salambutschi nie vorgekommen.) »Ausgerechnet Sie, eine der besten Tausend-Meter-Schwimmerinnen vom Millstätter See? Im Dings, im Adria-Archipel von Hvar sind solche tausend Meter riskant wegen der Haifische, und trotzdem haben Sie es riskiert, allerdings fuhr Ihr Herr Rosenvater in Duschans Motorboot neben Ihnen her, mit einer Riesenflinte und einer Harpune bewaffnet, um Sie vor Und der Haifisch / der hat Zähne«, ja ich sang Brecht-Weill in dieser mailosen Mainacht, »zu beschützen. Und glauben Sie wirklich, Madame Xane, daßSiedaßSiedaßSie mit so einem improvisierten Kaltwasser-, Kaltwasserfrei-, Kaltwasserfreitod jemand anderm einen Gefallen getan hätten als Maxim Grabscheidts Mördern?«
Xanes Gewimmer entnahm ich etwas wie: ›Ich wollt ja hier nur ein bißchen sitzen‹, und ich sagte ihr auf den kaum sichtbaren Kopf zu:
»Nein, du hattest so halb und halb vor, ein bißchen, äh, abzuspringen von diesem Sprungbrett aus Stein«, und sie wimmerte mit dunkelverschnupfter Stimme etwas wie: man könne nicht weiterleben in einer Welt, in der sooo mit den Menschen verfahren werde, und ich quäkte: »Das alles ist Blödsinn, Gnädige Frau.« (Auch das gehörte nicht zu Prof. Salambutschis Text.) »Auf keinen, auf gar keinen, auf überhaupt keinen Fall hat es Sinn, wegen dieser Mörder sentimental zu werden. Denn bald sind sie tot. Nachdem sie so zwanzig bis dreißig bis vierzig Millionen Leben auf dem, äh, nicht vorhandenen Gewissen haben, werden sie selber tot sein, und keine Schaufel. Keine Schaufel wird sich finden lassen, um ihnen ein Grab zu schaufeln. Nicht einmal ein Holzscheit, Gnädige Frau. Kein Grabscheit.«
Mein lieber Trebla!
Wahrscheinlich wirst Du erstaunt sein, daß ein alter Regimentskamerad von den Boroëvicern Dir eine so umfangreiche Epistel in Dein frischgebackenes Exil nachjagt. Deine Züricher Adresse zu erfahren war mir ein leichtes, denn die Freunde unseres neuerstandenen Großdeutschen Reiches mehren sich in aller Welt und halten Augen und Ohren offen. Hiermit berühre ich gleich den springenden Punkt meines Schreibens. Wie Du wissen wirst, war ich nie ein Freund besonderer Umschweife, was mir in unserer Armee seligen Andenkens den Spitznamen »Preuß« eintrug, einen Spitznamen, dessen ich mich heute nicht mehr zu schämen brauche. Denn dank der genialen Entschlossenheit des Führers und Reichskanzlers ist – den internationalen Ränkeschmieden zum Trotz! – der Bruderzwist endgültig beigelegt, der Anschluß ein unumstößliches Faktum geworden, und dürfen wir uns heute, ob Preuße oder Ostmärker, mit dem guten Rechte des Starken – das uns nie wieder genommen werden wird!!! – Deutsche nennen.
Und da glaube ich, ohne meiner Maxime, die mir den Schlaraffentitel »Ritter Frisch – bereit zum Streit« verschaffte, ohne meinem Prinzipe, zur Sache zu kommen, untreu zu werden, Dir, teurer Trebla, dennoch eine Erklärung schuldig zu sein.
Du magst nämlich raisonieren, wie ein Edelmann, der jahrelang das rot-weiß-rote Band der Vaterländischen Front im Knopfloch trug, heute so bedingungslos hinter dem Führer stehen kann. Darauf darf ich Dir antworten, daß ich dieses Band stets mit gemischten Gefühlen getragen habe! Was mich in der Hauptsache dazu veranlaßte, war die kaisertreue Haltung der Bundeskanzler Dollfuß und Schuschnigg, eine Haltung, die ich als ehemaliger k. u. k. Offizier unterstützen zu müssen für angezeigt hielt, nicht zuletzt auch das autoritative Vorgehen dieser beiden Staatsmänner gegen – verzeih meine Offenheit – Deine Gesinnungsgenossen.
Wie Du, der Du einer von uns gewesen, diese gottlose Gesellschaft zu Deinen Gesinnungsgenossen machen konntest, blieb mir immer ein Rätsel; ich komme noch darauf zurück. Jedenfalls kann ich Dir en parenthese bekanntgeben, daß Du, nachdem der rote Aufruhr vom Vierunddreißiger Feber niedergeschlagen und es sehr, ich unterstreiche: sehr schlimm um Dich bestellt war, einen anonymen Mentor fandest, der sich an höchster Stelle für Dich verwendete, worauf Du mit dem Leben davonkamst. Dieser Mentor hieß Adelhart v. Stepanschitz, doch möchte ich Deinen nachträglichen Dank nicht. Was ich von Dir möchte, ist lediglich – bittschön! – Unvoreingenommenheit gegenüber dem Vorschlag, den ich Dir im Auftrage von amtlicher Seite zu unterbreiten habe.
Im Laufe der Jahre gelangte ich in der Tat zur Auffassung, daß das Habsburgerreich, für dessen Größe ich mit der Waffe in der Hand an Deiner Seite, Trebla, gestritten, unwiederbringlich der Vergangenheit angehöre – womit ich, wie Du siehst, in einem einzigen Punkte Deine ansonsten so konfusen Ansichten teile. Zudem erfüllte mich der Zulauf von Hebräern zur Vat. Front mit einem empfindlichen Schauder. Ich nahm daher, heute darf es gesagt sein, bereits Anno 36 Beziehungen zu gleichdenkenden Offizieren der alten Armee auf, u. a. zu den jetzigen Reichsministern Glaese v. Horstenau und v. Seyss-Inquart, standhaften Männern, die in einzigartig vorbildlicher Weise ihre militärische bzw. christliche Tradition und Rechtgläubigkeit – Seyss ist praktizierender Katholik – mit ihrer deutschen Ehre und den Gegebenheiten der Stunde zu vereinigen wußten. Langsam dämmerte mir die ungeheure Größe auf jenes Gedankens der nationalsozialistischen Volksgemeinschaft. Und heute, zwei Monate, nachdem sich die Heimkehr der Ostmark ins Reich vollzog, darf ich mich rühmen, beizeiten »sehend« geworden zu sein.
Wenn Du an diesem heutigen herrlichen Frühlingstage in Wien weilen würdest, was würdest Du für Augen machen! Die Heere der bettelnden Arbeitslosen von der Gasse verschwunden, überall blitzsaubere Uniformen und glückliche Gesichter. Nur die Nasen des Auserwählten Volkes werden immer länger und länger, und wirst Du Dich noch wundern, mit welch penetranter Anwesenheit es Dich bald in Deinem sogenannten Exil beglücken wird!
Als ich gestern über den Graben promenierte und zum lieben alten Steffl emporsah, sagte ich plötzlich zu mir, nein, Stepanschitz, du bist deinem Kaisergedanken nicht untreu geworden! du bist ja der treue Untertan eines vorerst noch ungekrönten Herrschers, der mit eiserner Hand das neue Reich aufrichtet als ein Bollwerk der arischen Christenheit gegen das internationale Untermenschentum. Und ich gelobte mir, am Tage, da dieser Herrscher sich die Kaiserkrone im Stephansdom aufsetzen würde, dem Allmächtigen auf Knien zu danken.
Aber nun frisch bereit zum Streit und wirklich zur Sache!
Wie ich bereits oben konstatieren mußte, ist es mir, lieber alter Kamerad – Du gestattest, daß ich Dich trotz allem, was uns in den letzten Dezennien auseinanderführte, in anhänglichem Gedenken an unser gemeinsames Kriegserlebnis so anrede –, immer spanisch vorgekommen, daß Du, von der Front heimgekehrt, Dich jenem aufrührerischen Plebs in die Arme warfst, der, angeführt von zersetzenden jüdischen Geistern, mit asiatischer Zerstörungslust an den Grundfesten der Moral und des Eigentums, kurz unserer christlichen Zivilisation zu rütteln wagte. Du, der Sohn eines Generals, Du, dem ein Boroëvic die »Silberne« an die Brust heftete und ein Tülff v. Tschepe u. Weidenbach das Eiserne Kreuz 1. Kl.! Du, der mit Generalfeldmarschall v. Mackensen an einem Tisch sitzen...