E-Book, Deutsch, 324 Seiten
Bechmann Sprachwandel - Bedeutungswandel
1. Auflage 2017
ISBN: 978-3-8463-4536-8
Verlag: UTB
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Eine Einführung
E-Book, Deutsch, 324 Seiten
ISBN: 978-3-8463-4536-8
Verlag: UTB
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Dr. phil. Sascha Bechmann lehrt Germanistische Sprachwissenschaft an der Universität Düsseldorf. Seine Forschungsschwerpunkte sind Medizinische Kommunikation, Sprach- und Bedeutungswandel, Pragmasemantik und Fachsprachenforschung.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Vorwort 9
Hinweise zur Lektüre 13
I Sprachwandel 17
1 Was ist Sprache — und woher kommt sie? 19
1.1 Brauchen wir Sprache und wenn ja, wozu? 20
1.2 Warum sprechen wir so und nicht anders? — Eine sprachhistorische Spurensuche 23
1.3 Weiterführende und vertiefende Literatur 32
2 Was ist das Wesen der Sprache? 33
2.1 Welche Sprachauffassungen gibt es? 34
2.2 Welche Sprachauffassung ist die richtige? 38
2.3 Ist Sprache das Ergebnis menschlicher Planung? 54
2.4 Weiterführende und vertiefende Literatur 57
3 Was ist Wandel? 59
3.1 Warum verändern sich die Dinge in der Welt? 60
3.2 Was ist Sprachwandel? 68
3.3 Weiterführende und vertiefende Literatur 79
4 Was sind die Prinzipien des Sprachwandels? 81
4.1 Nach welchen Prinzipien wandeln sich Sprachen? 82
4.2 Gibt es Sprachwandelgesetze? 92
4.3 Weiterführende und vertiefende Literatur 104
5 Was sind die Ursachen des Sprachwandels? 105
5.1 Unter welchen Bedingungen wandeln sich Sprachen? 106
5.2 Weiterführende und vertiefende Literatur 124
6 Was sind die Folgen des Sprachwandels? 125
6.1 Zurück in die Zukunft? — Sprachwandel gestern und heute 126
6.2 Führt Sprachwandel zum Sprachverfall? 145
6.3 Kann man Sprachwandel vorhersagen oder aufhalten? 149
6.4 Weiterführende und vertiefende Literatur 151
7 Noch Fragen? — Repetitorium und Übungen zum Sprachwandel 153
7.1 Repetitorien und Übungsaufgaben 154
7.2 Arbeitshilfe für Dozierende I: Fragenpool für Modulprüfungen 165
7.3 Arbeitshilfe für Dozierende II: Seminararbeitsthemen 167
II Bedeutungswandel 169
8 Was ist die Bedeutung eines Wortes? 171
8.1 Was ist das Besondere am Bedeutungswandel? 172
8.2 Ist die Bedeutung eines Wortes ein Ding in der Welt? 177
8.3 Ist die Bedeutung eines Wortes eine Vorstellung? 180
8.4 Ist die Bedeutung eines Wortes eine (Gebrauchs) Regel? 182
8.5 Weiterführende und vertiefende Literatur 188
9 Was sind die Prinzipien des Bedeutungswandels? 189
9.1 Was sind Gebrauchsregeln? 190
9.2 Wie verändern sich Gebrauchsregeln? 195
9.3 Weiterführende und vertiefende Literatur 205
10 Was sind die Ursachen und Verfahren des Bedeutungswandels? 206
10.1 Bedeutungswandel und technischer Fortschritt — beste Freunde oder nur Bekannte? 207
10.2 Mega geil oder erschreckend scharf? — die Mechanismen des Bedeutungswandels 213
10.3 Weiterführende und vertiefende Literatur 229
11 Was sind die Folgen des Bedeutungswandels auf der Wortebene? 231
11.1 Vom hässlichen Entlein zum schönen Schwan — werden Wörter besser oder schlechter durch Bedeutungswandel? 232
11.2 Von Asterix zu Obelix — verändert sich der Umfang eines Wortes durch Bedeutungswandel? 240
11.3 Ist Abstrahierung ein universeller Effekt des Bedeutungswandels? 249
11.4 Weiterführende und vertiefende Literatur 251
12 Was sind die Folgen des Bedeutungswandels auf der Sprachebene? 253
12.1 Führt Bedeutungswandel zu Mehrdeutigkeit? 253
12.2 Verändert Bedeutungswandel das Spektrum der Handlungsmöglichkeiten? 259
12.3 Verändert Bedeutungswandel die Grammatik einer Sprache? 263
12.4 Weiterführende und vertiefende Literatur 268
13 Bedeutungswandel 2.0 — wohin geht die Reise? 269
13.1 Frame-Semantik — was sind Frames und wie bestimmen sie die Bedeutung eines Wortes? 270
13.2 Wie verändern sich Frames? 278
13.3 Lassen sich die Frame-Semantik und die Gebrauchstheorie der Bedeutung miteinander verknüpfen? 283
13.4 Weiterführende und vertiefende Literatur 286
14 Noch Fragen? — Repetitorium und Übungen zum Bedeutungswandel 287
14.1 Repetitorien und Übungsaufgaben 288
14.2 Arbeitshilfe für Dozierende III: Fragenpool für Modulprüfungen 301
14.3 Arbeitshilfe für Dozierende IV: Seminararbeitsthemen 302
Abbildungsverzeichnis 304
Tabellenverzeichnis 305
Literaturverzeichnis 306
(Grundlagen-)Literatur zur Vertiefung 312
Glossar 316
Sachregister 322
1 Was ist Sprache — und woher kommt sie?
Wer fremde Sprachen nicht kennt, weiss nichts von seiner eigenen.
JOHANN WOLFGANG GOETHE (1749–1832)
Der Begriff begegnet uns nicht nur im wissenschaftlichen Diskurs, sondern auch im Alltag (z.B. in den Medien). Besonders im Zusammenhang mit Stil und „gutem Ausdruck“ wird oft intensiv diskutiert, in welchem Zustand sich unsere Sprache befindet. Sprachwandel wird immer dann zum Thema, wenn Veränderungen auffällig werden. Solche Veränderungen werden gerne als Fehler oder zumindest als Abweichungen von der sprachlichen Norm interpretiert. Vor allem im Vergleich zu früheren Sprachzuständen werden diese Abweichungen als Wandel offensichtlich. Aber was ist das eigentlich, was sich da wandelt?
Ebenso, wie man nur verstehen kann, was ein Regenschirm oder eine Taschenuhr ist, wenn man weiß, was , , und sind, kann man nur begreifen, was Sprachwandel bedeutet, wenn man weiß, was Sprache und Wandel eigentlich sind. Deshalb sehen wir uns in einem ersten Schritt den eigentlichen Gegenstand einmal genauer an, mit dem sich dieses Buch beschäftigt. Wir müssen uns zum Einstieg nämlich die Fragen stellen: Was ist Sprache? Und wozu haben wir sie eigentlich?
In diesem ersten Kapitel werden wir zunächst gemeinsam überlegen, welcher Gegenstand überhaupt zu betrachten ist, wenn vom Wandel in der Sprache die Rede ist. Diese Überlegungen werden wir dann im zweiten Kapitel mit der Frage verknüpfen, wie Sprache und Wandel miteinander in Beziehung gesetzt werden können. Wir nähern uns also über die nachfolgenden Definitionen der Grundbegriffe dem Phänomen des allgemeinen Sprachwandels, das in diesem ersten Teil der Einführung im Fokus stehen soll. Zudem dienen die Ausführungen dazu, das spezielle Phänomen des Bedeutungswandels im zweiten Teil dieses Buches besser verstehen zu können.
Dazu kreisen wir in diesem Kapitel zunächst den Begriff ein. Beantworten Sie bitte zum Einstieg die folgenden Fragen und machen Sie sich gerne auch stichwortartige Notizen dazu:
-
Was ist eine Sprache? Schlagen Sie die Definition in einem Lexikon nach!
-
Wie viele Verwendungsweisen des Wortes fallen Ihnen ein? Gibt es eigentlich so etwas wie Sprache?
-
Können Sie denken, ohne zu sprechen?
-
Sprechen Sie eine Fremdsprache? Was ist ähnlich und was ist völlig anders, als Sie es aus Ihrer Muttersprache kennen?
1.1 Brauchen wir Sprache und wenn ja, wozu?
Was Sprache ist, lässt sich eigentlich ganz leicht beantworten: Sprache ist all das, was übrigbleibt, wenn man weiß, was Sprache alles nicht ist. Sprache müssen wir uns also nur einmal wegdenken, dann sehen wir, was noch da ist und dann wissen wir, was Sprache ist. Klingt das plausibel? Nun, dann überlegen Sie doch einmal, was alles keine Sprache ist. Denken Sie sich die Sprache dabei einfach weg aus der Welt.
Vielleicht denken Sie jetzt an einen Baum oder an ein Fahrrad oder an viel abstraktere Dinge wie Ihren letzten Urlaub. Sie haben recht: All das ist keine Sprache. Aber Sie haben einen Fehler gemacht: Sie haben sich die Sprache nicht weggedacht, als Sie darüber nachgedacht haben, was alles keine Sprache ist. Aber das ist nicht Ihr Fehler, denn ich habe Sie vor eine unlösbare Aufgabe gestellt. Sprache lässt sich nämlich nicht wegdenken, denn zum Denken selbst brauchen Sie die Sprache. Ohne Sprache wären Sie nämlich gar nicht in der Lage, an einen Baum zu denken. Zumindest wüssten Sie nicht, dass man ihn Baum nennt. Dass man Dinge überhaupt benennt, wüssten Sie nicht. Sie wüssten noch nicht einmal, was Sie überhaupt wüssten. Denn: Sprache und Denken hängen untrennbar miteinander zusammen.
Unsere Denkweise prägt die Art und Weise, wie wir sprechen. Komplexe Gedanken erfordern komplexe sprachliche Ausdrucksmittel. Der Einfluss wirkt aber auch in der Gegenrichtung: Bringt man Menschen etwa neue Farbwörter bei, verändert das ihre Fähigkeit, Farben voneinander zu unterscheiden. Lehrt man sie, auf eine neue Weise über Zeit zu sprechen, so beginnen sie, auch anders darüber zu denken.
Man kann sich der Frage auch anhand von Menschen nähern, die zwei Sprachen fließend sprechen. Nachweislich ändern bilinguale Personen ihre Weltsicht je nachdem, welche Sprache sie gerade verwenden. Ein anderes Beispiel: Für Europäer, die von links nach rechts zu schreiben gewohnt sind, liegt links von ; Araber ordnen die Zeit hingegen von rechts nach links; für Aborigines liegt im Osten (vgl. BORODITSKY 2012).
Die Menschen sprechen in den vielen Ländern dieser Welt auf mannigfaltige Weise miteinander, und jede Sprache verlangt von ihren Benutzern ganz unterschiedliche kognitive Anstrengungen. Die kognitive Linguistin LERA BORODITSKY beschreibt das so:
Angenommen, ich möchte Ihnen mitteilen, dass ich Anton Tschechows Drama „Onkel Wanja“ auf einer Bühne in der 42. Straße New Yorks gesehen habe. Auf Mian, das in Papua-Neuguinea gesprochen wird, würde das Verb aussagen, ob das Stück soeben, gestern oder vor langer Zeit gespielt wurde. Das Indonesische dagegen gibt damit nicht einmal preis, ob die Aufführung bereits stattfand oder noch bevorsteht. Auf Russisch enthüllt das Verb mein Geschlecht. Wenn ich Mandarin verwende, muss ich wissen, ob Onkel Wanja ein Bruder der Mutter oder des Vaters ist und ob er blutsverwandt oder angeheiratet ist, denn für jeden dieser Fälle gibt es einen speziellen Ausdruck. (BORODITSKY 2012)
Was wir also nennen, ist offenbar in Wirklichkeit eine komplexe Verschaltung linguistischer und nichtlinguistischer Prozesse. Demnach dürfte es wohl kaum Denkprozesse geben, bei denen die Sprache keine Rolle spielt. Ein Grundzug menschlicher Intelligenz ist ihre Anpassungsfähigkeit – die Gabe, Konzepte über die Welt zu erfinden und so abzuändern, dass sie zu wechselnden Zielen und Umgebungen passen. Sie sehen also:
Alles Denken ist Sprache und nichts ist ohne Sprache denkbar. Denn: „Ohne Sprache gibt es kein Denken!“ (DÖRNER 1998: 41) Und ohne Denken gibt es keine Sprache.
Dieser Gedanke ist auch für das Thema unseres Buches interessant. Veränderte Sprachmuster führen demnach auch zu veränderten Denkmustern und umgekehrt. Diesen Umstand bezeichnet man als Linguistischen Determinismus. Etwas salopp formuliert ließe sich sagen:
Sprachwandel führt zu Denkwandel und Denkwandel führt zu Sprachwandel.
Aber beantwortet das bereits die Frage, was Sprache genau ist? Wenn wir darauf Antworten bekommen wollen, müssen wir uns ansehen, wie die Sprache in den Wissenschaften betrachtet wird. Wir müssen schauen, welche Auffassungen von der Struktur und Funktion von Sprache vorherrschen. Und wir müssen überlegen, wie die Verschiedenheit der Sprachen zu erklären ist. Diese letzte Frage können wir am ehesten mit einem Blick in die Sprachgeschichte klären.
Exkurs: Die — oder: Wie bestimmt die Sprache unser Denken (und Handeln)?
Wenn man davon ausgeht, dass unser Denken über sprachliche Wissensbestände in unserem Gehirn organisiert ist und wenn wir weiterhin davon ausgehen, dass wir uns mit unserem Denken in einem ständigen Austausch mit unserer Umwelt befinden, dann ist es plausibel anzunehmen, dass hier Wechselwirkungen bestehen zwischen dem Denken und der Sprache auf der einen und der Welt um uns herum auf der anderen Seite.
Die sogenannte besagt, dass die Art und Weise, wie wir denken, durch die Bedingungen unserer Sprache, also durch die lexikalische und grammatische Struktur unseres Sprachsystems, determiniert wird. Nach dieser Auffassung ist es prinzipiell unmöglich, dass wir uns mit einem Menschen, der eine andere Sprache als wir spricht, so verständigen können, dass wir uns verstehen. Die Hypothese geht davon aus, dass es bestimmte Gedanken einer einzelnen Person in einer Sprache gibt, die von jemandem, der eine andere Sprache spricht, nicht verstanden werden können.
Zudem ist es nicht möglich, etwas zu denken, für das wir den Begriff nicht kennen — was wir nicht sprachlich konzeptualisieren können, können wir schlicht und einfach auch nicht denken.
So definiert bedingt die Fähigkeit, Sprache benutzen zu können, unsere Fähigkeit, denken und die Welt wahrnehmen zu können. Die geht also davon aus, dass die semantische Struktur einer Sprache die Möglichkeiten der Begriffsbildung von der Welt entweder determiniert oder limitiert.
Wenn man diese Hypothese weiterdenkt, bewirken bewusste Eingriffe von außen (z.B. durch das ideologische Besetzen bestimmter Begriffe durch die Politik) eine Veränderung der Denkstrukturen, wodurch Sprachveränderungen (= geplanter Sprachwandel) über Denkveränderungen unmittelbare Auswirkungen auf die außersprachliche Wirklichkeit haben können. Viele Begriffe der Nazi-Ideologiesprache beispielsweise haben dazu geführt, dass Denkmuster durch z.B....