E-Book, Deutsch, 288 Seiten
Mesenburg Dem Täter auf der Spur
1. Auflage 2011
ISBN: 978-3-89678-967-9
Verlag: Primus in Wissenschaftliche Buchgesellschaft (wbg)
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
Eine Geschichte der Kriminalistik
E-Book, Deutsch, 288 Seiten
ISBN: 978-3-89678-967-9
Verlag: Primus in Wissenschaftliche Buchgesellschaft (wbg)
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
In dieser Geschichte der Kriminalistik geht es um die gerichtlichen und polizeilichen Ermittlungstechniken von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart. Dabei dienen Fallgeschichten jeweils als Ausgangspunkt, um die kriminalistischen Verfahren vorzuführen und in ihren geschichtlichen Zusammenhang einzuordnen.
Das Buch ist in drei Teile gegliedert; im ersten Teil geht es um die Vorgeschichte der Kriminalistik, wie die Folter und ihre Abschaffung. Der zweite Teil widmet sich der Entwicklung zentraler Methoden der Fallaufklärung; so waren beispielsweise die Fotografie, der Fingerabdruck und die wissenschaftliche Spurenanalyse Meilensteine auf dem Weg zur heutigen Kriminalistik. Im letzten Teil wendet sich Peter Becker schließlich kriminalistischen Methoden und neuen Ermittlungstechniken im 20. und 21. Jahrhundert zu, so der Nutzung von Fernsehsendungen wie "Aktenzeichen XY ungelöst", der Rasterfahndung oder dem genetischen Fingerabdruck.
Diese Geschichte der Kriminalistik versteht sich als eine Kulturgeschichte im weiteren Sinne. Neue Ermittlungstechniken boten nicht nur eine verbesserte Antworten auf die Kriminalität, sondern erforderten die Anpassung der bestehenden Organisation. Der kulturgeschichtliche Blick auf die Kriminalistik vermittelt daher auch einen neuen Blick auf die Veränderungen von Justiz und Polizei seit dem 18. Jahrhundert.
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[Menü] Kriminalität und ihre Bekämpfung
Kriminalistinnen bzw. Kriminalisten befassen sich professionell mit der Aufklärung und Verhütung von Straftaten. Sie agieren in verschiedenen Rollen: als Richter, Staatsanwälte, Kriminalbeamte und Kriminaltechniker. In diesen Funktionen spielen sie eine wichtige Rolle in der heutigen Gesellschaft. Die Vertrautheit der Öffentlichkeit mit den Kriminalisten und ihrer Arbeitsweise entsteht jedoch nur in seltenen Fällen durch persönliche Kontakte mit dem Rechts- und Polizeiapparat, sondern vielmehr durch deren starke Präsenz in den Medien. In Fernsehserien, Kinofilmen und (Bestseller-)Romanen wird nach Verbrechern gefahndet. Beamte der Kriminalpolizei sind die Helden der meisten Kriminalgeschichten. Ihre Intelligenz und Ausdauer sowie der Rückgriff auf Kriminaltechnik und den Apparat der Polizei garantieren den Fahndungserfolg. In den letzten Jahren sind neue ‚Helden‘ aufgetaucht: Ausgehend von den USA übernimmt der Kriminaltechniker mit seiner Laborarbeit die Rolle des Quotenträgers. In Österreich, Deutschland und Italien wird selbst der Polizeihund nach fast hundert Jahren Einsatz im Dienst der Gerechtigkeit zum Star im Abendprogramm. Mein Blick auf die Geschichte der Kriminalistik ist der eines professionellen Außenseiters. Obwohl ich ein begeisterter Leser von Krimis und Konsument von Kriminalfilmen bin, habe ich keinen Fall selbst bearbeitet. Der vorliegende Band stellt daher eine historisch-ethnographische Annäherung an die Kriminalistik dar, die ich mit der „naiven Beobachtung des geschulten Beobachters“ (René König) unternehme. Aus dieser Perspektive gibt es keine Selbstverständlichkeiten. Selbst die Aufgabenverteilung innerhalb des Justiz- und Polizeiwesens oder die interdisziplinäre Auswertung der Tatortspuren erscheint mir als Folge einer spezifischen historischen Entwicklung erklärungsbedürftig. Für den naiven, d. h. unvoreingenommenen Beobachter ist es auffällig, dass Verbrechensaufklärung fast ausschließlich in den dafür eingerichteten Behörden erfolgt: Kriminalpolizei, Staatsanwaltschaft und Untersuchungsrichter. Aus historischer Perspektive kann man aber zeigen, dass der Beitrag dieser drei institutionellen Akteure für die Aufklärung von Verbrechen erheblichen Veränderungen unterlag. Mit der Einführung der Staatsanwaltschaft in den deutschen Staaten (1846) verringerte sich die Bedeutung der Untersuchungsrichter, gleichzeitig erfuhr die Kriminalpolizei seit dem späten 19. Jahrhundert eine erhebliche Aufwertung, die bis heute andauert und ihr ein Aufklärungsmonopol sichert. Dieses Wissen um die Verlagerung der Kompetenz vom Untersuchungsrichter zur Kripo ist wichtig für die Planung der historischen Analyse. Eine gewisse Offenheit im Hinblick auf die zu untersuchenden Institutionen wird dadurch notwendig. Die alleinige Konzentration auf die Kriminalpolizei wäre für das 19. und noch mehr für das 18. Jahrhundert unzulässig. Maßnahmen zur Prävention und Aufklärung von Verbrechen Der Blick des naiven Beobachters ist nicht vorbelastet durch die Vertrautheit mit der aktuellen Kriminalistik. Die Innovationen im Bereich der Verbrechensaufklärung seit dem späten 18. Jahrhundert werden daher nicht auf die Rolle von Vorläufern heutiger Verfahren reduziert, sondern als ein Beitrag zur Lösung von spezifischen Sicherheitsproblemen verstanden. Das erfordert die Rekonstruktion der vielfältigen Bezüge zwischen den kriminalistischen Techniken und ihrem institutionellen, politischen, sozialen und kulturellen Umfeld. Damit lässt sich etwa zeigen, dass erhöhte räumliche Mobilität und die Angst vor den Täuschungsmanövern der Berufsverbrecher die Identifikation von Straftätern bereits in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zum Problem werden ließ. Zur Lösung dieses Problems entwickelten die Kriminalisten neue Techniken und integrierten naturwissenschaftliche und medizinische Verfahren in ihre Praxis. Wenn man sich mit der Kriminalistik als Praxis auseinander setzt, stößt man unweigerlich auf die Bedeutung des Strafrechts und des Strafprozessrechts. Die Kriminalisten können nur einschreiten, wenn eine Straftat begangen wurde. Die Veränderungen im Strafrecht haben daher auch Auswirkungen auf die Praxis der Kriminalisten, die Strategien zur Ermittlung neuer Straftatbestände entwickeln müssen. Als Beispiel kann man etwa auf den Tatbestand der „Rassenschande“ im Dritten Reich oder auf die Verfolgung von Dissidenten hinweisen. Die Polizei, der Staatsanwalt und der Untersuchungsrichter operieren in einem rechtlich klar festgelegten Raum, in dem die Zulässigkeit von Beweismitteln, die Form des Umgangs mit Beschuldigten und Zeugen sowie die inkriminierten Tatbestände eindeutig definiert sind. Für den Untersuchungsrichter des 18. Jahrhunderts war die freie Würdigung eines Sachbeweises zur Ermittlung der Schuld ebenso unvorstellbar wie für den Kriminalisten des 20. Jahrhunderts die Anwendung der Folter. Das Strafprozessrecht definiert jedoch nur die Grenzen des Erlaubten und legt die Verfahren selbst nicht fest. Wie die Kriminalisten das vom Strafrecht definierte Verbrechen aufklärten, hing von verschiedenen Faktoren ab. Entscheidend waren die Art und Schwere des Verbrechens, die zur Verfügung stehenden Technologien sowie deren Akzeptanz innerhalb spezifischer politischer und kultureller Konstellationen. Die Kriminalistik erscheint als komplexes Unterfangen, bei dem verschiedene Institutionen und deren Akteure, Technologien und Praktiken aufeinander abgestimmt werden müssen. Darin ähnelt die Aufklärung von Verbrechen der Produktion von wissenschaftlichen Erkenntnissen, die ebenfalls ein Netzwerk unterschiedlicher ‚Aktanten‘, d. h. die systematische, projektbezogene Koordination menschlicher und nichtmenschlicher Akteure, erfordert. Die Kriminalistik wird aufgrund dieser Parallelen zwar nicht zur Wissenschaft, kann aber durchaus mit den Konzepten der neuen Wissenschaftssoziologie und Wissenschaftsgeschichte analysiert werden. Eine wissenschaftshistorische Analyse der Kriminalistik konzentriert sich nicht auf die Geschichte der entsprechenden Institutionen, sondern auf die konkreten kriminalistischen Praktiken zur Prävention und Aufklärung von Verbrechen. Dabei kann man sich kriminalistische Verfahren als eine Kooperation unterschiedlicher institutioneller Akteure vorstellen, wobei sich die Struktur dieser Netzwerke dauernd ändert. Zur Aufnahme der Tatortspuren und zur Inspektion des Mordopfers – eine aus Kriminalfilmen und -romanen hinreichend bekannte Szenerie – ist die erfolgreiche Integration von Kriminaltechnik, fotografischer Ausstattung, Gerichtsmedizin und den jeweils neuesten Technologien zur Sicherung von Fingerabdrücken am Tatort erforderlich. Zur Aufbereitung der am Tatort gewonnenen Informationen sind anders strukturierte Netzwerke maßgeblich. Die kriminalistischen Labors mit ihrer technischen Ausstattung und ihrem spezialisierten Mitarbeiterstab leisten entscheidende Beiträge zur immer raffnierteren Auswertung der Tatortspuren. Ein solches Verständnis von Kriminalistik sieht die Kriminalisten eingebunden in ein unsichtbares Netzwerk, das die Mobilisierung unterschiedlicher Hilfsmittel und Informationsquellen von staatlichen und nicht-staatlichen Einrichtungen ermöglicht. Das eröffnet einen differenzierten Blick auf die Herausforderungen, mit denen die Behörden bei der Integration von neuen Verfahren und Techniken konfrontiert waren. Denn – allgemein gesprochen – die Erweiterung bzw. Veränderung des kriminalistischen Netzwerkes veränderte immer auch die lokalen Praktiken. Die Einführung von biometrischen Methoden zur Personenidentifikation um 1900 erhöhte nicht nur die Wahrscheinlichkeit, einen rückfälligen Verbrecher trotz eines Pseudonyms zu erkennen, sondern erforderte eine weit gehende Reorganisation des bestehenden Erkennungsdienstes. Das betraf die Umschulung der Beamten, die Reorganisation der Büros und die Kooperation mit anderen Polizeibehörden. Dem naiven Beobachter erscheint die relative Offenheit dieser Netzwerke im Hinblick auf die Integration von neuen Verfahren und Techniken überraschend angesichts der bürokratischen Organisation von Justiz und Polizei. Diese Offenheit wurde ermöglicht durch eine grundsätzliche Flexibilität des kriminalistischen Wirklichkeitsbezugs, den die Kriminalisten des 19. Jahrhunderts mit dem Begriff des praktischen Blicks beschrieben. Sie verstanden darunter ein kollektives Erfahrungswissen, das zwar durch Publikationen und persönliche Unterweisungen weitergegeben, aber nicht als ein in sich geschlossenes System konstruiert werden konnte. Aus der...