Becker / Kuhn / Ossenkop | Fachbewusstsein der Romanistik | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, Band 578, 327 Seiten

Reihe: Tübinger Beiträge zur Linguistik (TBL)

Becker / Kuhn / Ossenkop Fachbewusstsein der Romanistik

Romanistisches Kolloquium XXXII

E-Book, Deutsch, Band 578, 327 Seiten

Reihe: Tübinger Beiträge zur Linguistik (TBL)

ISBN: 978-3-8233-0242-1
Verlag: Narr Francke Attempto Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Die Beiträge des XXXII. Romanistischen Kolloquiums haben die Reflexion über den aktuellen Stand und die Perspektiven des Faches Romanistik an deutschsprachigen Universitäten zum Gegenstand. Einen Schwerpunkt bilden methodologische und forschungstheoretische Überlegungen im Spannungsfeld zwischen dem Fortbestehen der traditionsbewussten vergleichenden Vollromanistik, einer zunehmenden Aufspaltung in romanistische Einzelphilologien und der Anknüpfung an die allgemeine, germanistische und anglistische Linguistik. Eine Reihe von hochschuldidaktischen Impulsbeiträgen beschäftigt sich mit der Frage, welche Lehrinhalte für das moderne romanistische Lehramtsstudium relevant sind. Plädoyers für die Orientierung an den romanistischen Kernkompetenzen der Interkulturalität, Mehrsprachigkeit, Interdisziplinarität und Verantwortungsethik runden den Band ab.
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I. Theorien und Methoden
Selbstdarstellungen der Romanistik während der Gründungsphase, um 1900 und nach 1988
Johannes Kramer 1 Die Aufgaben der philologischen Arbeit
Die Romanistik gehört zur Gruppe der neuphilologischen Fächer, die im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts entstanden, wie auch die Indogermanistik, die Germanistik und etwas später die Slavistik. Wenn man die Veröffentlichung des ersten Bandes der Grammatik der romanischen Sprachen von Friedrich Diez im Jahre 1836 als „Geburtsstunde“ der wissenschaftlichen Romanistik ansieht (Swiggers 2014, 48), so ist dieser Zweig der Wissenschaft etwa 180 Jahre alt, damit ein Menschenalter jünger als die Germanistik, wenn man deren Beginn mit dem ersten Band der Deutschen Grammatik von Jacob Grimm im Jahre 1819 ansetzen will, aber deutlich jünger als die Klassische Philologie, die mit den Forschungen der alexandrinischen Gelehrten am von Ptolemaios I. (367–283 v. Chr.) gegründeten Museion der Stadt begann (Pfeiffer 1970, 125–132) und die somit auf eine mehr als zweitausendjährige Geschichte zurückblicken kann. Was man freilich mit der sprachlichen Arbeit an älteren Texten erreichen wollte, das hat sich seit der Zeit der Alexandriner nicht verändert: Man arbeitete sich an Texten wie den homerischen Epen ab, die lange vor der eigenen Zeit entstanden waren, in einer anderen gesellschaftlichen Umgebung und in verschiedenen literarischen Traditionen. Nach einer heutigen Einführung in die klassische Philologie gab es drei Hauptaufgaben: Man musste versuchen, 1. In den Texten Echtes von Unechtem zu scheiden; 2. die Eigenheiten der fremden Sprachform festzustellen; 3. Schwierigkeiten des Textverständnisses zu klären“ (Jäger 1975, 11). Die Verständnisschwierigkeiten bei älteren Texten mussten in drei Bereichen überbrückt werden: „1. Es kann sich darum handeln, den authentischen Wortlaut des Textes zu ermitteln (Textkritik und Editionstechnik); 2. Es kann darum gehen, die Sprache des Textes zu verstehen bzw. zu erläutern (Lexikographie und Grammatik; sprachliche Kommentierung); 3. Es kann bei literarischen Texten auf ein angemessenes Verständnis des Textes als ein Stück Literatur ankommen (Interpretation). Dazu gehört auch die sachliche Klärung des Textes sowie seine Einordnung in den historischen Zusammenhang. (Jäger 1975, 12) 2 Klassische Philologie und Romanistik
Anfänglich wichen die Arbeitsansätze und die Antworten, die die Romanistik auf diese Fragen gab, kaum von denen der zeitgenössischen klassischen Philologie ab, obwohl traditionellerweise die Beziehung zwischen beiden Fächern nicht allzu eng gesehen wurde und wird und man eher den Akzent darauf legte, dass die Romanistik in einigem Abstand der Herausbildung der Germanistik folgte (Christmann 1985, 21). Dennoch war die Verwandtschaft mit der Latinistik unübersehbar: Die romanischen Sprachen stammen aus dem Lateinischen ab, wie man in der Klassischen Philologie die beiden Zweige Gräzistik und Latinistik behandelte, so waren die nach damaliger Auffassung sechs romanischen Sprachen ein würdiger Gegenstand für die Romanistik, die vergleichende und historische Komponente der neuen Sprachbetrachtung passte gut zur philologischen Untersuchung, die gerade modern wurde, und die Herstellung guter mittelalterlicher Texte vertrug sich bestens mit den altphilologischen Bemühungen und originalnahe „Urtexte“ – die Textkritik, mit der man zuverlässige Ausgaben von Dante, den altfranzösischen Texten, den Troubadourliedern oder den altspanischen Romanzen herstellen wollte, waren die natürliche Verbindung zwischen den Forschungsinteressen der alten klassischen Philologie und der neuen Romanistik (Christmann 1985, 13). Das frühe 19. Jahrhundert ist ja geprägt von der Romantik, und die Zugänglichmachung mittelalterlicher Textzeugnisse durch Ausgaben, Kommentare und Übersetzungen standen im Zentrum des Interesses. Friedrich Diez hatte, bevor er sich Grammatiken und Wörterbüchern widmete, 1821 ein Werk über Altspanische Romanzen veröffentlicht, und 1823 folgte Die Poesie der Troubadours. Man soll auch nicht vergessen, dass er 1863 eine Arbeit Über die erste portugiesische Kunst und Hofpoesie veröffentlichte und so die Aufmerksamkeit auf dieses oft vernachlässigte Randgebiet der Romanistik lenkte. Generationen von Studienanfängern sind durch die Chrestomathie de l’Ancien Français von Karl Bartsch in den Reichtum der altfranzösischen Literatur eingeführt worden, bevor diese Aufgabe 1921 vom Altfranzösischen Lesebuch von Karl Voretzsch übernommen wurde. Solange die Beschäftigung mit den altprovenzalischen (= altokzitanischen) Texten noch zum Kernprogramm der Romanistikstudien gehörte, lernte man die mittelalterlichen Texte durch die Chrestomathie provençale von Karl Bartsch kennen, bevor, was die Troubadour-Dichtungen anbetrifft, Texte und Nachdichtungen 1917 im Provenzalischen Liederbuch von Erhard Lommatzsch leicht aufzufinden waren. Bei diesen und bei vergleichbaren Ausgaben von Einzeltexten sieht man deutlich den Parallelismus zwischen den Aktivitäten der klassischen und der frühen romanischen Philologie: Man wollte zuverlässige Textausgaben verfügbar machen, und man wollte die „dunklen“ Stellen durch Einzelkommentare verständlich machen; Wortverzeichnisse und Kurzgrammatiken stellten das her, was man im Bereich der altphilologischen Zeugnisse durch die weit ausführlicheren Schulwörterbücher und Grammatiken zur Verfügung hatte. Ein Unterschied tat sich aber auf: Während es im 19. Jahrhundert noch zum normalen Handwerkszeug eines Latinisten gehörte, wissenschaftliche Abhandlungen auf Latein schreiben zu können, hatte man keine Fertigkeiten darin, altfranzösische oder altokzitanische Texte schreiben zu können, und selbst die Anfertigung einigermaßen korrekter neufranzösischer Texte brachte viele Romanisten an die Grenze ihrer sprachpraktischen Fähigkeiten. Während die textkritische Arbeit an Ausgaben der antiken Zeugnisse zu einer Haupttätigkeit der klassischen Philologie wurde und die Erstellung von Kommentaren zu Einzelschriften für lange Zeit die Arbeit der Fachleute bestimmte, entwickelte sich die Romanistik in einer anderen Richtung: Herausgabe und Kommentierung der vor allem altfranzösischen Texte wurde zunehmend zu einer Art „Gesellenarbeit“ von begabten Studierenden, die damit zu beweisen hatten, dass sie die Grundzüge des historisch-philologischen Arbeitens beherrschten, bevor sie sich dann anderen Spezialgebieten zuwenden konnten. Typisch ist hier der Fall von Ernst Robert Curtius (1886–1956), der sich seinen Interessen für mittellateinische Literatur auf der einen Seite, als Spezialist für moderne französische Literatur auf der anderen Seite erst zuwenden konnte, nachdem er eine (mustergültige) Ausgabe der Quatre livre des Rois aus der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts veranstaltet hatte. 3 Die Romanistik im Gefüge der Universitäten des 19. Jahrhunderts
Die eigentlichen wissenschaftlichen Höhepunkte der neuen Romanistik bildeten sich auf anderen Gebieten als im Bereich der Ausgaben von Einzeltexten heraus. Die Universitätsgeschichte in den deutschsprachigen Ländern hatte dazu geführt, dass sich ein tiefer Graben zwischen den Altphilologen, die einer allgemein wertgeschätzten Kategorie der Geisteswissenschaften angehörten, und den sogenannten modernen Philologen oder Neuphilologen, die mühsam um ihre Anerkennung rangen, auftat. Bei der Neukonstituierung der Universitäten 1810, die mit dem Namen Wilhelm von Humboldt verbunden zu sein pflegen, bekam die Altphilologie ganz selbstverständlich zwei Professuren in klassischer Philologie (Friedrich August Wolf, 1759–1824; August Boeckh, 1785–1867), während die erste ordentliche Professur für Romanistik in Berlin erst 1870 für den Schweizer Adolf Tobler (1835–1910) eingerichtet wurde, der seit 1867 Außerordentlicher Professor dort war. Für die vorangehende Zeit kann man natürlich nicht davon ausgehen, dass man sich nicht mit den modernen Sprachen abgab, aber das erfolgte meist nicht auf der normalen professoralen Ebene. Zuständig waren vielmehr die sogenannten Sprachmeister (frz. maîtres), die prinzipiell aus der schulischen Tradition stammten, wo sie für die Vermittlung von Sprachkenntnissen (und gesellschaftlichen Verhaltensformen) an die fortgeschrittenen Schüler verantwortlich waren (Schöttle 2015, 89). Vom 17. und 18. Jahrhundert an gab es Sprachmeister auch im Umfeld der akademischen Ausbildung, und da man mit der Vergabe des Titels Professor oft freigiebig umging (Kramer 2018a, 9), gab es unter den Sprachmeistern auch Träger dieser Bezeichnung. Eine...


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