E-Book, Deutsch, 160 Seiten
Behling Der letzte Henker
1. Auflage 2014
ISBN: 978-3-86789-483-8
Verlag: Bild und Heimat Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ein Berlin-Krimi im Schatten der Mauer
E-Book, Deutsch, 160 Seiten
ISBN: 978-3-86789-483-8
Verlag: Bild und Heimat Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
»Thomas, die DDR hat nicht so viele Devisen …« »In-te-res-siert mich nicht! Wenn ihr anständige Arbeit haben wollt, müsst ihr auch anständig zahlen. Ich trage doch das Risiko. Du sitzt gemütlich hinter deiner Mauer. Da kommt keiner rein oder raus, den ihr nicht haben oder loswerden wollt.« Herbert Bredemann ist Führungsoffizier in der Hauptverwaltung Aufklärung. Gemeinsam mit Thomas Pruske, seinem Kontaktmann in Westberlin, organisiert er alles, was in der DDR nicht zu haben ist. Allmählich entdeckt Bredemann die Vielzahl an Möglichkeiten, die seine Arbeit mit sich bringt. Dass er dabei den einen oder anderen Schein einsteckt, kann doch nicht so schlimm sein. Was er nicht ahnt: Die Volkspolizei ist ihm längst auf den Fersen … Spannend und raffiniert erzählt Bestsellerautor Klaus Behling, zuletzt »Licht ins Dunkel. Zwanzig schicksalhafte Geheimdienstaktionen aus Ost und West« (2012), aus dem Leben eines NVA-Offiziers, der auf seinen Handelsreisen zwischen Ost und West vom Weg abgekommen ist. Ein Agententhriller, der vom großen Erfahrungsschatz seines Autors lebt und uns an strenggeheimen deutsch-deutschen Devisengeschäften teilhaben lässt - in einer Zeit, als der die politische Lage noch vom Kalten Krieg bestimmt war und man sich in beiden Teilen Deutschlands als Klassenfeinde betrachtete.
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Eins »Westkacke.« Teddy King nickt. »Teddy, det ist orijinal Westkacke.« Der Wartburg singt mit hohem Ton durch die Rieselfelder zwischen Buch und Schönerlinde bei Berlin. * * * Eigentlich wohnen die beiden jungen Männer nur ein paar Kilometer Luftlinie voneinander entfernt. Teddy King, der Schlagersänger und Wahlberliner in Charlottenburg und Rolf Berger, der Autoschlosser und Urberliner in Lichtenberg. Doch zwischen den Stadtteilen steht die Mauer. Sie lässt das, was bei einem gegenseitigen Besuch eigentlich nicht mehr als ein kräftiger Fußmarsch wäre, zu Expeditionen in unbekannte Welten werden. Da kann man sich nur vorsichtig vorantasten. * * * Natürlich ist Teddy der Gestank längst in die Nase gekrochen. Zuerst dachte er ja, die Karre stinkt so. Die Autos hier im Osten stinken doch alle so komisch. Aber das kann man natürlich wieder mal nicht sagen. Dabei ist Rolf so stolz auf seine Kiste. Er sagt Wagen dazu. Mein Wagen, da ich fahr dich mit dem Wagen hin. Dafür ist Teddy ja dankbar, auch wenn dieser Wartburg so komisch hohl klingt. Aber wie soll er sonst nach Mühlenbeck kommen. Mit seinem Westpass dürfte er hier eigentlich gar nicht sein. Herbert Höller steht drin, Künstlername Teddy King. »Ist ja gut, Rolli, ich dachte schon … Stecken wir uns eben eine an.« Teddy hält dem Fahrer eine orange-gelbe Schachtel Ernte 23 hin. »Wie weit ist das denn noch bis in dieses geheimnisvolle Mühlenbeck?« »Halbe Stunde. Du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Du hast doch den Flebben.« Teddy fühlt das Papier in der Brusttasche seiner Levis-Jacke knistern. Alles ganz legal. »Der Bürger der BRD, Herbert Höller, ist berechtigt, die Stadtgrenze Berlins, Hauptstadt der DDR, zu überschreiten. Vorgesehene Fahrstrecke: F2, F96 Richtung Norden.« Ganz formlos ging das. Er solle die Bescheinigung einfach vorzeigen, wenn am Stadtrand kontrolliert würde, hatten sie bei der Konzert- und Gastspieldirektion gesagt. Aber der Russe in seiner Bretterbude an der alten Mühle bei Lindenberg war längst abgezogen und an die Volkspolizisten erinnerte nur noch der offene Schlagbaum. Die Ostberliner Außengrenzen wurden schon längst nicht mehr kontrolliert. Trotzdem sagten die Berliner »Ich fahr in die DDR«, wenn es ins Umland ging. Später blieb da dann nur noch »die Republik« übrig. »Ich fahr in die Republik.« »Eigentlich logisch.« »Was ist logisch?« Teddy dreht sich zu Rolf. »Ich überlege gerade, weshalb ihr immer bloß von der ›Republik‹ sprecht, wenn ihr eure DDR meint. Aber ist ja logisch, deutsch wollt ihr nicht sein, na, und demokratisch seid ihr ja nun auch nicht gerade.« Teddy kichert. »Quatsch, da brauchst du nicht so blöd zu lachen. Das ist wirklich Künstlergefasel. Wir sind doch sozialistisch, eine sozialistische deutsche Nation. Und dann werden wir kommunistisch. Und ihr seid kapitalistisch. Da kommt eins nach dem anderen. Auf kapitalistisch folgt sozialistisch und dann kommt kommunistisch.« »Da müsst ihr euch dann wohl jedes Mal umbenennen: Deutsche Sozialistische Republik. So wie die Tschechen. Den Sozialismus dort habe ich gesehen! Neulich, bei meinem Konzert in Brünn.« »Das heißt Brno.« »Wie heißt das?« »Brno.« »Klingt ja, als ob du hier einen fahren lässt. Kein Wunder, dass das ganze Auto stinkt.« »Quatsch. Das heißt Brno, weil wir keine Revanchisten sind. Wir wollen da nichts wiederhaben. Ihr seid Revanchisten.« »Wieso, ich will diese Stadt, die wie Pupen klingt, auch nicht wiederhaben. Außerdem: Was ist mit Prag und Warschau? Das wollt ihr wohl haben, da sagt ihr ja auch nicht Praha und Warszawa.« »Das ist doch was ganz anderes. Ich habe die Typen bei euch doch selbst im Fernsehen gesehen. Pfingsten. Beim Sudetentag. Euer Kriegsminister Strauß, und diese Egerländer Musikanten!« »Hör mir auf, das ist schon Konkurrenz genug.« »Das ist doch keine Konkurrenz für dich, Teddy, bei deinem Sound.« »Na ja …« »Na los, schieb mal eine ein.« Teddy King nestelt eine Sony-Kassette aus der Tasche und langt nach seinem Kofferradio auf der Rückbank. »Ich hab zu Hause ’n Kassettenspieler im Auto.« »Ich nich.« Rolf Berger schnippt sich eine Duett in den Mundwinkel. »Aba lange Zigaretten haben wir auch, wisste? War ’n Geschenk zum zwanßichsten Jahrestag vonne Republik, sechs Mark.« Teddy brennt sich eine Zigarette an. »So schmeckt sie auch. Aber für eins fünfzig geht sie.« »Wieso eins fünfzig?« »Na, eins zu vier, weißt du doch.« »Haste och wieda recht.« Die Männer rauchen. »Deswegen kriegst du ja die Gage für deine Auftritte auch in Naturalien.« »Genau. Ihr habt ja keine Devisen.« »Wenn ich im Westen wäre, würde ich lieber Technik nehmen. Das da in deinem Radio ist doch sozusagen ein komplettes Tonband. Ich meine, das ist da einfach so mit drin.« Teddy hustet. »Klar, und die beiden Spulen sind in der Kassette.« »Und das looft neunzig Minuten?« »Die grünen neunzig, die roten sechzig Minuten.« »Wat die Japaner alles so erfinden. Bei uns gibt es das nicht. Inne Zeitung stand, von Orwo sollen bald Kassetten kommen. Kosten aber übern Pfund.« »Erfunden haben das die Holländer. Philips.« »Und die Japaner machen die Kohle damit. Das is ebent typischer Kapitalismus. Wie ich vorhin gesagt habe.« »Komm, nun hör mal auf mit agitieren. Du und der Sozialismus. Jetzt wollt ihr ja sogar schon eine eigene Nation sein! Das ich nicht lache. Wir sind eine Nation, wir Deutsche. Hier, hör mal, das war neulich im Friedrichstadtpalast. Eine Sprache, ein Geschmack, alles eins!« Der hohe Ton des Zweitakters mischt sich mit einer schnulzigen Orgel: »Wuenn dör Silvermuun, auuf die Reise geht, ja dann denke isch an disch zuurüüück …« Rolf Berger ist begeistert. »Echt Klasse Sound.« Teddy King dreht geschmeichelt den Hals. »Teddy, du bist eben ein Star!« Herbert Höller nickt. Wenn du wüsstest … Was hatte er alles versucht. Einmal Dieter-Thomas Heck, »ZDF Hitparade«. Das war alles, was da herausgekommen ist. Seit den Beatles und den Stones wollte doch kein Mensch mehr so was hören. Okay, Chris Roberts vielleicht, »Die Maschen der Mädchen«. Solche Stimmungsknaller, aber dann hört es doch schon auf. Für echte Problemschlager ist doch heutzutage gar kein Platz mehr! Der Gast aus dem Westen wendet sich wieder seinem Freund aus dem Osten zu. »Rolli, das ist alles harte Arbeit. Bei uns, da musst du Beziehungen haben, da wird geschmiert … Wir im Westen kriegen auch nichts geschenkt.« »Glob ick nicht. Du bist doch ganz oben. Und hier erst. Bei ›Da lacht der Bär‹ warste dabei, jetzt beim ›Kessel Buntes‹ wieda Stargast. Du kannst doch nicht klagen!« »Jaaa …« Die Kassette zerrt. Der Rhythmus jault: »Brauner Bär, umba, umba, war ein junger, In-di-aner, mit roter Haut …« »Mensch, das ist doch Musik. Rolf Berger wippt mit dem ganzen Oberkörper.« »Anschnallen ist wohl bei euch nicht?« »Nö. Wir fahren aufmerksam und rücksichtsvoll. Paragraph eins.« »Und wenn du bremst, fliegst du durch die Scheibe!« »Quatsch. Der Wagen bremst nicht so doll!« Teddy zieht sich erschrocken im Sitz zusammen und blinzelt aufn Tacho. Nur knapp siebzig. Das entspannt ihn ein wenig. Der Wartburg fährt wie durch einen Tunnel. Immer wieder gießt die Sonne goldene Flecken über das Auto. Rolf kneift die Augen zusammen. »Gibt es bei euch auch solche Alleen?« »Ganz wenig. Ist nicht autogerecht, du weißt doch, freie Fahrt für freie Bürger.« »Gibt’s bei uns och. Ich bin neulich mit meinem Wagen mit Hundertzwanzig durchgezogen. Auffe Autobahn. Und da war ick noch nicht ma mit ’n Jas aufn Bodenbrett.« »Hundertzwanzig … Erwischen lassen darfst du dich da aber auch nicht! Uns holen sie ja schon bei hundertzwei raus, und dann heißt es Zahlemann und Söhne. Natürlich in West.« »Ehrlich?« »Ehrlich, ist bei euch in der Planwirtschaft so drin. Die wissen genau, wir brauchen jetzt mal, sagen wir, hundertfünfzigtausend für Ersatzteile in Leuna und denn geht das los. Die Genossen schwärmen aus, paar Tage, dann ist die Kohle drin, und denn kauft einer ein – im Westen.« »Glaub ich nicht!« »Rolli, das kannst du glauben. Ich kenn so einen Typen drüben. Büro im Europacenter, Dreihunderter Mercedes, alles vom Feinsten – Pruske heißt der. Thomas Pruske.« »Kriegt der auch Antiquitäten aus der Zone, so wie du.« »Der kriegt alles. Und der besorgt alles. Gold, diese neuen Mikroschnipsel, alles, was du dir bloß denken kannst.« Teddys Quetschstimme vom Band erzählt derweil die Geschichte vom alten Häuptling der Indianer. »Wild ist der Westen, schwer ist der Beruf, uff …« »Teddy …« »Hm …« »Verscheuerst du das Zeug weiter?« »Nö.« »Aber du könntest das weiter verscheuern.« »Bei uns kann man alles verkaufen. Aber das wäre doch schade um die schönen Sachen. Außerdem ist das doch meine Gage. Hier im Osten.« »Wat denn, du kriegst gar kein Geld?« »Könnte ich haben. Aber...