E-Book, Deutsch, 124 Seiten
Behrendt Lerchenruf
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-7546-4073-9
Verlag: tolino media
Format: EPUB
Kopierschutz: PC/MAC/eReader/Tablet/DL/kein Kopierschutz
E-Book, Deutsch, 124 Seiten
ISBN: 978-3-7546-4073-9
Verlag: tolino media
Format: EPUB
Kopierschutz: PC/MAC/eReader/Tablet/DL/kein Kopierschutz
Gefühlvolle Geschichten und Gedichte von Bernd Behrendt aus seinen Leseabenden in Stadt und Land lassen eine sehr tiefe Verbundenheit von Herz und Seele zwischen ihm als Autor und dem Publikum entstehen. Seelenverbindungen, die dabei zwischen Autor und Zuhörern entstehen, bilden sehr feste Freundschaften durch die sehr herzergreifende Anthologie. Seine Kurzgeschichten versuchen Realität und Phantasie aus Vergangenheit und Zukunft in die Seele des Menschen einzubinden. Das Buch hat die wesentlichsten Geschichten seiner Lesungen als Erinnerungen zu erhalten versucht.
Bernd H. Behrendt, geboren 1943 in Berlin, veröffentlichte 1961 durch die UNESCO sein erstes Buch. Absolvierte 1965 sein Studium zum Dipl.-Ing. an der TU, verfasste nebenberuflich Sachbücher über Psychologie und Kybernetik, ab 2008 dann Romane + Anthologie der Belletristik. Arbeitet heute in einem Autoren-Workshop und beim 'Autorentreff Bad Camberg e.V.' Er veröffentlicht Stories auf Online-Plattformen und in Zeitschriften. Er lebt in Hessen, liest gerne Bücher von seinem Vorbild Oliver Sacks.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Die Pralinen-Julie
Während der Studienzeit war man immer knapp bei Kasse, und das Portemonnaie in meiner Tasche machte da keine Ausnahme, das Wort Ebbe kam mir schon über die Lippen, bevor mein Auge den Inhalt erfasste. Wie es viele andere meiner Kommilitonen auch pflegten, es war in den Ferien Arbeitszeit zur Füllung der Kasse angesagt. Ich hatte zwei Jobs in diesen Zeiten. Jeden Vormittag malte ich auf meterlangen Leinwänden für die Kinoreklame per Bleistift die Umrisse berühmter Filmschauspieler, deren Köpfe ich dann geschickt mittels Lackspritzpistolen plastisch und lebensecht zum virtuellen Leben erweckte. Am Nachmittag ging es geruhsamer in einem Laden für Süßwaren hinter der Verkaufstheke zu. Hier bediente ich als Aushilfe die Kunden, deren Sinn nach damals noch handhergestellter, lieblicher Schokolade bestand. Der Laden gehörte einer älteren Frau. Diese war gelernte Konditorin, wahrlich eine Meisterin ihres Fachs und ihre Pralinen waren nicht nur in Berlin- Tempelhof bekannt und berühmt. Anfangs stand auch nur der leblose Name „Süßwaren“ über ihrer Ladenfassade, doch da sie von vielen Kunden liebevoll als Schokohexe gerufen wurde, weil ihre Pralinen die Kunden positiv behexten, taufte sie ihren Laden in „Zur Schokohexe“ um. Ich arbeitete also von Montag bis Samstag an Nachmittagen immer bei der Schokohexe. Sie engagierte mich gerne, weil sie der Auffassung war, dass Pralinen, ihr Spezialgebiet, nicht allein nur von weiblichen Verkäuferinnen dargeboten werden sollten. So unterzog sie mich vor dem Verkaufsbeginn einer internen Schulung, die dauerte sage und schreibe einen kompletten Nachmittag. Tags darauf konnte ich noch nicht anfangen, mir war schlecht, denn ich hatte bei der Schulung etwas zu viel von der süßen Offenbarung geschluckt. Doch das war es für mich mit der gut bezahlten Stellung als ein „bittersüßes Opfer“ wert. Die ersten 2 Tage waren noch etwas holperig, aber dann konnte ich den Verkauf ganz gut angehen und beherrschte die Höflichkeit mit einem süffig süßen Lächeln. Selbst die beiden sich abwechselnden Verkäuferinnen Irmgard und Herta zollten mir Lob. Immerhin beflügelte mich das. Der dritte Tag, ein Freitag: Kurz nach Vier. Eine junge Frau, so Mitte Zwanzig, betritt das Geschäft. Sehr hübsch, lange Haare, modisch zu einem Kranz nach hinten gebunden, so dass noch zopfartig ein Büschel, mit rotem Haarband gehalten, auf ihre Schulter fällt. Das passt zu den schwarzen Haaren. Auch das fast knöchellange Sommerkleid, farblich geschmackvoll gemustert, steht ihrem schlanken Körper sehr gut. Herta hat mit mir Dienst, sie spricht die junge Frau mit der üblichen Frage, ob sie helfen kann, an. Mit einer kurzen Handbewegung unterstützt sie ihre fast gleichgültig klingende Antwort: »Danke, ich suche noch!« Herta lässt darauf von ihr ab, da weitere Kundschaft den Laden betritt. Das Zeichen für mich, der jungen Frau etwas näher zu treten, was sich bei mir allerdings augenblicklich nur auf intensives Beobachten der Körperformen begrenzt. Ich erschrecke ein wenig, als sie mich plötzlich unerwartet anspricht und damit meinen optischen Rundweg an ihrem Körper beendet. »Diese Praline dort. Können Sie mir diese näher beschreiben?« »Äh, wie…«, ich bin wie gebannt und stottere ein wenig, denn mich fesseln zwei grüne Augen, die mich intensiv ansehen, »…wie meinen Sie das?« Sie lächelt dünn ohne die Lippen zu öffnen. »Nun, mich interessiert, welche Schokomischung das ist und dann, aus was besteht die Füllung?« Da Herta inzwischen den anderen Kunden bedient hat, versucht sie mir helfend mit einer Auskunft in die Bresche zu springen, wird aber von der hübschen Frau abrupt gestoppt. »Danke schön für Ihre gut gemeinte Hilfe, aber der Herr bedient mich bereits!« Dann graben sich ihre grünen Augen wieder mit tiefem Blick fragend in mein Antlitz. »Nun«, lächele ich sie an – inzwischen habe ich mich wieder gefangen und bin real obenauf – ,»das sind sogenannte Bromgins!« Ich achte nun penibel darauf, das „g“ richtig wie ein „j“ auszusprechen. Sie hebt die Augenbrauen, drückt ihre Augen etwas zusammen und stellt ihren Kopf schräg, was gleichbedeutend mit der Aufforderung zu näheren Erläuterungen gleichkommt. Ich erinnere mich an die erklärenden Worte der Schokohexe während der kurzen Schulung über Pralinen. Mein sehr gutes Gedächtnis leistet Großartiges, ich kann einige der Erklärungen der Schokohexe 1:1 zitieren. Das tue ich auch. Es wäre ja gelacht, könnte ich nicht eine so hübsche Kundin zum Kauf der anvisierten Praline wie diese hervorragenden Bromgins überreden. »Schauen Sie, Pralinen wie diese dort,« ich zeige auf die von ihr ausgewählte, »sind für mich kleine Wölkchen der Glückseligkeit. Und weil es nichts Besseres auf dieser Welt gibt, als frische Schokolade, die zart auf der Zunge zergeht und deren Geschmack sich ganz langsam und lecker im Mund verteilt, hat diese Bromgin alle wunderbaren Gefühle in sich. Sie sind mit Liebe selbstgemacht, ihre Füllung in der zartbitteren Umhüllung ist eine ausgewogene Mischung aus Brombeeren und Gin. Aber das haben Sie sicherlich schon am Namen bemerkt. Und genau neben dieser Bromgin mit der brombeertypischen, dunklen Farbe der Füllung, da erkennen Sie die Schwesterpraline. Das ist unsere Mandagin. Sie ist genauso hergestellt, nur trägt sie den Geschmack der Zutaten von Mandarine und Mandarinengeist.« Ich merke sofort, sie ist mit meiner Erklärung zufrieden, ein leichtes, kaum auffälliges Lächeln umspielt ihren Mund. Fast lautlos erreicht mich die daraus resultierende Frage. »Sie haben mich eingehend gemustert, mein Herr. Was meinen Sie denn, welche Praline passt zu meiner Art in geschmacklicher Hinsicht?« Meine Selbstsicherheit ist inzwischen stärker als jeder Stahlträger und meine Antwort erfolgt ohne Zögern auf der Stelle: »Beide Pralinen sind so gut, dass keine alleine zu Ihnen, sondern auch nur beide gleichzeitig nach ihrer Art zu Ihnen passen!« Diesmal ziehen sich Ihre Lippen zu einem klar ersichtlichen Lächeln hin, wobei ich ihre schneeweißen Zähne erkennen kann. Sie nickt. »Gut, dann nehme ich 11 Stück!« »Jeweils 11 von jeder Art?« »Nein, bitte 11 Stück insgesamt!« Ich merke, dass sie mich genau beobachtet und meine Reaktion erwartet. »Alle in eine Tüte oder getrennt verpacken?« Sie schaut mich an, ihr Lächeln hat sich nicht aufgelöst, im Gegenteil, es verstärkt sich sogar bei ihrer Antwort. »Nein, alle zusammen in eine Tüte!« Da ich die Pralinen mit einer Edelstahlzange direkt der Auslage in der Glasvitrine entnehme, kann sie natürlich genau sehen, welche Pralinen ich ergreife und in die Tüte stecke. Als ich fertig bin, stellt sie genau die Frage, die ich erwartet habe. »Warum haben Sie mir von den Bromgins eine mehr eingepackt als von denen der Mandagins?« Diesmal ist es mein Gesicht, welches von einem gütigen Lächeln durchzogen wird. »Ich habe mich an Ihren Augen orientiert. Eine dunkle Farbe, wie die der Bromgins, passt natürlich viel besser zu grünen Augen als eine helle Farbe wie jene der Mandagins. Denn grüne Augen und dunkle Brombeeren, das gibt einen mystischen Kontrast. Ich kann das aber jederzeit noch ändern, wenn es nicht Ihrem Geschmack entspricht!?« »Nein, nein, - ist schon recht«, antwortet sie. Kurze Zeit später hat sie bezahlt, bedankt sich und verlässt den Laden. Herta hat das Gespräch zum Teil mitbekommen und schüttelt den Kopf. »Eine seltsame Kundin, diese Frau. Aber gut gemacht, Berni. Respekt!« Ich nicke und sehe der hübschen Frau nach. Ich verfolge ihre Bewegungen wie sie die Straße vor unserem Pralinenladen überquert und blicke noch lange auf die Straße, obwohl die Frau längst meinem Blick entschwunden ist. Am Nachmittag des nächsten Tages hatte ich diese Kundin vergessen, die Begegnung abgehakt. Ich ahnte natürlich noch nicht, dass es noch einige Kontakte geben würde. Ich hatte zwar die Kundin, aber diese Kundin nicht mich vergessen. Das änderte sich bei mir schlagartig, als sie just am Mittwoch wieder an einem Nachmittag den Laden betrat. Ich erkannte sie sofort, obwohl sie ganz anders gekleidet war und auch die Haare neu frisiert erschienen. Da ich an diesem Nachmittag alleine im Laden tätig war, erübrigte sich mein Bestreben Sie auf jeden Fall zu bedienen. Sie trat mit dem mir bekannten, leichten Lächeln vor die gläserne Auslage, kurz darauf traf mich wie am vergangenen Freitag ihr grünes Augenpaar. Aber ich kam ihren ersten Worten mit einer Frage zuvor: »Haben Ihnen die Pralinen geschmeckt?« Ihr Lächeln verbreitet sich über das Gesicht, als sie antwortet. »Danke der Nachfrage. Ich habe nur eine der Bromgins probiert, nehme aber doch an, die Mandagins munden ebenso köstlich.« »Mit Sicherheit«, lasse ich sie wissen, »denken Sie aber daran, dass Pralinen wie diese mit einer Trüffelfüllung auf Sahne- oder Butterbasis bei richtiger Lagerung nur zwei Wochen lang frisch bleiben, ohne am Geschmack zu verlieren!« Sie lächelt und schüttelt den Kopf. »Nein, nein. Die haben auch ihren Abnehmer gefunden und sind längst begeistert verspeist worden. Wissen Sie, ich bringe diese Meisterwerke meiner Schwester mit. Wir nennen sie „Pralinen-Julie“, und es ist nicht einfach, sie mit Pralinen zu beschenken.« »Wenn Ihre Schwester einen solche Kosenamen trägt, dann wird so wohl auch Pralinen zu bewerten wissen, was die Auswahl der Pralinen einschränkt.« Sie bestätigt mir das mit einem Kopfnicken und deutet in die Vitrine. »Geben Sie mir bitte wieder die gleiche Menge wie zuvor. Heute werde ich dann eine Mandagin probieren.« Sie lächelt liebevoll, was...