E-Book, Deutsch, 236 Seiten, E-Book
Beitler / Bücher / Nienhaus Grunderwerbsteuer bei Share-Deals und Umstrukturierungen
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-7910-6287-7
Verlag: Schäffer-Poeschel Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Praxisleitfaden mit Fallbeispielen
E-Book, Deutsch, 236 Seiten, E-Book
ISBN: 978-3-7910-6287-7
Verlag: Schäffer-Poeschel Verlag
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Christian Beitler ist Sachgebietsleiter in der hessischen Finanzverwaltung und Dozent an der Bundesfinanzakademie.
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2.3 Erwerb der Verwertungsbefugnis (§ 1 Abs. 2 GrEStG)
2.3.1 Grundsätze
Der Grunderwerbsteuer unterliegen auch Rechtsvorgänge, die es ohne Begründung eines Anspruchs auf Übereignung einem anderen rechtlich oder wirtschaftlich ermöglichen, ein inländisches Grundstück auf eigene Rechnung zu verwerten (§ 1 Abs. 2 GrEStG).
Die Vorschrift erfasst Sachverhalte, bei denen es – anders als in den Fällen des § 1 Abs. 1 GrEStG – nicht zu einem Rechtsträgerwechsel, d.?h. zu einer Änderung der Rechtszuständigkeit im Außenverhältnis kommt, bei denen der Eigentümer einem anderen aber im Innenverhältnis so weitgehende Möglichkeiten zur Einflussnahme hinsichtlich des Grundstücks einräumt, dass dieser und nicht mehr der Eigentümer über die Verwertung des Grundstücks entscheiden kann (BFH vom 20.04.2016 – II R 54/14, BStBl II 2016, 715, Rz. 10).
Gemeint sind Rechtsvorgänge, die den in § 1 Abs. 1 GrEStG beschriebenen Erwerbsvorgängen so nahe kommen, dass sie es dem Erwerber ermöglichen, sich den Wert des Grundstücks für eigene Rechnung nutzbar zu machen (BFH vom 24.04.2013 – II R 32/11, BStBl II 2013, 962, Rz. 11).
Der Ersatztatbestand dient u.?a. dazu, Umgehungen der in den Grundtatbeständen des § 1 Abs. 1 GrEStG normierten Steuerpflicht zu verhindern. Da die Möglichkeit zur Verwertung durch Rechtsvorgänge verwirklicht werden muss, setzt § 1 Abs. 2 GrEStG eine Rechtsmacht des Erwerbers voraus, die eine Verwertungsbefugnis begründet.
Die Unterscheidung zwischen »rechtlich oder wirtschaftlich« beschreibt die Art und Weise der möglichen Verwertung (BFH vom 12.12.1973 – II R 29/69, BStBl II 1974, 360, Rz. 12).
Die Verwertungsbefugnis kann sich dabei – ebenso wie beim Eigentümer – aus zwei Möglichkeiten der Verwertung ergeben, nämlich aus dem Recht zur Nutzung und aus dem Recht, das Grundstück wie ein Zwischenerwerber auf eigene Rechnung zu veräußern. Da die Verwertung auf eigene Rechnung zu erfolgen hat, verlangen beide Möglichkeiten der Verwertung eine Beteiligung an der Substanz des Grundstücks.
Bei der vorwiegend rechtlichen Verwertungsmöglichkeit durch Veräußerung erfolgt die Beteiligung an der Substanz des Grundstücks durch Teilhabe am Erlös. Bei wirtschaftlicher Verwertungsbefugnis durch Nutzung muss die Substanzbeteiligung durch Wertbeteiligung in anderer Weise erfolgen (BFH vom 29.07.2009 – II R 2/08, BFH/NV 2009, 1833, Rz. 10).
Der Tatbestand des § 1 Abs. 2 GrEStG ist erfüllt, wenn es einem Dritten (Nichtgrundstückseigentümer) ermöglicht wird, über ein bestimmtes Grundstück wie ein Eigentümer zu verfügen, d.?h. dass er es besitzen, verwalten, nutzen, belasten und schließlich veräußern kann, und sich diese Maßnahmen wirtschaftlich zugunsten oder zulasten des Dritten auswirken. Die Einwirkungsmöglichkeiten, aus denen die Verwertungsbefugnis hervorgeht, müssen gleichzeitig und in einer jeden Zweifel ausschließenden Weise bestehen. Dabei ist es nicht erforderlich, dass dem Dritten jeweils alle für das juristische Eigentum charakteristischen Rechte übertragen werden (BFH vom 15.03.2006 – II R 11/05, BFH/NV 2006, 1704, Rz. 12). Es genügt, dass die rechtliche oder wirtschaftliche Möglichkeit, ein Grundstück auf eigene Rechnung zu verwerten, durch Umstände begründet wird, die teils dem einen, teils dem anderen Bereich zugehören (BFH vom 27.07.1994 – II R 67/91, BFH/NV 1995, 269, Rz. 27).
Die Möglichkeit zur Verwertung eines Grundstücks i.?S.?d. § 1 Abs. 2 GrEStG setzt eine Rechtsmacht voraus, die schwächer ist als die des unbeschränkten Eigentümers. Die Rechtsmacht schließt es dabei nicht aus, dass auch der Grundstückseigentümer noch in irgendeiner Weise auf das Grundstück einwirken kann. Für die Erfüllung des Tatbestandes des § 1 Abs. 2 GrEStG reichen schuldrechtliche Absicherungen aus. Es genügt jeder Rechtsvorgang oder Komplex von Rechtsvorgängen. Allerdings werden bloße (nicht ausgenutzte) Chancen nicht besteuert (BFH vom 14.09.1988 – II R 116/85, BStBl II 1989, 52, Rz. 23).
Unerheblich ist, ob der Dritte (Nichteigentümer) wirtschaftlicher Eigentümer des Grundstücks i.?S.?d. § 39 Abs. 2 Nr. 1 AO ist (Meßbacher-Hönsch in Viskorf, Grunderwerbsteuergesetz, 21. Auflage, § 1 GrEStG, Rz. 554).
Eine Besteuerung nach § 1 Abs. 2 GrEStG wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass schon bei der Verschaffung der Verwertungsmöglichkeit die spätere Übereignung des Grundstücks geplant ist und erfolgt (z.?B. Pachtvertrag mit Verkaufsangebot und nachfolgendem Verkauf). Es liegt dann zunächst ein Vorgang nach § 1 Abs. 2 GrEStG vor, dem ein Vorgang nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 2 GrEStG nachfolgt. In diesen Fällen kommt ggf. die Vorschrift des § 1 Abs. 6 Satz 2 GrEStG (ausführlich hierzu Kapitel 2.4.9) zur Anwendung, wonach die Steuer nur insoweit erhoben wird, als die Bemessungsgrundlage für den späteren Rechtsvorgang den Betrag übersteigt, von dem beim vorangegangenen Rechtsvorgang die Steuer berechnet worden ist (BFH vom 17.12.1975 – II R 35/69, BStBl II 1976, 465, Rz. 13).
Eine Besteuerung nach § 1 Abs. 2 GrEStG ist ausgeschlossen, wenn vor oder gleichzeitig mit dem Erwerb der Verwertungsbefugnis ein steuerbarer Vorgang nach 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG verwirklicht wird (BFH vom 17.06.1996 – II R 47/93, BFH/NV 1996, 579, Rz. 16).
§ 1 Abs. 2 GrEStG kann erneut zur Anwendung kommen, wenn ein anderer als der Eigentümer die Verwertungsbefugnis erlangt hatte und diese durch einen weiteren Rechtsvorgang auf den Eigentümer wieder zurückübertragen wird. In diesem Fall ist ggf. zu prüfen, ob die Steuer sowohl für den Rückerwerb als auch den vorausgegangenen Erwerbsvorgang nicht festzusetzen oder aufzuheben ist (Meßbacher-Hönsch in Viskorf, Grunderwerbsteuergesetz, 21. Auflage, § 1 GrEStG, Rz. 577).
Ob Rechtsvorgänge eine Verwertungsbefugnis i.?S.?d. § 1 Abs. 2 GrEStG begründen, ist stets eine Einzelfallentscheidung. In der Rechtsprechung haben sich u.?a. folgende Fallgruppen herausgebildet:
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Verkaufsermächtigung,
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atypischer Maklervertrag,
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Einbringung eines Grundstücks in eine Personengesellschaft dem Werte nach,
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Gebäude auf fremdem Boden.
2.3.2 Verkaufsermächtigung
Bei einer Verkaufsermächtigung ist der Berechtigte ermächtigt, ein Grundstück auf eigene Rechnung zu veräußern (BFH vom 21.07.1965 – II 78/62 U, BStBl III 1965, 561, Rz. 11).
Die Verwertungsbefugnis liegt in dieser Fallgruppe vor, wenn der Verkaufsermächtigte die Verwertung des Grundbesitzes aus eigenem Recht herbeiführen kann und er am wirtschaftlichen Ergebnis der Verwertung teilhat.
Die Verwertung aus eigenem Recht ist gegeben, wenn der Berechtigte von dem Grundstückseigentümer die Veräußerung an bestimmte Personen verlangen kann (BFH vom 10.03.1999 – II R 35/97, BStBl II 1999, 491, 12).
Veräußerung auf eigene Rechnung liegt vor, wenn der Verkaufsermächtigte einen eigenen Mehrerlös nicht an den Grundstückseigentümer abzugeben hat (BFH vom 02.07.1975 – II R 49/74, BStBl. II 1975, 863, Rz. 18 und BFH vom 10.11.1976 – II R 95/71, BStBl II 1977, 166, Rz. 11).
Die Verkaufsermächtigung kann sich zum Beispiel aus einer Vollmacht (§ 167 BGB) oder Einwilligung (§ 185 BGB) des Eigentümers das Grundstück zu veräußern ergeben. Es genügt jeder (schuldrechtliche) Rechtsvorgang oder Komplex von Rechtsvorgängen. Eine Befugnis zur (dinglichen) Verfügung über das Grundstückseigentum in Form einer Vollmacht auch zur Auflassung und Abgabe der erforderlichen Erklärungen und Anträge gegenüber dem Grundbuchamt ist nicht erforderlich (BFH vom 14.09.1988 – II R 116/85, BStBl II 1989, 52, Rz. 19).
Für die Verwirklichung des § 1 Abs. 2 GrEStG ist eine unbedingte und unbefristete Vollmacht erforderlich, da nur so eine Rechtsstellung erlangt wird, die wirtschaftlich der Stellung eines Eigentümers ähnlich ist. Ist die Vollmacht befristet, wird eine Rechtsmacht i.?S.?d. § 1 Abs. 2 GrEStG erst mit Abschluss des Kaufvertrages verwirklicht. Bis dahin handelt es nur um eine Chance auf Substanzbeteiligung (BFH vom 18.12.1985 – II R 180/83, BStBl II 1986, 417, Rz. 11).
Die Stellung als Grundpfandrechtsgläubiger vermittelt keine Verwertungsbefugnis i.?S.?d. § 1 Abs. 2 GrEStG. Dies liegt darin begründet, dass in diesem Fall die Verwertung nicht für Rechnung des Gläubigers (z.?B. Bank), sondern für Rechnung des Eigentümers (Schuldners) erfolgt, dessen Verbindlichkeiten durch den Verwertungserlös getilgt werden. An dem über die grundpfandrechtsgesicherte Forderung hinausgehenden Verwertungserlös stehen dem Grundpfandrechtsgläubiger keine Ansprüche zu, da dieser an den...