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E-Book, Deutsch, 250 Seiten
Benda Das achtsame Selbst
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-608-12502-3
Verlag: Klett-Cotta
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Achtsamkeitsinformierte integrative Psychotherapie
E-Book, Deutsch, 250 Seiten
ISBN: 978-3-608-12502-3
Verlag: Klett-Cotta
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Jan Benda, PhD, ist Psychologe und Psychotherapeut mit über 20 Jahren Erfahrung. Er absolvierte die Karls-Universität in Prag. Ausbildung in Integrativer Psychotherapie, Pesso Boyden System Psychomotorik und Emotionsfokussierter Therapie. Er hat in Meditationszentren in Sri Lanka gelebt und die Achtsamkeitsinformierte Integrative Psychotherapie (MIIP) entwickelt.
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Einleitung
In der Welt der Psychotherapie gibt es einen bemerkenswerten Widerspruch zwischen der formalen Diagnostik psychischer Störungen und der Art und Weise, wie die meisten Psychotherapeuten2 in der Praxis mit diesen Störungen umgehen. Beispielsweise verwenden Therapeuten in der Forschung oder in der Kommunikation mit Krankenversicherungsanstalten routinemäßig die diagnostischen Klassifikationssysteme DSM-5 und ICD-11 (siehe Kap. 1), doch in der therapeutischen Praxis gehen sie oft anders an die Probleme der Klienten heran (siehe die Fallformulierung oder Konzeptualisierung; z. B. Goldman & Greenberg 2015; Timulak & Pascual-Leone 2015). Aktuelle Diagnosen helfen nur bedingt bei angemessenen psychotherapeutischen Interventionen. Die meisten Kollegen konzentrieren sich daher nicht nur auf die äußeren Symptome psychischer Störungen, sondern versuchen auch, die verborgenen Mechanismen aufzudecken und zu beeinflussen, welche die Entstehung der einzelnen Symptome verursachen. Über diese verborgenen Mechanismen schweigen die diagnostischen Handbücher meist, da es oft schwierig ist, sie mit objektiven wissenschaftlichen Methoden zu erfassen. Es gibt jedoch ein sehr populäres Werkzeug, das sich hervorragend zur Erkennung dieser maladaptiven Schemata eignet. Dieses Werkzeug ist Achtsamkeit (engl. mindfulness) – die Fähigkeit, die Prozesse in unserem Körper und Geist im gegenwärtigen Moment wahrzunehmen.
In der Lehre Buddhas wird Achtsamkeit seit zweieinhalbtausend Jahren als Mittel zur Selbsterkenntnis, Selbstheilung und Selbsttranszendenz eingesetzt. In diesem Buch nutze ich die Achtsamkeit, um maladaptive Schemata eingehend zu untersuchen. Ich werde erklären, wie maladaptive Schemata unsere Wahrnehmung, unser Denken, Erleben und Verhalten beeinflussen und auf diese Weise das Entstehen von offensichtlichen Symptomen psychischer Störungen verursachen. Darüber hinaus wird aufgezeigt, wie einzelne Elemente maladaptiver Schemata durch Achtsamkeit und Selbstmitgefühl »entwaffnet« und transformiert werden können. Besondere Aufmerksamkeit widme ich dabei unserem konzeptuellen, narrativen Selbst. Die in diesem Buch vorgestellte Transdiagnostische Theorie des verletzten Selbst integriert die Bindungstheorie (z. B. Cassidy & Shaver 2016; Kyrios et al. 2016b), die Mustertheorie des Selbst (z. B. Gallagher et al. 2024) und die Theorie der ontologischen Abhängigkeit (Shonin et al. 2016; van Gordon et al. 2018). Sie bietet ein transtheoretisches, phänomenologisches Modell maladaptiver Schemata und erläutert die Rolle des Mangels an Achtsamkeit und Selbstmitgefühl in der Ätiologie psychischer Störungen und in der psychotherapeutischen Veränderung. Dabei wird der Einfluss unserer Selbstvorstellung (narratives Selbst) auf das Entstehen psychopathologischer Symptome aufgezeigt und angedeutet, wie durch die Entwicklung eines flexiblen, authentischen Selbst und eines transzendenten Selbst die Resilienz, die Fähigkeit zur Emotionsregulation und die Fähigkeit, enge Beziehungen zu knüpfen und aufrechtzuerhalten, gesteigert werden können.
Das Buch schöpft aus den Erkenntnissen der alten buddhistischen Psychologie, der westlichen Psychotherapie, der psychedelischen Forschung und den neuesten Erkenntnissen der Neurowissenschaften. Es beschreibt, wie die Entwicklung von Achtsamkeit und Selbstmitgefühl in der individuellen Psychotherapie genutzt werden kann. Es richtet sich jedoch nicht nur an Psychotherapeuten, sondern auch an die, welche sich für die persönliche Entwicklung interessieren oder ernsthaft spirituell suchen. Ein zentrales Themen des Buches ist die Frage, ob transpersonale Erfahrungen – sei es durch Meditation oder Psychedelika – zur Heilung unserer frühen Entwicklungstraumata beitragen können. Können sich persönlicher und transpersonaler Entwicklungsweg ergänzen? Können transpersonale Erfahrungen psychische Störungen heilen? Können sie unsere maladaptiven Schemata heilen? Unser »verletztes Selbst«? Und wenn ja, unter welchen Bedingungen? Zu deren Beantwortung werden wir in diesem Buch Schritt für Schritt gelangen. Bevor ich jedoch auf diese Fragen eingehe, werde ich die entscheidende Rolle eines flexiblen authentischen narrativen Selbst in unserem alltäglichen Funktionieren erklären. Ich werde auch die Bedeutung von Beziehungserfahrungen bei der Entwicklung von Selbstmitgefühl hervorheben.
Wie ist aber die Struktur des gesamten Buches?
Im I. Teil werden wir uns zunächst mit der achtsamen Diagnostik maladaptiver Schemata vertraut machen (Kap. 1). Ich werde kurz Entwicklungstrauma und die Entstehung maladaptiver Schemata besprechen (Kap. 2). Dabei komme ich zur Unterscheidung von vier charakteristischen Elementen der maladaptiven Schemata: Kernüberzeugungen, Gefühle der Kernschmerz, Abwehrmechanismen und archaische Ich-Zustände (Kap. 3). Anschließend illustriere ich anhand von Fallbeispielen, wie maladaptive Schemata die Entstehung psychopathologischer Symptome bei sieben ausgewählten psychischen Störungen beeinflussen (Kap. 4). Schließlich skizziere ich, wie maladaptive Schemata durch Achtsamkeit und Selbstmitgefühl behandelt werden können (Kap. 5).
Im II. Teil des Buches werden wir die vier Typen maladaptiver Schemata (die vier »verletzten Selbst«) genauer betrachten und ich erkläre, dass das »verlorene Selbst« entsteht, wenn wir uns in der frühen Kindheit nicht oft genug geschützt und sicher fühlen (Kap. 6). Das »verlassene Selbst« entwickelt sich, wenn es uns in der frühen Kindheit an ausreichender Wärme und Nähe fehlt oder wir die Welt nicht als sicheren Platz wahrnehmen (Kap. 7). Das »minderwertige« und das »aufgeblähte Selbst« entstehen, wenn wir als Kinder nicht genügend elterliche Unterstützung und Anerkennung erfahren oder es uns an klarer Führung und liebevollen Grenzen fehlt (Kap. 8 und 9). Ich werde dann die Bedeutung korrigierender Beziehungserfahrungen und der Gedächtnisrekonsolidierung in der psychotherapeutischen Veränderung hervorheben und auch die kognitive Neubewertung von Kernüberzeugungen als geeignete ergänzende Strategie bei der Arbeit mit maladaptiven Schemata erwähnen (Kap. 10).
Im III. Teil des Buches werden wir uns mit der Entwicklung eines flexiblen, authentischen narrativen Selbst in Beziehungen mit nahestehenden Menschen beschäftigen. Zunächst bringe ich in Erinnerung, dass die »rechte Achtsamkeit« in unserem alltäglichen Leben mit der Erkenntnis der ethisch-psychologischen Zusammenhänge unseres Erlebens und dem »weisen Abwägen« unseres Handelns verbunden sein sollte (Kap. 11). Anschließend betrachten wir, wie uns maladaptive Schemata dazu zwingen, in Beziehungen immer wieder dieselben Szenarien zustande zu bringen, und wie wir von diesen Mustern loskommen können (Kap. 12). Ich werde besprechen, was »gesunder Egoismus« und gesunde persönliche Grenzen sind (Kap. 13). Des Weiteren werde ich eine Unterscheidung zwischen reaktivem und mitfühlendem (schützendem) Ärger vornehmen (Kap. 14). Ich werde beschreiben, wie unsere Beziehung zu uns selbst uns helfen kann, ein Gleichgewicht zwischen Abhängigkeit und Unabhängigkeit in Beziehungen zu finden (Kap. 15). Kritisch widme ich mich dann der Frage, ob korrigierende Beziehungserfahrungen durch Meditation oder Psychedelika bei der Heilung des verletzten Selbst ersetzt werden können (Kap. 16).
Teil IV des Buches untersucht die Grenzfläche von Psychologie und Spiritualität und beschäftigt sich mit der transpersonalen Entwicklung. Ich werde klarstellen, wie sowohl Meditation als auch Psychedelika Selbstlosigkeit fördern und allmählich unser Verständnis von uns selbst verändern (Kap. 17). Des Weiteren stelle ich ein neues Modell zur Integration transpersonaler Erfahrungen vor (Kap. 18). Dann werde ich auf die Syndrome des achtsamen Zombies, des spirituellen Narzissten und des erleuchteten Realitätsflüchtlings eingehen (Kap. 19). Um den Alltag geschickt zu meistern, benötigen wir sowohl den passiven Modus des achtsamen Beobachtens und Seins als auch den aktiven Modus des Denkens und Tuns (Kap. 20).
Die in den Kapiteln behandelten Themen werden kontinuierlich durch Fall- und Dialogbeispiele zwischen Therapeuten und Klienten aus meiner therapeutischen Praxis veranschaulicht. Um die Anonymität zu wahren, wurden die Namen der Klienten und andere Details, anhand derer sie identifiziert werden könnten, geändert. Experten können in dem Buch wertvolle Hinweise auf insgesamt 278 Bücher, 360 psychologische und 71 neurowissenschaftliche Artikel finden (von den zitierten Artikeln stammen 51 % aus den letzten fünf Jahren, d. h. aus den Jahren 2019 bis 2023). Da es jedoch nicht leicht ist, Achtsamkeit und Selbstmitgefühl nur durch theoretisches Studium zu verstehen, enthält das Buch auch praktische Übungen, die es ermöglichen, Achtsamkeit und Selbstmitgefühl erfahrungsorientiert kennenzulernen.
Liebe Leserinnen und Leser, ich bitte Sie: Nehmen Sie sich während des Lesens immer wieder einen Moment Zeit, um zu atmen und zu üben, und treten Sie kurz von den wissenschaftlichen Konzepten zurück. Sie werden...