E-Book, Deutsch, 208 Seiten, Format (B × H): 150 mm x 215 mm
Benedikter Technologievision Südtirol 2030
1. Auflage 2025
ISBN: 978-88-6839-845-3
Verlag: Athesia-Tappeiner Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Elemente für die Landes-Technologiezukunft
E-Book, Deutsch, 208 Seiten, Format (B × H): 150 mm x 215 mm
ISBN: 978-88-6839-845-3
Verlag: Athesia-Tappeiner Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Welche Zukunftstechnologien werden Südtirol in den kommenden Jahren prägen? Und wie können sie bestmöglich zum Wohl von Bürgern und territorialer Gemeinschaft eingesetzt werden? Diese Fragen bilden den Hintergrund für eine Landes-Technologievision. Für diese Vision werden in diesem Buch leicht zugänglich, allgemein verständlich und auf wissenschaftlicher Grundlage Elemente bereitgestellt. Die Autorinnen und Autoren zeigen Ansätze und Optionen für Südtirols Technikzukunft in einer gesamtgesellschaftlichen und offenen Entwicklungsperspektive auf.
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KAPITEL 2
Voraussetzungen für eine ganzheitliche Technologievision Südtirol: Die drei Bausteine Zukunftstechnologien, soziale Ökosysteme und Wissensökologie miteinander verbinden
Roland Benedikter Eurac Research Bozen, Center for Advanced Studies und UNESCO-Lehrstuhl für Interdisziplinäre Zukunftsvorwegnahme und Global-Lokale Transformation, Zukunftskreis des Deutschen Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) für die deutsche Bundesregierung 2019–2023 Wirtschaft und Technologie bilden heute eine immer stärkere Einheit. Ihr Überschneidungspunkt entfaltet auch für den Standort Südtirol zunehmende Bedeutung. Die Konvergenz von Wirtschaft, Technologie, Wissenschaft und ganzheitlich geplanter Zukunftsvorwegnahme erfolgt am Schnittpunkt zu Kernbereichen wie Industrie, Finanzwesen, Bauwesen, Dienstleistungssektor, Landwirtschaft und Tourismus, die ebenfalls allesamt von Technologie immer stärker beeinflusst werden. Technologie wird in den kommenden Jahren zum Brücken-, Integrations- und Umgestaltungstreiber, der ins Zentrum unserer Gesellschaft rückt. Südtirol hat sich bereits seit Jahren darauf vorbereitet. Unser Land hat die wichtigsten Weichen gestellt, um Technologiezukünfte für Anziehungskraft und Sektoren-Innovation in der Gemeinschaft zu nutzen. Dabei sollte, so alle Landes-Entwicklungspläne, das Gemeinwohl im Mittelpunkt stehen, um Teilhabe zu erweitern und Ungleichheit zu vermindern. Der idealistische Ausgangspunkt für kommende Innovationswellen: Befreiungstechnologie
Die Situation, dass Technologie für Territorien wie Südtirol mit jedem Jahr einflussreicher wird, ist nicht neu. Die Lage entwickelt sich schnell – und präsentiert immer neue Möglichkeiten und Herausforderungen. Nach Anlauf- und Inkubationsphasen seit den 1990er Jahren kann Technologie-Innovation in den 2020er Jahren laut Forschungseinrichtungen wie Max-Planck-Gesellschaft und Universitäten wie Stanford und MIT erstmals tatsächlich zur Befreiungstechnologie für Gesellschaften werden – wenn sie ganzheitlich, systematisch, sozial integriert, dialogisch und partizipativ erfolgt. „Befreiung“ bedeutet in diesem Bereich: Zukunftstechnologie kann sowohl die Beteiligung wie die Autonomie der Bürger verbessern. Sie kann sowohl Selbsttätigkeit und Initiative wie Vernetzung, Interaktivität und Gemeinschaftsbewusstsein stärken. Damit kann sie besser als in vergangenen Entwicklungsphasen dazu beitragen, persönliche Freiheit in einer solidarischen Gesellschaft weiterzuentwickeln. Das gilt in erster Linie für Territorien, die sich frühzeitig um die Einführung, Zusammenführung, Anpassung und Anwendung neuer Technologie-Entwicklungen im öffentlichen Interesse kümmern – und sie territorial und zwischen den Sektoren ausgeglichen umsetzen, wobei den Schnittstellen eine besondere Bedeutung zukommt. Die erste Phase
Wichtig als Voraussetzung für den – zunächst idealistisch gemeinten – Einsatz von Technologie als „Befreiungstechnologie“ ist, den Qualitätssprung in der sozialen Wirkungsvielfalt von Technologie zu sehen, der sich in den vergangenen Jahren vollzogen hat. Wir erleben derzeit den Übergang von der ersten zur zweiten Phase der Befreiungstechnologie. Die erste Phase erfolgte seit Anfang der 2000er Jahre. Sie verstand „Befreiung durch Technologie“ als die Kombination von Computer und Internet, die nötige Bildung zu deren Gebrauch und die weitestmögliche Verbreitung dieser drei Grundpfeiler der digitalen Gesellschaft. Das sollte für die Emanzipation aller Bürger mittels gleichen Zugangs zu Information und Wissen sowie für die Ausbildung entsprechender Fähigkeiten der Selbstorientierung und der Eigenaktivität auch bei den nachwachsenden Generationen sorgen. Später meinte „Befreiungstechnologie“ den Einsatz von Smartphones und anderen Aufzeichnungsgeräten zur Steigerung von Transparenz, Dokumentation und Bekämpfung unlauterer Praktiken und zur Verbesserung von Regierungs- und Verwaltungsabläufen mittels interaktiver Bürger-Rückmeldungen samt Möglichkeit jederzeitiger Veröffentlichung zum Beispiel in sozialen Medien. Diese Ansätze wurden von den Sozialwissenschaften in demokratischen Gesellschaften der Welt begleitet und gefördert. Dazu wurden nach und nach auch ganze akademische Programme gegründet, darunter das für ähnliche Initiativen beispielgebende „Programm für Befreiungstechnologie“ (Program on Liberation Technology) an der Stanford Universität in Silicon Valley.2 Diese erste Phase der bewussten Verwendung von Technologie für das – zunehmend als unauflöslich gedachte – Tandem von individueller Emanzipation und gemeinschaftlichem Fortschritt löste große Begeisterung aus, und zwar sowohl bei jenen, die sie betrieben, als auch bei denen, die in ihren Genuss kamen. Regierungen und Verwaltungen sahen dies als Profilierung und Schulterschluss in progressiver Weiterentwicklung von Demokratie. Die erste Phase stieß aber mit der raschen Veränderung des Technologiebereichs, insbesondere der Computer-Internet-Schnittstelle, mittels immer umfassenderer – und trans-sektorial vernetzter – Kommerzialisierung von Internet, sozialen Medien und Information, dem Aufstieg der „Datenausbeutungswirtschaft“ (data extraction economy) und dem steigenden Einfluss von Monopolen schon bald an ihre Grenzen. Viele sprachen ab den 2010er Jahren statt von Befreiung von einer zunehmenden Gefahr der Verengung gesellschaftlicher Spielräume durch Technologie: nämlich von „Algokratie“ – also der „alles durchdringenden“ wirtschaftlichen, politischen und sozialen Herrschaft der Algorithmen, die die Gesellschaft schon bald unter ihre Fittiche nehmen würde. Die zweite Phase
Die seit Mitte der 2010er Jahre einsetzende zweite Phase der Befreiungstechnologie erkennt dieses veränderte Umfeld und arbeitet mit ihm. Ihr Ziel ist, die Ansätze der ersten Phase auf eine neue Ebene zu heben. Dazu findet, wie in anderen gesellschaftlichen Sektoren, eine gewisse Entpolitisierung statt, was traditionelle ideologische Richtungen betrifft. Im Unterschied zur ersten (linksprogressiven) Phase will die aktuelle zweite Phase nichts mehr mit Ideologie zu tun haben – auch keiner technophil fortschrittsorientierten. Ziel sind jetzt fast ausschließlich pragmatische Verbesserungen des Alltagslebens. Die zweite Phase der Befreiungstechnologie versteht sich als politisch nur mehr insofern, als sie das Soziale verbessern will. Dabei ist der Übergang von der bisherigen Parallelentwicklung zum systematischen Verschmelzungsmechanismus neuer Technologien entscheidend. Es sind inzwischen intelligente und interaktiv lernende globale Netzwerke entstanden, die sehr verschiedene, zunehmend dezentralisierte Technologien miteinander kommunizieren lassen – und sie in vielen Einzelanwendungen gezielt auf Kontexte bezogen integrieren. Dadurch entsteht ein Netz von „Knotentechnologien“, die sich gegenseitig ständig weiter vorantreiben, indem sie sich immer neu an unterschiedliche Realitäten anpassen – und dabei an ihren Erfahrungen ständig weiter lernen, indem sie diese transversal austauschen. Diese neuen Knotentechnologien dringen nach und nach in die meisten Arbeits- und Lebensbereiche ein. An ihren Überschneidungspunkten sind sowohl graduelle Steigerungen wie disruptive „Sprünge“ bestehender Technologieanwendungen im Vollzug. Als Treiber agieren die Verbreitung von 5G, die Entstehung neuromorpher Netzwerke, der Erwerb deduktiver Sinneswahrnehmung durch Künstliche Intelligenzen, die Entstehung und Vernetzung immer mehr verschiedener, nämlich unterschiedlich kontextualisierter und individualisierter „generativer“ Künstlicher Intelligenzen, und der Übergang des Computers zum lernenden Hybrid aus Quanten- und Biocomputer, der ein Vielfaches bisheriger Leistungen erbringen kann und damit auch alle anderen Digitalisierungsbereiche auf ein neues Niveau heben wird.3 In Kombination dieser und weiterer Entwicklungen ist die „zweite Phase“ der Befreiungstechnologie voraussichtlich bis in die 2030er Jahre hinein imstande, tiefer in die Sozial- und Lebensstrukturen einzugreifen, als es die erste, aus heutiger Sicht noch eher traditionell emanzipationsorientierte Welle ahnen konnte. Als Preis für diese höhere Effizienz birgt die aktuelle Technologie-Entwicklung aber auch größere Mehrdeutigkeiten und Risiken. Darunter ist eine rasch steigende Anzahl von „Dual-Use“-Entwicklungen und -Anwendungen. Das sind Anwendungen, die widersprüchlich und oft sogar gegensätzlich genutzt werden können, was traditionelle ethische oder politische Regelungen schwer bis unmöglich macht. In der Fachsprache charakterisiert die Wissenschaft deshalb die zweite Phase der Befreiungstechnologie durch die Kombination von Hypertechnologie mit Tiefenambivalenz.4 Weil vieles in der aktuellen Technologiephase durch Irreversibilität gekennzeichnet ist, können wir hinter diese Kombination gesteigerter Möglichkeiten mit gesteigerten Risiken kaum mehr zurückgehen. Wir müssen,...