Benz | Deutsche Herrschaft | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 480 Seiten

Benz Deutsche Herrschaft

Nationalsozialistische Besatzung in Europa und die Folgen

E-Book, Deutsch, 480 Seiten

ISBN: 978-3-451-82572-9
Verlag: Verlag Herder
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Dieses Buch füllt eine Lücke. Die Zivilbevölkerung in den nationalsozialistisch besetzten europäischen Nationen spielt in der Erinnerung an die Opfer bislang kaum eine Rolle. Im Mittelpunkt dieser nach Ländern und Regionen gegliederten Darstellung stehen daher nicht militärische Ereignisse, sondern das Schicksal der Zivilbevölkerung, der Alltag unter der Okkupation, der Widerstand der Besetzten sowie der Terror der Besatzungsmacht. Das Buch leistet einen notwendigen Beitrag zur aktuellen und andauernden Debatte über ein Polendenkmal und das Dokumentationszentrum für alle Opfer der NS-Besatzungspolitik in Berlin.
Benz Deutsche Herrschaft jetzt bestellen!

Weitere Infos & Material


Wolfgang Benz
EINLEITUNG:
TERROR ALS HERRSCHAFTSPRINZIP
NATIONALSOZIALISTISCHER OKKUPATION
Präventives Vorgehen gegen potenziellen Widerstand gehörte zum Herrschaftsprinzip des Nationalsozialismus. Die Inhaftierung und Terrorisierung von politischen Gegnern, Andersdenkenden, nicht Anpassungswilligen, Regimekritikern begann unmittelbar nach dem Machterhalt der NSDAP in Deutschland im Frühjahr 1933. Die Geheime Staatspolizei wurde als Organ terroristischer Herrschaftspraxis institutionalisiert, die Konzentrationslager waren Vollstreckungsorte einer keinem Gesetz und keiner Institution der Justiz unterliegenden Verfolgung unter der Bezeichnung „Schutzhaft“. Heinrich Himmler vereinigte als „Reichsführer SS und Chef der Deutschen Polizei“ alle exekutive Gewalt in seiner Hand: die Polizei als Organ des staatlichen Gewaltmonopols und die SS als nur dem Führerwillen unterworfenes Herrschaftsinstrument der NS-Ideologie. Die Verschmelzung von SS und Polizei verwischte die Grenzen zwischen normativ kontrolliertem staatlichen Handeln und im Vollzug nationalsozialistischer Ideologie ausgeübter Willkür. Deutschland war längst kein Rechtsstaat mehr, als Himmler 1937 die Institution der „Höheren SS- und Polizeiführer“ einrichtete. Diese ihm direkt unterstellten, quasi als Statthalter dienenden, ihm treu ergebenen, sorgfältig ausgesuchten SS-Generäle waren im Deutschen Reich als Territorialherren der Exekutive vielfacher Konkurrenz durch andere Instanzen ausgesetzt. In den besetzten Gebieten unter Zivil- oder Militärverwaltung gaben die Höheren SS- und Polizeiführer jedoch als Instanzen institutionalen Terrors den Ton an und agierten ungeachtet anderer ziviler und militärischer Kompetenzen – nicht nur im Generalgouvernement, wo die SS weit mehr Macht ausübte als das zivile Okkupationsregime, wo der Höhere SS- und Polizeiführer Krüger de facto größeren Einfluss besaß und größere Durchsetzungskraft hatte als der Generalgouverneur Hans Frank. Die Höheren SS- und Polizeiführer hatten bei der Realisierung deutscher Ziele – Rassenpolitik und Völkermord an den Juden und Roma, Germanisierung und ökonomische Ausbeutung – wie beim Versuch, Widerstand gegen diese Ziele zu brechen, die entscheidende Position. Das Prinzip des Terrors wurde mit der Ausdehnung des Herrschaftsgebietes auf alle Territorien unter deutschem Einfluss übertragen.[1] In Österreich wurden unmittelbar nach dem „Anschluss“ im März 1938 Exponenten politischer Parteien, von den Konservativen bis zu den Kommunisten, von denen Widerstand oder Nichteinverständnis mit dem NS-System zu erwarten war, in das Konzentrationslager Dachau deportiert. Das wiederholte sich mit der Annexion des tschechischen Territoriums, das im Frühjahr 1939 als „Protektorat Böhmen und Mähren“ Kolonie des Deutschen Reiches wurde. Es wiederholte sich abermals nach der Okkupation Polens durch die Annexion seiner Westgebiete und die Kolonialisierung des „Generalgouvernements“.[2] Das System der Herrschaft bestand aus einer von deutschen Befehlen abhängigen tschechischen Protektoratsregierung unter einem deutschen Reichsprotektor. Das war der ehemalige Außenminister Konstantin von Neurath, flankiert vom Staatssekretär Karl Hermann Frank, der zugleich Höherer SS- und Polizeiführer für das Protektorat war. Das Gespann aus dem Diplomaten von repräsentativer Distinktion und dem brutalen, tschechenhassenden SS-Offizier als Exekutive im Range eines Staatssekretärs agierte mit präventiver Gewalt gegen potenziellen Widerstand. Im März 1939 richtete sich die „Aktion Gitter“ gegen Kommunisten, Sozialdemokraten und andere Antifaschisten; von den über 6000 Verhafteten blieb ein Viertel dauerhaft in Konzentrationslagern. Ende August 1939 wurden in einer anderen Aktion (unter dem Decknamen „Albrecht I.“) rund 2000 Persönlichkeiten der tschechischen Intelligenz aus allen Bereichen der Wirtschaft und Kultur als Geiseln erst in das KZ Dachau und dann nach Buchenwald verschleppt. Nach tschechischen Massendemonstrationen wurden als Vergeltung am 17. November 1939 Studentenheime besetzt, 1200 Studierende wurden in das KZ Sachsenhausen deportiert, neun Studentenführer wurden erschossen, alle Hochschulen wurden – laut Ankündigung auf drei Jahre, nach deutscher Intention für immer – geschlossen.[3] Die Maßnahmen der Besatzungsmacht hatten eine Radikalisierung des Widerstands im „Protektorat“ zur Folge. Karl Hermann Frank und Konstantin von Neurath riefen in Berlin um Hilfe. Diese wurde entsandt in Gestalt des Chefs des Reichssicherheitshauptamtes, SS-Obergruppenführer Reinhard Heydrich, der als stellvertretender Reichsprotektor ab 27. September 1941 den starken Mann in Prag demonstrierte. Heydrich beabsichtigte, jede Widerstandsregung und jeden Widerstandswillen durch Terror zu unterdrücken: „Wir werden die Leute nicht gewinnen – das wollen wir nicht und es wird uns auch nicht gelingen. Wir werden nur praktisch ganz klar durch Propaganda und Maßnahmen usw. allen klarmachen müssen, daß es real für den Tschechen das günstigste ist, wenn er im Augenblick viel arbeitet […] die Hauptsache ist, daß er ruhig ist, denn wir brauchen diese Ruhe und Stille für die endgültige Vereinnahmung dieses Raumes.“[4] Vollzogen wurde die Pax Germanica durch Verhaftungen von vielen Tausenden, durch Hunderte von Standgerichtsurteilen und, gleich zu Beginn der Herrschaft Heydrichs, durch einen Prozess, in dem der tschechische Premierminister Alois Eliáš zum Tod verurteilt wurde. Terror wurde als omnipräsentes Machtmittel eingesetzt und verstärkte den tschechischen Widerstand. Nicht mehr präventiv, sondern als Repressalie wurde der Terror gegen die tschechische Bevölkerung ausgeweitet, als Prinzip der Besatzungsherrschaft, ausgeübt durch die Zivilverwaltung mit Hilfe der SS. Das Vorgehen gegen die tschechische Bevölkerung wiederholte sich in Polen. Das Kriegsrecht und in noch viel höherem Maße die Methoden deutscher Kriegführung boten zusätzliche Möglichkeiten und Argumente für präventive und repressive Maßnahmen, die als „Vergeltung“ deklariert waren, als „Aktionen“ bezeichnet wurden und meist Massaker gegen Unschuldige waren. In Böhmen wurde auf höchsten Befehl ein Exempel statuiert, das Maßstäbe setzte. Am 9. Juni 1942 hatte man Reinhard Heydrich, der als stellvertretender Reichsprotektor in Prag am 27. Mai 1942 Opfer eines Attentats geworden war, in Berlin prunkvoll beerdigt. Auf eine vage Verdächtigung hin, dass eine Spur zu den Attentätern (von denen die Gestapo nur wusste, dass es tschechische Fallschirmspringer waren) ins tschechische Bergarbeiterdorf Lidice bei Kladno führe, befahl Hitler, alle erwachsenen Männer in Lidice zu erschießen, die Frauen ins Konzentrationslager einzuweisen, die Kinder, soweit „eindeutschungsfähig“, in SS-Familien ins Reich zu vermitteln und die Ortschaft dem Erdboden gleichzumachen. 199 Männer wurden erschossen, 184 Frauen kamen ins KZ Ravensbrück (52 starben dort), 80 Kinder, die nicht „eindeutschungsfähig“ schienen, wurden in den Gaskammern von Chelmno ermordet. Die unglücklichen Einwohner von Lidice hatten mit dem Attentat auf Heydrich nichts zu schaffen, das Dorf war für die Repressalie auf unbestätigten Verdacht hin ausgewählt worden, um Hitler zu beruhigen. Die Beweise, Waffen und ein Funkgerät, hatte die Gestapo mitgebracht und in der Mühle von Lidice versteckt.[5] Im Gegensatz zu Lidice hatte sich im ostböhmischen Dorf Ležáky tatsächlich ein tschechischer Fallschirmspringer, der ein Funkgerät besaß, verborgen. Am 24. Juni 1942 wurde das Dorf überfallartig von Gestapo und einer SS-Einheit besetzt. Die Einwohner wurden ins Gefängnis Pardubitz verschleppt, 34 sind sofort erschossen worden, unter ihnen 18 Frauen. Nur zwei von 13 Kindern überlebten. Das Dorf wurde erst geplündert und dann dem Erdboden gleichgemacht wie Lidice (das ist wörtlich zu verstehen, dort hatten die Deutschen sogar den Dorfteich zugeschüttet).[6] Mit Lidice und Ležáky gab es Muster für die Repressalienpolitik, an denen sich in allen Territorien unter deutscher Besatzung die Befehlshaber orientieren konnten. Die Barbarisierung der Kriegführung war kein Privileg der SS. Die Lebenslüge einer Generation unterschied jahrzehntelang zwischen der verbrecherischen SS und der angeblich untadeligen Wehrmacht. Aber auch die Wehrmacht verfolgte das Prinzip der Repressalie weit über jedes völker- und kriegsrechtlich tolerierte Maß hinaus. Ein Befehlsentwurf des Oberbefehlshabers der 12. Armee, General Kuntze, vom Februar 1942 illustriert die Einstellung: „Drakonische Sühnemaßnahmen! Keine Gefühlsduselei! Es ist besser, daß 50 Unschuldige liquidiert werden, als daß ein deutscher Soldat zugrunde geht.“[7] In den „Richtlinien für die Behandlung der Aufständischen in Serbien und Kroatien“ vom 19. März finden sich Passagen aus diesem Befehlsentwurf, die das deutsche Vorgehen im „Bandenkrieg“ rechtfertigen sollten: „Dem deutschen Soldaten steht in Serbien und Kroatien in den Aufständischen ein brutaler, hinterhältiger und verschlagener Gegner gegenüber, der vor keinem Mittel zurückschreckt, meist einen Rückhalt an der feindlich gesinnten Bevölkerung findet und die Befriedung und wirtschaftliche Ausnutzung des Landes untergräbt. Der deutsche Soldat muß deshalb noch verschlagener und noch rücksichtsloser sein und alle Mittel anwenden, die zum Erfolg führen.“[8] Die Diktion des Wehrmachtsgenerals unterschied sich wenig von der des...


Wolfgang Benz, Prof. Dr., geb. 1941, ist einer der renommiertesten deutschen Zeithistoriker. Er lehrte von 1990 bis 2011 an der Technischen Universität Berlin und leitete das Zentrum für Antisemitismusforschung an der TU. In seinen Forschungen und Veröffentlichungen beschäftigt sich Wolfgang Benz mit Vorurteilen und ihren Ausprägungen in Antisemitismus, Antiziganismus, Fremdenfeindlichkeit und Rassismus und veröffentlichte zahlreiche Standardwerke zur Geschichte des Nationalsozialismus. 1992 erhielt er den Geschwister-Scholl-Preis, 2012 wurde er mit dem Preis des Vereins "Gegen Vergessen – Für Demokratie" ausgezeichnet.


Ihre Fragen, Wünsche oder Anmerkungen
Vorname*
Nachname*
Ihre E-Mail-Adresse*
Kundennr.
Ihre Nachricht*
Lediglich mit * gekennzeichnete Felder sind Pflichtfelder.
Wenn Sie die im Kontaktformular eingegebenen Daten durch Klick auf den nachfolgenden Button übersenden, erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Ihr Angaben für die Beantwortung Ihrer Anfrage verwenden. Selbstverständlich werden Ihre Daten vertraulich behandelt und nicht an Dritte weitergegeben. Sie können der Verwendung Ihrer Daten jederzeit widersprechen. Das Datenhandling bei Sack Fachmedien erklären wir Ihnen in unserer Datenschutzerklärung.