E-Book, Deutsch, 198 Seiten
Berger La Patera
1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-7116-0228-2
Verlag: novum Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Das weiße Fell der Ziege
E-Book, Deutsch, 198 Seiten
ISBN: 978-3-7116-0228-2
Verlag: novum Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Arnaud Calvez wird in Dinan in der Bretagne als Sohn eines Gewürzhändlers geboren. Doch er sehnt sich nach mehr als einem ruhigen Leben in den Fußstapfen seines Vaters: Er möchte das Heilige Land sehen. Also tritt er mit sechzehn Jahren dem christlichen Ritterorden der Templer bei und folgt im Jahre 1185 ihrem Ruf zur Verteidigung Jerusalems. In dieser aufregenden Reise durch das Hochmittelalter findet er nicht nur zu einem neuen Glauben, sondern auch die Liebe und eine Schale, die das Schicksal der Menschheit für immer verändern sollte.
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Kapitel 1 Chateau Gisors im Jahre 1183 Arnaud Calvez trat im Alter von achtzehn Jahren in die Dienste des Templerordens ein. Mit einer Unterschrift der Willenserklärung hatte er vor einer Woche sein Schicksal besiegelt. Er würde gegen den Willen seines Vaters die Arbeit in der nächstgelegenen Burg der Ordensherren aufnehmen. Nun auf dem Weg zu ihnen stockte ihm beim Anblick der Burg Gisors der Atem. Die Burg lag auf einer Anhöhe und war von einer runden, meterhohen Mauer umgeben. In der Mitte ragte auf der Motte* ein mächtiger Donjon empor. Von dem Wehrturm aus konnte das umgebende Land kilometerweit überblickt werden. Die Burg Gisors lag an der alten Römerstraße, welche von Paris in die Normandie führte. „Komm schon, Junge“, sagte der alte Händler aus Dinan, der ihn aus seiner Heimatstadt mitgenommen hatte. Auf seinem Ochsenkarren sitzend, eine Flasche Wein in seinen Händen und immer ein Lied auf den Lippen, war er mit seinem Leben zufrieden. Nicht so Arnaud. Er wollte die Welt kennenlernen. Hinaus aus dem kleinbürgerlichen Leben seiner Familie. Er wollte partout nicht in die Fußstapfen seines Vaters als Gewürzhändler treten und hatte sich deshalb für ein Leben bei den Templern entschieden. Diese hatten Burgen in ganz Europa und schützten die Pilgerrouten ins Heilige Land. Das Heilige Land zu sehen, das war sein Traum. * La Motte, altfranzösisch für Erdklumpen, ist der Erdhügel, auf dem die Burgen im Mittelalter zur besseren Verteidigung errichtet wurden. Der Teppich Nr. 19 von Bayeux beschreibt die Belagerung von Dinan durch Wilhelm, den Eroberer(3). An der Außenmauer der Burg hingen die weißen Schilder mit rotem Kreuz, die Insignien der Templer. Nachdem sie den Burghügel erklommen hatten, standen sie vor dem riesigen Eingangstor, welches durch zwei schwere, nach oben hin abgerundete Eichentüren gesichert war. „Wer begehrt Einlass?“, fragte die Wache. „Ach, du bist es François“, sagte der Templer, nachdem sich der Händler zu erkennen gegeben hatte. „Wen hast du denn da im Schlepptau?“ „Einen jungen Burschen aus Dinan, er möchte in eure Dienste treten.“ „Lass mich deine Papiere sehen!“, forderte der Wachmann. „Arnaud Calvez aus Dinan“, murmelte er. „Gut, ihr könnt passieren. Hast du den guten Wein dabei, François?“ „Natürlich, zwei Fässer.“ „Und du, junger Mann, melde dich beim Drapier, du findest ihn im großen Haus unterhalb des Donjons gleich neben der Eisentür.“ Als Arnaud die hohen Mauern der Burg hinter sich gebracht hatte, war er erstaunt vom geschäftigen Treiben, welches sich dahinter abspielte. Der Donjon und der innere Zirkel der Burg waren von einer weiteren Mauer geschützt, welche nur einen Eingang über eine steinerne Treppe und ein großes schmiedeeisernes Tor hatte. Unmittelbar davor waren Ritter und Knappen mit Übungen für den Schwertkampf beschäftigt. Anstatt der scharfen Klingen wurden Deckung und Kampftechnik mit hölzernen Schwertern geprobt und nicht selten ging einer der Übenden mit einem lauten Stöhnen zu Boden. Arnaud ging zu einem der Kämpfenden. „Wo finde ich den Drapier?“ „Gleich im Haus da drüben, welches an der Mauer zum Donjon liegt“, sagte der Junge mit gebrochener Stimme. Er erholte sich nur langsam von dem Hieb auf den Rücken, den er soeben erhalten hatte. Arnaud dankte ihm höflich und überquerte den Übungsplatz in Richtung des großen Hauses. An der Eingangstür stand ein korpulenter Mann und beobachtete mit prüfendem Blick die Schwertkämpfe. Arnaud trat auf ihn zu und zeigte ihm seine Papiere. „Aus Dinan? So, so. Ich bin Richard de Delincourt, der Drapier dieser Komturei. Wenn du in deinem Leben bisher nicht Disziplin und Gottesfürchtigkeit gelernt hast, so werden wir es dir beibringen“, sprach er mit einem strengen Blick. „Kannst du lesen und schreiben?“ „Ja, ich war drei Jahre bei den Benediktinern in Mont Saint Michel.“ „Dann müsstest du Bruder Phillipp kennen, er ist ein guter Freund von mir und wir halten seit Jahren Briefkontakt.“ „Er war mein Lehrer“, erwiderte Arnaud mit einem breiten Grinsen. Arnaud erinnerte sich an seine Zeit auf dem Klosterfelsen. Wenn seine Studien beendet waren, musste er täglich den Säulengang neben der heiligen Kapelle kehren. Er liebte den Vorplatz der Kirche, denn von dort konnte man das Meer in allen Himmelsrichtungen überblicken. In der Ferne sah er im Westen die Schiffe, welche nach St. Malo einliefen. Ihre Segel zeugten davon, dass sie aus fernen Ländern dem Hafen zusteuerten. Nach Norden hin war die offene See, aber Richtung Süden konnte man bei Ebbe sehen, wie sich das Meer vom Felsen zurückzog und den sandigen Boden preisgab. Es war ein beeindruckendes Schauspiel der Natur, welches sich zweimal am Tag vollzog. Nur kleine Ströme von Wasser bahnten sich dann mäanderförmig ihren Weg Richtung Festland. Arnaud liebte den Geruch des Meeres, diese Mischung aus verwesendem Seetang, gepaart mit dem Duft der Muscheln. „Blick dich um!“, sollte Bruder Phillipp sagen, „die Welt gehört dir, mein Junge.“ Arnaud wurde jäh durch die forschen Worte des Drapiers aus seinen Erinnerungen gerissen. „Gut, das werden wir morgen überprüfen. Dein bisheriges Leben endet hier und jetzt, du wirst nie wieder der sein, der du einmal warst. Entkleide dich und nimm dir einen der braunen Mäntel. Folge mir!“, befahl er, „ich werde dich einweisen.“ Richard de Delincourt war von gedrungener Gestalt und hatte weißes, wallendes Haar und einen Kinnbart, welcher nach vorne spitz endete. Er trug den weißen Mantel der Templer mit rotem Kreuz und seine Gesichtszüge hatten etwas Gütiges, außer, wenn er mit der ihm innewohnenden Autorität sprach. „Da drüben sind die Stallungen und gleich daneben befindet sich deine Schlafstatt.“ Delincourt zeigte zu den Gebäuden im Osten der Burg. Arnaud folgte ihm und betrachtete sein neues Zuhause. Der Korridor der Knappen war sparsam eingerichtet, nur ein Tisch in der Mitte mit wackeligen Stühlen und eine Reihe von Betten mit Strohmatratzen. „Du kannst dieses Bett haben. Es gehörte Berengar, einem meiner Diener. Er ist vorigen Monat verstorben. Sollte Bruder Phillipp bei deiner Erziehung gute Arbeit geleistet haben, wirst du seinen Platz einnehmen. Die Heilige Messe wird fünfmal täglich gelesen und der Besuch ist verpflichtend. Wenn du im Krankheitsfall nicht daran teilnehmen kannst, musst du dreizehn Pater Noster beten. Verstanden?“, sagte Richard mit ernster Miene. „Sehr wohl, Meister.“ „Wenn du dich erleichtern musst, findest du an der Außenseite der Mauern einen Aborterker. Komm, Arnaud, ich zeige dir unseren Heiligsten Ort.“ Die Kapelle der Burg war sowohl von außen als auch im Inneren nicht an Schönheit zu überbieten. Die mehrbahnigen Maßwerkfenster verliehen dem Innenraum eine helle Atmosphäre, gepaart mit schier unendlichen Reflexionen aus den bunten Fenstern. Die Erbauer wollten mit den farbigen Fenstern, welche aus tausenden in Blei gefassten Gläsern bestanden, das Aufgehen der irdischen Existenz in einem mystischen Farbraum schaffen. Arnaud war tief beindruckt und völlig überwältigt von der Aura, die diesen Raum erfüllte. „Darf ich noch etwas verweilen, Meister?“, fragte er. „Natürlich, wir sehen uns bei der Vesper.“ Nach dem bescheidenen Abendmahl, bei dem sich alle Anwesenden in Schweigen gehüllt hatten, begab sich Arnaud in seine Unterkunft. Er wurde von den anwesenden Knappen und Sergeanten keines Blickes gewürdigt und verkroch sich in seine Strohmatte. Die Nacht hatte sich schon über die Burg gesenkt und Arnaud lag immer noch wach, den Kopf voller Fragen: „War es die richtige Entscheidung gewesen, sich den Templern anzuschließen? Wie wird mein Leben ab nun verlaufen?“ „Bist du noch wach?“, fragte eine Stimme vom Bett neben ihm. „Ja“, sagte Arnaud. „Wie heißt du?“ „Ich bin Arnaud Calvez aus Dinan. Wer bist du?“ „Ich heiße Simon Faiblos. Mach dir keine Sorgen, das ist am ersten Tag immer so. Ich bin schon fast mein ganzes Leben hier, du wirst es mögen. Schlaf gut Arnaud.“ Am nächsten Morgen wurde Arnaud durch ein kräftiges Rütteln jäh aus seinen Träumen gerissen. „Arnaud, steh auf, wir müssen zur Messe!“ „Was, jetzt schon? Es ist noch dunkel draußen.“ „Komm schon!“, erwiderte Simon ungeduldig und die beiden machten sich auf den Weg zur Kapelle. Dabei fiel Arnaud auf, dass Simon am linken Bein hinkte und sein Fuß eine komische Form hatte. „Was ist mit deinem Bein?“ „Das habe ich schon seit meiner Geburt, mein Fuß ist verklumpt, die Mönche nennen es ‚pied bot‘. Es tut nicht weh, aber für den Dienst mit der Waffe bin ich nicht geeignet.“ In der Kapelle hatten sich schon alle zum Morgengebet versammelt und Richard de Delincourt warf den beiden jungen Knappen einen ernsten Blick zu. Die Messe begann mit dem Psalm „Venite“ und endete so wie auch die Mette mit dem „Gloria patri“ zum Ruhme der Trinität. Erst als sich der Großmeister und die zelebrierenden Kapläne erhoben hatten, durften die Sergeanten und Knappen ebenfalls aufstehen und die Kapelle verlassen. Nach der Messe gab es ein bescheidenes Frühstück aus Brot und Suppe. Arnaud hatte gerade sein Mahl beendet, als sein Name gerufen wurde. „Arnaud Calvez, du sollst dich sofort beim Drapier melden!“, schrie ein Sergeant. „Jawohl, Bruder“, erwiderte dieser und begab sich unversehens zum Haus von Richard. „Nun, mein Sohn, lass uns sehen, was Bruder Phillipp dir beigebracht hat.“ Auf dem Tisch lag ein Bündel von Papieren. „Das sind die Rechnungen für Verpflegung und die Bestellungen für Bekleidung für diese Woche. Ich möchte, dass du eine Liste erstellst und den Bedarf errechnest. Kennst du dich mit...