Bergmann | Der Rabbi und der Kommissar: Du sollst nicht morden | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, Band 1, 288 Seiten

Reihe: Die Rabbi-und-Kommissar-Reihe

Bergmann Der Rabbi und der Kommissar: Du sollst nicht morden

Kriminalroman
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-641-27239-5
Verlag: Heyne
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Kriminalroman

E-Book, Deutsch, Band 1, 288 Seiten

Reihe: Die Rabbi-und-Kommissar-Reihe

ISBN: 978-3-641-27239-5
Verlag: Heyne
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Henry Silberbaum ist kein Rabbi, wie er im Buche steht. Er liebt Kriminalromane, Polohemden, seine Espressomaschine und sein Rennrad. Aber auch seine Schüler und die Bewohner des Jüdischen Seniorenstifts in Frankfurt liegen ihm am Herzen. Als eine alte Dame überraschend stirbt, ist sich der Rabbi sicher: Das war Mord! Doch keiner glaubt ihm. Kann er den brummigen Kommissar Berking davon überzeugen, der ihn kürzlich verhaftet hat? Henry riskiert seinen Job, um die Wahheit zu finden. Und plötzlich befinden sich der Rabbi und der Kommissar mitten in einem lebensgefährlichen Mordkomplott.

Michel Bergmann, geboren 1945 in Basel, Kinderjahre in Paris, Jugendjahre in Frankfurt am Main. Nach Studium und Job bei der »Frankfurter Rundschau« landete er beim Film: zuerst als Producer, dann als Regisseur, zuletzt als Drehbuchautor u. a. für »Otto – Der Katastrofenfilm«, »Es war einmal in Deutschland«. Ab 2010 schrieb er vor allem Romane: u. a. »Die Teilacher«, »Herr Klee und Herr Feld«, »Weinhebers Koffer«, »Mameleben: oder das gestohlene Glück«. Mit der Reihe um den ermittelnden Rabbi Henry Silberbaum trat er auch als Krimiautor in Erscheinung. 2025 ist Michel Bergmann verstorben.
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1


Die Trabrennbahn ist in grelles Flutlicht getaucht. Die Fahrer in ihren Sulkys rollen zum Start. Pferde wiehern und stampfen widerwillig mit den Hufen. Verzerrte Lautsprecherdurchsagen sind zu vernehmen, gefolgt von Stimmungsmusik, die an einen Zirkus erinnert. Auf und hinter der Tribüne, zwischen Wurstbuden und Souvenirständen herrscht eine angespannte Atmosphäre. Über der gesamten Szenerie hängt ein Hauch von Gestern.

Eine Menschenmenge staut sich vor den Wettschaltern, die nebeneinander in einer langen, hölzernen Baracke untergebracht sind. Jeder versucht noch seinen Tipp loszuwerden, während über die quäkenden Lautsprecher das vierte Rennen des Abends angekündigt wird: der große Preis von Hessen für ältere Traberstuten, Distanz tausendsechshundert Meter. In fünf Minuten soll es losgehen.

Ein Mann drängt sich vor einem Schalter geschickt am Pulk der Wartenden vorbei, die just in diesem Moment in Streit geraten. Der Mann trägt einen Trenchcoat mit hochgestelltem Kragen, ein Fernglas um den Hals und einen Hut, den er tief in die Stirn gezogen hat. Es ist offensichtlich, dass er nicht gesehen werden will. Er erreicht den Schalter, blickt sich verstohlen um, beugt sich hinunter. »Tausend Euro auf Josephine M. im vierten Rennen, bitte.« Er spricht leise, damit die Menschen hinter ihm nichts mitbekommen.

»Hä?«

Der Mann räuspert sich, sagt etwas lauter: »Tausend Euro auf Josephine M. im vierten Rennen, bitte.«

»Nummer?«, fragt der mürrische Mann mit der Schirmmütze und der Kippe im Mund hinter dem Schalter.

»Nummer? Wieso brauchen Sie meine Nummer?«

»Mann! Der Gaul! Er hat doch eine Startnummer, oder nicht?«

»Sieben!«

»Sieg oder Platz?« Der Mürrische hinter dem Schalter wird noch mürrischer. Von hinten drängen die Wartenden.

»Sieg!«

»Na also, geht doch«, knurrt der Mann, um dann laut, für jeden gut verständlich, anzufügen: »Die Sieben. Tausend auf Sieg, der Herr!«

Der Mann im Trench lächelt verlegen zu der Gruppe hinter ihm, bekommt seinen Wettschein und verschwindet eilig in der Menge.

Das Rennen geht los! Die Startseile schnellen nach oben. Die Menge johlt. Die Fahrer mit ihren bunten Trikots treiben in den Sulkys ihre Pferde an. Der Mann im Trenchcoat steht direkt am Geläuf und starrt durch sein Fernglas. Was er sieht, macht ihn unglücklich: Das Pferd mit der Nummer sieben liegt bereits zweihundert Meter nach dem Start hoffnungslos zurück!

Jetzt kommt das Feld das erste Mal am Einlauf vorbei. Der Rennkommentator reagiert entsprechend: »Die Favoritin Hatschepsut in Front, sie macht die Pace, dahinter La Princesse, gefolgt von Bianca di Medici. Am Ende des Feldes, wie zu erwarten, Josephine M.«

Der Mann im Trench ist sichtlich verärgert. Warum hat er sich überhaupt auf dieses Abenteuer eingelassen? Er könnte jetzt gemütlich zu Hause sitzen, ein Buch lesen oder Klavier spielen. Aber er wollte einem alten Herrn einen Gefallen tun. Er hat genug gesehen und wendet sich ab.

Während er langsam Richtung Ausgang geht, hört man wieder die Stimme im Lautsprecher: »Josephine M. hat den Start verpennt, aber jetzt kommt sie in Schwung. Eingangs des Waldbogens liegt sie im Mittelfeld …« Der Mann läuft rasch zurück zur Bahn und nimmt sein Fernglas wieder hoch. Als die Pferde aus dem kleinen Waldstück herauskommen, liegt Josephine M. auf Platz vier und greift jetzt Bianca di Medici an!

Die Besucher auf der Tribüne sind aufgesprungen, ein Raunen geht durch die Menge. Der Rennkommentator kriegt sich kaum noch ein: »Sensationell, was Josephine M. da abliefert auf ihre alten Tage. Sie arbeitet sich nach vorn. Bravo! Ist schon an Bianca di Medici vorbei, nimmt sich jetzt Hatschepsut vor, die auf Platz zwei zurückgefallen ist, während La Princesse gut eine Länge vorn liegt. Geht da noch was?«

Der Mann im Trench ist total aus dem Häuschen. Er ruft: »Ja! Los, geh! Josephine!« Und tatsächlich kommt die Stute immer näher ran. Der Mann im Sulky hat die Gerte in der Hand, aber muss sie nicht benutzen, während der Fahrer vor ihm jetzt auf La Princesse einschlägt. Die Stimme im Lautsprecher überschlägt sich fast: »Unglaublich! La Princesse liegt noch in Führung, aber was ist das? Himmel noch mal! Sie fällt in den Galopp! Sie galoppiert! Sie muss disqualifiziert werden! Mein Gott! So ein Pech! Hänschen Schmitt nimmt sie aus dem Rennen, und Josephine M. mit dem holländischen Urgestein Freddy van Dijk geht jetzt vorbei.«

Das Publikum ist wie elektrisiert. Dann wieder der Reporter: »Noch einhundert Meter. Von hinten kommt Bianca di Medici förmlich angeflogen, aber ist es zu spät? Ja, es ist zu spät, es ist vorbei, das Rennen ist durch! Sensationeller Sieg für die krasse Außenseiterin, die Nummer sieben Josephine M. Vor der Vier und der Drei. Das wird eine Traumquote für alle Mutigen. Bis gleich im fünften Rennen.«

Der Mann im Trench umarmt einen verdutzten Zuschauer, der neben ihm steht. Dann schiebt er seinen Hut ins Genick und holt sein Telefon hervor: »Hugo! Sie hat gewonnen! … Ja, Ihre alte Josephine hat’s geschafft! … Wie viel? Was weiß ich? Vielleicht vierzigtausend mit Preisgeld, mindestens! Bis morgen. Schlafen Sie gut!«

Es ist noch früh am Morgen, als ein roter Smart flott auf den Parkplatz des Jüdischen Seniorenstifts gefahren kommt und mit einer scharfen Bremsung im Halteverbot vor dem Eingang stoppt. Der Mann von der Rennbahn steigt gut gelaunt aus und eilt auf das moderne Gebäude mit der Glasfront zu, wo sich die Tür automatisch öffnet. Die imposante Lobby, die dem Eingangsbereich eines großen Hotels ähnelt, ist um diese Zeit menschenleer. Die Läden im Erdgeschoss sind noch geschlossen. Der Mann eilt am Buchladen seines Freundes Jossi Singer vorbei. Daneben befinden sich ein Friseursalon und ein kleiner Supermarkt. Ein monotones Geräusch ist zu hören, die Bürsten der Reinigungsmaschine, die von einer jungen Frau bedient wird. Gelbe Warnschilder spiegeln sich auf dem glänzenden Steinboden. Der Mann winkt der jungen Frau kurz zu und stürmt die Treppe nach oben, immer zwei Stufen gleichzeitig nehmend. Eine großzügige Galerie führt zu zwei Fluren. Der Mann geht nach rechts. Auf beiden Seiten des Ganges sind die breiten hellen nummerierten Türen der Apartments zu sehen, in denen die meisten der Senioren vermutlich noch schlafen. Rasch läuft der Mann den Flur entlang, bleibt vor der Tür mit der Nummer elf stehen. Er zieht einen dicken gelben Umschlag aus der Innentasche seiner Jacke, klopft kurz an und drückt gleichzeitig die Klinke hinunter.

», Hugo! Sie sind ein Glückspilz!«, ruft er, als er das Zimmer betritt und mit dem Umschlag winkt. Dann erstarrt er mitten in der Bewegung. Vor ihm stehen Heimleiterin Esther Simon und Hausmeister Gablonzer und starren ihn an. Und Hugo Weisz, sechsundachtzig, liegt zwischen ihnen tot auf dem Fußboden.

Frau Simon findet als Erste die Sprache wieder.

»Guten Morgen, Herr Rabbiner«, begrüßt sie ihn.

Rabbi Henry Silberbaum ist fassungslos. Sein Blick wandert von dem Mann auf dem Fußboden zu den beiden Personen, die etwas ratlos neben ihm stehen. Schließlich legt er den gelben Umschlag auf eine Anrichte, macht ein paar Schritte in den Raum hinein und stellt sich neben den Toten. Er schaut auf den Mann zu seinen Füßen, will etwas Angemessenes sagen, aber ihm fällt nur ein, was jedem in dieser Situation in den Sinn kommen würde: »Das gibt es nicht. Vor ein paar Stunden erst haben wir miteinander telefoniert. Da war er noch gut drauf.«

Frau Simon lächelt und sagt mit einem leicht ironischen Unterton: »Tja, so kann’s gehen.«

Der Rabbi spricht nun ein leises Gebet. Die Heimleiterin und der Hausmeister schauen entsprechend andächtig.

»Holen Sie bitte eine Kerze, Herr Gablonzer«, sagt der Rabbi. Der Hausmeister verlässt leise das Zimmer.

»Ich muss auch los. Doktor Perlmann rufen«, sagt Frau Simon.

Der Rabbi hält sie zurück. »Haben Sie ihn so gefunden?«

»Ja«, sagt die Heimleiterin. »Er ist wahrscheinlich aus dem Fernsehsessel aufgestanden und danach zusammengebrochen. Da drüben lag sein Telefon.«

Sie schließt die Tür hinter sich, als sie das Zimmer verlässt. Der Rabbi geht in die Hocke. Legt zärtlich seine Hand auf die Stirn des alten Mannes.

»Ach, Hugo«, sagt Henry Silberbaum leise, »ein paar Runden hätten Sie doch noch machen können.«

Rabbi Silberbaum sitzt auf dem breiten Fensterbrett und schaut nachdenklich in den Park, wo die ersten unentwegten Heimbewohnerinnen gekonnt ihre morgendlichen Qigong-Übungen machen. Dazwischen steht verloren ein älterer Herr, der sich hilflos am »Fliegenden Kranich« versucht, aber lediglich einen »Abstürzenden Truthahn« zustande bringt.

Der Rabbi sieht zu Frau Simon hinüber, die vor einem Schubladenschrank mit Hängeregistern steht. Eigentlich weiß er nichts über sie, außer dass sie attraktiv ist und unverheiratet. Im Rahmen seiner Betreuungsarbeit im Heim hatte er in der Vergangenheit einige Male mit ihr zu tun. Die beiden kamen stets gut miteinander aus. Seitdem sie vor ein paar Monaten die Leitung des Hauses übernommen hat, haben die Gesuche um eine Aufnahme, speziell bei männlichen Rentnern, exponentiell zugenommen.

Die Heimleiterin sucht weiter nach irgendwelchen Unterlagen. Währenddessen redet sie ohne Unterlass: »Rabbi Silberbaum, lassen Sie es mich so zusammenfassen: Das Pferd von Herrn Weisz gewinnt, Sie rufen ihn an, er fällt tot um. Was Corona nicht geschafft hat, ist Ihnen gelungen, bravo!«

»Jedenfalls hatte er vor seinem...


Bergmann, Michel
Michel Bergmann, geboren 1945 in Basel, Kinderjahre in Paris, Jugendjahre in Frankfurt am Main. Nach Studium und Job bei der »Frankfurter Rundschau« landete er beim Film: zuerst als Producer, dann als Regisseur, zuletzt als Drehbuchautor u. a. für »Otto – Der Katastrofenfilm«, »Es war einmal in Deutschland«. Ab 2010 schrieb er vor allem Romane: u. a. »Die Teilacher«, »Herr Klee und Herr Feld«, »Weinhebers Koffer«, »Mameleben: oder das gestohlene Glück«. Mit der Reihe um den ermittelnden Rabbi Henry Silberbaum trat er auch als Krimiautor in Erscheinung. 2025 ist Michel Bergmann verstorben.



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