E-Book, Deutsch, 184 Seiten
Berndorf Der Monat vor dem Mord
1. Auflage 2013
ISBN: 978-3-95441-004-0
Verlag: KBV
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Kriminalroman
E-Book, Deutsch, 184 Seiten
ISBN: 978-3-95441-004-0
Verlag: KBV
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Niemand ahnt etwas von Horstmanns Träumen. Für seinen Chef ist er der hochqualifizierte Chemiker, der nur in Formeln denken kann. Für seine Kollegen, besonders für Ocker, ist er der nette, immer ein wenig zerstreute Weltfremde. Seine Träume? Er braucht Geld, um sie realisieren zu können. Viel Geld. Ein neuer Forschungsauftrag kommt ihm daher sehr gelegen. Der Auftrag lautet, ein Seine Träume? Er braucht Geld, um sie realisieren zu können. Viel Geld. Ein neuer Forschungsauftrag kommt ihm daher sehr gelegen. Der Auftrag lautet, ein Mittel gegen einen verheerenden Kiefernschädling zu entwickeln. Horstmann will dieses Mittel schneller finden als die Kollegen, schneller als die Konkurrenz. Umsichtig und raffiniert macht er sich an die Arbeit, die ihn seinem Ziel einen Schritt näherbringen soll. Einem Ziel, das er ohne Gewalt nicht erreichen kann. Einem Ziel, das einen Monat entfernt vor ihm liegt. Deutschlands meistgelesener Krimiautor hat in seinem Fortsetzungsroman im "stern" den Zeitgeist der Siebziger Jahre eingefangen uns seziert mit dem aufmerksamen Blick des Journalisten und dem großen Talent eines versierten Erzählers das Kleinbürgertum in einer wilden Zeit des Aufbruchs.
Autoren/Hrsg.
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1. Kapitel Das war absolut nichts Besonderes, geschweige denn irgendetwas ganz Ausgefallenes. Gegen elf Uhr klingelte Horstmanns Telefon, ein Mädchen sagte: »Doktor Horstmann! In einer halben Stunde beim Chef.« »Gut«, sagte Horstmann. Es war wirklich nichts Besonderes. Er hatte sich nichts vorzuwerfen, seine Leistungen waren gleichbleibend überdurchschnittlich, und niemand würde beim Chef gegen ihn sprechen. Das war ziemlich sicher, denn er verhielt sich zu allen Leuten so, wie man es einfach mit »nett und bescheiden« beschreibt. Er war ein großer, dunkelhaariger Mann, der niemals in Intrigen verwickelt war, und von dem alle Welt glaubte, er könne nur in chemischen Formeln denken. Er hockte sich zwischen zwei Tische, auf denen die für die Chemie so seltsam geformten Glasbehälter standen, und rauchte eine Zigarette mit sehr schwarzem Tabak. Er musste sofort husten. Trotzdem rauchte er diese Zigaretten. Er erinnerte sich matt daran, dass ein ihm bekannter Professor einmal gesagt hatte: »Es ist ganz typisch für bestimmte Linksintellektuelle, dass sie zwar gelegentlich Haschisch probieren, meist aber schwarze französische Zigaretten rauchen. Sie lassen sich diese Zigaretten ›aufdrücken‹, wie eine besondere Sorte ergiebiges Mastschwein einen Gütestempel auf den Hintern gedrückt bekommt.« Damals hatte Horstmann gelacht, aber gleichzeitig begonnen, seine Umwelt zu beobachten. Er hatte festgestellt, dass der Professor bei einer ganz bestimmten Gruppe im Betrieb sicherlich Recht hatte. Der Chef rauchte auch schwarze französische Zigaretten. Ich müsste dringend eine Gehaltserhöhung haben, dachte er mechanisch, oder viel Geld auf einmal. Maria wird natürlich sagen, dass wir mehr Geld nicht brauchen, aber sie weiß nicht, wie sehr ich Bequemlichkeit liebe. Ich will meinen Rasenmäher nicht mehr schwitzend vor mir herschieben wie ein Kuli. Ich will, dass er kraft elektrischen Stromes leise surrend das Gras im Garten frisst. Dann will ich einen größeren Wagen haben und gelegentlich allein nach Wiesbaden fahren, um ein Spiel zu machen. Nicht hoch, aber auch nicht zu zaghaft. Auf jeden Fall werde ich immer allein fahren. Ich kann zu Maria sagen, ich hätte zu arbeiten oder dergleichen. Allein zu fahren, ist sehr wichtig für mich. Du lieber Gott im Himmel, ich möchte wissen, wieso ich auf die Idee gekommen bin, diese Frau zu heiraten und zwei Kinder mit ihr zu haben. Es macht keine Freude, mit ihr im Bett zu sein. Es ist eine stinklangweilige Prozedur, und ich kann nicht einmal erwarten, hinterher erleichtert zu sein. Glücklich bin ich auch nie dabei. Und sie liegt da und hat sich abgemüht, und manchmal weint sie. Er warf die Zigarette in einen Eimer, in dem Wasser stand. Einen Augenblick lang war er amüsiert darüber, dass er so etwas dachte. Alle Welt regte sich auf, dem Sexus sei ein viel zu großes Stück der Partitur des Lebens eingeräumt worden. Dann zündete er sich eine neue Zigarette an und dachte: Trotzdem ist etwas daran. Der Mensch hat sich ein wenig befreit von denen, die man Pharisäer nennt, Er stand auf und stellte sich an das Fenster. Das Laborgebäude lag unmittelbar an der Straße. Um diese Zeit war immer sehr viel Betrieb. Er achtete besonders auf die Mädchen mit langen Haaren und sehr kurzen Röcken, und er stellte sich die Frage, ob eine von ihnen vielleicht nochJungfrau war, und mit welchen Lügen sie durch das Leben gingen. Es war eine feste Überzeugung von ihm, dass jeder Mensch mit Lügen durch sein Leben ging. Wie sahen die Lügen dieser Mädchen aus? Er hatte sich oft vorgestellt, ein solches Mädchen zur Geliebten zu haben und ihr monatlich ein Appartement zu zahlen. Wir würden es ziemlich toll miteinander treiben, dachte er, und wahrscheinlich würde ich Maria dann auch besser ertragen können. Aber es kann sein, dass diese Mädchen so was nicht mögen. Wenigstens nicht mit mir. Ich bin dreiundvierzig. Ich habe noch keinen Bauch, aber man sieht, dass ich dreiundvierzig bin. Ich müsste zugeben, dass ich einen achtzehnjährigen Sohn und eine siebzehnjährige Tochter habe. Ich müsste auch von meiner Frau erzählen. Aber das würde die ganze Sache bereits erheblich stören. Wenn ich von Maria rede, bin ich wahrscheinlich impotent. Zwanzig Jahre lang habe ich gewartet, dass sie unter mir explodiert. Sie ist nie explodiert. Sie hat eigentlich nie etwas getan dabei. Wahrscheinlich werde ich also impotent sein, wenn ich von Maria rede. Oder ich werde so eine Art Trotzeffekt durchleben und ein wildes Schwein sein. Und wenn dann so ein langhaariges Biest sagt: »Der ist pervers«, hätte ich einen Stempel auf der Arschbacke. Diese Zeit ist verflucht kompliziert, außer vielleicht für eine gewisse Sorte von Politikern, die das heile Leben predigen, obwohl es so etwas gar nicht geben kann. Goethe hätte nicht schreiben können, wäre sein Leben heil gewesen. Und Michelangelo hätte niemals gemalt. Otto Hahn hätte kein Atom gespalten, und dieser von Braun keine Menschen zum Mond geschossen. Ihr Leben kann gar nicht heil gewesen sein. Irgendwo habe ich gelesen, dass große Ideen in Zeiten der Not geboren werden, niemals von Menschen mit fettem Bauch und unter Rülpsen. Du lieber Himmel, es ist doch so. Aber wer will schon Sorgen haben? Die Politiker wollen, dass wir Sorgen haben. Und sie wollen es nur, um trösten zu können, um überhaupt etwas versprechen zu können. Dieser Henrichs zum Beispiel, dieser kleine miese Kaffer von den hiesigen Christlichen, das ist so ein Ferkel. Arrogant bis in die Dummheit. Wie hat er doch neulich gesagt? Man müsste sich solche Formulierungen aufschreiben. Ich glaube, es war so: Zum Wohle des Volkes treiben wir Opposition. Das Volk soll in einer gerechten Weise behandelt sein. Es kann nicht angehen, dass die Bundesregierung Millionen in Entwicklungsländer stopft und wir hier nicht genügend Altersheime bauen können. Dann machte dieser Henrichs einen Schlenker, einen sehr beliebten Schlenker: »Aber meine Partei hat in vielen Jahren in der Regierung bewiesen, dass wir imstande sind, eine gute Welt, eine Welt mit Zukunft aufzubauen.« So ähnlich war es gewesen. Es gab viele Leute, die bereit waren, Männer wie Henrichs zu salben und zu ölen und zu sagen: Mit dem Mann da sind wir sicher. Und Henrichs würde ölig seiner Frau sagen: Die sind so ruhig im Land, dass sie nicht einmal merken, wenn Russland uns den Krieg erklärt oder wir eine Inflation bekommen. Dann werden sie ein bisschen meckern, aber ich werde ihnen sagen: »Seht her, das habt ihr von dieser Regierung! Und beim nächsten Mal wäre ich wieder dran. So ist das, meine Liebe.« Horstmann warf die Zigarette in den Wassereimer und zog sich die Krawatte zurecht. Er war selbstkritisch genug, sich einzugestehen, dass er recht wirr und nicht sehr konsequent gedacht hatte. Er schloss die Tür seines Labors ab und ging schnell den vollkommen mit Fliesen ausgelegten Korridor mit den eingeschobenen stählernen Feuertüren hinunter. Im Konferenzzimmer waren die übrigen zehn schon um den Chef versammelt. Auch Ocker war da. Er hatte wie üblich einen Stuhl für Horstmann freigehalten und flüsterte: »Rauch nicht, der Alte hat einen Kater.« Horstmann nickte und setzte sich. Er schlug die Mappe auf, die er mitgebracht hatte, und konzentrierte sich auf seine letzten Ergebnisse in der Entwicklung eines von Barbituraten freien Schlafmittels. »Die Forschungsabteilung ist beisammen«, sagte der Chef. Er hatte ein vollkommen nichtssagendes Gesicht. Er war Kaufmann, nicht Chemiker. Und er sagte niemals: »Wir haben uns hier versammelt« oder »Wir sind jetzt vollzählig«. Er sagte immer nur: »Die Forschungsabteilung ist beisammen.« Er sagte dies, seit er sich vor fünf Jahren ein Sommerhaus bei Oberammergau gekauft hatte. Horstmann blickte hoch und sah die ihm vertrauten Gesichter. Er fand ihren Anblick fade, Sie trugen alle einen grauen Anzug, eine dunkle, ganz sanft quergestreifte Krawatte, und sie schwitzten alle. Wahrscheinlich waren die meisten von ihnen vorher in der Toilette gewesen und hatten sich irgendein Deodorant unter das Jackett gesprüht. Es war so ihre Art, sauber und keimfrei zu sein. »Doktor Horstmann, wie weit sind Sie mit dem Mittel?« Horstmann, der wegen seiner schweigsamen Freundlichkeit immer den Vorzug genoss, als Erster gehört zu werden, und der genau wusste, dass der Chef knappe und verständliche Informationen wollte, antwortete lapidar: »Über den rein chemischen Bereich hinaus habe ich die Tierversuche erfolgreich abgeschlossen. Ich habe Rhesusaffen verwendet. Erfolg: hundert Prozent. Das Mittel ist frei für die klinische Erprobung.« »Danke«, sagte der Chef. »Irgendwelche Vorsichtsmaßnahmen bei dem Mittel?« »Keine«, sagte Horstmann. »Ich habe mich betrunken und eine vierfache Dosis genommen. Resultat vollkommen negativ. Keinerlei Beschwerden...