E-Book, Deutsch, Band 2, 314 Seiten
Reihe: Inferno
Berthold Inferno. Siege und Niederlagen - Tatsachenroman
1. Auflage 2020
ISBN: 978-87-26-44468-1
Verlag: SAGA Egmont
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, Band 2, 314 Seiten
Reihe: Inferno
ISBN: 978-87-26-44468-1
Verlag: SAGA Egmont
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Auch im zweiten Teil der 'Inferno'-Reihe schildert Berthold auf beklemmend-informative Weise die Jahre 1940 bis 1942: Historisch äußerst präzise recherchiert stellt er Augenzeugenberichte, Divisions- und Regimentschroniken, private Tagebucheinträge sowie internationale Quellen in Relation und schaffte damit ein unvergleichliches und erschütterndes Zeitdokument über den Zweiten Weltkrieg. Neben den Siegen geht er ebenso auf die sich damals bereits abzeichnenden ersten Niederlagen ein. In seiner aus drei Bänden bestehenden 'Inferno'-Serie beschreibt Will Berthold sehr eindringlich aus eigener Erfahrung als ehemaliger Soldat die Gräuel des Zweiten Weltkriegs. Er hatte sich bei Kriegsende geschworen, einen Beitrag zu leisten, dass solch ein Krieg nie wieder geschehen würde und entschied sich dabei für die Schriftstellerei, mit der er viele Menschen erreichte.
Der gebürtige Bamberger Will Berthold (1924-2000) wurde mit 18 Jahren als Soldat eingezogen. Nach seiner Kriegsgefangenschaft war er Volontär und Redakteur bei der 'Süddeutschen Zeitung' und schrieb u.a. über die Nürnberger Prozesse. Seine über 50 Romane und Sachbücher, in denen er sich hauptsächlich mit dem Nationalsozialismus und Zweiten Weltkrieg sowie Kriminalität und Spionage beschäftigte, machten ihn zu einem der kommerziell erfolgreichsten deutschen Autoren der Nachkriegszeit.
Autoren/Hrsg.
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Der wasserscheue Seelöwe
Die Einsatzbesprechung auf der Halbinsel Cotentin, wo während der Battle over Britain ein E-Hafen der Jagdflieger neben dem anderen liegt, ist kurz und witzlos. Immer der gleiche Seich: Begleitschutz, angelegt an den Kampffliegerverband, Kanal hin und zurück. Die Jäger sollen die dicken Brummer schützen, aber ihr Sprit reicht dann über der Insel nur noch für 20 Minuten, und damit ist nicht mehr viel Luftkampf zu machen. Sie müssen umdrehen, ihre Schützlinge sich selbst überlassen und hoffen, daß sie mit dem letzten Tropfen zurückkommen. Gestern verlor die Nachbarstaffel vier Me 109, die kurz vor Erreichen der Küste mit leeren Tanks in den Kanal gestürzt waren. Als dann die zerpflückten Kampfflieger, die sie begleitet hatten, zurückkehrten, mußte sich die Staffel auch noch Vorwürfe über den mangelnden Schutz anhören. Die Beschuldigungen waren ungerecht. Niemand kann länger fliegen, als sein Sprit reicht, und wenn der Befehl des Reichsmarschalls lautet, daß die Schnellsten an der Seite der Langsameren und Langsamsten zu bleiben haben, geschehe, was da wolle, muß das von vornherein schiefgehen. Staffelkapitän Michalski, der nicht nur verwegen ist, sondern auch Zivilcourage hat, ist bei der ganzen Luftflotte berühmt, weil er vor ein paar Tagen im Offizierskasino dem Kommandierenden General vor allen anderen ins Gesicht gesagt hat, die neue Taktik des frontfernen Reichsmarschalls sei »überflüssig und nutzlos wie ein Eunuchenfick«. Der Oberleutnant ist einer der Experten, die man bei der Luftwaffe die Jägerasse nennt, und seine Männer vergöttern ihn, nicht nur, weil er das glitzernde Dingsda in seinem Kragenausschnitt trägt. Sie sind ja selbst mit Heldenblech reichlich versehen, die Schlipssoldaten – so nennt man in der übrigen Wehrmacht mit verächtlicher Bewunderung die blaue Waffengattung –, haben die schicksten Uniformen, die schnellste Karriere, die beste Verpflegung, erhalten die höchsten Auszeichnungen und zahlen für ihre Privilegien mit den – nach den U-Boot-Fahrern – blutigsten Verlusten. »Wenigstens keine Stukas«, sagt der blaßgesichtige, sommersprossige Hinrichs nach der Besprechung und versucht, sich verstohlen mit der Hand in der Hosentasche unterhalb der Koppellinie zu kratzen. Die anderen grinsen schräg. Der Unteroffizier hat von seinem letzten Ausgang nach Abbéville Souvenirs mitgebracht: Sackratten, auch »Matrosen am Mast« genannt. »Das haste davon, Kamerad Cuprex«, grinst Feldwebel Feugele, er äfft Görings Stimme nach. »Ihr sollt fliegen wie die Vögel, aber nicht vögeln wie die Fliegen.« »Was weiß ich, wo ich mir das geholt habe«, brummelt Hinrichs verärgert. »Jedenfalls nicht da, wo du denkst.« »Wo auch immer«, albert Feugele weiter. »Komm nicht zu nahe an uns ran. Mindestens zwei Meter Abstand halten«, fordert er unter dem Gelächter der anderen. »Mensch, du muffelst ja noch durch die Kombination hindurch.« »Du Arsch«, versetzt Hinrichs wütend. »Wart nur, was du dir noch alles holen wirst.« Oberleutnant Michalski sieht auf die Uhr. Er schüttelt den Kopf, nimmt einen Schluck aus dem Kochgeschirr, halb Kaffee, halb Cognac, und einen Schuß Pervitin, Fliegerbrause, er zündet sich eine Zigarette an, spitzt die Ohren, als hörte er die Ju-Staffel schon kommen. Dann betrachtet er seine zerzauste Narhalla: Sieben Mann bloß noch, prächtige Burschen; ein achter liegt im Keller des Lazaretts von Abbéville auf Eis und soll eine anständige Fliegerbeerdigung erhalten, natürlich nur bei schlechtem Wetter; bis dahin werden wohl noch einige dazukommen. Der Wetterbericht hat für den nächsten Tag ein Tief angekündigt, das sich vom Westen her nähert, so läßt sich dann alles würdig in einem Aufwasch erledigen. »Stillgestanden!« Müde werden die Hacken aneinandergeschlagen. »Ich hatt’ einen Kameraden – « Der Chor klingt von Mal zu Mal dünner. Immer mehr Geschwaderangehörige können nie mehr singen, und der schlechter ausgebildete Nachschub, der aus Deutschland laufend nachrückt, ist noch nicht recht bei Stimme. Es ist so weit, der Oberleutnant winkt, und seine Männer kletterten in die Mühlen. Der bullige Feldwebel Sack, der nie den Mund hält, quittiert die Sitzbereitschaft mit den Worten: »Besser ein wunder Hintern als ein kalter Arsch.« Staffelkapitän Michalski steigt als letzter ins Cockpit; er wartet, bis der zu schützende Ju-88-Verband den kleinen E-Hafen überflogen hat. Feldmarschall Eberhard Milch, der Stellvertreter des Oberbefehlshabers, hatte bei seinem letzten Frontbesuch lange Gespräche mit einigen Besatzungen des neuen »Wunderbombers« geführt, sich ihre Einwände und Mängelbeschwerden in aller Ruhe angehört, ein verständiger Vorgesetzter. Als er wieder in Berlin war, schrieb er in seinen Bericht: »Die Besatzungen fürchten nicht den Feind, sondern die Ju 88.« Dann ließ er – auf Betreiben Görings – die Einheit auflösen und die Besatzungen strafversetzen, Nazipsychologie. Michalski nickt seinen Bordwarten zu. Die Kuttenzwerge reißen die Bremsklötze von den Rädern, lösen das Kabel, das die Me 109 wie eine Nabelschnur mit dem Anlasserwagen verbindet. Der Propeller dreht sich, wirbelt Staub auf. Der Staffelkapitän jagt seine Maschine über die Graspiste, wird schneller und schneller, nimmt den Knüppel an den Bauch, zieht die Me hoch. Unter ihnen, an der Steilküste des Cap Gris Nez, üben bayerische Gebirgsjäger die Erstürmung der Klippen von Folkestone, sie winken hinauf und geben es auf, die fliegenden Verbände der Luftwaffe zu zählen, die heute wieder über ihre Köpfe nach England hinwegbrausen. Die um Calais zusammengezogenen Pioniere und Infanteristen sehen mit bloßen Augen die Stelle, an der sie bei der »Operation Seelöwe« landen sollen, sowie die Luftwaffe die Royal Air Force zerschlagen hat. Nach einer ersten Berechnung Görings in vierzehn Tagen. Inzwischen hat er den Zeitraum auf fünf Wochen prolongiert. In dieser Zeit will die Kriegsmarine 1,2 Millionen Tonnen Schiffsraum für den »erweiterten Flußübergang« zusammenziehen, aber, wie der kesse Möllner zu sagen pflegt: »Es läuft nicht so, wie die Geistlichkeit will.« Entweder hat sich Göring, was die Zahl der feindlichen Abfangjäger betrifft, wieder einmal gründlich verrechnet, oder der Feind stampft Piloten und Maschinen aus dem Boden. Noch dazu Spitfires, die das Himmelsmonopol der Me 109 brechen. Jagdfliegeras Galland, von Göring einmal in Gönnerlaune befragt, was er sich wünsche, erwiderte: »Spitfires, Herr Reichsmarschall.« Ob die Me oder die Spitfire besser ist, bleibt eine Streitfrage, denn der bessere Pilot, oder zumindest der glücklichere, siegt. »Wenn ihre Erfahrung mit der Hurricane die Deutschen sorglos gemacht hat«, schreibt in seinem Buch »Die Me 109« der US-Autor Martin Caidin, »so erlebten die deutschen Piloten, die meinten, die Spitfire in die gleiche Kategorie einreihen zu können, eine blutige Überraschung. Die frühen Luftangriffe gegen englische Ziele brachten auch einen Nachteil der Me-109-E-Serie klar zutage – eine Reichweite, die für die schweren Erfordernisse der Angriffe gegen England viel zu gering war. Schon im Krieg auf dem Kontinent war es notwendig, die Feldflugplätze rasch nach vorn zu verlegen, um im Kontakt mit dem fliehenden Feind zu bleiben. Nur die hervorragende Bodenorganisation machte die Messerschmitts so erfolgreich – dennoch eine eher unsichere Methode. Eine größere Flugdauer und Reichweite würde die logistische Belastung drastisch erhöht haben, und was ein wenig überraschend ist: Die Deutschen machten nicht sofort Gebrauch von abwerfbaren Zusatztanks, deren sie sich vor dem Beginn des Luftkampfes entledigen konnten. Natürlich erkannten auch die Deutschen die Notwendigkeit eines Langstreckeneinsatzes für ihre Me 109 E. Die Tatsache, daß die meisten Ziele in Britannien außerhalb der Reichweite der Me 109 E lagen, bedeutete, daß die Bomber über den Zielen ohne Jagdschutz ankamen, und daher steht außer Frage, daß die geringe Reichweite der Me 109 – in der Luftschlacht um England nie verbessert – einer der Hauptgründe für die fürchterliche Niederlage der Luftwaffe war, eine Niederlage, die als einer der Wendepunkte des Krieges angesehen werden kann. Die Me-109-Jäger hatten nie mehr als zwanzig Minuten, in denen sie ihre Bomber gegen angreifende englische Jäger verteidigen konnten. Hätte die Me nur dreißig Minuten mehr Flugzeit besessen, wäre die Luftschlacht von einer kleineren Zahl als der von der Geschichte überlieferten gewonnen worden.« Bei wolkenlosem Himmel überfliegt die Kampfgruppe den Kanal ohne Feindberühung, aber kurz vor der Küste wird die Formation von Spitfires und Hurricanes abgefangen und gesprengt. Da sich die Piloten des Fighter Command nicht an die Befehle des deutschen Reichsmarschalls halten, kommt die Gruppe, in wilde Luftkämpfe verwickelt, doch noch zu ihrer eigentlichen Bestimmung. Bei der wilden Kurbelei gelingt Michalski der Trick, den ihm so leicht keiner nachmacht: Er fährt die Landeklappen aus, drosselt den Motor bis zum Äußersten, reißt die Me 109 in die denkbar engste Schleife und kommt von unten, statt aus der Überhöhung anzugreifen. Er überrumpelt den R.A.F.-Piloten, dem man auf der Jagdschule eingetrichtert hat: »Denk an den Hunnen in der Sonne.« Ein kurzer Feuerstoß. Michalski verfolgt, wie die...