E-Book, Deutsch, 444 Seiten
Bicker München Legenden
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-7504-4993-0
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Münchner Sagen und Legenden neu erzählt
E-Book, Deutsch, 444 Seiten
ISBN: 978-3-7504-4993-0
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Der Lindwurm, Wolpertinger, eine Isarnixe: seltsame Gestalten, die München bevölkern und von den meisten unbemerkt in den Sagen weiterleben. Der Alte Peter, der Schöne Turm, das Fausttürmchen: Münchner Orte, um die sich wundersame Legenden ranken. Franz von Stuck, der heilige Onuphrius, Studenten der Kunstakademie: historische Persönlichkeiten, deren Geschichten vergessen oder nie erzählt wurden. 20 Münchner Autorinnen und Autoren begeben sich auf eine Reise in die Vergangenheit, die Gegenwart und die ferne Zukunft. Dabei kommen sie spannenden, lustigen, tragischen und verstörenden Mythen auf die Spur.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Stefanie Hasler Von der Hasenplage im Münchner Norden
Der Münchner Norden, das sieht jeder, der mal zwischen Allianz-Arena und Feldmoching unterwegs war, ist quasi überschwemmt von Hasen. Sogar am Flughafen müssen’s immer wieder die Viecher umbringen, damit sie nicht in die Triebwerke geraten. Mir täten da ein paar Worte einfallen für die Leute, die sowas anordnen. Keins davon ist nett. Aber gut, ich bin auch einer von den Betroffenen. Also nicht einer von den Flugzeugpiloten, nicht dass da der falsche Eindruck entsteht. Einer von den Hasen. Genauer gesagt, stimmt das so auch nicht ganz. Ich bin nämlich kein Hase nicht. Ich bin ein Wolpertinger. Es gibt zwischen mir und einem, sagen wir einmal, Standard-Feldhasen, doch gewisse Unterschiede, anatomisch gesehen. Zum Beispiel haben Hasen kein Geweih. Ich bin mir relativ sicher, dass Hasen auch keine Flügel haben, nicht mal so kleine, quasi dekorative, wie ein paar von meinen Verwandten. Außerdem hab ich noch einen wundervollen, riesigen, prächtigst grünen Schwanz. Also quasi wie bei einem Huhn. Nicht, dass ich ein Huhn bin deswegen. Der Rest von mir hat immerhin, wie ich meine, das schönste, weichste Fell, das du finden kannst. In einem traumhaften Braun, das weder dunkel noch hell ist, und sehr mit meinem Geweih harmoniert. Jedes Mal, wenn ich einen Spiegel finde, bin ich aufs Neue entzückt und kann’s gar nicht lassen, mich zu betrachten. Ich schätze, dass es Hasen auch ein bisschen egaler ist, wie sie aussehen, als dem durchschnittlichen Wolpertinger. Nicht, dass man mich erkennen könnte. Für den normalen Münchner, gerne auch Isarpreiß genannt, sehen wir aus wie Hasen. Das verdanken wir einem netten Feenwesen, oder, wie der Bayer zu sagen pflegt, einem Deifi aus dem neunzehnten Jahrhundert. Davor sind wir gejagt und ausgestellt worden. In vielen Almen kann man meine toten Vorfahren noch heute bestaunen, ausgestopft und an die Wand gehängt. Barbarisch, diese Menschen. Naja, dank dem Zauber sehen wir halt aus wie Hasen, und wir konnten uns deswegen relativ gut mit den Menschen arrangieren. Natürlich, ohne dass die davon was mitkriegen. Aber wenn sie was davon mitkriegen, dass wir keine Hasen sind, dann sehen sie uns so, wie wir halt sind. Quasi wie beim Pumuckl, bloß dass Kleber bei uns egal ist. Und dann können sie uns wieder jagen. Uns, die wir eh fast ausgestorben sind. Ist nicht so, dass wir uns so stark vermehren können. Dass wir darauf mal Lust haben, ist selten. Auch das ist bei den Hasen irgendwie anders. Deswegen ist das mit den Fallen auch so blöd. Weil, nicht alle Wolpertinger sind so schlau wie ich. Ein paar, wie der Alois, sind sogar strunzdumm. Also, der Alois könnte auch ein Hase sein, so dumm wie der ist. Nur noch verfressener. Der wär schon zweimal fast in so eine Falle reingerannt, und wie erklärst du das dem Kammerjäger, äh, Ungezieferbeseitiger, äh, Landschaftspfleger, wenn der Hase, der in seiner Falle liegt, auf einmal ein Geweih oder Federn, oder halt, wie der Alois, genau ein Horn hat? Der Spruch, der uns schützt, wirkt nämlich nur, wenn wir leben. Und das ist mit den ganzen SUVs auf der Straße gar nicht immer so leicht. Und den Fallen, natürlich. Neulich hatten wir so eine Situation, wo das ganze fast schief gegangen wär. Ich mein’, wir haben es so schon nicht leicht, wenn man das alles so bedenkt. Und dann haben ein paar von uns ein Pech, das wirkt, als hätt’s der liebe Gott echt schlecht mit uns gemeint. Der Alois zum Beispiel. Der ist in eine Lebendfalle gerannt. Das war so der Anfang. Lebendfallen. Ganz toll, sollte man denken. Muss keiner sterben, kommt man leicht wieder raus, scharfe Zähne und alles, und ein paar von uns können ja auch ein bisschen zaubern. Bloß dass Zauber nicht auf Metall wirken und die Lebendfallen heutzutage alle aus rostfreiem Edelstahl, made in China, sind. Und dann sitzt der Alois, der alte Gierschlund, in seinem Edelstahlkäfig und hat erstmal zehn Minuten nix besseres zu tun, als gemütlich die Möhre zu naschen, wegen der er in der Situation gewesen ist. Weiß wahrscheinlich gar nicht, dass er in einer Falle sitzt. Ich mein’, die Stäbe von den Dingern, die glänzen so toll, da kann man quasi sein Spiegelbild sehen, und dass man da abgelenkt wird, das ist schon verständlich. Wie die Möhre dann weg ist, fällt ihm auf, dass er nicht mehr rauskommt aus dem Käfig. Und dann ist der Alois verunsichert. Soll er jetzt um Hilfe rufen, oder soll er still da sitzen bleiben, bis wer kommt? Und wenn wer kommt, soll er sich einfach so verhalten, als ob er ein Hase wäre? Bloß, wie verhält sich so ein Hase denn, wenn er in einer Falle hockt? Der Alois hat die Hasen immer nur so am Rande wahr genommen, wie sie auf der Wiese rumgehüpft sind, und nicht in irgendwelchen Fallen. Also verstellen wohl eher schwierig. Aber was dann? Was passiert denn so mit Hasen, die in diese Fallen geraten? Warum werden die überhaupt lebendig gefangen? Ich mein’, dass die wieder ausgesetzt werden, das glaubt ja nicht mal der Alois. Also was machen sie mit denen? Den Weißkitteln geben für Tierversuche? In den Zoo geben und den Löwen verfüttern? Oder dann doch, wie sagt man, euthanasieren, aber weniger qualvoll als mit anderen Fallen? Naja, das sind ein Haufen Überlegungen, die der Alois da anstellt in dem Käfig. Und da, wie wir ja schon wissen, der Alois nicht der Schnellste ist, braucht der natürlich seine Zeit für Überlegungen. Und derweil spring’ ich draußen rum und frag’ mich, wo er denn schon wieder steckt, der Depp. Warum ich? Naja, gut, der Alois ist mein Bruder. Da muss man schon ein bisschen aufpassen, fürsorgepflichtmäßig. Auch wenn er sich wirklich manchmal deppert anstellt. Aber dafür kann keiner was, am wenigsten der Alois. Na, und wie er da sitzt, da kommt so ein Madl daher. Also, eine junge Frau, eher. So mit Outdoorjacke, Jeans und Lederstiefeln, passend angezogen fürs Feld. Vermutlich schaut sie auch für Menschen nicht schlecht aus, mit der frechen Stupsnase und dem hellbraunen Pferdeschwanz, und die Figur war auch ganz ordentlich. Also, für einen Menschen. Bückt sich runter zum Käfig mit dem Alois drin, sagt irgendwas, und hebt den Käfig auf. Und ich, der ich sie schon bisschen länger angeschaut hab’, wie sie da übers Feld geht und sich immer wieder bückt und in die Fallen reinschaut, fall fast tot um vor Schreck. In dem Moment seh’ ich nämlich den Alois zum ersten Mal. Natürlich nicht zum allerersten Mal. Aber zum ersten Mal in der Falle. Und wie sie ihn so hochhebt und ächzt, weil wiegen tut der schon was, der Alois, da schaut der Alois sie an und kriegt Panik. Und will da raus. Der Alois kann nicht fliegen, also wirft der sich gegen die Gitterstäbe, ganz wild, und reißt ihr damit den Käfig fast aus der Hand. Leider nur fast, weil sie muss damit schon irgendwie gerechnet haben, sie hält den Käfig fest und schaut dem Alois in die Augen. Und dann sagt sie: »Ganz ruhig, du Dicker! Dir passiert doch nix.« Und dann wird der Alois ganz ruhig. Nicht weil er ihr glaubt, nein. Der Alois ist beleidigt, weil Dicker, so dürfen ihn nicht mal seine ganz engen Freunde nennen. Weil er hat ja schon ein Problem mit seinem Gewicht – wie gesagt, verfressen – aber zugeben will er es auch nicht. Nur wurmt es ihn halt, wenn er nicht mehr ganz so schnell rennen kann wie wir leichteren Kaliber, und auch nicht fliegen und sogar die Hasen schneller sind als er. Also dreht er sich ganz demonstrativ um in seinem Käfig, und streckt dem Madl seinen Hintern hin, und setzt sich hin. Und was tut sie? Grinsen tut sie, die Frau, und packt den Käfig am Griff und schleppt ihn weg. Woraufhin dem Alois wieder einfällt, was er da eigentlich tut, in dem Käfig hockend, und dass das eigentlich nicht so gut ist für ihn. Aber da hat sie ihn schon in ihrer Schubkarre, die da rum steht, zusammen mit ein paar vereinzelten Hasen. Und ich, fragt ihr jetzt bestimmt? Wo bin ich, was tu’ ich? Gar nix, ist die Antwort. Also nachhoppeln tu’ ich ihnen, und denk’ fieberhaft drüber nach, was ich mach’. Gleiches Problem wie der Alois vorher, wir verraten den Menschen ja eigentlich nix, wenn sie uns nicht eh schon so sehen können, wie wir sind. Aber dann haben wir Glück. Weil sie dreht sich einfach um und geht zu anderen Fallen und würdigt den Alois keines weiteren Blickes! Und ich seh’, dass sogar dem Alois aufgefallen ist, dass das eine gute Gelegenheit ist zum Entkommen. Aber bevor der sich zu erkennen gibt und den ganzen Schubkarren umwirft, weil stark ist er schon, bin ich schnell hin. »Pssst!«, flüster’ ich. Und der Alois schaut erstmal verwirrt. »Pssst?«, sagt er dann, unkreativerweise. »Hier unten!« Ich stell’ mich dann auf meine Hinterläufe und mit den Vorderläufen gegen die Schubkarre, dass er mich sehen kann. »Ich bin’s!« »Ah«, sagt der Alois. »Was besser’s fallt dir ned ein?« »Naa. Und g’fanga bin I aa.« Da hat er einen Punkt. »Soll I dir...