E-Book, Deutsch, 304 Seiten
Bicker Wellenbrecher
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-96741-099-0
Verlag: Hybrid Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
Gezeitenwechsel 1
E-Book, Deutsch, 304 Seiten
ISBN: 978-3-96741-099-0
Verlag: Hybrid Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
Auf der winzigen Nordseeinsel Medderoog wird ein Skelett gefunden. Der örtliche Polizeichef versucht, den Fall zu vertuschen. Phillipa Berger, zwangsversetzte Großstadtpolizistin, beginnt heimlich zu ermitteln und stolpert in ein Komplott hinein, dessen Wurzeln tief in der Vergangenheit liegen. Dabei trifft Phil auf Harpo, hinter deren unscheinbarer Fassade einige Geheimnisse lauern. Dass sie sich in die junge Frau verliebt, macht die Sache nicht einfacher. Dann geschieht ein Mord ...
Roxane Bicker wurde 1976 in Kassel geboren. Nach dem Studium der Ägyptologie, Koptologie und Ur- und Frühgeschichte arbeitet sie seit 2005 als Museumspädagogin im Staatlichen Museum Ägyptischer Kunst und lebt mit Mann, Sohn und Katze in München. Neben der Geschichte hegt sie auch eine Leidenschaft für die Astronomie, den Weltraum und die Sterne. Im Hybrid-Verlag ist mit »Inepu«, »Aset« und »Usir« ihre Trilogie »Herren des Schakals« erschienen.
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KAPITEL Polizeiobermeisterin Phillipa Berger stand am Medderooger Hafen — oder dem, was man auf der Insel landläufig so bezeichnete. Hier legte nur das Fährschiff an, das dreimal am Tag Gebrauchsgüter brachte und, zumindest in den Sommermonaten, Horden von Touristen an Land spie. Als sie ihren Zigarettenstummel wegschnippte, hörte sie ein dezentes Hüsteln neben sich. Aus den Augenwinkeln sah sie hinüber zu ihrem Kollegen Alexander Gordon, der die verspiegelte Sonnenbrille in seine kurzen krausen Haare hochgeschoben hatte und mit den verschränkten Armen wie ein Bilderbuchpolizist aussah. »Vorbildfunktion, Phil«, mahnte er spöttisch und hob eine Augenbraue. »Du bist heute das erste Mal mit am Anleger, also benimm dich.« »Fick dich, Alex«, gab sie leise zurück und erntete einen missbilligenden Blick. »Ja, ist gut, ich weiß, dass ich an meinem Tonfall arbeiten muss. Sorry, kann die Großstadt halt nicht so einfach zurücklassen.« Phil klaubte den Stummel auf und trug ihn demonstrativ zum Aschenbecher, wo sie ihn mit spitzen Fingern fallen ließ. »Hast sie gut erzogen, die Kleine«, hörte sie eine raue Stimme hinter sich und knirschte mit den Zähnen. »Was willst du, Drecksack?«, fauchte sie. »Du kannst gerne mit mir direkt sprechen!« »Mit dir will ich nicht sprechen, Mäuschen, mit dir will ich ganz andere Dinge tun.« Noch bevor Phil zu einer Antwort ansetzen konnte, spürte sie Alex’ Hand auf ihrer Schulter. Er warf ihr einen warnenden Blick zu, als sie sich umdrehte. Nonchalant antwortete ihr Kollege: »Grüß dich, Henk. Jaja, die Erziehung. Man tut, was man kann. Aber du siehst, wir haben noch viel Arbeit vor uns.« »Bei der Arbeit mit der Schnecke geh ich euch gern zur Hand.« Henk grinste süffisant. Alex’ Finger bohrten sich in Phils Schulter, doch sie lächelte nur zuckersüß. Soweit hatte sie sich im Griff, dass sie diesem Henk nicht gleich eine reinhauen würde, auch wenn es ihr sehr in den Fäusten juckte. Sie schüttelte Alex’ Hand ab und ging einige Schritte beiseite, um durchzuatmen. Mich erziehen! Zur Hand gehen! Hätte er wohl gerne … Was für ein Macho-Arschloch! Mit halbem Ohr hörte Phil, wie Alex noch mit Henk herumflachste. Um dem Gelaber nicht weiter zuzuhören, ließ sie den Blick über die Menschen gleiten, die sich am Anleger versammelt hatten und warteten, dass sich das Tor öffnete und sie auf die Fähre konnten. Wie gerne hätte sie sofort und auf der Stelle ihre Sachen gepackt und wie die Urlauber mit dem Schiff diese gottverdammte Insel verlassen. Aber nein … ich sitze hier fest und bin kaltgestellt worden. Am Ende der Welt. Scheiße. Henk schlug Alex freundschaftlich auf den Rücken und trottete in Richtung der Gepäckwagen davon. Auf seinem Weg zum Anleger drehte er sich nochmal um, musterte Phil mit einem gierigen, anzüglichen Blick von oben bis unten und wackelte mit den Augenbrauen, was er möglicherweise verführerisch fand, sie dagegen einfach nur eklig. Gleich muss ich kotzen. Phil lehnte sich grummelnd neben Alex an das Tor und sah hinaus aufs Meer, das in der Sommersonne glitzerte. »Und das war …?« »Henk. Von der Reederei.« Alex grinste und die Zähne leuchteten in seinem dunklen Gesicht. Mit einem kurzen Nicken beförderte er die Sonnenbrille aus den Haaren zurück auf die Nase. Phil seufzte. So, wie er dort stand, hätte er in jedem Hollywoodstreifen mitspielen können. Der Bilderbuchpolizist. »Henk. Von der Reederei. Gibt’s vielleicht noch ein paar weitere Infos? Scheint mir ja ein echtes Schätzchen zu sein, der Kerl.« »Er ist«, Alex zögerte einen Moment zu lang, »speziell. Musst vorsichtig mit ihm sein. Er ist schon des Öfteren handgreiflich geworden.« »Aha.« Phil fischte sich eine weitere Zigarette aus der Hemdtasche und zündete sie an. Sie sollte aufhören, so viel zu qualmen, das sagte ihr nicht nur Alex’ kritischer Blick. »Und warum habt ihr ihn dann nicht eingebuchtet?« »Du weißt, dass wir hier nicht viel mehr als eine Ausnüchterungszelle haben. Außerdem …« »Ja?« Er winkte ab. »Vergiss es. Betrifft dich nicht.« »Bitte? Er bringt hier irgendwelche sexistische Kackscheiße an, von wegen mich erziehen und so, auf die du, mein Lieber, auch noch ohne Protest eingehst — darüber sprechen wir noch — aber es betrifft mich nicht?« Alex lachte kurz auf. »Was?«, schnappte sie und er gab leise zurück: »Du bist garstig.« »Wundert dich das? Ich versauere hier im Nirgendwo und muss mich von abartigen Kerlen angraben lassen. Das ist meiner Stimmung nicht gerade zuträglich.« Alex zuckte die Achseln. »Soll ich dir sagen, wie du das Problem mit Henk lösen kannst? Bei ihm ist es nur der Jagdtrieb. Hat er, was er will, lässt er dich in Ruhe. Du bist eigentlich gar nicht sein Typ. Zu wenig Hintern, zu kleine Oberweite.« »Na danke. Ich soll mich von ihm flachlegen lassen, nur damit ich meine Ruhe hab’? Geht’s noch? Das kann’s ja wohl nicht sein.« Sie warf Alex einen zornfunkelnden Blick zu, doch erneut hob er nur die Schultern. »Hast du mal überlegt, wie du dich fühlen würdest in meiner Situation? Wenn du es wärest, den er anmacht, hm? Würdest du dich dazu herablassen, mit ihm ins Bett zu steigen, Alex?« Jetzt drehte er sich herum und lehnte sich neben sie auf den Zaun, so dass er Henk im Blick behielt. »Wer sagt dir denn, dass ich es nicht getan habe?« Er lachte. »Augen zu und durch, das wäre, was ich machen würde.« »Du bist ein Opportunist.« Phil drückte die Zigarette auf dem Gitter aus und schob den Stummel in die Hemdtasche. Vielleicht würde sie ihn nachher still und heimlich einfach auf den Boden fallen lassen, nur damit sie ihre Rache bekam. Über den Rand der Brille warf ihr Alex einen Blick zu. »Geb’ ich unumwunden zu. Ich weiß, wo meine Ziele im Leben sind und tue alles dafür, dass ich die erreiche. Du siehst, wo man hinkommt, wenn man es sich mit anderen verscherzt, nicht wahr, Phillipa Berger?« Mitläufer. Hat man ja gesehen, wie du mit Henk umgegangen bist, nicht wahr? Sicher war es so für ihn einfacher, aber Phil wusste, dass sie diesen Weg nicht gehen konnte. Ja, gut, ihre Widerspenstigkeit bildete einen Teil des Problems und hätte sie damals einfach den Mund gehalten, wäre vielleicht alles anders gekommen. Aber. Sie würde sicher niemals den Weg des geringsten Widerstandes gehen und sich schon gar nicht von Henk angrapschen lassen, nur damit er Ruhe gab. Soweit kommt’s noch. Vielleicht sollte sie im Revier nach Henks Akte schauen. Sagte Alex nicht, dass er schon auffällig geworden war? Dann sollte sich dort etwas finden lassen. Phil schwieg und ließ ihren Blick weiterwandern. Oben auf der Düne beim Leuchtturm hinter dem Dorf konnte sie eine Gestalt ausmachen, die dort unbeweglich stand. »Wer ist das? Beobachtet er das Treiben hier unten?« Sie nickte mit dem Kinn in die betreffende Richtung. Alex folgte ihrem Blick. »Nope. Die Fähre. Das ist der alte Käptn. Kommandiert zwar schon lange kein eigenes Schiff mehr und hat sich aus dem Dorf so gut wie zurückgezogen, aber er lässt es sich nicht nehmen, jede Fähre aus der Ferne zu grüßen. Solange ich hier bin, hat er keine Ankunft des Fährschiffes verpasst, egal, ob es in der Früh, mittags oder am Abend kam.« »Krass.« Phil schüttelte den Kopf. Als ein hagerer Mann mit Halbglatze auf dem Rad vorbeifuhr, hob Alex pflichtschuldig die Hand, erntete aber im Gegenzug nur ein kurzes, beiläufiges Nicken. »Bekannter von dir?« Phil drehte den Kopf und spähte aufs Meer. Wann kommt dieses blöde Schiff endlich? »Bürgermeister Petersen, Phil. Den solltest auch du kennen und grüßen, so wie jeden anderen. Höflichkeit auf dem Dorf, verstehst du? Meine Güte, reiß dich halt mal ein wenig zusammen. Du bist hier, du bleibst hier, du könntest langsam mal damit aufhören, dich einzuigeln.« »Ach ja? Zerbrich dir mal bitte nicht meinen Kopf. Erklär mir lieber nochmal, warum wir bei jeder verdammten Fähre herkommen müssen. Rechnet man mit Terroristen? Mit steckbrieflich gesuchten Personen? Die würden wohl kaum zur Erholung hierher ans Ende der Welt kommen, oder?« Präsenz zeigen hatte Polizeichef Ahrends ihr in knappen Worten erklärt, doch sie wollte es gerne noch einmal von Alex hören. »Vorbildfunktion«, antwortete Alex ruhig. »Wir begrüßen freundlich die Neuankömmlinge auf der Insel und erinnern sie, dass sie bei aller Erholung bitte nicht allzu sehr die Sau rauslassen.« Die Polizei, dein Freund und Helfer. Pah. »Ach, Scheiße. Kann mir alles gestohlen bleiben. Hier rumlungern und mir die Beine in den Bauch stehen für nichts und wieder nichts.« Phil löste die Finger, die sie um das metallene Absperrgitter gekrallt hatte. »Außerdem«, Alex stieß ihr einen Ellbogen in die Seite und deutete auf die Uferpromenade. »Außerdem versammelt sich hier gerne das Volk des Dorfes und du lernst die Leute kennen, für die du verantwortlich bist, Frau Polizeiobermeisterin. Schau mal, da drüben, siehst du die alte Dame, die auf ihrem Rollator sitzt?« Phil nickte. Viel mehr als die Oma interessierte sie die Frau an deren Seite. Hübscher Hintern, dachte Phil, als diese sich vorbeugte, um der Dame die Strickjacke zuzuknöpfen. »Das ist Frau Anderson. Sie ist dement, kann nicht mehr für sich selbst sorgen, kennt keinen, ist aber dummerweise noch recht mobil. Musst immer ein Auge auf sie haben. Bobbi, ihr voriger Pfleger, das war...