E-Book, Deutsch, 622 Seiten
Bicos Die Farbe der Kaktusblüte
1. Auflage 2018
ISBN: 978-3-96148-293-1
Verlag: dotbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Roman | Eine mutige Frau wagt sich Ende des 19. Jahrhunderts in die exotische Wildnis vor
E-Book, Deutsch, 622 Seiten
ISBN: 978-3-96148-293-1
Verlag: dotbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Olga Bicos wurde in Havanna geboren, studierte Jura in Berkley und arbeitete als Firmenanwältin in einem Medienunternehmen in Los Angeles, bevor sie sich ganz der Schriftstellerei zuwandte. Abenteuerlustig und weit gereist, lebt sie heute mit ihrer Familie in Kalifornien. Für ihre gefährlich-charmanten Helden wurde Olga Bicos für den begehrten K.I.S.S. Award der Romantic Times nominiert. Von Olga Bicos erscheinen bei dotbooks die Hot-Romance-Highlights »Fever - Gefährliche Liebe«, »Fever - Eiskalter Kuss« - beide Romane sind auch im Doppelband erhältlich - und »Passion - Süßes Verlangen« sowie die historischen Liebesromane »Die Liebe des Lords«, »Die Farbe der Kaktusblüte« und der Zeitreiseromane »Jetzt und für immer«.
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1. KAPITEL
London 1877
Jaime McKinnon drückte sich an die dunkle Holztür, ein Ohr hielt er in den winzigen Spalt, durch den ab und zu ein Luftzug wehte. Es herrschte beißende Kälte in der Halle, doch Jaime war viel zu sehr damit beschäftigt, eine bessere Möglichkeit zum Lauschen zu finden, als dass er irgendwelche Unannehmlichkeiten bemerkt hätte.
»Also, mein Junge. Was gibt's?«
Jaime wirbelte herum, er presste den Rücken sowie seine Handflächen gegen die Tür. Ein Mann mit einem Zylinder und einem zerknitterten Gehrock sah ihn unter buschigen Brauen mit bösem Blick an. Mehr aus Gewohnheit als aus Furcht verhielt sich Jaime ganz still. Der ältere Mann hatte einen dreizehnjährigen Jungen vor sich – der zweifellos lauschte –, dessen verstohlenes Benehmen gar nicht zu dem Eton-Anzug und dem einreihigen Mantel, den er trug, passte. Nur wenige Menschen kamen auf die Idee, sich über die Anwesenheit des Jungen in Burlington House zu wundern, wo die Veranstaltung der Königlichen Gesellschaft Londons zur Verbesserung des Wissens über die Natur stattfand; noch weniger Leute unterzogen das ängstliche, beinahe zarte Gesicht einer näheren Musterung.
Hinter seiner Stahlbrille zogen sich die milchig blauen Augen des Mannes zusammen, er wirkte beinahe wie eine Imitation von Scrooge bei Charles Dickens. »Du bist Shane McKinnons Junge, nicht wahr?«
»Ja, Sir. Sein Neffe, Sir.« Der unangenehme Kloß in Jaimes Magen löste sich langsam auf. Der Mann bedeutete keine Bedrohung für ihn. »Ich helfe ihm manchmal.«
»Nun, um Himmels willen, spricht er nicht gerade?«, fragte der Ältere und blinzelte kurzsichtig zu der Tür, die mit ihrem übertriebenen Schnitzwerk wie die Tür eines römischen Miniaturtempels aussah.
»Jawohl, Sir. Aber ich warte lieber draußen. Ich meine, bis er zu Ende geredet hat.«
Der Gentleman verdrehte die Augen; er machte sich nicht lange die Mühe, sich zu verabschieden, sondern kehrte Shane McKinnons Helfer ganz einfach den Rücken und schlurfte zur Treppe. »Kohlkopf, genau wie der Onkel«, murmelte er laut genug, dass Jaime es hören konnte.
Aus dem Inneren des Versammlungssaales wurde Jaime wieder von der wohl bekannten Baritonstimme Shanes zur Tür gezogen – die Stimme stieg an und fiel ab wie ein Musikstück. Nur die Macht seines Crescendos und die viel sagende Pause, die darauf folgte, verlieh ihr Bedeutung. Erfolg. Absoluter Erfolg. Trotz der momentanen Stille war Jaime ganz sicher, dass der Ehrenwerte Shane McKinnon, genau wie der berühmte Mesmer, seine Zuhörer in der Hand hatte.
Zögernd entfernte er sich von der Tür und setzte sich auf den kalten Boden. Vielleicht hatte Scrooge ja Recht. Wenn Jaime in den Saal ging, würde niemand auf den mageren Jungen mit den sandfarbenen Locken achten, der in der hintersten Reihe stand. Aber in gewisser Weise gehörte Shanes »Neffe« nach draußen.
Geheimnisse, dunkle, unsägliche Geheimnisse – Geheimnisse, so gründlich verborgen, dass Jaime sie manchmal selbst glaubte – hielten Shanes Helfer davon ab, den heutigen Triumph mit ihm zu teilen.
Der Knabe rieb sich mit beiden Händen über die wollenen Mantelärmel. Den Kopf lehnte er zurück an die Wand, deren Stuckverzierung rankenden Weinreben ähnelte; tief atmete er den Geruch von Leinöl ein und lauschte dem hohlen Echo eines Stockes, der auf der Treppe klapperte. Es schien ein halbes Leben her zu sein, doch in Wirklichkeit war nur ein halbes Jahr vergangen; seit Jaime Torf gesammelt hatte für das Abendfeuer, während er gleichzeitig gegen die bittere Kälte ankämpfte, im Vergleich zu der der Versammlungssaal wie eine gemütliche Zuflucht erschien. Plötzlich war Shane auf dem Berg aufgetaucht, hoch zu Ross, und er hatte ausgesehen wie ein Ritter in einer glänzenden Rüstung.
Allein der Schnitt seiner Kleidung verriet Wohlstand und Bildung, und Jaime wusste sofort, wer da gekommen war. Niemand von Bedeutung bereiste jemals dieses einsame Tal, in dem Jedediah, der halb verrückte Kleinpächter, bei dem Jaime lebte, wie ein König herrschte. Es musste Shane sein, elegant in Schwarz gekleidet, der jeglicher Beschreibung gerecht wurde, die Jaimes Mutter ihm vor ihrem Tod gegeben hatte.
»Wenn du ihn triffst, mein Schatz – und so Gott will, wirst du ihn treffen –, dann erwarte nicht, dass dein Onkel aussieht wie ich«, hatte sie gesagt und mit ihrem langen Zopf über Jaimes blonde Locken gestrichen. »Sein Haar ist so schwarz wie Pech, und er hat nicht die goldenen Augen der McKinnons, die du geerbt hast. Aber es sind seine Augen, an denen du ihn erkennen wirst. Sie sind grau wie ein Wintersturm, der sich in den Hügeln zusammenbraut. Es sind die Augen eines Zauberers, pflegte unser Vater zu sagen. Und er besitzt wirklich eine Art außerirdischer Kraft, mein Bruder. Er kann dich mit den Sternen vertraut machen.« Sie seufzte und legte ihren dünnen Arm um Jaimes Schultern, während sie sich vor dem rauchenden Feuer zusammenkauerten. »Und er kann dich noch andere wundervolle Dinge lehren, wenn du ihm zuhörst. Ich wünschte, ich hätte das auch getan.«
Jaime lächelte bei der Erinnerung; er glaubte, dass Shane wirklich ein Zauberer war, obwohl dieser es nicht gern hörte, wenn man ihn so nannte. An einem einzigen Tag hatte er die Kälte gebannt, den Hunger und die Unwissenheit, die in Jaimes Leben geherrscht hatten. Und genau wie von Alicia McKinnon angekündigt, ehe sie starb, hatte er Jaime die Sterne gezeigt.
»Sieh nicht direkt hin«, flüsterte Shanes melodiöse Stimme in dieser ersten Nacht vor sechs Monaten, und sein Atem wehte wie eine weiße Fahne um das Teleskop. »Schau eine Minute lang zur Seite, Junge, und dann lässt du sie ganz langsam in dein Blickfeld rücken. Also, bist du jetzt so weit? Es ist wie eine Hand, die vier Sterne in ihrer Handfläche hält.«
»Es ist wunderschön«, flüsterte Jaime und blinzelte, weil das Teleskop an seinem Auge so kalt war. »Wie eine Kette aus Diamanten in einem Netz aus Rauch!«
Shane stand in Hemdsärmeln neben dem Teleskop, die beißende Kälte der Lowlands schien er überhaupt nicht zu bemerken. Seine Leidenschaft für seine Arbeit hielt ihn warm. Er lachte leise. »Eine recht angemessene Beschreibung. Der große Orion-Nebel kann ziemlich beeindruckend sein.« Er machte eine Pause, ehe er mit seiner sanften Rattenfänger-Stimme weitersprach. »Denk nur, Jaime, obwohl es uns jetzt erst erreicht, hat das Licht, das wir von dem Nebel sehen, vor über tausend Jahren gebrannt. Was für Wunder es wohl miterlebt hat? Was für Geschichten es erzählen könnte von seinem Beobachtungsplatz am Himmel?«
Eine inzwischen vertraute Wärme erfüllte Jaime und vertrieb die Kälte der Halle von Burlington House. Wie ein großer Poet konnte Shane McKinnon den dunklen Himmel mit seinen Erklärungen zum Leben erwecken. Sicher gab es Menschen, die ihn hinter seinem Rücken den Schwarzen Zauberer nannten, sie taten seine unverstandenen Theorien als Bauernfängerei ab. Ein wahres Genie weckte immer Kontroversen. Aber schon bald wird es ihnen allen Leid tun, dachte Jaime. Heute würde die wissenschaftliche Gemeinschaft Shanes kostbarste Entdeckung akzeptieren. Es gab keinen Grund, sich Sorgen zu machen.
Jaime stellte sich den Versammlungssaal mit den vielen Reihen feierlich gekleideter Gestalten vor, die wie Krähen auf ihren Stühlen hockten. Shane würde auf dem Podium hin und her laufen, er würde dramatisch mit den Armen fuchteln, während er die eigenartige Diskrepanz beschrieb, die er entdeckt hatte, beim Messen der Positionen der Sterne während der letzten Sonnenfinsternis in Indien. Er würde sein Publikum gefangen nehmen, das einzige Geräusch wäre Shanes Stimme, ab und zu ein verwundertes Aufkeuchen, wenn er seine Sternenkarten präsentierte, und das Geräusch seiner Stiefel auf den Eichendielen – vor lauter Energie blieb er nie länger als für einen Atemzug still stehen.
Die Tür flog auf. Jaime rückte schnell zur Seite und entging so der Masse der Stiefel, die an ihm vorüberstürmten. Ängstlich betrachtete er die Gesichter der Männer, um ihre Reaktion zu prüfen. Shanes Helfer betrachtete die blassen Gesichter, einige davon mit Koteletten verziert, andere mit gepflegten Spitzbärten oder Schnäuzern. Doch ihre Züge verschwammen, als sie an ihm vorbeieilten. Einen Augenblick lang konnte Jaime das eigenartige Summen nicht verstehen, als die Menge die zierliche Gestalt in dem eleganten Eton-Anzug mit sich zog, weg von der Tür des Saales. Das Summen schwoll an und wieder ab, ein Donner, der immer lauter wurde, bis er sich schließlich in den ersten deutlichen Sätzen Luft machte.
»Der Schwarze Zauberer hat wieder einmal einen seiner alten Streiche gespielt. Stell dir mal vor, er behauptet, dass sich die Sterne bewegen! Also wirklich, allein die Optik ...«
»Ein Riss in der Struktur der Newton-Physik – Unsinn! Wenn du mich fragst, ein verschwendeter Nachmittag, an dem man sich solchen Hokuspokus anhört.«
»Wirklich? Ich fand ihn recht unterhaltsam. Im Gegensatz zu uns allen besitzt er die Dramatik eines Schauspielers. Das muss man dem Schwarzen Zauberer lassen, er ist niemals langweilig.«
Bei dem überheblichen Lächeln vieler Besucher und dem verwirrten Gesichtsausdruck einiger weniger, zog sich Jaimes Magen zusammen; es fiel ihm schwer, Luft zu holen.
»Angeblich ist er blind, müssen Sie wissen. Aber das kann ich nicht glauben.«
»Farbenblind, Martin! Er kann keine Farben unterscheiden. Überhaupt keine Farben. Nur Schwarz und Weiß. Es ist, als würde man eine riesige Daguerreotypie betrachten. Sehr selten, so viel steht fest! Aber sicher trägt es nicht dazu bei, seine Vorstellungskraft einzuschränken. Leider wird er keinen Penny vom Rat bekommen. Ich habe gehört, dass die...




