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E-Book, Deutsch, 368 Seiten
Binder Der Spiegel des Dämons 2
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-6951-4953-7
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Band 2 Wüstenspiegelung
E-Book, Deutsch, 368 Seiten
ISBN: 978-3-6951-4953-7
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Matthias Binder, Jahrgang 1969, verheiratet. Als Vater zweier Kinder, und als evangelischer Pfarrer sammelte er Erfahrung im Erzählen. Als habilitierter Kirchenhistoriker eignete er sich ein fundiertes Wissen über Leben und Glauben des Mittelalters an. Er meidet historische Romane, in denen schon wieder einmal Dominikaner und Sarazenen nur die Bösen spielen dürfen.
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11 Babylon
Babylon? Klar, der Michl würde den Said gleich darauf hinweisen, es ist eine Verwechslung. Aber das war unmöglich, denn dessen Ohr war zu weit weg. In der Gasse drängten sich Körper und Stimmen und Turbane. Der Michl musste zusehen, dass er den Said nicht verlor, und er drängte ihm hinterher, und war froh, dass er keinen Turban besaß. Was die Verwechslung mit Babylon betraf, das war ja auch nichts Wichtiges. Nach einiger Zeit drängten sie wieder durch ein Stadttor. Ein südliches war es, denn im Westen waren sie hereingekommen, und später rechts abgebogen. Schon wieder hinaus? Ein so kurzer Weg? Aber Kairo soll doch die größte Stadt der Sarazenen sein! Größer als Paris, hatte der Said gesagt. Aber so ein Vergleich hilft dir nur, wenn du Paris kennst. Doch da, es ist ein echtes Doppeltor. Also doch bereits der südliche Stadtausgang. Der Michl hatte von der Stadt fast nichts gesehen. Dafür aber die längste Nase, die es gibt. Die Nase des Tiers, auf dem großen Hof gleich hinter dem Westtor.
so hieß das Wesen, oder jedenfalls, so nannte es der Said. Ein Tier größer als zehn Ochsen, die Augen aber kleiner als die eines Pferds. Schon das alles beängstigend. Man will ihm nicht unter die massigen Füße kommen, dem Fil. Aber dann, seine Nase. Auf den ersten Blick in sich gekrümmt, dann auf einen Schlag wieder zwei oder drei Klafter lang. Wenn das der Lenart sehen könnte. Oder der Calussio. Hier, aufgepasst. Man möchte meinen, dass man die Stadt verlässt, nach dem Doppeltor, aber was ist das für ein Tor? Draußen sieht alles genauso aus wie drinnen. Haus an Haus, Turban an Turban, Garküche neben Garküche. Viele der Garküchen auch hier geschlossen. Also. Diese Nase – das Tier, der Fil, bewegte seine Nase, als sei sie eine Schlange. Aber aufgepasst, links steht der Said, und wartet auf den Michl, aber der Michl ist viel weiter rechts hinausgekommen, und jetzt wird er von den Menschen am Said vorbeigeschoben. Der Said drückte sich zu ihm hin, trotz seines großen Turbans. Gut, wieder zu der Nase. Die Nase des Fil, das müsste man auch dem Fra Zotto berichten. Sie hat diesen Daumen, mit dem sie sich die Datteln von der offenen Hand des Wärters greift. Eine Nase mit Daumen! Dann wurde dem Michl klar, dass die Mauern von Kairo, die so klein gar nicht sind, dennoch viel zu klein sind für die Stadt. Die Stadt quillt nach allen Seiten aus den Toren heraus. Das war auch so gewesen, bevor sie durchs Westtor hereingegangen waren. Da hatten sie mindestens zwei Stunden gebraucht, um durch das Meer der Häuser überhaupt zum Tor hin zu gelangen. So würde es jetzt hinauswärts auch sein.
Aber wo wollte der Said hin? Doch nicht wieder fort aus Kairo! Nach Babylon, hatte er gesagt. Aber Babylon liegt ja weit weg, es ist das Land im Norden, das Land des Königs Nobochodonosor. Babylon, das ist auch dort, wo es die Sprachverwirrung gegeben hat, wo dann alles durcheinander gegangen ist. So hat es der Bruder Niklas dem Michl beigebracht. Ägypten dagegen im Süden, mit dem König Pharao. Irgendetwas ist jetzt dem Said durcheinander gegangen. Also, hier ist der Said, jetzt frag ihn nach dem Ziel, das er meint.
Der Said antwortete, sie gehen diese sehr lange und breite Gasse hinunter, namens Schari? A??am, die von dem Tor, durch das sie gekommen sind, dem Zuweila-Tor, nach Süden führt. Und rechts der Gasse liegt der Fil-See, und Fil, so heißt auch das ganze Viertel. Aber rechts sah der Michl statt eines Sees nur Häuser. Ja, dahinter, rief der Said! Hinter den Häusern liegt der See! Und dass der Michl sich die Häuser einmal ansehen soll, sagte er, hübsch und sehr teuer. Die meisten wurden von den Amiren gebaut. Der Michl stimmte zu, aber er überlegte in Wahrheit, warum der See genauso heißt wie das Tier mit der Schlangennase. Dazu müsste man den See erst einmal sehen können. Nun gut. Dafür sah er einen Markt, rechter Hand. Eine große Halle, ein überdachter Markt, in den eine Gasse führte. Der Michl würde in einen solchen Markt gern einmal hineinschauen.
Der Said wollte wiederum, dass der Michl nach links schaut. Da war, zwischen all den prächtigen, gepflegten Wohnhäusern, ein kleines würfelförmiges Bauwerk mit einer Kuppel darauf. Schlicht, bescheiden, aber dadurch sehr edel. Ein Grab, sagte der Said, oder genau gesagt, ein ?ari?. Wer ist das, wollte der Michl wissen, dass er ein Grab mitten in der Stadt bekommen hat? Singar al-Mu?affar, sagte der Said, während sie weitergingen. Einer unserer Amire. Was für ein Amir, fragte der Michl? Das wäre zu schwierig zu erklären, sagte der Said, es gibt unzählige Amire. Wann ist er gestorben? Vor 30 Jahren oder ein bisschen mehr.
Aber mehr konnte der Said nicht sagen, denn schon wieder war da ein besonderes Gebäude, wieder links, aber viel größer als das Grab des Singar. Eine Kirche, fragte der Michl? Das sieht man ja, wegen dem großen Turm, wie sagt ihr, Minarett? Nein nein, Kirchen, das haben nur die Christen, sagte der Said aufgeregt, mit erhobenen Händen. Aber die Sarazenen beten darin, fragte der Michl? Das kann man schon tun, sagte der Said, aber es ist eine Madrasa, sagte er. Hierher kommen die Menschen zum Lernen. Der Amir ?unqur a?-?a?di hat sie gebaut. Und es ist auch ein Grab darin, das von ?asan ?adaqa. Er hat viel Geld für den Bau gegeben. Und der es gebaut hat, der, wie heißt er nochmal, fragte der Michl? ?unqur, sagte der Said. Genau, ?unqur, sagte der Michl, und der, fragte er, ist dort nicht begraben? Nein, sagte der Said, denn als ?unqur fertig war, das war vor 35 Jahren, da musste er fliehen. Warum? Weil der Amir Qawsun ihm nicht mehr gnädig war. Qawsun, fragte der Michl? Qawsun war der mächtigste Amir damals, sagte der Said. Qawsuns Palast ist auch nicht weit von hier, fügte er hinzu. Er hat den Palast gebaut, kurz nachdem der ?unqur die Madrasa gebaut hatte. Der Michl folgerte daraus, dass in diesem Land wirklich die Amire mehr Macht haben als der Herrscher, der Sultan. Denn wie sonst hätte ein Amir vor einem anderen Amir fliehen müssen – hätte das nicht die Entscheidung des Sultans sein sollen? Und was übrigbleibt: der geflohene Amir lässt sein Gebäude zurück, und der gebliebene Amir baut sich selbst ein neues.
Aber der Said unterbrach seine Gedanken schon wieder und zeigte auch diesmal nach links. Das hier ist jetzt das, sagte er, was du eine Kirche nennen würdest. Ein Gami?, sagen wir. Der Amir Ulmas al-?agib hat ihn gebaut. Auch wieder einige Jahre später nach dem vorherigen, fragte der Michl? Der Said rechnete nach. Ja, das war, hm, vor 25 Jahren, sagte er. Der Michl merkte, wie neu hier all die Gebäude waren, und je weiter sie kamen, desto neuer.
Er schaute sich die Kirche an, den Gami?. Schön! Die vordere Wand war fünf Klafter hoch, und mindestens doppelt so breit. Genau in der Mitte ein sehr hoher Eingang, rechts und links Fensternischen. Oben ebenso hoch wie der Eingang. Darin, in den Nischen, kleine Doppelfenster mit Rundbögen, und die Gitter der Fenster hatten die Form von feinstem Blattwerk, aus Stein gemeißeltes Blattwerk. Oben auf der Mauer hatten die Zinnen die Form von großen Lilien. Im oberen Drittel der Wand zog sich ein Band die ganze Mauer entlang. Das Band bestand aus einer Schrift, ebenfalls in den Stein gemeißelt. Der Michl hatte schon oft arabische Schriftbänder an ägyptischen Gebäuden gesehen. Noch nie ein Wandgemälde, so wie sie es in Venedig haben. Der Michl hatte auch schon oft Eingänge so wie hier gesehen. Sie haben am oberen Rand keine gerade Kante, keinen Türsturz, sondern Zacken. Oder, wenn du es näher anschaust, dann sind es viele kleine aneinandergereihte Mulden im Stein. Eine kleine Welt. Es liegen diese Mulden nicht in einer Reihe. Eher so, dass sich aus kleinen Formen größere Formen bilden. Wie in einer geleerten Melagrana fast. Es sieht alles erst planlos aus, und dann ist es doch ganz regelmäßig. Der Michl hätte dem Fra Zotto nicht sagen können, wie man so eine Welt aus Formen über dem Türportal nennen kann. Er fragte den Said, was es ist, und warum es so aussieht.
So nannte der Said die Form, und er sagte, das erinnert uns daran, wie Gott alles gemacht hat. Es ist wunderbar, wie Gott die Welt gemacht hat, und doch ist es ein Geheimnis. So wie diese Form. Der Michl machte ein Gesicht voll Bewunderung. Ja, er ist zu bewundern, so ein Muqarnas, sagte der Said. Der Michl nickte, aber bewundert hatte er, dass ein Heide wie der Said so etwas von der Erschaffung der Welt weiß. Wunderbar und geheimnisvoll.
Aber der Said zerrte ihn weiter, und er sagte, dass der Großdragoman, zu dem sie wollen, seinen Palast in der Mitte zwischen Kairo und Babylon hat. Und da war es schon wieder, dieses Missverständnis. Babylon. Ein Versehen konnte man es nicht mehr nennen, so hartnäckig, wie der Said dabeiblieb. Aber wieso, wollte der Michl fragen, und der Said unterbrach ihn und sagte, weil sich der Michl beim Großdragoman einen Pilgerausweis geben lassen muss, und außerdem ist dort auch die Pilgerherberge, die von den Franziskanern betreut wird, und hat denn der Michl das nicht verstanden, als er es ihm gesagt hat, dass er den...




