Birgisson | Quell des Lebens | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 304 Seiten

Birgisson Quell des Lebens


1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-7017-4628-6
Verlag: Residenz
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 304 Seiten

ISBN: 978-3-7017-4628-6
Verlag: Residenz
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



An der nördlichsten Küste Islands entspringt eine Quelle, die Überlieferungen zufolge über geheimnisvolle Heilkräfte verfügt. Als ein heftiger Vulkanausbruch Island - damals eine dänische Kolonie - im 18. Jh. verwüstet, wird im fernen Kopenhagen die Zwangsdeportation der Bevölkerung geplant. Der junge Wissenschafter Magnús Egede wird auf die Insel geschickt, um die Umsetzung dieses Plans zu betreiben - stattdessen jedoch verfällt er der Faszination der rauen Landschaft, ihrer Archaik und der Schönheit von Sesselja, einem stummen Mädchen aus den Westfjorden. Als Magnús von einem Eisbären schwer verletzt wird, ist es das Wasser aus dem Quell des Lebens am Rande der bewohnbaren Welt, mit dem Sesselja ihn heilt - nur um ihn wieder zu verlieren...

Bergsveinn Birgisson, geboren 1971 in Reykjavík, studierte altnordische Literatur in Bergen (Norwegen) und forscht vor allem zur Dichtung des skandinavischen Mittelalters. Er publizierte zwei Gedichtbände und mehrere Romane, die in zahlreiche Sprachen übersetzt wurden. Sowohl sein Romandebüt 'Die Landschaft hat immer recht' (dt. 2018)  als auch sein neuester Roman 'Quell des Lebens' wurde für den Isländischen Literaturpreis nominiert. Bergsveinn Birgisson lebt in Bergen, wo er auch an der Universität lehrt. In norwegischer Übersetzung erscheinen Birgissons Romane im ausgewählten Literaturprogramm des Pelikanen Forlag, der Karl Ove Knausgård gehört. Zuletzt erschienen: 'Die Landschaft hat immer recht' (2018) und 'Quell des Lebens' (2020).

Birgisson Quell des Lebens jetzt bestellen!

Weitere Infos & Material


I.
Es war in jenen Tagen, als das Leben des isländischen Volkes an einem seidenen Faden hing. Zu Johannis des Jahres 1783 unseres Herrn riss die Erdkruste am Skaftárjökull westlich des mächtigen Vatnajökull, sodass die nahe liegenden Siedlungen von glühenden Lavaschlämmen überschwemmt wurden, und aus der Feuerwunde schoss ein Sturm aus Bimsstein und Asche, der die Sonne verfinsterte. Die flammenden Zungen streckten sich hoch in den Himmel, und es wird gesagt, dass man das Feuer schon sechs oder sieben Tagesreisen weit sehen konnte, obwohl alles von Aschedunst durchdrungen war. Und weil der Ausbruch die Luft mit glühender Asche erfüllte, wurde dieses Ereignis von allen die »Not des Dunstes« genannt. Eine andere Besonderheit war die beispiellose Dauer des Vulkanausbruchs, die Erde setzte fast ein Jahr lang fort, Feuer und Asche zu speien, sodass mit der Zeit viele glaubten, das Feuer würde niemals erlöschen. Gelber Schneeharsch und eine kupferfarbene Kruste legten sich über das Land und hemmten in den südlichen Bezirken weithin den Graswuchs, im Osten kämpften die Menschen mit Feuer und Steinschlag, während im Nordland bei vorherrschenden Südwinden Bimsstein und Asche niedergingen und den Pflanzenwuchs erstickten; die Menschen gingen in Rauch gehüllt. In den nächsten Jahreszeiten blieb die Witterung kalt, der Sonnenschein schwarz, wie es in einem alten Gedicht heißt. Und doch war es nicht so, dass ein solcher Vulkanausbruch hierzulande noch nie dagewesen wäre – als die Katastrophe begann, murmelten die Leute viel eher die verwunderte Frage vor sich hin, ob es nun auch »dort zu brennen begonnen hätte«. Denn Anfang dieses selben Jahrhunderts hatte es so gewaltige Vulkanausbrüche in den Grímsvötn, dann in den Ostgletschern gegeben, dass die Erde schwarzen Sand über die Þingeyjarsýsla und den Eyjafjörður spie mit Wetterdunkel und Krachen. Vier Jahre später kam es zu gewaltigen Eruptionen am Gletscherschlund der Katlaspalte mit Ascheschwaden, dichtem Rauch, Feuerdämpfen und einer gewaltigen Wasserflut über den Mýrdalssandur, die großen Schaden und Not brachten. Drei Jahre danach brach die Krabla aus, wie man sie damals schrieb, der Mývatn trocknete fast vollständig aus, und lange dauerte das Wüten des Feuers an, sei es in der Krabla, dem Leirhnjúkur oder im Bjarnarflag. Und während dies geschah, barst auch der Öræfajökull mit entsetzlicher Heftigkeit, sodass Gletscherblöcke, kleinen Bergen gleich, über das Unterland rollten, gefolgt vom Speien glühender Asche. Diese Heimsuchungen setzten in der Mitte des Jahrhunderts erneut ein, als der Mýrdalsjökull mit gewaltigen Überschwemmungen eiskalten Wassers und Giftgaswolken aus dem Maul der Katla abermals explodierte. Dem folgten Erschütterungen, ein Bersten der Erde, Landbeben und loderndes Feuer aus einer Spalte, aus der glühende Steine auf die Bezirke ringsherum herniederschlugen. Zehn Jahre später, genauer 1766, begann dann die Hekla zu brennen und es ging wie mit der Katla – Ländereien mussten aufgegeben werden, Mensch und Vieh fielen auf der bimsstaubbedeckten Erde tot nieder, sobald der Berg kleine Wolken ausstieß, die Sonne schien blutrot durch den Staub und die aschegeschwängerte Nebelluft. Der Schaden war am ärgsten in den Bezirken Húnavatnssýsla und Skagafjarðarsýsla, denn dorthin trug der Südwind den meisten Aschenregen. Draußen vor Reykjanes begann es im selben Jahr auch zu brennen und eine Zeit der Not hob an. Da wölbte sich eine Insel aus dem Meer, die unser König Christian VII ohne Umschweife Nýey, neue Insel, taufte. Es ist ein königlicher Beschluss erhalten, in dem Kammerherr Levetzow und Magnús Stephensen aufgefordert werden, eine Landung zu versuchen und »dem König die Insel zuzueignen«, aber das war unmöglich wegen der andauernden Lavaeruptionen, und so bleibt es das einzige Beispiel dafür, dass ein Dänenkönig sein Hoheitsgebiet ohne den geringsten Krieg vergrößerte. Einige Zeit später brachen die bereits erwähnten Skaftárfeuer aus. Man wunderte sich weithin, dass »es auch dort zu brennen begonnen hätte« – aber was niemand im Vorhinein ahnen konnte, waren Ausmaß und Dauer dieser Naturkatastrophe, die alle früheren in den Schatten stellte. Man darf auch nicht glauben, dass dieser Vulkanausbruch das einzige Übel gewesen wäre, das die Isländer in dieser Epoche heimgesucht hätte. Eher wäre die Redensart angebracht, dass ein Unglück selten allein kommt. Gewaltige Fluten wälzten sich bis zu fünfzehnhundert Klafter weit auf trockene, niedrig liegende Gebiete, Treibeis suchte das Land den Großteil des Winters über heim, und die Kälte war so klirrend, dass das Meer gefror – es wurde zum mare concretum, wie die Alten das Eismeer nannten. Die Leute gingen trockenen Fußes von Reykjavík direkt nach Akranes und genauso zwischen den Inseln im Breiðarfjörður umher. Das führte zu einem völligen Ausfall des Fischfangs von der September-Kreuzmesse 1783 weit bis ins nächste Jahr hinein, zusätzlich zu dem großen Viehsterben. Es gibt verblüffend genaue Aufzeichnungen der Wissenschaftler dieser Zeit über Bevölkerungsschwund und Viehtod. Grasmangel führte dazu, dass Pferde andere verendete Pferde fraßen, so wie auch Wände, Gebälk und das Bretterwerk aufgegebener Höfe, und die Schafe fraßen ihre Wolle – worauf sowohl die einen wie die anderen siech wurden und verreckten. Auch die Menschen aßen alte Pferdekadaver, wurden krank und starben, während die Rinder an Unterernährung und inneren Krankheiten oder verstopften Atemwegen eingingen. Mancherorts, wie etwa an der Skaftá, wird in der Lebensbeichte eines Pfarrers, der nicht aus dem Gebiet geflohen war, berichtet, dass in den Siedlungen die Leichen ohne Sarg in Massengräbern gestapelt wurden und man darüber Erde schaufelte. Das nannte man Menschen einerden. Die Zahlen sprechen für sich. Im Jahr 1784 wurde die Bevölkerung in Island um 4289 reduziert, die Pferde wurden um 28 000 weniger, das Rindvieh um 11 461, das Schafvieh um 190 488. Das sind beachtlich genaue Zahlen, und es ist höchst eindrucksvoll, wie viel wir angesichts des Ausmaßes der Katastrophe über den Tod und seine Opfer wissen. Um das Maß der Zerstörung vollzumachen, grassierte eine der schlimmsten Pockenepidemien aller Zeiten, wie auch die Amöbenruhr, Skorbut, Mumps, und die Kleinkinder starben vor allem an Atemnot, Husten und Syphilis, Magenkrämpfen und Masern. Dazu kamen noch Rippenfellentzündungen als Folge der Pocken. Die Zahl der Leprakranken wuchs stark an, nach Meinung unseres Landesphysicus Bjarni Pálsson vor allem aus Unachtsamkeit und mangelnder Hygiene. All diese Plagen kamen mit ausländischen Schiffen in die Häfen des Landes; auch wenn deren Beladung viele vor dem Hungertod bewahrt hat, so töteten sie in Wirklichkeit noch mehr. Man darf nicht vergessen, dass das gemeine Volk in seinem Elend schon im Jahr 1781 gezwungen war, von der Compagnie der Zinskammer billigere Gerste zu kaufen. Diese war verpflichtet, das sogenannte Notkorn zu liefern. Aber aus Hungerwahn und Nahrungsknappheit sowie aufgrund des allgemeinen Mangels an Aufklärung durch den Königlichen Handelsverein verabsäumten die Menschen, Grannen und Schalen der Gerste auszusieben und aßen das ganze Getreide, was in weiten Landstrichen zu Ruhr und Magenkrankheiten führte und die Menschen reihenweise niederstreckte. Zügelloser Genuss von Haifischfleisch tötete sodann viele im westlichen Teil des Landes und im Nordwesten – vor allem wegen des Mangels an Brennivín, des Schnapses, der ein zu dieser Speise notwendiger Trunk ist, vor allem wenn in Hungersnöten direkt von den Haufen Haifischfleisch, das in der Erde reift, gegessen wird. Zudem wurde die wenige Vegetation, die unter Asche und Bimsstaub des Jahres 1784 zu sprießen vermochte, von Würmern befallen, sodass die Birken abstarben. Obstbäume gingen ein. Versuche, Korn anzubauen, zeitigten keinen Erfolg, und niemand kümmerte sich um die Tabakbäume, die das einzige zu sein schienen, das sich in Asche und Rauch behauptete. Gestrandete Wale brachten nur kurze Erleichterung, denn die Kadaver heizen sich im Innern auf, wenn die Fäulnis einsetzt, die Gedärme explodieren, sodass Kot das Fleisch vergiftet, und so fielen den gestrandeten Walen manch gute Leute zum Opfer, die gedacht hatten, ihr Leben sei fürs Erste gerettet. Während es die allgemeine Not und die Naturkatastrophen waren, die die meisten Armen und Nutzlosen dahinrafften, die hinfälligen Alten, unnötiges Drecksgesindel, Gierschlunde und Kranke, Rossfresser, Faulsäcke und Landstreicher, kümmerten sich die Seuchen um die besten Menschen in der Blüte ihrer Jugend, um Menschen, die am stärksten waren und die ärgsten Katastrophen überstanden hatten. Leben war das keines. Es war nicht möglich – zu leben. Berichte über den Zustand unseres kleinen Landes erlangten Berühmtheit und wurden auch in jenen...


Bergsveinn Birgisson, geboren 1971 in Reykjavík, studierte altnordische Literatur in Bergen (Norwegen) und forscht vor allem zur Dichtung des skandinavischen Mittelalters. Er publizierte zwei Gedichtbände und mehrere Romane, die in zahlreiche Sprachen übersetzt wurden. Sowohl sein Romandebüt "Die Landschaft hat immer recht" (dt. 2018) als auch sein neuester Roman "Quell des Lebens" wurde für den Isländischen Literaturpreis nominiert. Bergsveinn Birgisson lebt in Bergen, wo er auch an der Universität lehrt. In norwegischer Übersetzung erscheinen Birgissons Romane im ausgewählten Literaturprogramm des Pelikanen Forlag, der Karl Ove Knausgård gehört. Zuletzt erschienen: "Die Landschaft hat immer recht" (2018) und "Quell des Lebens" (2020).



Ihre Fragen, Wünsche oder Anmerkungen
Vorname*
Nachname*
Ihre E-Mail-Adresse*
Kundennr.
Ihre Nachricht*
Lediglich mit * gekennzeichnete Felder sind Pflichtfelder.
Wenn Sie die im Kontaktformular eingegebenen Daten durch Klick auf den nachfolgenden Button übersenden, erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Ihr Angaben für die Beantwortung Ihrer Anfrage verwenden. Selbstverständlich werden Ihre Daten vertraulich behandelt und nicht an Dritte weitergegeben. Sie können der Verwendung Ihrer Daten jederzeit widersprechen. Das Datenhandling bei Sack Fachmedien erklären wir Ihnen in unserer Datenschutzerklärung.