Erstes Kapitel
New Orleans, Louisiana
Januar 1844
»Ich benötige Ihre Fachkenntnis, um einen Mann zu töten.«
Gavin Blackford war gerade dabei, ein Glas Madeira vom Tablett auf dem Beistelltisch zu nehmen. Abrupt hielt er inne. Dass solch eine mit klarer, wenn auch gedämpfter Stimme vorgebrachte Bitte während eines Anstandsbesuchs anlässlich des Réveillon, der Feier des Neujahrstages, an ihn gerichtet wurde, war ungewöhnlich. Besonders überraschend war jedoch, dass die Bitte von einer Dame kam.
Jenseits der abgeschiedenen Ecke, in der sie standen, wurden zahlreiche lebhafte Gespräche geführt, ein Zeichen der heiteren Geselligkeit dieses Tages, an dem es Sitte war, dass die Männer von Haus zu Haus gingen, um die Damen aus ihrem Bekanntenkreis aufzusuchen und mit ihnen auf das neue Jahr anzustoßen. Das war bereits der zehnte Besuch, den Gavin an diesem Nachmittag absolvierte, wobei er immer wieder gezwungen gewesen war, durch den strömenden Regen zu eilen, der nach wie vor hinter den Verandatüren des elegant eingerichteten Salons niederging. Da er auch schon sein zehntes Glas Wein oder Rumpunsch trank und leicht beschwipst war, war er sich in keiner Weise sicher, ob er die Worte, die er eben gehört hatte, richtig verstanden hatte.
»Wie bitte?«
»Ich denke, Sie haben gehört, was ich gesagt habe.«
Nachdem er das Glas, das er Madame Ariadne Faucher hatte reichen wollen, vorsichtig wieder hingestellt hatte, drehte Gavin sich zu ihr zurück, um sie im flackernden Licht der über ihnen hängenden Gasleuchter zu betrachten. Für eine Frau war sie ziemlich groß. Ihre aufrechte, elegante Gestalt war in rosafarbene Seide gehüllt, die nach der neuesten Pariser Mode mit schwarzen Rüschen besetzt war. Ihr Blick war fest und verriet eine leichte Befangenheit, ohne jedoch irgendwie unsicher zu wirken. Ihre großen Pupillen und der dunkelgraue Außenrand ließen die tiefbraune Iris ihrer Augen fast schwarz aussehen. Ihr glänzendes ebenholzfarbenes Haar war zu einem einfachen Knoten gebunden, in dem ein Strauß Rosenknospen steckte. Hier und da hatten sich Strähnen aus dem Knoten gelöst, die sich aufgrund der abendlichen Feuchtigkeit an ihren Schläfen kringelten. Die Haut ihres Gesichts und ihrer Schultern war feinporig und blass und besaß einen Glanz, als sei sie mit Perlmutt bestreut. Obwohl es sich nicht gehörte, den Blick zu senken, um auf die milchweißen Kurven zu starren, die ihr Dekolleté enthüllte, nahm Gavin am Rande seines Blickfelds wahr, dass diese liebreizenden Kurven den gleichen matten Schimmer aufwiesen. Das warf unweigerlich die Frage auf, ob der Rest ihres Körpers wohl einen ähnlichen perlmuttfarbenen Glanz hatte.
Als seine Gastgeberin Maurelle Herriot sie einander vorgestellt hatte, um sich anschließend wieder ihren anderen Gästen zu widmen, hatte er Madame Faucher für eine recht interessante, angenehm kultivierte Erscheinung gehalten, auch wenn sie mit ihren ein wenig zu ausgeprägten Gesichtszügen so gar nicht dem gegenwärtigen Schönheitsideal entsprach, demzufolge Frauen bleich und zart auszusehen hatten. Wie hätte er denn ahnen sollen, dass sie solch tödliche Pläne hegte?
»Verzeihen Sie, madame«, sagte er mit einer leichten Neigung des Kopfes. »Obwohl ich gestehen muss, dass mir die ehrenhafteren Formen des Blutvergießens ein gewisses Vergnügen bereiten, habe ich nichts für Mord übrig.«
»Darüber ließe sich in Anbetracht Ihres Rufs als Duellant gewiss streiten.«
Das war ein Umstand, an den er nur ungern erinnert wurde. »Gleichwohl ist mein Degen nicht zu vermieten.«
»Man hat mir erzählt, Sie seien ein maître d’armes«, erwiderte sie stirnrunzelnd.
»Ein ehrbarer und durchaus legaler, wenn auch ein wenig anrüchiger Beruf.«
Bevor sie antwortete, presste sie leicht die Lippen zusammen, was angesichts ihrer rosenroten Farbe und ihrer üppigen, schön geschwungenen Fülle bedauerlich war. »Ich habe nichts Ungesetzliches vor. Ich brauche Unterricht im Gebrauch eines Floretts.«
»Sie brauchen Unterricht«, gab er in verständnislosem Ton zurück.
»Ist das so schwer zu akzeptieren?«
»Sie werden zugeben, dass das ungefähr so unüblich ist, als wehre sich ein Kätzchen mit einem Küchenmesser gegen eine Bulldogge.«
»Aber es ist nicht unmöglich.«
Unwillkürlich stellte Gavin sich die Frau vor ihm in einer Aufmachung vor, wie seine männlichen Schüler sie zum Fechten trugen. Er malte sich aus, dass sie nur ein einfaches, am Hals offenes Mieder und Hosen anhaben würde, damit sie sich ungehindert bewegen konnte. Ihr Dekolleté würde den Blick auf Reize freigeben, wie sie in der Junggesellenbude seines Fechtstudios noch nie zu sehen gewesen waren, und bei jedem heftigen Ausfall würden Beine zur Geltung kommen, die, wie er vermutete, köstlich lang waren.
Sein Mund wurde trocken, während sich in seiner Lendengegend etwas rührte, das ihn an die Notwendigkeit erinnerte, seine Gedanken auf andere, höhere Dinge zu lenken. Ärger stieg in ihm auf. Normalerweise hatte er solche Reaktionen besser unter Kontrolle.
»Rein theoretisch ist es nicht unmöglich«, räumte er ein. »Ich weiß von ein oder zwei Damen, die gelegentlich mit ihrem Vater oder Bruder zur Übung fechten.«
»Das ist schwerlich das, was ich benötige.«
»Wie dem auch sei, wenn Ihr Gemahl sich zu mir bemühen würde, könnte er sie dann seinerseits instruieren.«
»Ich bin Witwe. Mein Vater und mein Bruder sind ebenfalls tot. Wenn sie es nicht wären, bräuchte ich diese Sache nicht selbst in die Hand zu nehmen.«
Ihr kühler, gelassener Ton passte weder zu dem Schmerz, der sich in ihren Augen widerspiegelte, noch zu der Röte, die ihre Wangen überzog, noch zu dem erregten Pulsieren ihrer Halsschlagader. Sie war, wie er feststellte, nicht so selbstbewusst, wie er zunächst angenommen hatte. Außerdem war sie wohl auch jünger, als er zunächst gedacht hatte, er schätzte sie irgendwo zwischen zwanzig und fünfundzwanzig. Einen Moment lang wurde er von dem Bedürfnis, ihr Trost zu spenden, überwältigt. Das war jedoch ebenso inakzeptabel wie ihre Bitte, da sie offenbar dem haut ton angehörte, den oberen Schichten der französisch-kreolischen Gesellschaft, an deren Rand er sich bewegte. Sie wäre zweifellos schockiert gewesen, wenn er irgendetwas in dieser Richtung angedeutet hätte.
Was hatte Maurelle noch einmal gesagt, als sie sie einander bekannt gemacht hatte? Er hatte nicht genau hingehört, da es ihn frappiert hatte, Madame Faucher überhaupt vorgestellt zu werden. Frauen ihres Status verkehrten gewöhnlich nicht mit Fechtmeistern und wurden ihnen deshalb höchst selten förmlich vorgestellt. Ihm war so, als wäre die Rede davon gewesen, dass sie vor kurzem aus Paris zurückgekehrt sei, aber sicher war er sich nicht.
Er riss sich zusammen und sagte: »Mein Beileid, madame. Darf ich dem entnehmen, dass Sie alleinstehend sind?«
»In gewisser Weise.«
Sie warf einen Blick auf einen hünenhaften Mann mit Schnurrbart, der nicht weit von ihnen entfernt mit einigen anderen Gästen zusammenstand. Der Mann hatte das silberweiße Haar vorzeitig ergrauter Menschen und einen hochmütigen Gesichtsausdruck. Gavin bemerkte, dass der Gentleman auf eine Weise in ihre Richtung starrte, die nichts Gutes verhieß. »Es gibt also niemanden, der Ihnen für eine Beleidigung, die Sie erlitten haben, Genugtuung verschaffen könnte.«
»So ist es.«
»Wenn Sie die Sache selbst in die Hand nehmen, stellt sich freilich das Problem, dass kein Gentleman, der den Namen verdient, die Herausforderung einer Dame annehmen würde.«
»Ich habe nicht gesagt, dass es sich bei dem Betreffenden um einen Gentleman handelt.«
»Dann haben Sie umso mehr Grund, dieses blutdürstige Vorhaben noch einmal zu überdenken«, meinte Gavin mit einem Stirnrunzeln.
»So nennen Sie das, wo Sie doch selbst schon auf dem Feld der Ehre getötet haben?«
Dieser Punkt schien ihr wichtig zu sein, da sie ihn bereits zum zweiten Mal erwähnte. »Nur, wenn es nicht anders ging, oder aus Versehen. Gewöhnlich reicht es bei Ehrenhändeln aus, wenn ein wenig Blut fließt.«
»Das liegt in meinem Fall auch im Bereich des Möglichen.«
Ihre grimmige Miene ließ ihn an dieser Bemerkung zweifeln. Dass die Dame nach Satisfaktion strebte, konnte mehrere Gründe haben. Vielleicht war ihrem verstorbenen Ehemann in der Vergangenheit eine Beleidigung zugefügt oder sein Andenken in den Schmutz gezogen worden. Oder aber sie war von einem Liebhaber zurückgewiesen beziehungsweise betrogen, möglicherweise sogar körperlich misshandelt worden. Ungeachtet all dessen war es in keiner Weise üblich, dass Frauen zu einer Stichwaffe griffen, um Vergeltung zu üben.
Bevor er...