Bliefert | Grabesbitter (Doppelband zum Sonderpreis) | E-Book | www.sack.de
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E-Book, Deutsch, 480 Seiten

Bliefert Grabesbitter (Doppelband zum Sonderpreis)

Bitterherz; Elfengrab
16001. Auflage 2016
ISBN: 978-3-522-62145-8
Verlag: Thienemann in der Thienemann-Esslinger Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Bitterherz; Elfengrab

E-Book, Deutsch, 480 Seiten

ISBN: 978-3-522-62145-8
Verlag: Thienemann in der Thienemann-Esslinger Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Bitterherz: Wenn Bitterkeit sich in Hass verwandelt, gerät dein Leben in Gefahr. Genau das passiert Ninas bester Freundin Sophie, aus heiterem Himmel, völlig unvorbereitet. Ein Anruf, und nichts gilt mehr. Nina ist verzweifelt: Was hat ihr Freund Timo mit der Sache zu tun? Und ist Sophie überhaupt noch am Leben? Elfengrab: Lili ist tot. Die Elfe der Klasse, das feengleiche Wesen, die Spitzensportlerin. Und Sinas Intimfeindin. Die Nachricht schlägt im Internat ein wie eine Bombe. Trägt Sina eine Mitschuld an Lilis Tod? Da entdeckt sie ein Tagebuch, das noch mehr Fragen aufwirft. Vor wem hatte Lili Angst? Todesangst sogar? Sina beginnt, nach Spuren zu suchen.

Ulrike Bliefert, Jahrgang 1951, studierte Germanistik, Anglistik und Theaterwissenschaften und begann ihre Schauspiel-Laufbahn Anfang der 1970er Jahre am Grips-Theater in Berlin. Neben dem Schreiben arbeitet sie u.a. als Film- und Fernseh-Schauspielerin, Hörspielsprecherin und Regisseurin.
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1


»Tjaaa ... Gesina, Sie sind also heute zum zweiten Mal bei mir, obwohl wir uns doch einig waren ...« Die Frau mit dem praktischen grauen Kurzhaarschnitt hob seufzend die Schultern und machte eine routinierte Kunstpause. Dann deutete sie auf den hässlich braun gepolsterten Besucherstuhl und lächelte Sina auffordernd an.

Sina setzte sich und lächelte zurück. »Sie haben Lippenstift auf den Schneidezähnen«, versetzte sie mit artigem Gesichtsausdruck und genoss es, dass Frau Haberlandt errötete und hastig ein Kosmetiktüchlein aus dem Behälter zupfte, der griffbereit auf ihrem Schreibtisch stand.

Sina kannte das schon: Die Kleenex-Box stand da für all die armen Hascherln, die unter Frau Haberlandts professioneller Güte und Barmherzigkeit zusammenklappten und in Tränen ausbrachen. Nicht mit mir, versicherte sie sich innerlich, diesmal nicht! Und überhaupt »verhaltensauffällig«? Was heißt das schon? Ein bisschen Klauen hier, ein bisschen Schuleschwänzen da: Was war denn schon dabei? Okay, man hatte sie einmal zu viel erwischt, und der Kaufhausdetektiv hatte es sich diesmal nicht nehmen lassen, die Polizei einzuschalten, aber im Grunde ...

»Im Grunde machen Sie doch alle nur so ’ne Welle, weil ich als Kind-aus-gutem-Hause einfach nicht in Ihr Konzept passe!«

Oje, hatte sie das tatsächlich laut gesagt? Dabei hatte Sina sich fest vorgenommem, sich diesmal auf keine Diskussionen einzulassen. Sie biss sich auf die Lippen.

Zu spät! Denn prompt setzte Frau Haberlandt zu dem an, was Sina insgeheim Textbaustein B-47/13 nannte: »Sina, ich fürchte, Sie machen es sich zu einfach.«

Hast du ’ne Ahnung, dachte Sina und schaltete auf Durchzug.

Das erste Mal, als man sie zum Schulpsychologischen Dienst geschleppt hatte, war wenigstens ihre Mutter noch dabei gewesen. Das war kurz nachdem Papa und seine Neue das schicke Haus in Zehlendorf gekauft hatten und alle behaupteten, sie wäre dort am besten aufgehoben. »Eine in jeder Beziehung optimale Lösung«, hatte Papa gesagt, und Mama und Tricia hatten strahlend dazu genickt.

Überhaupt waren in den letzten anderthalb Jahren alle immerzu und dauernd glücklich und zufrieden, stellte Sina grimmig fest: ihre Eltern, als sie die ach-so-einvernehmliche, friedliche Scheidung verkündeten, Tricia Myers, als sie als Gattin Nummer zwei ganz in Weiß an Papas Seite zum Traualtar schritt, und Mama, als sie kurz danach beschloss, wieder zu studieren.

»Ihre Eltern machen sich wirklich große Sorgen ...«

Aha, Frau Haberlandt war an der Stelle angelangt, an der an den Zusammenhalt der frisch gebackenen Patchworkfamilie appelliert wurde.

»Na toll!« Sina schnaubte verächtlich.

»Warum sehen Sie das denn so negativ?«, hakte Frau Haberlandt nach, offensichtlich erfreut, endlich eine Reaktion hervorzurufen. Doch Sina schwieg. Sich Sorgen machen stand schließlich in der Jobbeschreibung für Eltern, oder? Und überhaupt: Was heißt schon »Familienzusammenhalt«? Echt blöd, dass mich nie einer gefragt hat, was ich darunter verstehe. Wütend rekapitulierte Sina die jeweilige Einschätzung ihrer neuerdings Vater, Mutter, Papas-Neue und Papas-neues-Kind umfassenden Familie: Papa versteht darunter, dass alle sich immer und ununterbrochen lieb haben, damit er in Ruhe arbeiten kann. Mama versteht darunter, dass jeder sich individuell entfalten können muss und dass sie jetzt mal an der Reihe ist. Tricia versteht darunter eine Art locker-flockige Wohngemeinschaft mit Putzfrau, Kindermädchen und Designermöbeln, und Laura-Joy, das neue Superbaby, versteht darunter offenbar, dass alle beständig um sie herumtanzen, »ah« und »oh« seufzen und sich vor Begeisterung gar nicht mehr einkriegen.

Im Sinne dieser allzeit glücklichen Patchworkfamilie hatten die Erwachsenen, kaum dass Papas und Tricias Traumbaby zur Welt gekommen war, das halslose, zerknitterte Etwas als »Sinas Schwesterchen« bezeichnet. Offenbar erwarteten alle, dass dieses Zauberwort irgendeinen eingebauten Mechanismus auslöste, der zu uneingeschränkter Begeisterung für ein abwechselnd schreiendes oder selbstzufrieden vor sich hin dösendes Wesen in rosa Rüschendeckchen führen würde. Nein, da regte sich gar nichts in Sina. Und dann dieses grässliche, pünktlich zur Geburt des Kleinchens fertiggestellte Babyparadies! Tricia hatte ihren Ami-Geschmack erfolgreich von San Diego nach Berlin exportiert: Laura-Joys Zimmer hätte Barbie vor Neid erblassen lassen! Und egal ob rosa, schneeweiß oder pink: immer alles vom Feinsten. Selbst Uromas schöne, abgewetzte Sitzgruppe, die im alten Haus das Wohnzimmer beherrscht hatte, war Tricias Stylingfimmel zum Opfer gefallen. Statt der behäbigen dunkelgrauen Plüsch-Dinger war ein riesiges cremefarbenes Ledersofa angeschafft worden.

Dass Sina wirklich nur aus Versehen ein dicker, blauer Permanentfilzer darauf gekullert war – natürlich ohne Verschlusskappe –, wollte ihr keiner so recht glauben.

Dabei war es tatsächlich keine Absicht gewesen, das schicke, neue Sofa gleich am ersten Tag mit Filzstift zu versauen. Aber als Sina merkte, dass ihr das keiner so recht abnahm, fand sie die Sache am Ende ganz in Ordnung.

Ihr war sowieso schleierhaft, wie Papa und seine Neue auf die Idee kommen konnten, ein Death-Punk-Fan könne sich in ihrem durchgestylten Designerambiente wohlfühlen.

Okay, sie hatten ihr, was die Einrichtung ihres Zimmers betraf, freie Hand gelassen, aber irgendwie konnten sie sich dann angesichts der schwarzen Pannesamtvorhänge und des Rattenkäfigs auf der Fensterbank ihre Kritik nicht verkneifen.

Zum Einzug der als neues Haustier geplanten Laborratte war es leider nicht mehr gekommen, weil Tricia in Tränen ausgebrochen war und Papa sich – vor die Wahl zwischen dem Zusammenleben mit seiner jungen Frau oder einer Laborratte gestellt – für seine Angetraute entschieden hatte.

»Die zweite Frau Ihres Vaters ist mit Ihrer Erziehung schlicht und ergreifend überfordert«, stellte Frau Haberlandt wie aufs Stichwort fest. Sina hätte beinahe laut aufgelacht. Erziehung? Na, das sollte die sich mal trauen!

»Andererseits wäre es Ihrer Mutter gegenüber einfach nicht fair, sie dazu zu zwingen, ihr gerade erst wieder aufgenommenes Studium zu unterbrechen und nach Deutschland zurückzukehren. Das verstehen Sie doch, oder?«

»Mama?« Jetzt wurde Sina hellhörig. »Was hat denn das mit meiner Mutter zu tun? Meine Mama hat es sich redlich verdient, mal aus allem rauszukommen. Und in Cambridge studieren? Mit Anfang vierzig? Ist doch irre! Also was gibt’s denn daran nicht zu verstehen?«

»Na, dann sind wir uns ja einig«, stellte Frau Haberlandt zufrieden fest und zog einen Aktenordner aus dem Regal.

»Über was sind wir uns einig?« In Sinas Kopf begannen laut und vernehmlich sämtliche Alarmglocken zu schrillen.

Sanft tadelnd schüttelte Frau Haberlandt den Kopf. »Haben Sie mir denn nicht zugehört?«

»Ich ... äh ... nein ... doch, natürlich!«, stotterte Sina.

»Na prima! So, hier haben wir’s!«, erklärte Frau Haberlandt zufrieden und hielt Sina einen bunten Prospekt unter die Nase. »Dann werfen Sie mal einen Blick darauf.« Und wieder dieses professionell aufmunternde Lächeln, mitsamt erneut die Schneidezähne verunzierender Lippenstiftreste.

»Schlossinternat Granzow an der Müritz«, stand auf dem Prospekt. Ein schneeweißes Barockschlösschen, davor, auf einem klatschgrünen, wohlgepflegten Rasen, eine Gruppe schick frisierter Jungen und Mädchen.

Tennis, Golf und Reiten inklusive.

Sina wurde schlecht. »Die wollen mich abschieben?«, stammelte sie ungläubig. »Weg von Berlin? In ein Internat?«

»So dürfen Sie das nicht sehen, Sina.« Frau Haberlandt legte mit mildem Lächeln die Hand auf Sinas Schulter. »Die finanziellen Möglichkeiten Ihrer Eltern erlauben es Ihnen, den Rest Ihrer Schulzeit in einer der schönsten Ecken Mecklenburg-Vorpommerns zu verbringen. Das Angebot, das die für den Freizeitbereich haben, stellt ja sogar mein Lieblingshotel in Hammamet in den Schatten!« Sie lachte über ihren kleinen, privaten Scherz.

Sina merkte, wie ihr langsam die Tränen in die Augen stiegen. »Wann?«, brachte sie mühsam hervor.

»Sofort!« Frau Haberlandt strahlte, und das Lippenstiftrot auf ihren Zähnen glänzte.

Vampirblut, dachte Sina. Dann ging sie hinaus und knallte die Tür hinter sich zu.

Vor dem Haus stand Tricia an der Beifahrertür ihres Cabrios: hübsch, groß, blond und langhaarig und von den Designerstiefelspitzen bis zum lässig hochgestellten Kragen ihrer klassisch weißen Hemdbluse absolut perfekt gestylt. »Na komm, ich lad dich zum Mittagessen im Café Luise ein, da können wir dann alles besprechen«, sagte sie und setzte ihr Betrachte-mich-doch-einfach-als-eine-Art-große-Schwester-Lächeln auf.

»Ich hab keinen Hunger«, erklärte Sina knapp, ließ Tricia stehen und trabte in Richtung U-Bahn.

»Wann kommst du denn nach Hause?«, rief Tricia ihr nach. Aha, dachte Sina, und schon ist wieder Schluss mit der Große-Schwester-Masche. Sie zuckte mit den Schultern, ohne sich auch nur umzudrehen. »Nach Hause? Ich hab doch sowieso kein Zuhause mehr!«

Die Fahrt vom Westen in den Osten Berlins dauerte fast eine Stunde. Gott sei Dank war die U-Bahn um diese Zeit fast leer. Sina startete ihren iPod, steckte sich die Earplugs in die Ohren, lehnte den Kopf an die zerkratzte Fensterscheibe und schickte sich an, die Umwelt auszublenden. Doch die übliche Gothic-Rock-Compilation versagte diesmal ihren...


Bliefert, Ulrike
Ulrike Bliefert, Jahrgang 1951, studierte Germanistik, Anglistik und Theaterwissenschaften und begann ihre Schauspiel-Laufbahn Anfang der 1970er Jahre am Grips-Theater in Berlin. Neben dem Schreiben arbeitet sie u.a. als Film- und Fernseh-Schauspielerin, Hörspielsprecherin und Regisseurin.



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