E-Book, Deutsch, 272 Seiten
Reihe: Manesse indigo
Blixen Babettes Fest
1. Auflage 2017
ISBN: 978-3-641-21573-6
Verlag: DVA
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
und andere Erzählungen
E-Book, Deutsch, 272 Seiten
Reihe: Manesse indigo
ISBN: 978-3-641-21573-6
Verlag: DVA
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Jahrelang hat Babette in der Lotterie gespielt, bis ihr eines Tages das Glück hold ist. Mit dem Gewinn richtet die Meisterköchin in dem abgelegenen norwegischen Dorf ein Festmahl aus, dessen lukullische Verführungskunst die Gäste für ein paar Stunden in den Himmel erhebt. Mit der anrührenden Erzählung »Babettes Fest« ist Tania Blixen ein literarisches Glanzstück gelungen, das ihren Ruf als große Schriftstellerin des 20. Jahrhunderts mitbegründet. In diesem Band sind alle fünf »Schicksalsanekdoten«, wie die Autorin den Band betitelte, versammelt. Sie bezeugen, dass Blixens Texte, ihre Lebensthemen und Stoffe, das Exotische, das Märchen- und Legendenhafte dank der bildkräftigen Beschreibungskunst heute noch so lebendig sind wie eh und je.
Tania Blixen (1885-1962), eigentlich Karen Blixen-Finecke, wurde nahe Kopenhagen geboren, studierte Kunst in Paris und Rom und ging 1914 mit ihrem Mann nach Kenia. Dort fand sie ihre zweite Heimat und blieb eineinhalb Jahrzehnte als Kaffeefarmerin. Ihr Memoirenband »Jenseits von Afrika« wurde zu einem Bestseller. Darüber hinaus bezauberte sie Leser in aller Welt mit einem reichen erzählerischen Werk.
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Der Taucher
Mira Jama hat diese Geschichte erzählt.
In Schiras lebte ein junger Theologiestudent namens Saufe, hochbegabt und reinen Herzens. Indem er unablässig und stets von neuem den Koran las, versenkte er sich dermaßen in Gestalt und Wesen der Engel, daß seine Seele mehr mit ihnen Umgang hatte als mit seiner Mutter und seinen Brüdern, mehr auch als mit seinen Lehrern und Studiengenossen oder irgend jemandem sonst in Schiras.
Er wiederholte bei sich die Worte des heiligen Buches: »… von den Engeln, so die Menschenseele mit Gewalt hervorreißen, und von jenen, so es mit Sanftmut tun; von den Engeln, so mit Gottes Befehlen durch die Luft gleiten, als schwämmen sie; von jenen, so dem Rechtschaffenen vorangehen, wenn sie ihn ins Paradies geleiten, und von jenen, so an untergeordneter Stelle stehen und die Geschäfte dieser Welt regieren …«
Gottes Thron, dachte er, muß notwendigerweise so himmelhoch gelegen sein, daß das Menschenauge ihn nicht erreichen kann und daß der Menschengeist taumelt. Die strahlenden Engel indessen schweben hin und her zwischen Gottes azurenen Hallen und unseren lichtlosen Häusern und Schulstuben. Es müßte möglich sein, daß wir sie sehen und mit ihnen Umgang haben.
Die Vögel, überlegte er weiter, sind wohl von allen Geschöpfen am meisten wie die Engel. Sagt nicht die Schrift: »Was da immer sowohl im Himmel wie auf Erden wandelt, das lobpreist Gott; so auch die Engel« – und unbestreitbar tun die Vögel das: am Himmel und auf Erden wandeln. Und sagt sie nicht weiter, von den Engeln: »Sie sind nicht erhaben wie vor Stolz, also daß sie mit Hoffart ihren Dienst tun, sondern sie singen und verrichten, was ihnen geheißen« – und unbestreitbar tun dies auch die Vögel. Streben wir also in alledem mit Fleiß den Vögeln nach, so werden wir den Engeln ähnlicher sein, als wir es jetzt sind.
Überdies kommt hinzu, daß die Vögel Flügel haben, ganz wie die Engel. Es wäre gut, wenn sich die Menschen auch Flügel schaffen könnten, um in hohe Regionen aufzusteigen, wo ein helles und ewiges Licht herrscht. Ein Vogel, der die Kräfte seiner Schwingen aufs äußerste anstrengt, mag wohl bei der einen oder anderen seiner wilden Ätherfahrten einen Engel treffen, ihm über den Weg fliegen. Vielleicht hat der Flügel der Schwalbe einen Engel am Fuß gestreift, oder der Adler hat einem Gottesboten in die stillen Augen geblickt, gerade als seine Kraft erlahmen wollte.
Ich will, beschloß er, meine Zeit und meine Gelehrsamkeit dazu verwenden, daß ich solche Flügel baue für meine Mitmenschen.
So ging er denn mit sich zu Rate und fand, daß er Schiras verlassen sollte, um die Lebensweise der geflügelten Geschöpfe zu studieren.
Bisher hatte er, indem er Söhne aus reichen Häusern unterrichtete und alte Handschriften kopierte, seine Mutter und seine kleinen Brüder ernährt, und sie klagten, ohne seine Unterstützung würden sie Not leiden. Er wandte ein, früher oder später werde sein Werk sie vielfältig für die gegenwärtigen Entbehrungen entschädigen. Seine Lehrer, die sich eine schöne Laufbahn für ihn versprochen hatten, stellten sich bei ihm ein und redeten ihm ins Gewissen, die Welt sei so lang ohne einen näheren Umgang mit den Engeln ausgekommen, daß es wohl so vorbestimmt sei und auch in Zukunft so bleiben könne.
Aber der junge Gottesgelehrte widersprach ihnen in aller Ehrerbietung. »Bis zu diesem Tage«, sagte er, »hat noch niemand gesehen, daß die Zugvögel ihren Weg nehmen nach wärmeren Gegenden, die es gar nicht gibt, oder daß sich die Flüsse ihren Lauf durch Felsen und Ebenen brechen und einem Meer entgegenströmen, welches nirgends vorhanden ist. Gott hat gewiß keine Sehnsucht oder Hoffnung erschaffen, ohne auch die Wirklichkeit zur Hand zu haben, die als Erfüllung dazugehört. Aber unsere Sehnsucht ist unser Pfand, und selig sind, die da Heimweh haben, denn sie sollen nach Hause kommen. Wieviel besser doch«, rief er aus, denn sein eigener Gedankengang riß ihn hin, »stünde es um unsere Erdenwelt, wenn der Mensch bei den Engeln Rat einholen und sich von ihnen sagen lassen könnte, wie das Muster der Schöpfung zu verstehen ist – sie können es ja mit Leichtigkeit lesen, denn sie schauen’s von oben.«
So stark war sein Glauben an seinen Vorsatz, daß die Lehrer ihm schließlich nicht länger widersprachen; sie überlegten, daß der Ruhm ihres Schülers sie dereinst, in künftiger Zeit, mit ihm zugleich berühmt machen könnte.
Der junge Softa nahm nun, ein ganzes Jahr hindurch, seinen Aufenthalt bei den Vögeln. Er machte sich sein Lager im hohen Gras der Felder, wo die Wachtel ruft; er kletterte auf die alten Bäume, wo die Ringeltaube und die Drossel nisten, suchte sich einen Sitz im Laub und verharrte dort so still, daß sie nicht von ihm gestört wurden. Er stieg in die hohen Berge und hielt sich, dicht unterhalb der Schneegrenze, in der Nähe eines Adlerpärchens auf, beobachtete, wie sie ausflogen und wiederkehrten.
Reich an Erkenntnis und Wissen kehrte er alsdann nach Schiras zurück und nahm die Arbeit an den Flügeln auf.
Im Koran las er: »Lob sei Gott, der die Engel erschafft, ausgerüstet mit zwei, mit drei, mit vier Schwingenpaaren«, und er beschloß, daß er für sich drei Paar Flügel anfertigen wollte, eins für die Schultern, eins für den Gürtel und eins für die Füße. Während seiner Wanderungen hatte er viele hundert Schwungfedern von Adlern, Schwänen und Bussarden gesammelt; mit denen schloß er sich nun ein und arbeitete mit solchem Eifer, daß er lange Zeit keinen Menschen sah oder sprach. Doch sang er bei der Arbeit, und die Vorübergehenden blieben stehen, lauschten und sprachen: »Dieser junge Softa preist Gott und führt aus, was befohlen ist.«
Als er aber sein erstes Paar Flügel fertig hatte, sie ausprobiert und ihre Tragkraft verspürt hatte, konnte er seine Freude nicht für sich behalten, sondern vertraute sie den Freunden an.
Anfangs lächelten die Großen in Schiras, die Gottesgelehrten und hohen Beamten, bei dem Gerücht von seiner Tat. Als sich das Gerücht aber ausbreitete und von vielen jungen Leuten bestätigt wurde, fühlten sie sich beunruhigt.
»Wenn dieser fliegende Junge da«, sagten sie untereinander, »tatsächlich Engeln begegnet und mit ihnen Verbindung aufnimmt, dann wird es den Leuten von Schiras wieder so ergehen wie immer, wenn etwas Ungewöhnliches sich ereignet: Sie werden vor lauter Staunen und Freude den Verstand verlieren. Und wer weiß, was ihm die Engel nicht für neues und umstürzlerisches Zeug erzählen mögen. Denn schließlich«, fügten sie hinzu, »ist die Möglichkeit ja nicht in Abrede zu stellen, daß es Engel im Himmel gibt.«
Sie beratschlagten die Sache, und der älteste unter ihnen, ein königlicher Minister namens Mirzah Aghai, sagte: »Dieser junge Mann ist gefährlich, weil er große Dinge träumt. Gleichzeitig aber ist er harmlos, und es wird leicht mit ihm fertigzuwerden sein, weil er das Studium unserer wirklichen Welt verabsäumt hat, in welcher Träume auf den Prüfstand müssen. Wir werden ihm, und dazu braucht’s nur einer einzigen Lektion, die Existenz der Engel zugleich beweisen und widerlegen. Es gibt doch wohl noch junge Frauen in Schiras?«
Den folgenden Tag schickte er nach einer von des Königs Tänzerinnen; ihr Name war Thusmu. Er setzte ihr den Fall so weit auseinander, wie er dachte, sie müsse darüber Bescheid wissen, und versprach ihr eine Belohnung, wenn sie ihm gehorchte. Ließe sie ihn aber im Stich, so würde ein anderes junges Tanzmädchen, eine Freundin von ihr, in der königlichen Tanzgruppe an ihre Stelle vorrücken, wenn das Fest der Rosenernte und des Rosenöls gefeiert würde.
So kam es, daß der junge Softa, als er eines Nachts auf das Dach seines Hauses gestiegen war, um nach den Sternen zu schauen und sich auszurechnen, wie schnell er vom einen zum andern würde reisen können, hinter sich leise seinen Namen rufen hörte und, als er sich umwandte, eine schmale, strahlende Gestalt gewahrte, in einem Gewand aus Gold und Silber, die hochaufgerichtet, die Füße eng beisammen, am äußersten Rand des Daches stand.
Der junge Mann war ganz erfüllt von der Vorstellung der Engel, er zweifelte keinen Augenblick an der Wesensechtheit seines Besuches und empfand nicht einmal besonderes Erstaunen, nur eine überwältigende Freude. Er sah einen Moment zum Himmel empor, ob der Engelsflug dort nicht eine schimmernde Spur hinterlassen habe, und unterdessen zogen die Leute unten die Leiter weg, auf der die Tänzerin das Dach erstiegen hatte. Im nächsten Augenblick fiel er vor ihr auf die Knie.
Sie neigte ihm freundlich den Kopf zu und blickte ihn an mit dunklen, dichtbewimperten Augen. »Du hast mich lange in deinem Herzen getragen, Saufe, mein Knecht«, flüsterte sie, »nun bin ich gekommen und will mir diese meine kleine Heimstatt beschauen. Wie lange ich bei dir in deinem Hause bleibe, das hängt von deiner Demut ab und davon, ob du bereit bist, meinen Willen zu tun.«
Sie ließ sich mit gekreuzten Beinen auf dem Dach nieder, während er weiter vor ihr kniete, und sie sprachen miteinander.
»Wir Engel«, sagte sie, »brauchen in Wahrheit gar keine Flügel, um uns zwischen Himmel und Erde zu bewegen; unsere Glieder genügen dazu. Wenn du und ich wirklich Freunde werden, wird es sich mit dir ebenso begeben, und du kannst die Flügel vernichten, an denen du arbeitest.«
Zitternd vor Inbrunst fragte er sie, wie denn ein solches Fliegen wider alle Gesetze der Naturwissenschaft möglich sei. Da lachte sie ihn aus; ihr Lachen klang wie eine helle kleine...