Blixen / Lauinger | Nordische Nächte | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 320 Seiten

Blixen / Lauinger Nordische Nächte

Die schönsten Erzählungen
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-641-20993-3
Verlag: Penguin
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Die schönsten Erzählungen

E-Book, Deutsch, 320 Seiten

ISBN: 978-3-641-20993-3
Verlag: Penguin
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Tania Blixens Kurzgeschichten sind Perlen klassischer Erzählkunst. Zu Recht wurde die Autorin die Scheherazade des Nordens genannt, denn kaum jemand vermag es so wie sie, Leserinnen und Leser in Bann zu ziehen. Diese exklusive Textauswahl versammelt die schönsten Werke aus über fünfzig Schaffensjahren - allen voran das Glanzstück über die Meisterköchin Babette und deren exquisite kulinarische Verführungskünste. Tania Blixens Lebensthemen und bevorzugten Stoffe, das Exotische, Märchen und Legenden, aber auch herausragende Episoden der abendländischen Geschichte wirken dank ihrer sinnlichen Beschreibungskunst heute so lebendig wie eh und je.

Die Dänin Tania Blixen, 1885 in Rungstedlund bei Kopenhagen geboren, wanderte nach dem Studium der Malerei in Kopenhagen, Paris und Rom 1914 nach Kenia aus, wo sie den schwedischen Baron Blixen-Finecke heiratete und zu schreiben begann. Die gemeinsame Kaffeeplantage führte sie nach der Scheidung alleine weiter, bis sie wegen der Weltwirtschaftskrise und nach dem tödlichen Unfall ihres Geliebten Denys Finch Hatton 1931 gezwungen war, in ihre Heimat zurückzukehren. Für «ihre» Kikuyus hatte sie ein Bleiberecht auf der Farm erwirkt. Der Vorort von Nairobi, in dem die Hütten standen, trägt noch heute ihren Namen. 1962 starb sie in Rungstedlund. Mit ihrem autobiografischen Roman, der 1937 unter dem Titel 'Den afrikanske Farm' auf Dänisch und 'Out of Africa' auf Englisch erschienen ist, wurde Blixen weltberühmt. Sie zählt heute zu den populärsten Schriftstellerinnen des 20. Jahrhunderts.
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Saison in Kopenhagen

Zur Zeit, da diese Erzählung spielt, im Jahre 1870, wurde die Wintersaison in Kopenhagen am Neujahrsmorgen mit den großen Empfängen bei Hofe eröffnet und schloss mit den Feierlichkeiten zum Geburtstag König Christians des Neunten. Dieser ritterliche König und elegante Reiter hieß in der großen Welt »der Schwiegerpapa Europas«, denn er war der Vater der Prinzessin von Wales, der lieblichen Alexandra, und der anmutigen, geistreichen Dagmar, die Kaiserin von Russland werden sollte.

Klimatisch war die Saison dadurch charakterisiert, dass sie ins Winteräquinoktium fiel. Sie begann demnach mit einem Tag von sieben und einer Nacht von siebzehn Stunden, mit Raureif auf den roten Ziegeldächern der Stadt und dem Geräusch von Schneeschaufeln auf den Pflastersteinen, mit Schlittschuhlaufen auf den Wallgräben der Zitadelle und Schlittenpartien bei Fackelschein, mit Muffs und Baschliks und pelzgefütterten Stiefeln. Wenn dann die Karnevalstage im Februar vorüber waren, legitime Ehestiftungen und geheime Liebesaffären, elegante Rivalitäten und vornehme Intrigen in voller Blüte standen, konnten die Tage wieder länger werden, während Sonne und Frühlingswind das Pflaster rasch und verheißungsvoll trockneten. Und ehe noch die Saison ihr Ende fand, gab es Veilchen im trockenen Gras und samtne Kätzchen für die Spaziergänger auf den alten Wällen der Stadt, dazu einen glasklaren, grünen Abendhimmel.

Gesellschaftlich war die Saison dadurch gekennzeichnet, dass der Landadel die Stadt eroberte.

An Straßen und Plätzen erwachten stattliche graue und rote Häuser, die über Weihnachten blind und stumm dagestanden hatten, zum Leben und öffneten ihre Fenster. Vom Erdgeschoß bis unters Dach wurden sie gesäubert und geheizt und strahlten in Galanächten durch Reihen großer Fenster mit rosen- oder karmesinfarbenen Gardinen in die dunkle, eisige Welt hinaus. Schwere Tore, lange Zeit verriegelt, öffneten sich vor feurigen Gespannen, die zur See von Jütland und den dänischen Inseln herbeigeschafft worden waren und die gelenkt wurden von nahezu versteinerten Kutschern in pelzgefütterten Pelerinenmänteln auf dem Bock der Landauer, Phaetons und Coupés. An der Farbe der Livreen konnten die Kopenhagener auf der Straße die glänzenden Fuhrwerke trefflich voneinander unterscheiden. Da waren die Danneskjolds, die Ahlefeldts, die Frijses und die Reedtz-Thotts, die zu Hofe, zur Oper fuhren oder einander besuchten. Die Pferde schlugen lange Funken aus den Steinen, und alle trugen am Stirnriemen des Zaumzeugs das funkelnde Stückchen Metall, mit dem nur der Adel paradieren durfte. Auch ihre Stimmen fanden die großen Häuser wieder. Ganze Winternächte hindurch strömte Walzermusik aus ihnen, während draußen Nachtschwärmer herumstanden, den Takt schlugen und lauschten: Drinnen wurde getanzt.

In den Lärm der Straßen mischten sich jetzt neue Klänge, denn die Landedelleute legten trotz hohem Rang und Titel Wert auf einen Anflug ihres heimischen Dialekts, und so hörte man während der Saison auf den Promenaden, in den Theaterfoyers und bei Hofe den fröhlichen, sonoren Tonfall Jütlands, Fünens oder Langelands, von Männern in eleganter Kleidung oder Uniform, mit gestärkten Hemden und kräftigem Brustkasten gesprochen. Die jungen Damen vom Lande ließen sich auf der Stelle von den Töchtern der Bürger unterscheiden – offen, geschmeidig und hellhäutig, wie sie waren, frische, tief im Boden wurzelnde Blumen, unempfindlich gegen Regen und Wind, gut erzogen und immer zum Lachen bereit, tüchtige Reiterinnen und unermüdliche Tänzerinnen, junge Bärinnen, frisch vom Winterlager kommend und wild entschlossen, in drei von Kerzen strahlenden Monaten im Märchenland die langen Herbstmonate mit nassen Ausritten, abendlicher Handarbeit und frühem Zubettgehen wieder wettzumachen.

Mit dieser Eroberung der Stadt durch das Land erhob sich das Weiberwesen, die Welt der Frauen, wie eine Flutwelle und setzte Kopenhagen unter Wasser.

Normalerweise war die geistige Atmosphäre der Stadt männlich; so war es seit fünfzig Jahren gewesen. Die Hauptstadt von Dänemark besaß die einzige Universität des Landes; sie war Sitz des höchsten Kirchenfürsten, und um diese verehrungswürdigen Institutionen drängten sich hervorragende, gelehrte Männer – Philosophen, Geistliche und Ästheten –, die in glänzenden Diskussionen Probleme aufwarfen und lösten. Es war kaum zwanzig Jahre her, da hatte dieser illustre Kreis Gelegenheit gehabt, den Geist an dem scharfen Witz des Magisters Søren Kierkegaard zu wetzen, dessen Gegner immer noch heftig gegen ihn argumentierten. Seitdem das Land eine freie Verfassung hatte, tagte in Kopenhagen das Parlament. Die Aufrechterhaltung der geistigen Sphäre fiel Adams Söhnen zu. Eva saß am Klöppelkissen, führte das Haushaltsbuch oder begoss die Blumentöpfe am Fenster. Sie war der reine, sittige Schutzengel am häuslichen Herd; ihres Geistes Farbe war ein fleckenloses Weiß, ihre Tugenden mehr passiver als aktiver Art, sie hießen Unschuld und Geduld, und völlig fremd waren ihr die Dämonen des Zweifels und des Ehrgeizes, von denen anzunehmen stand, dass sie das Herz des Ehemannes plagten. Die Damen der wohlhabenden Bourgeoisie waren solide, vernünftige Frauen, die sich ihrer Dienstboten annahmen und für sich gewissenhaft, soweit es ihr beschränkter Ideenkreis erlaubte, die soziale Frage lösten. Eine Bohème gab es in Kopenhagen nicht; auch keinen Künstlerkreis höherer und leichterer Art. Eine blendende Schauspielerin war zwei Generationen hindurch das Idol aller gewesen, doch hatte auch sie ihre verzweifelte Wahl treffen müssen und war zu einer glorreichen Märtyrerin der Respektabilität geworden. Nur in der kleinen Gemeinde reicher orthodoxer Juden hatten sich begabte, willensstarke Frauen ein halbes Jahrhundert lang der Künste hilfreich angenommen.

Auf den großen Gütern hatte das Leben einen anderen Zuschnitt. Die Söhne der eingesessenen Magnaten liebten, wenn sie nicht in den diplomatischen Dienst gingen, das Dasein in Licht und Luft; ihr Interesse galt der Jagd, der Sorge für den Wildbestand ihrer Güter, den Pferden, einem guten Wein, der Forst- und der Landwirtschaft – und den schönen Frauen. Sie bereisten Europa, und obwohl sie sich in Paris und Baden-Baden wie zu Hause fühlten, kehrten sie doch gänzlich unverändert wieder nach Hause zurück. Sie ließen es sich gerne gefallen, dass man sie als gröbere Naturen betrachtete als ihre Frauen, denn diese Einschätzung befreite sie vom Bücherlesen, das ihnen zuwider war, und stellte es ihnen frei, sich zu vergnügen, wo und wie es ihnen zusagte. Ihre Schwestern wurden derweil daheim von französischen, englischen und deutschen Gouvernanten unterrichtet, nahmen Klavier-, Gesang- und Malstunden, wurden zum Abschluss ihrer Schulbildung nach Frankreich geschickt, und um das Gelernte nicht zu vergessen, lasen sie französische Romane und spielten die neuesten Kompositionen. Das religiöse Leben gehörte auf den Gütern ausschließlich dem Bereich der Frau an. Während die Männer nur an den hohen Festtagen zu Füßen ihrer Geistlichen saßen, fuhren ihre Damen sonntags regelmäßig zur Kirche, und wenn der Dorfpfarrer auf dem Schloss dinierte, war es die Frau des Hauses, die sich mit ihm über fromme und sogar theologische Gegenstände unterhielt. In einer Welt, wo die Frau als Hüterin von Zivilisation und Kunst gilt, werden die Anforderungen an ihre Tugend meist etwas weniger streng. Wohl wurden die jungen Mädchen noch sehr gehütet, aber sie heirateten – oft sehr jung – in die Freiheit. Eine geistreiche, charmante Hausfrau war für einen Landhaushalt ein großes Aktivum; ein gelegentlicher Verstoß gegen die Gesetze der Tugend wurde ihr verziehen, und ehrwürdige alte Damen mit tiefen Einblicken in die Genealogie ihrer Umgebung erzählten einem unbekümmert, dass das dritte oder vierte Kind eines großen Hauses in Wirklichkeit vom Nachbargut stammte.

In einer Welt, der die Legitimität als Prinzip und Grundgesetz gilt, erhält die Frau einen mystischen Wert. Sie ist mehr als nur sie selbst; sie versieht das Amt des ordinierten Priesters, der unter allen allein die Macht hat, die Trauben unserer gemeinen Erde in die erhabene Flüssigkeit zu verwandeln: in das wahre Blut. In der Zeit, von der wir sprechen, war die junge adlige Hausfrau Siegelbewahrerin des Namens und übertrug ihn feierlich auf die kommenden Geschlechter (und niemand sah ihrer Miene oder ihrem Benehmen an, ob sie wusste oder nicht, dass sie nach der Lehre Roms auch ohne ihren Herrn und Meister hätte vollbringen können, wozu er ohne sie nicht in der Lage war). Die jungen adligen Mädchen waren kleine, schnippische zukünftige Priesterinnen. Weise alte Herren machten ihnen bedächtig und artig den Hof; vielleicht trafen sie sie ja eines Tages als »Erzbischöfe« wieder.

So war es das weibliche Geschlecht, das die Saison in die Stadt brachte, und für drei Monate tat Kopenhagen die schwarzen Männerhosen beiseite und legte Ballstaat an. Die alten Damen aus den Landschlössern öffneten ihre Salons als Arenen modischen Wettstreits und setzten ihre Empfangstage wie Marksteine in die Woche. Auf der Straße bekamen die Wagen erst ihren Sinn, wenn sie ein gleichsam auf Wolken schwebendes weibliches Wesen aus den höchsten Kreisen mit sich führten, und im Theater wiesen die Leute nicht mehr auf die prominenten, düsteren Männer auf den bevorzugten Parkettplätzen, sondern richteten ihre Blicke auf das vor ihnen liegende buntfarbige, frisch duftende, lebhaft wogende Blumenbeet. Die fashionablen Blumenhändler erhielten Aufträge über Aufträge, Buketts nach hierhin und dorthin zu senden; es war, als werde die Stadt mit Rosen bombardiert.

Die Welt, in der sich...


Blixen, Tania
Die Dänin Tania Blixen, 1885 in Rungstedlund bei Kopenhagen geboren, wanderte nach dem Studium der Malerei in Kopenhagen, Paris und Rom 1914 nach Kenia aus, wo sie den schwedischen Baron Blixen-Finecke heiratete und zu schreiben begann. Die gemeinsame Kaffeeplantage führte sie nach der Scheidung alleine weiter, bis sie wegen der Weltwirtschaftskrise und nach dem tödlichen Unfall ihres Geliebten Denys Finch Hatton 1931 gezwungen war, in ihre Heimat zurückzukehren. Für «ihre» Kikuyus hatte sie ein Bleiberecht auf der Farm erwirkt. Der Vorort von Nairobi, in dem die Hütten standen, trägt noch heute ihren Namen. 1962 starb sie in Rungstedlund. Mit ihrem autobiografischen Roman, der 1937 unter dem Titel "Den afrikanske Farm" auf Dänisch und "Out of Africa" auf Englisch erschienen ist, wurde Blixen weltberühmt. Sie zählt heute zu den populärsten Schriftstellerinnen des 20. Jahrhunderts.



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