E-Book, Deutsch, 221 Seiten
Bodeen Nichts als überleben
Deutsche Erstausgabe
ISBN: 978-3-407-74582-8
Verlag: Julius Beltz GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman
E-Book, Deutsch, 221 Seiten
ISBN: 978-3-407-74582-8
Verlag: Julius Beltz GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Niemand weiß, dass sie in dem Absturzflugzeug war. Niemand wird kommen, um sie zu suchen ... »Und in dem Moment wurde mir klar, dass mir niemand sagen konnte, was schlimmer war. Weil es nicht schlimmer werden konnte. Ich war allein. In einem Rettungsfloß. Mitten auf dem Meer.« Robie stürzt mit einem Flugzeug über dem Pazifik ab. Max, der Co-Pilot, rettet sie in ein aufblasbares Rettungsfloß - dann stirbt er. Robie muss ihn über Bord werfen und treibt tagelang auf dem Meer. Allein. Gnadenlos den Naturgewalten ausgeliefert. Bis Max plötzlich wieder da ist. In ihrer Einsamkeit klammert sich Robie an ihn. Sie hat Angst. Hunger. Durst. Panik. Hoffnung? Nur ein Gedanke lässt sie nicht aufgeben: Sie will nichts als überleben ... Ein aufwühlender Action-Thriller um einen dramatischen Überlebenskampf - nervenzerreißend bis zur letzten Seite.
S.A. Bodeen wuchs auf einer Farm in Wisconsin/USA auf. Sie unterrichtet Kreatives Schreiben und veröffentlicht seit zehn Jahren Bilder- und Kinderbücher, die mit vielen Preisen ausgezeichnet wurden. Drei Jahre lang lebte sie auf Hawaii, inzwischen ist sie wieder in Wisconsin heimisch.
Weitere Infos & Material
Eins
Der Typ mit dem limonengrünen Irokesenschnitt und den dunklen Holzsteckern in den Ohrläppchen sah auf mich hinab, die lange silberne Nadel in seiner gummibehandschuhten Hand zeigte mitten in mein Gesicht. »Warte mal.« Ich schluckte und klammerte mich an den Armlehnen des Stuhles fest. Er schob eine Hüfte vor und verdrehte die Augen. »Willst du jetzt ein Nasenpiercing oder nicht?« »Doch, schon … aber fällt dir vielleicht noch was Schlimmeres ein?« Ich zeigte auf die Nadel. »Was Schlimmeres als die da?« Wahrscheinlich fand er meine Bitte einfach nur bescheuert, aber das war nun mal mein Trick, mit unangenehmen Sachen fertigzuwerden. Wenn mir etwas Schlimmeres einfiel, konnte ich besser damit umgehen. Ob es eine Füllung beim Zahnarzt war oder der Physiktest zum Schuljahresabschluss, mir Sachen auszudenken, die schlimmer waren, half mir bei neuen Herausforderungen. Der grüne Irokese sah sich um und dachte anscheinend darüber nach. Eine blonde Schwangere in hohen Wildlederstiefeln und einem fuchsiaroten, schulterfreien Kleid wühlte in einer Kiste mit Goldkreolen, die vor der Theke stand. Mit einem behandschuhten Finger deutete er auf sie. »Entbindung. Das ist mit ziemlicher Sicherheit schmerzhafter.« »Ich bin fünfzehn.« Diesmal verdrehte ich die Augen. »Geht’s vielleicht ein bisschen verhältnismäßiger? Nicht so total unwahrscheinlich?« Ich machte mich bereit zu gehen. Er deutete nach unten auf seine schwarzen Flip-Flops. »Siehst du meine großen Zehen?« Mein Blick wanderte abwärts und ich zuckte zusammen. Seine Zehen waren groß und schwielig mit gelben Nägeln. Eindeutig die hässlichsten Zehen, die ich je gesehen hatte. Der grüne Irokese sagte: »Letztes Jahr bin ich auf den Kilimandscharo geklettert. Beim Abstieg habe ich mir die großen Zehen in den Stiefelspitzen gequetscht. Ich musste mir die Zehennägel ziehen lassen. Hat elf Monate gedauert, bis sie wieder nachgewachsen waren.« Ich fragte: »Und das war schmerzhafter als ein Nasenpiercing?« »Würde ich sagen.« Er zuckte mit den Schultern. »Können wir jetzt anfangen?« Ich nickte und schloss die Augen, als er die Nadel in meine Haut bohrte. Ein stechender Schmerz jagte durch meine Nase. »Verfluchter Mist!« Meine Augen tränten so sehr, dass ich wie verrückt blinzeln musste, dann gab ich auf und schloss die Lider. Als ich sie wieder öffnete, sah ich erst den grünhaarigen Lügner vor mir stehen, dann blickte ich in den Spiegel, um den Diamanten zu betrachten, der meine Nase zierte. »Krass.« »Du darfst einen Monat lang nicht ins Schwimmbad gehen. Das Wasser ist zwar gechlort, trotzdem könnten Bakterien drin sein. Seen und Flüsse solltest du ebenfalls meiden. Das Meer auch, nur zur Sicherheit. Damit sich nichts infiziert.« Er reichte mir ein Plastiktütchen mit Desinfektionstupfern und einer Anleitung auf einem schlecht kopierten Zettel. »Jetzt kannst du mit deinem neuen Look aus Honolulu aufs Festland zurück.« »Hm, na ja«, sagte ich, als ich mich plötzlich fragte, wie viel Ärger meine Eltern wohl machen würden, wenn sie meine Nase sahen. »Ich komme gar nicht vom Festland. Ich wohne in der anderen Richtung, draußen auf den Midway Inseln.« »Die Inseln aus der Schlacht um Midway?« Ich nickte. Er zog die Augenbrauen hoch und nickte auch. »Wie cool. Du Glückliche.« Glücklich. Wenn ich von jedem, der mir das sagte, einen Dollar kriegen würde, wäre ich reich, denn das bekam ich immer zu hören, wenn ich Leuten von meinem Leben erzählte. Wenn ich ihnen erzählte, dass ich auf einem Korallenatoll mitten im Pazifik lebte. Glücklich. Wenn ich ihnen sagte, dass ich nicht in eine normale Schule ging. Glücklich. Wenn ich ihnen sagte, dass ich mit Delfinen und Mönchsrobben und nistenden Albatrossen abhing. Glücklich. Seit drei Jahren forschten meine Eltern als Biologen auf dem historischen Midway, das inzwischen ein staatliches Wildtierschutzgebiet ist, und deshalb wohnte ich da auch, im alten Seefahrerheim namens Midway Horse. Sicher, es war cool, dass ich ein eigenes Golfmobil besaß, mir zu Hause die Schulzeit selbst einteilen konnte und Fotografen von National Geographic persönlich kannte. Außerdem wusste ich mehr über Meerestiere und Seevögel als die meisten graduierten Forscher. Das waren Dinge, bei denen auch ich fand, dass ich glücklich war. Aber es gab andere Dinge, bei denen ich mir ganz und gar nicht glücklich vorkam. Zum Beispiel, wenn das Internet gleich mehrere Tage hintereinander streikte, oder weil ich noch nicht mal ein Handy besaß, denn wir wohnten in einem Funkloch, und weil wir nur drei Fernsehsender empfingen, von denen einer CNN war und keiner MTV. Wozu also überhaupt fernsehen? Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass ich die einzige Jugendliche unter ungefähr fünfzig Erwachsenen war, weshalb ich niemanden zum Reden hatte, außer meinen Facebook-Freunden, und die auch nur, wenn das Internet funktionierte. In letzter Zeit schien es viel mehr Tage zu geben, an denen ich mein Leben nicht gerade glücklich, sondern eher zum Kotzen fand. Ich bezahlte den grünen Irokesen, gab ihm ein bisschen Trinkgeld und trat dann den Rückweg zu AJs Apartment an. Wenn ich kurz vor dem Durchdrehen war, rettete mich Dads Schwester, meine Tante Jilian, die in Honolulu lebte. AJ, wie ich sie nannte, wohnte direkt am Waikiki Beach und war Beraterin, was bedeutete, dass sie von zu Hause aus arbeitete. Sie war viel jünger als Dad, ungefähr dreißig, und wenn ich die Isolation nicht mehr aushielt, setzten mich meine Eltern in einen Versorgungsflieger, der von Midway nach Honolulu zurückkehrte, und schickten mich zu ihr. Und genau so verbrachte ich den Monat Juni. Als ich durch die Tür kam, telefonierte AJ gerade. Sie hatte ihr langes braunes Haar mit einem Clip hochgesteckt und trug einen mit rotem Frangipani übersäten Kaftan über ihrem roten Bikini. AJs Augen weiteten sich, als sie meine Nase sah, dann machte sie das Daumen-hoch-Zeichen. Sobald sie aufgelegt hatte, kam sie zu mir, griff mir unters Kinn und begutachtete mein neues Piercing. »Lass sehen, was ich dir da für einen Diamanten spendiert habe.« Sie grinste. »Deine Eltern werden dir nie wieder erlauben, mich zu besuchen.« Ich schleuderte meine grüne Häkeltasche auf den Tisch. »Ich zieh mir meinen Badeanzug an.« AJ verbrachte jeden Tag mit mir am Pool, obwohl sie immer versuchte, mich aus meinem Trott zu reißen. Sie rief durch die Badezimmertür: »Können wir heute nicht mal an den Strand gehen, Robie? Beim Hilton finden wir bestimmt einen guten Platz.« »Kommt nicht infrage.« Ich zog meinen pinkfarbenen Gepardenbikini an. »Zwei Worte. Sand und Wellen.« Sie lachte. »Ich kenne niemanden, der auf einer Insel lebt und so eine heftige Aversion gegen das Meer hat.« »Ich liebe das Meer!«, protestierte ich, als ich die Tür öffnete. AJ stöhnte. »Solange du nicht mit ihm in Berührung kommst.« »Ganz genau. Ich schaue es mir gern an.« Ich deutete auf meine Nase. »Außerdem habe ich Anweisung, nicht ins Wasser zu gehen.« Sie schüttelte den Kopf. »Endlich eine perfekte Ausrede, nicht nass zu werden.« Wir gingen runter zum Pool. Mit einem zufriedenen Lächeln lehnte ich mich in meinem Liegestuhl zurück und schaltete meinen e-Reader mit dem neuesten Stephen King ein, mit dem ich fast fertig war. Es gab absolut keinen Ort, an dem ich in diesem Moment lieber gewesen wäre. »So lässt es sich leben.« Sie fragte: »Weißt du schon, was wir heute Abend unternehmen wollen?« Wir gingen jeden Abend aus, zum Beispiel ins Kino oder zur Pediküre ins Ala Moana Center. Auf meinen großen Zehennägeln prangte seit Neuestem leuchtend orangeroter Lack mit Strassblumen. Eines Abends überraschte mich meine Tante, indem sie eine Freundin einlud, um mir Cornrows zu flechten. Mein aschblondes Haar reichte mir fast bis zur Taille, weshalb es ewig dauerte. Als sie fertig war, blickte ich in den Spiegel und versuchte, mir meinen Schock nicht anmerken zu lassen. Wegen meiner hellen Haut sah ich mit Cornrows ein bisschen protzig aus. Außerdem sah ich mir überhaupt nicht mehr ähnlich. Ich wollte aber nicht, dass AJ Schuldgefühle bekam, also log ich und sagte, ich fände sie super. Meinem Dad würden sie gefallen, deshalb nahm ich mir vor, sie zu behalten, bis ich wieder auf Midway war, nur um sie ihm zu zeigen. Es machte auch irgendwie Spaß, durch die Gegend zu laufen und sich inkognito zu...




