Böhm Gott und die Krokodile
1. Auflage 2011
ISBN: 978-3-641-05402-1
Verlag: Pantheon
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Eine Reise durch den Kongo
E-Book, Deutsch, 272 Seiten
ISBN: 978-3-641-05402-1
Verlag: Pantheon
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Andrea Böhm nimmt den Leser mit auf eine Entdeckungsreise durch den Kongo. Sie führt uns in die chaotische, vibrierende Hauptstadt Kinshasa. Sie folgt den Spuren eines afro-amerikanischen Missionars, der in den 1890er Jahren im Königreich der Kuba im Dschungel lebte, und begegnet mysteriösen Mayi-Mayi-Rebellen, die sich für unverwundbar halten. Sie begibt sich in die größten Diamantenfelder der Welt und in die zerrütteten Kivu-Provinzen im Osten des Landes, dem Schauplatz von »Afrikas erstem Weltkrieg«. Vor allem aber erzählt Andrea Böhm die Geschichten der Menschen, die ihr begegnen: Marktfrauen, die sich als Boxerinnen ein Zubrot verdienen; Musiker, die ihr Heil in Gott und Beethoven suchen; ein Kindersoldat, der mit seiner Mutter wieder vereint wird; Bergarbeiter, die mit bloßen Händen nach Bodenschätzen graben. Sie alle werden im täglichen Ausnahmezustand zu Meistern der Improvisation.
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(S. 187-188)
Die Stadt, sagte Freddy, verändere sich – und bleibe doch gleich. Ob ich die neuen Automärkte entlang der Hauptstraßen gesehen hätte, wo Händler das Brachland links und rechts mit ihrer Ware zuparkten: Landcruiser, Mercedes-Modelle, Chrysler-Geländewagen mit dunkel getönten Scheiben. Gebrauchtwagen ab 20 000 Dollar aufwärts. Das Geschäft lief gut, die Kriegsgewinnler stellten sich ihren Fuhrpark zusammen. Natürlich mit Allrad-Antrieb bei diesen Straßenverhältnissen.
Dann waren da die Baustellen in der Innenstadt. Die Werbetafeln, auf denen zukünftige Luxus-Appartements angepriesen wurden. La cité du fleuve, eine neue »Stadt des Flusses« sollte auf den Sandbänken des Kongo entstehen. Im Grand Hotel verhandelten Herren aller Hautfarben jetzt nicht mehr über Waffen, sondern über Immobilien.
Und dann waren da die Chinesen. Sie ließen sich in Vierteln nieder, in denen zu wohnen keinem Weißen eingefallen wäre. N’djili, Kimbanseke, Masina. Sie handelten mit PlastikSandalen, T-Shirts, importierten Heilkräuter, Batterien und Spielzeug, eröffneten Restaurants und Optikerläden, arbeiteten als Ärzte und Krankenpfleger. Wenn ich mit Monsieur Vicky, meinem Fahrer, oder mit Freddy durch diese Bezirke fuhr, grüßten die Gören auf den Straßen jetzt nicht mehr mit »Ça va, mundele? Alles klar, Weiße?«, sondern mit »Ni hao«, dem chinesischen Hallo, das sie von den Neuankömmlingen aufgeschnappt hatten.
Kinshasa hatte sich verändert. Auch Freddy trug dieser Tatsache Rechnung. Er sammelte jetzt nicht mehr Kriegsschrott, sondern ganz gewöhnlichen Blechschrott.
Freddy Bienvenu Tsimba war Maler und Bildhauer. Von der naiven Malerei und den traditionellen Holzskulpturen, die auf Kinshasas Straßenmärkten angeboten wurden, hielt er wenig. Die Masken der Kuba, die ich im Kasai bestaunt hatte, waren für ihn eher Antiquitäten als Kunst. Seine Vorbilder hießen Alberto Giacometti und Jean-Marie Nginamau Lukiesiamo, einer der bekanntesten modernen kongolesischen Bildhauer.
Freddys Skulpturen waren wie das Land: Schön und verstörend. Oft riesig, zerrissen, taumelnd, verstümmelt, trotzig. Freddy war 2002 mit einer rostigen Barkasse zwei Wochen flussaufwärts bis Kisangani gefahren, um die Folgen des Krieges zu sehen und zu spüren, die man in Kinshasa nicht sehen und spüren konnte. Mit einem Lastkorb voller Patronen- und Granathülsen war er zurückgekommen. Aus denen schuf er mit dem Schweißbrenner den Torso einer Frau. Und dann noch einen und noch einen, bis es etwa ein halbes Dutzend waren. Wunderschön geschwungene Körper mit faustgroßen Löchern.