E-Book, Deutsch, 200 Seiten
Böhm Straßburger Glaubensbekenntnis
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-7521-2190-2
Verlag: tolino media
Format: EPUB
Kopierschutz: PC/MAC/eReader/Tablet/DL/kein Kopierschutz
Kommissar Sturnis dritter Fall
E-Book, Deutsch, 200 Seiten
ISBN: 978-3-7521-2190-2
Verlag: tolino media
Format: EPUB
Kopierschutz: PC/MAC/eReader/Tablet/DL/kein Kopierschutz
In der Nacht vor dem Äquinoktium, an dem Tag und Nacht genau gleich lang sind und jedes halbe Jahr um die Mittagszeit ein mysteriöses grünes Licht über die Jesusfigur an der Kanzel des Straßburger Münsters wandert, wird die kostbare Figur von einem unbekannten Täter zerstört. Kommissar Sturni muss die Sachbeschädigung bearbeiten, obwohl er eigentlich Wichtigeres zu tun hätte: Seine Hochzeit und die Geburt seines zweiten Kindes stehen unmittelbar bevor. In der darauffolgenden Nacht wird seine Mitbewohnerin ermordet und ein Zusammenhang zwischen dem Mord und dem Anschlag im Münster schnell offensichtlich. Die Recherchen führen ihn in das Milieu der katholischen Kirche. Eine tatverdächtige Novizin findet er nur noch tot auf. Sturni muss sich tief in die mittelalterliche Geschichte Straßburgs einarbeiten, um die Mordfälle aufzuklären. Mussten die beiden Frauen sterben, weil sie das Geheimnis um das ketzerische erste gedruckte Buch der Welt entdeckten und damit dunkle Mächte innerhalb der Kirche auf den Plan riefen?
Stefan Böhm, Jahrgang 1976, studierte Rechtswissenschaften in Tübingen, Speyer und London. Zwei Jahre verbrachte er in Straßburg und ließ sich dort zu seiner Romanfigur Antoine Sturni inspirieren. 'Straßburger Glaubensbekenntnis' ist nach "Straßburger Geheimnisse" und "Pariser Enthüllungen" der dritte Fall des sympathischen Ermittlers.
Autoren/Hrsg.
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VII.
Verführungskünste
Als Sturni aus dem Westportal des Münsters trat, sah er Oriane sofort. Sie beugte sich aus einem Fenster der direkt gegenüberliegenden Fachwerkhäuser und winkte ihm begeistert zu, als sie ihn aus dem Münster kommen sah. Das passte zu ihr. Eine Wohnung in bester Lage mit Blick auf das altehrwürdige Münster. Unter ihr, auf dem Münsterplatz, hatte sich eine Menschentraube mit Herrschaften verschiedenen Alters versammelt, die zu ihr hochglotzten, Fotos mit ihren Handykameras schossen und Filmchen von ihrem weit über den Fenstersims gelehnten überbordenden Ausschnitt drehten, den sie werbewirksam in Szene zu setzen wusste. Dass ein Schönheitschirurg der Natur gehörig nachgeholfen hatte, störte die gaffenden Herren nicht – im Gegenteil … Er konnte Margaux’ Unmut verstehen. Normalerweise hatte sie ja eine hohe Toleranzschwelle. Dass eine Freundin von Olivia, mit der sie sich bestens verstand, einige Tage bei ihnen übernachtete, war eigentlich kein Problem für sie, Schwangerschaft und anstehende Hochzeit hin oder her. Was ihr zu schaffen machte war, dass es sich bei Oriane Jacquesson tatsächlich um eine Femme fatale, den Prototyp einer Pariser Sexbombe handelte. Jedoch täuschte ihr billiges Aussehen und Auftreten. Oriane war eine hochgebildete, ja sogar promovierte Kunsthistorikerin. Rein optisch hätte man sie allerdings eher des Nachts rund um die Place Pigalle in Paris verortet … Während seines unfreiwilligen Aufenthalts in Paris hatte er sie tatsächlich nur einmal gesehen, im Bistro La Tonnellerie am Canal Saint-Martin, kurz bevor die Leiche von Edouard Wanzecki aus dem Kanal geborgen wurde. Sie saß damals direkt neben ihm, war ihm aber kaum aufgefallen. Ein hübsches Gesicht mit einer Intellektuellenbrille. Typ rive gauche, südlich der Seine wohnende Bourgeois und Bohémien, daran konnte er sich noch erinnern. Il y a du monde au balcon – der üppige Vorbau – war auf jeden Fall neu, sonst wäre er ihm bei ihrem ersten Treffen aufgefallen … Oriane hatte sich gewaltig verändert seitdem, die Plus-size-Brust-OP, die aufgespritzten Lippen, die knalligen Outfits, das billige Gehabe, das bei ihr ziemlich aufgesetzt wirkte, da sie Bildung und Intellekt nicht wirklich dahinter zu verbergen vermochte … Irgendetwas musste sie dazu bewogen haben, einen radikalen Imagewandel zu vollziehen, der so gar nicht zu ihrem eigentlich feinsinnigen Charakter passte. Sturni hatte sie bei ihrem Wiedersehen nicht mehr erkannt, als er sie am Straßburger Bahnhof abgeholt hatte. Ein klares Zeichen, dass er bereit war für ein weiteres Eheabenteuer … *** Oriane fiel ihm überschwänglich um den Hals, als er im dritten Stock ankam, wo sich ihre – hoffentlich – neue Wohnung befand. „Das ist genau das, wonach ich gesucht habe. Eine Wohnung direkt gegenüber vom Straßburger Münster. Der Blick auf das Westportal ist einfach atemberaubend. Er wird mich bei meinen Studien und meiner Arbeit inspirieren.“ Die Begrüßung fiel stürmischer aus, als Sturni erwartet hatte. Sehr gekonnt rieb sie ihr vom Münsterplatz aus vielfach bewundertes Dekolleté an seinem Oberkörper und hauchte ihm dabei mit ihren aufgespritzten Lippen einen Kuss auf die Wange. Ein süßlicher Parfümduft umhüllte ihn und benebelte seine Sinne. War das noch ein bise oder schon ein erotisches Angebot? Sturni wusste nicht, wie ihm geschah. Nutzte Oriane den günstigen Moment, ohne Margaux? Wollte sie sich auf ihre Art und Weise bei ihm bedanken, für die Beherbergung während der letzten zwei Wochen? Die Gaffer vom Münsterplatz hätten ihn jedenfalls um diese Zuneigungsbekundung beneidet … Sanft beendete er die einseitige Liebkosung und betrat ihre neue Wohnung. Er hatte mehr erwartet, zumindest von der Wohnung ... Sie war möbliert, nett eingerichtet, mehr aber auch nicht. Es musste die Aussicht sein, die Oriane diesmal überzeugte. Sie war tatsächlich atemberaubend, diese Aussicht. Sah man aus dem Fenster, so hatte man die gigantische Fassade des Westportals des Münsters direkt vor Augen, das mächtige Eingangstor, umfasst von unendlich vielen in roten Sandstein gehauenen Skulpturen, die riesige kreisrunde Fensterrose mit ihren wunderschönen farbigen Glasfenstern, und natürlich der scheinbar endlos in die Höhe ragende Turm des Münsters. Nachdem er Orianes Köfferchen in der Mitte des Raums auf den Holzdielen abgestellt hatte, lehnte er sich, wie zuvor Oriane, aus dem Fenster und genoss die erhebende Aussicht. Die Gaffer hatten sich inzwischen in alle Winde zerstreut. An seinem aufgeknöpften Hemd mit Brusthaaransatz hatte niemand Interesse … Als er sich wieder umdrehte, hatte Oriane es sich auf ihrem neuen Bett bequem gemacht. Sie hatte sich aufrecht gegen ein großes Kissen an die Zimmerwand gelehnt, die Beine gekonnt übereinandergelegt und ihre Bluse so zurechtgezupft, dass sie einen noch tieferen Einblick in ihr Dekolleté gab. Sturni zwang sich, ihr stoisch ins Gesicht zu blicken. „Du wirst die Wohnung diesmal also nehmen?“ Nun wusste er, warum Margaux so stutenbissig gegenüber Oriane gewesen war. Sie war tatsächlich eine Femme fatale und hatte es auf ihn abgesehen. Oriane zog alle Register. Kommissar Sturni war nur zu blöd gewesen, es zu bemerken. Margaux nicht … „Sie ist perfekt! Ich hatte dir ja schon damals in Paris erzählt, dass ich mich intensiv mit dem Straßburger Münster beschäftige. Wo sollte das besser gehen als mit einem direkten Blick auf die weltberühmte Westfassade? Schon Goethe kam bei ihr ins Schwärmen, als er in Straßburg lebte.“ Sturni erinnerte sich nur vage. Er hatte Mühe, bei der Sache zu bleiben. Oriane räkelte sich nun auf ihrem neuen Bett, hatte sich ganz offensichtlich vorgenommen, ihn heißzumachen. Das hatte inzwischen sogar der – einstmals – naive commissaire der Straßburger Mordkommission begriffen. Er ging nicht darauf ein und versuchte, ihre Unterredung auf einer sachlichen Ebene zu halten. „Ich komme übrigens gerade aus dem Münster, hast du ja gesehen. War dienstlich dort. Jemand hat heute Nacht die Jesusfigur an der Kanzel abgeschlagen. Ausgerechnet vor dem grünen Jesus-Leuchten, dem großen Spektakel.“ Oriane war ernsthaft interessiert an seinen Neuigkeiten. Sein Plan schien aufzugehen. Zumindest gab sie ihre laszive Pose auf und setzte sich züchtig auf ihr neues Bett. „Ist nicht wahr? Das habe ich ja gar nicht mitbekommen. Und was hast du damit zu tun? Ich dachte, du bist Mordermittler? Hat man dich degradiert, Abteilung Kunstraub? Wenn du mich brauchst, ich helfe gerne. Zufälligerweise habe ich mich während meiner Doktorarbeit intensiv mit den Kanzeln der Spätgotik befasst, und die berühmte Kanzel im Straßburger Münster war ein wesentlicher Teil davon. Ich könnte dir jetzt einen kleinen Fachvortrag dazu halten, obwohl ich eigentlich Lust auf etwas anderes hätte ...“ Sie legte ihren Zeigefinger auf ihre vom Botox angeschwollene Unterlippe und sah ihn verführerisch an. Sturni musste wieder an die Gaffer vom Münsterplatz denken … „Danke für das Angebot. Ich hoffe, nicht darauf zurückkommen zu müssen. Die zuständigen Kollegen sind krank und ich musste nur vertretungsweise einspringen. Nächste Woche gebe ich den Fall ab. Aber ich werde ihnen gerne mitteilen, dass ich eine Expertin zu dem Thema an der Hand habe.“ Er versuchte, sie verbal auf Abstand zu halten. Das konnte er gerade wirklich nicht gebrauchen. Er hatte schon genug Scherereien am Hals. Zugegeben, sie sprach seine niederen Instinkte an. Darauf beschränkte sich sein Interesse an ihr dann aber auch. Damals, mit Saba in Paris, war es anders gewesen. In sie hatte er sich ernsthaft verliebt. Nach der kurzen Affäre hatte er sich fest vorgenommen, dass damit endgültig Schluss sein sollte. Er liebte Margaux, die Geburt ihres gemeinsamen Kindes stand unmittelbar bevor. Einen weiteren „Ausrutscher“ würde er sich nicht erlauben, so viel stand fest. „Wie schade ... Trotzdem muss ich mir das bei Gelegenheit einmal anschauen. Meine aktuellen Recherchen beziehen sich allerdings auf andere Bereiche der Kirche. In uralten Pariser Quellen habe ich gelesen, dass sich unter der heutigen Krypta des Münsters einmal Reliquien des heiligen Arbogast von Straßburg befunden haben sollen. Arbogast gilt als der erste historisch gesicherte Bischof von Straßburg im 6. und 7. Jahrhundert. Er war der Hauptbegründer des Christentums im Elsass und wurde schon zu Lebzeiten hoch verehrt. Der Spur möchte ich nachgehen. Für weitere Recherchen und Untersuchungen benötige ich aber das Einverständnis der Straßburger Diözese. Bisher wird mir eine Untersuchung der Krypta mit modernen Gerätschaften, eventuell sogar eine Ausgrabung, verweigert. Wenn du zufälligerweise einen guten Draht zum Erzbischof oder zum Generalvikar der Diözese hast, darfst du gerne deine Beziehungen für mich spielen lassen. Ich würde mich auch erkenntlich zeigen, das wollte ich ohnehin …“ Er kam nicht mehr dazu, ihr zu antworten, dass er in der Tat den Küster und den Pfarrer des Münsters, ja sogar den Generalvikar der Diözese soeben höchstpersönlich kennengelernt und ihre Telefonnummern in seinem Diensthandy eingespeichert hatte. Oriane hatte ihm lediglich eine kleine Atempause gelassen, mehr nicht. Bei ihren Ausführungen zum Münster kam sie auf ihn zu, umfasste seinen Hals und gab ihm mit ihrem künstlichen Schmollmund einen leidenschaftlichen Kuss, den er für den Hauch einer Sekunde erwiderte. Mit einem bise unter Freunden hatte das nun wirklich nichts mehr zu tun. Das war ein handfester „French Kiss“, der nach Orianes Vorstellung gleich in die zweite Bedeutung des Wortes baiser hätte...