Bolz | Wer nicht spielt, ist krank | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 208 Seiten

Bolz Wer nicht spielt, ist krank

Warum Fußball, Glücksspiel und Social Games lebenswichtig für uns sind
1. Auflage 2014
ISBN: 978-3-86414-693-0
Verlag: REDLINE
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection

Warum Fußball, Glücksspiel und Social Games lebenswichtig für uns sind

E-Book, Deutsch, 208 Seiten

ISBN: 978-3-86414-693-0
Verlag: REDLINE
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection



Vieles verdanken wir dem Spielen: Kultur, Kreativität, Lebensfreude. Vom Lotto über Spiele-Apps auf dem Handy bis hin zum sportlichen Wettkampf - es gibt heute unzählige Möglichkeiten, unserem Spieltrieb nachzugehen. Norbert Bolz zeigt dem Leser anschaulich die verschiedenen Arten von Spielen - beliebte wie umstrittene - und ihre meist positiven Auswirkungen auf uns. Er belegt, warum Fußball, Glücksspiele und Social Games uns stark machen. Neue Entwicklungen wie das Phänomen der »Gamification« - man löst reale Probleme, indem sie in Spiele transformiert werden - machen deutlich, warum das Spielen so lebenswichtig ist. Wer nicht spielt, ist krank bietet einen einzigartigen Einblick in die geheimnisvolle Welt des Spielens und zeigt, wie faszinierend und unersetzlich es für jeden Einzelnen ist.

Prof. Dr. Norbert Bolz ist Medienwissenschaftler an der technischen Universität Berlin. Er ist bekannt für seine überraschenden, oft provokanten Thesen, die er in Büchern, Zeitschriften und Talkshows leidenschaftlich vertritt.
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I.Wie geht es dem Homo ludens heute?

Für eine fröhliche Wissenschaft des Spiels

Spielen ist der reinste Ausdruck von Lebensfreude. Millionen kreuzen jede Woche »ihre« Zahlen auf dem Lottoschein an, Gameshows beherrschen das Fernsehprogramm, Computerspiele haben Hollywood den Rang abgelaufen und einer der Schlüsselbegriffe unserer Zeit lautet »Gamification«; ich komme am Ende dieses Buches noch ausführlich darauf zurück. Das Spielen ist allgegenwärtig – schon ein Smartphone genügt dazu. Hunderttausende strömen regelmäßig in die Stadien der Fußballbundesliga, und wenn die Nationalmannschaft antritt, schaut mindestens die halbe Nation zu. Was das bedeutet, ist klar: Die Leute wollen spielen und Spiele sehen. Denn das Spiel ist das große Stimulans des Lebens.

Homo ludens heißt »der spielende Mensch«. Ich behalte den lateinischen Ausdruck bei, nicht aus akademischem Imponiergehabe, sondern weil seine Gegenspieler ebenfalls beeindruckende lateinische Namen bekommen haben. Da ist, erstens, der Homo oeconomicus, also der vollständig informierte, Kosten und Nutzen abwägende, rational entscheidende Marktteilnehmer, der auf die Gesetze von Angebot und Nachfrage reagiert. Und da ist, zweitens, der Homo sociologicus, das heißt der Mensch als Träger sozial vorgegebener Rollen, der Schauspieler auf der Bühne des Alltags, dessen Verhalten von den Erwartungen der anderen gesteuert wird und der sich zeitlebens in den Netzen der sozialen Kontrolle verstrickt. Meine These lautet nun ganz einfach: Lebensfreude ist nicht die Sache des Homo oeconomicus oder des Homo sociologicus, sondern des Homo ludens. Und wer nichts von den Freuden des Lebens versteht, versteht die Natur des Menschen nicht.

Ich denke, es gehört zu den unbestreitbaren Lebenserfahrungen, dass Menschen, die keinen Sinn für Spiele haben, oftmals die Liebenswürdigkeit fehlt. Schon vor einem halben Jahrhundert hat der erste bedeutende Medientheoretiker, der Kanadier Marshall McLuhan, sogar erklärt: Eine Gesellschaft ohne Spiele versinkt in die »Zombie-Trance« eines leeren, automatischen Funktionierens. Und wenn wir daraus auftauchen wollen, müssen wir spielen. Nur die Spielfreude zeigt den Weg zum ganzen Menschen. Diese These geht bekanntlich auf Friedrich Schillers Briefe über die ästhetische Erziehung des Menschen zurück und sie scheint mir aktueller denn je. Dass der Mensch nur ganz Mensch ist, wenn er spielt, wird heute mit dem Begriff »Immersion« bezeichnet. Gemeint ist die Magie des totalen Involviertseins. Es handelt sich hier also nicht einfach um eine Freizeitbeschäftigung. Spielst du noch Spiele oder lebst du sie schon? Ich werde in den Schlussabschnitten dieses Buches am Beispiel der Computerspiele zeigen, wie die Magie der Immersion gegen die »Zombie-Trance« des gesellschaftlichen Funktionierens eingesetzt werden kann.

Nun könnte man eigentlich erwarten, dass die ungeheure Bedeutsamkeit des Spielens für das Leben der Menschen von den Politikern respektiert und von den Wissenschaftlern analysiert wird. Das Gegenteil ist aber der Fall. Die Wissenschaft nimmt Spiele nicht ernst, oder sie produziert einen Alarmismus der »Suchtgefahr«. Die Kulturkritik jammert über die spätrömische Dekadenz von »Brot und Spiele«. Und die Politik bekämpft die Glücksspiele – um doch als Monopolist zugleich dabei abzukassieren, indem er sie entweder betreibt oder doch zumindest dadurch zusätzliche Abgaben kassiert. Warum das so ist, lässt sich leicht erklären. Wer in der Politik die Aufmerksamkeit der Wähler gewinnen will, muss Probleme erfinden. Wer in den Medien hohe Quoten erzielen will, muss Katastrophen ankündigen. Wer sich in den Wissenschaften Forschung finanzieren lassen will, muss Alarm rufen. Es ist deshalb heute unendlich wichtig, dass einige Journalisten sich noch in der Tradition der Aufklärung verstehen und einige Universitätsprofessoren noch der Versuchung widerstehen, als Gefälligkeitswissenschaftler in den Dienst der Warner und Mahner zu treten.

Kurzum: Journalisten sollten nicht belehren, sondern berichten. Wissenschaftler sollten nicht alarmieren, sondern analysieren. Auf die Politiker komme ich gleich noch ausführlich zu sprechen.

Vielleicht findet die Wissenschaft deshalb keinen Zugang zur Welt des Spiels, weil sich jedes Spiel klar vom Ernst des Lebens abgrenzt. Es scheint dabei nur um Freizeitbeschäftigung und Unterhaltung zu gehen. Nun ist es zwar richtig und trivial, dass man in der Freizeit spielt und dass Spiele unterhaltend sind. Doch das führt uns nicht zum Kern der Sache. Warum uns Spiele faszinieren, wird nur klar, wenn wir die Untersuchung tiefer anlegen – und zwar mindestens so tief, wie das der holländische Kulturhistoriker Johan Huizinga mit seinem Buch Homo Ludens (1938) und der französische Philosoph und Soziologe Roger Caillois mit seinem Buch Les jeux et les hommes (1958; dt.: »Die Spiele und die Menschen«) versucht haben. Es sagt übrigens schon fast alles über das Verhältnis der Wissenschaft zur Welt der Spiele, dass seither keine relevante Monografie mehr zu unserem Thema erschienen ist.

Ich will mit diesem Buch eine fröhliche Wissenschaft des Spiels bieten. Das ist deshalb schwierig, weil es offenbar eine Aversion des begrifflichen Denkens gegen die spielerische Fantasie gibt. Der Philosoph Eugen Fink meint sogar: »Der spielende Mensch denkt nicht und der denkende Mensch spielt nicht.« Das ist sicher nicht ganz richtig, benennt aber doch ein wichtiges Problem. Der Philosoph will in der Regel nichts vom Spiel wissen. Und der Spieler braucht keine Philosophie, denn wer spielt, muss sich nicht rechtfertigen. Aber es gibt doch ein paar bedeutsame Ausnahmen, auf die ich gleich zu sprechen kommen werde. Bei der Ankündigung einer fröhlichen Wissenschaft denkt der gebildete Leser natürlich sofort an Nietzsche. Und tatsächlich glaube ich, dass Nietzsches Philosophie funktioniert – nämlich als Theorie des Spiels. Seine berühmten Thesen über die ewige Wiederkehr des Gleichen, die Unschuld des Werdens und die Oberflächlichkeit aus Tiefe machen alle einen guten Sinn, wenn man sie auf den Homo ludens bezieht.

Wer nicht spielt, ist krank

Die Psychoanalyse wollte nicht nur den neurotischen Einzelnen analysieren, sondern auch eine Pathologie des Zivilisationsprozesses insgesamt bieten. Und hier ist Sigmund Freuds Studie aus dem Jahre 1930 über das Unbehagen in der Kultur immer noch unübertroffen. Die Studie sollte wohl ursprünglich »Das Unglück in der Kultur« heißen, und dieser Titel wäre treffender gewesen. Es geht darin nämlich nicht bloß um das »Nebenprodukt« Unbehagen, sondern um das eigentliche Resultat des Zivilisationsprozesses. Auf der Suche nach den Gründen für das Unglück in der Kultur hat Freud vor allem die Triebunterdrückung herausgearbeitet. Das klingt heute, im Zeitalter der sexuellen Freizügigkeit, vielleicht nicht mehr so überzeugend wie im Wien des frühen 20. Jahrhunderts. Ich werde den Akzent aber auf ein anderes Motiv legen, nämlich auf das, was der Paläoanthropologe Rudolf Bilz »Stimulationsverarmung« genannt hat. Wir sind so unglücklich, weil es uns an Erregung fehlt. Oder anders formuliert: Es fehlt uns heute weder an Triebfreiheit noch an Wohlstand, sondern an innerer Motivation.

In einem sich über Jahrhunderte erstreckenden Zivilisationsprozess haben Aufklärung und Wissenschaft die Welt entzaubert. Und wir ertragen es nur, in dieser entzauberten Welt zu leben, weil es Unterhaltung gibt. Politische Sicherheit, technischer Fortschritt und wirtschaftlicher Wohlstand haben die Welt langweilig gemacht. Und wir ertragen es nur, in dieser langweiligen Welt zu leben, weil es Unterhaltung gibt. Entertainment ist also die große Kompensation, die uns das Leben lebenswert macht. Und im Zentrum der Unterhaltung steht das Spiel. Das ist die Ausgangsthese meiner Überlegungen.

Jeder kennt das Krankheitsbild, das dem Unglück in der Kultur entspricht: die Depression. Und es gibt kein besseres Heilmittel gegen die Depression als die Spielfreude. Die Spiele-Designerin Jane McGonigal sagt: Niemand ist immun gegen Langeweile und Einsamkeit, Angst und Depression. Spiele können diese Probleme lösen. Umgekehrt bedeutet das aber: Wer nicht spielt, ist krank. Oder er wird krank. Der amerikanische Soziologe William I. Thomas hat vier fundamentale Wünsche unterschieden, die unser Leben antreiben: Abenteuer, Sicherheit, Anerkennung und Antwort. Das Spiel erfüllt alle diese Wünsche. Den Wunsch nach Abenteuer erfüllt der Thrill, die Aufregung, sei es im Computerspiel, sei es im Glücksspiel. Den Wunsch nach Sicherheit erfüllt das Spiel durch seine strengen Regeln und klaren Grenzen. Den Wunsch nach Anerkennung erfüllt der Wettkampf. Und den Wunsch nach Antwort erfüllt das Spiel durch das unmittelbare Feedback, das wir nach jedem Spielzug bekommen. Spielen ist eine Handlung, die sich selbst belohnt.

Der Auszug aus der entzauberten Welt führt heute nicht mehr nach Utopia, sondern ins Abenteuerland der Spiele, und das heißt heute vor allem in die Welt der Glücksspiele und der Computerspiele. Das wird von den Kulturkritikern gerne als Eskapismus, als feige Fluchtbewegung gebrandmarkt. Aber gegen diese Eskapismus-Kritik gibt es zwei starke Argumente. Erstens: Wer spielt, verschont die Wirklichkeit. Ich schließe hier an eine pfiffige Marx-Parodie des skeptischen Philosophen Odo Marquard an, der selbst ein Homo ludens des Geistes war. Die Kulturkritiker haben die Welt immer nur verschieden interpretiert – es kommt darauf an, sie zu verschonen. Indem wir spielen, verschonen wir die Wirklichkeit. Und zweitens: Es gibt nichts Subversiveres als spielerische Leichtigkeit. Schauen wir uns nur einmal die Welt des Feuilletons an, auf...


Prof. Dr. Norbert Bolz ist Medienwissenschaftler an der technischen Universität Berlin. Er ist bekannt für seine überraschenden, oft provokanten Thesen, die er in Büchern, Zeitschriften und Talkshows leidenschaftlich vertritt.



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