Bonnett | Das Zeitalter der Inseln | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 264 Seiten

Bonnett Das Zeitalter der Inseln

Von untergehenden Paradiesen und künstlichen Archipelen

E-Book, Deutsch, 264 Seiten

ISBN: 978-3-406-76703-6
Verlag: C.H.Beck
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Überall auf der Welt werden in einem noch nie dagewesenen Tempo künstliche Inseln erschaffen, während immer mehr natürliche Inseln aufgrund des steigenden Meeresspiegels verschwinden. Der Geograph und Bestsellerautor Alastair Bonnett zeigt in seinem aktuellen Buch, wie sich unsere Welt durch das neue und verschwindende Land im Meer von Grund auf verändert.

Bonnett nimmt seine Leserinnen und Leser mit auf eine Entdeckungsreise ins unbekannte Reich der Inseln. Dabei enthüllt er, wie nationalistischer Expansionsdrang und eine aus den Fugen geratene Tourismusindustrie eine völlig neue, künstliche Inselwelt haben entstehen lassen. Gleichzeitig veranschaulicht er die Verlustbilanz der Klimakrise, von der noch die letzten natürlichen Inseln bedroht werden. Von einem "Crannog", einem alten Pfahlbau in einem schottischen See, zu den militarisierten künstlichen Stützpunkten, die China im Südchinesischen Meer hochzieht; von der verschwindenden Inselheimat der Ureinwohner Mittelamerikas zu den luxuriösen Vorzeigeinseln von Dubai; von Hongkong und den Scilly-Inseln zu den unbekannten Inseln in der Nähe und in der Ferne: Bonnett versteht es, die verschiedensten Eilande miteinander in Beziehung zu setzen, und weiß doch, dass jede Insel für sich eine eigene, dringende Geschichte zu erzählen hat. Mitten in den Ozeanen und an den Rändern unserer kontinentalen Welt zeichnet er so das atemberaubende Bild eines Zeitalters der Inseln im 21. Jahrhundert, mit dem selbst Google Earth überfordert ist.
Bonnett Das Zeitalter der Inseln jetzt bestellen!

Weitere Infos & Material


Einleitung
Wir leben im Zeitalter der Inseln. Noch nie zuvor wurden in einer solchen Vielzahl und in solchen Dimensionen neue Inseln gebaut. Gleichzeitig verschwinden Inseln: Sie versinken in den ansteigenden Weltmeeren und zerfallen zu Archipelen. Was hier mit Inseln geschieht, ist eines der großen Dramen unserer Zeit, und es geschieht überall: Vom Südchinesischen Meer bis zum Atlantik erheben sich Inseln oder gehen unter. Es ist ein seltsamer Rhythmus, faszinierend und beängstigend, natürlich und unnatürlich zugleich. Er schreibt sich unseren Hoffnungen und Ängsten ein: Der Aufstieg und Fall von Inseln ist eine intime Sache, eine Sache der ganz persönlichen Empfindung, gleichzeitig aber auch ein planetarisches Spektakel. Ich möchte dieses neue Territorium erkunden und zu begreifen suchen, was es uns über unser Verhältnis – über unsere schwierige Liebesbeziehung – zu Inseln verrät. Dies ist die Geschichte dieses Abenteuers. Es wird keine einfache Sache werden. Ich weiß das jetzt ziemlich sicher, denn ich schreibe diese Zeilen in Nuku’alofa, der sich langsam bewegenden, vom Wetter schwer mitgenommenen Hauptstadt des Königreichs Tonga, und ich fühle mich genauso müde wie all diese traurig dreinblickenden Hunde, die draußen auf der brütend heißen und menschenleeren Straße hocken. Heute morgen blies der Wind unerwartet heftig, und gut dreißig Kilometer vom Ufer entfernt geriet der Rumpf des unerwartet kleinen Motorboots, das ich – Wochen zuvor und Tausende Kilometer entfernt – für die Fahrt zu einer neu entstandenen und noch namenlosen Vulkaninsel gebucht hatte, in Übelkeit erregendes Gewoge und wummerte heftig durch jedes grüne Wellental. «Wir müssen umdrehen», brüllte der Kapitän; auf seinen bloßen Armen und seiner nackten Brust überzog Gischt die verblassenden Tätowierungen von Walen und Delfinen. Und so hänge ich wieder fest, schreibe Freunden und der Familie WhatsApp-Nachrichten: «habe es nicht auf meine Insel geschafft». 18.000 Kilometer für nichts. Morgen wird ein Wirbelsturm diesen Flecken im Pazifik treffen, und ich gehe davon aus, dass ich diesen unmöglichen Tupfen dort draußen am Horizont niemals erreichen werde. «Meine Insel». Was für eine eigenartige Vorstellung. Inseln gehen einem gleichsam unter die Haut; diese Splitter der Sehnsucht, diese entschlüpften Territorien, sie graben sich tief ins eigene Ich ein. Als der nahende Sturm seine ersten schweren Tropfen fallen lässt, genehmige ich mir zum Trost noch einen Schluck Whisky und durchforste, nicht zum ersten Mal, mein Gedächtnis danach, was diese lange und oftmals einsame Reise überhaupt in Gang gesetzt hat. Ich erinnere mich daran, wie meine siebzehn Jahre alte Tochter in der Küche stand, ein Toastbrot in der Hand, klug, selbstbewusst und unbeeindruckt: «Du bist total bescheuert», sagte sie mit eisiger Autorität; und fügte hinzu: «Du willst doch hier bloß deine Wechseljahre globalisieren.» Doch gleich darauf setzte sie ein strahlendes Lächeln auf: «Ich will mitkommen!» Andere waren weniger nachsichtig und kniffen die Augen argwöhnisch zusammen angesichts dieser bedauernswerten, aber noch namenlosen Form von postkolonialer Maßlosigkeit. Doch ich verspüre nun einmal das drängende Gefühl, diesen verstreuten, noch nicht auf Karten erfassten Punkten der Veränderung hinterherjagen zu müssen. In den frühen Morgenstunden schrecke ich plötzlich aus dem Schlaf, besessen von irgendeinem abwegigen, schwer zu fassenden Detail, und komme erst wieder zur Ruhe, wenn ich eine Landkarte oder eine unleserliche Notiz auf einen Zettel gekritzelt habe. Ich glaube, ich muss mich ein wenig beruhigen und das Ganze langsam angehen; muss deutlich machen, warum der Aufstieg und Untergang von Inseln so wichtig ist. Dafür gibt es keinen besseren Ausgangspunkt als das Südchinesische Meer. Im Norden und Westen stoßen seine warmen Gewässer an die Küsten Chinas und Vietnams; im Süden und Osten liegen Malaysia und die Philippinen. Es bildet eine der wichtigsten Handelsrouten auf der Welt – über die pro Jahr angeblich Waren im Wert von 5,3 Billionen US-Dollar unterwegs sind – und einen der zentralen Kampfplätze heutiger Geopolitik. Die einst ursprünglichen und unberührten Riffe und Inselchen, die dieses Meer überziehen, sind fürchterlich verstümmelt oder gnadenlos planiert und zubetoniert; gut ein Dutzend sind mit Unmengen an militärischer Feuerkraft vollgepackt und haben sich in kühne Vorposten eines neuen kalten Krieges verwandelt. China verbindet die Mehrzahl dieser Frankenstein-Inseln miteinander und übernimmt die Kontrolle über das gesamte Meer. Satellitenbilder und Luftaufnahmen zeigen, wie die Riffe an lange schwarze Rohre angekoppelt werden, die sich durchs Wasser schlängeln; diese Rohre wiederum sind mit Schiffen verbunden, die den Meeresboden – Sand, Korallen, Krustentiere, einfach alles – zu Baumaterial zermahlen. Dieser Meeresbrei wird auf die Insel gepumpt. Später kommen dann die Betonmischer, die Rollfelder, Marinehäfen und Raketensilos. Eines der jüngsten Opfer ist das Johnson South Reef. Dieses entlegene Korallenriff wurde zur Beute eines befruchtenden Jägers. In einer ersten Phase wird das Riff aufgeschüttet. Später dann wird es zu einem Rechteck planiert – ein feindseliger Fremdkörper in einem warmen blauen Meer. Die Tragödie der Spratly-Inseln beherrscht die Schlagzeilen in Ostasien seit Jahren. In den kommenden Jahrzehnten werden deutlich größere und friedlichere chinesische Inseln weltweite Beachtung finden. Nur ein paar Minuten von zahlreichen Küstenstädten entfernt werden spektakuläre neue Freizeit- und Unterhaltungsinseln entstehen. Wie die kunstvoll gestalteten neuen Inseln, die in den Golfstaaten errichtet werden, werden dies Orte eines sorglosen Konsumismus sein. Doch da dafür der Meeresgrund aufgegraben wird und ganze Reihen von extravagant gestalteten, vollklimatisierten Offshore-Hotels dorthin gepflanzt werden, sind diese gutgelaunten Shopping- und Urlaubsdestinationen zwangsläufig genauso umweltschädlich wie ihre militärischen Verwandten. Unsere Macht, den Planeten zu verändern und umzugestalten, konzentriert sich zunehmend auf neue Inseln. Jede von ihnen verkündet lautstark: «Schau, wozu wir Menschen fähig sind!» Doch das Zeitalter der Inseln hat auch noch eine andere Facette. Während neue Inseln emporwachsen, gehen alte unter. Heute werden niedrig gelegene Nationen vom Gespenst des Verschwindens heimgesucht. Tausende von Inseln auf dieser Welt liegen nur ein paar Zentimeter über dem sie umgebenden Meer, und die meisten von ihnen schrumpfen von Jahr zu Jahr, von Monat zu Monat. Die Liste der Verschwundenen ist bereits lang. Das Tempo, mit dem Bagger und Ingenieure neue Inseln fabrizieren können, nimmt zu, aber auch die Geschwindigkeit, mit der natürliche Inseln verschlungen werden. Als der damalige UN-Generalsekretär Ban Ki-moon zu einer weiteren Konferenz über den Klimawandel in die Hauptstadt der Salomonen-Inseln unterwegs war, schaute er aus dem Flugzeugfenster und sah, was auf den ersten Blick wie zwei Unterwasserriffe und, im Hintergrund, ein paar kleine Inseln erschien. Tatsächlich aber waren es die Überreste einer einzigen großen Insel, die fast vollständig vom Meer verschlungen wurde; übriggeblieben sind allein ihre höchsten Erhebungen. Gut ein Dutzend Inseln sind in diesem Teil der Salomonen auf die gleiche Weise verschwunden. Auf zahlreichen anderen musste die gesamte Bevölkerung der Küstenstädte ins Landesinnere umziehen. Inseln vermitteln heute ein Gefühl der Flüchtigkeit und der Ungewissheit: Es umgibt sie eine Atmosphäre des Zweifels. Ihre Geschichten halten unserem besorgniserregenden Zeitalter einen Spiegel vor. Inseln verändern sich schnell, aber sie üben einen ganz ursprünglichen Reiz aus. Ich liebe Inseln. Sie bieten die Möglichkeit zu Neuem, zu Hoffnung. Angesichts des weißen, leblosen Haufens, den das Johnson South Reef bildet, mag das etwas weit hergeholt klingen. Doch noch der trostlosesten Insel haftet etwas Utopisches an. Das erste Bild von Utopia war eine Insel. Es ist bemerkenswert, wie sehr Thomas Morus in seiner Reisefantasie, der wir das Wort verdanken, einem Buch mit dem schlichten Titel Utopia, darauf beharrte, dass dieses Utopia eine Insel sein müsse. Morus berichtet, der Gründer dieses auf einzigartige Weise vollkommenen Reiches, König Utopus, habe eine Insel daraus gemacht. Ursprünglich sei es Teil des Festlands gewesen, erst Utopus habe «das Land zur Insel gemacht. Sobald er nämlich, kaum dort gelandet, Sieger geworden war, ließ er fünfzehn Meilen Landes auf der Seite, wo die Halbinsel mit dem Festland zusammenhing, ausstechen und führte so das Meer ringsherum.»[1] Nur so konnte...


Alastair Bonnett lebt in Newcastle upon Tyne und ist dort Professor für Sozialgeographie. Seine Leidenschaft ist das Reisen – im Kopf, auf der Landkarte und in der Realität. Bei C.H.Beck erschien der Bestseller 'Die seltsamsten Orte der Welt' (2015) sowie der Nachfolgeband 'Die allerseltsamsten Orte der Welt' (2019).


Ihre Fragen, Wünsche oder Anmerkungen
Vorname*
Nachname*
Ihre E-Mail-Adresse*
Kundennr.
Ihre Nachricht*
Lediglich mit * gekennzeichnete Felder sind Pflichtfelder.
Wenn Sie die im Kontaktformular eingegebenen Daten durch Klick auf den nachfolgenden Button übersenden, erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Ihr Angaben für die Beantwortung Ihrer Anfrage verwenden. Selbstverständlich werden Ihre Daten vertraulich behandelt und nicht an Dritte weitergegeben. Sie können der Verwendung Ihrer Daten jederzeit widersprechen. Das Datenhandling bei Sack Fachmedien erklären wir Ihnen in unserer Datenschutzerklärung.