E-Book, Deutsch, 278 Seiten
Bontrup / Marquardt Die Zukunft der großen Energieversorger
1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-86496-864-8
Verlag: UVK
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 278 Seiten
ISBN: 978-3-86496-864-8
Verlag: UVK
Format: EPUB
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Die Autoren zeigen systematisch auf, wie sich die Rahmenbedingungen durch die Energiewende gewandelt haben, welchen Einfluss die veränderte Marktregulierung auf das Geschäftsumfeld hat, wie sich innerhalb des neuen Rahmens die Wirtschaftlichkeit der großen Energieversorger verändert hat, wie sie sich strategisch an die neue Lage anpassen und welche Schwierigkeiten sie haben werden, verlorenes Terrain zurückzuerobern.
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1Big-4 in der Zange von Marktregulierung und Energiewende
Nach der spektakulären Ankündigung von E.ON im Dezember 2014, sich vom traditionellen Geschäftsfeld der konventionellen Stromversorgung auf der Basis von Atomkraftwerken (AKWs) und Kohlekraftwerken trennen und sich im Gegenzug auf Erneuerbare Energien (EE), den Netzbetrieb, den Stromvertrieb und Energiedienstleistungen (EDL) konzentrieren zu wollen, steht die Frage nach der Zukunft der vier großen deutschen Stromversorger (E.ON, RWE, Vattenfall und EnBW) einmal mehr im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses. Lange Zeit zählten diese Big-4 zu den schlagkräftigsten Unternehmen hierzulande. Hohe Marktmacht kombiniert mit einer ausgeprägten Abhängigkeit der Nachfrager von den angebotenen Leistungen schienen die Garanten für einen lang anhaltenden Unternehmenserfolg zu sein. E.ONs Versuch eines Befreiungsschlags verdeutlicht indessen, dass die goldenen Zeiten für die Großkonzerne ein für alle Mal passé sind. Für die vier Energiekonzerne gilt mit den Worten des Vorstandsvorsitzenden von RWE, Peter Terium, offenbar: „Auch ein Riese kann stolpern.“1 Die Unternehmen befinden sich dabei in der sich immer weiter schließenden Zange von Marktregulierung und Energiewende. Was ist passiert? Im Zuge der Liberalisierung der Energiewirtschaft etablierten sich in der Branche ab 1998 zunächst gänzlich neue Marktstrukturen.2 Bis dahin wurde der Markt durch staatlich regulierte Gebietsmonopole ausgesteuert. Dafür gab es zwei Gründe: Zum einen ist Strom ein volkswirtschaftliches Basisgut, das laut Bundesgerichtshof „für jeden so wichtig ist, wie unser täglich Brot“. Zum anderen bestand lange Zeit die Auffassung, dass sich der Markt aufgrund hoher Fixkostenanteile und der Subadditivitätsproblematik3 ohnehin nur mit Hilfe von natürlichen Monopolen aussteuern lasse. Das betrifft auch heute noch den Netzbetrieb, galt aber unter den damaligen Erzeugungsbedingungen auch für die Stromerzeugung, die sich vorrangig auf zentrale Großkraftwerke stützte. Angesichts der Unvermeidbarkeit von Monopolisierungstendenzen und der besonderen Bedeutung von Strom in der Daseinsvorsorge galt die Branche in der Gründungsphase allen politischen Parteien als viel zu wichtig, um sie der im unkontrollierten Markt entstehenden Ausbeutungsmacht von Großkonzernen auszusetzen. Stattdessen wurden regionale Monopole von der Politik mit Blick auf die Größenvorteile zwar akzeptiert. Zugleich wurden sie aber mit Hilfe einer staatlichen Preis- und Kostenkontrolle sowie einer Investitionsaufsicht reguliert und diszipliniert. Dabei erwies sich die Regulierung für die Energieversorgungsunternehmen (EVUs) als überaus großzügig und sie reizte in keiner Weise zum Ergreifen ernsthafter Bemühungen um eine verstärkte Kosteneffizienz an.4 In Verbindung mit der um sich greifenden Marktgläubigkeit sowie der technologischen Entwicklung hin zu kleineren Kraftwerkseinheiten mit einer Auflösung der Subadditivitätsproblematik entschloss sich die deutsche Politik zu einer Öffnung der Märkte. Dieser Schritt wurde zuvor im Rahmen einer EU-weiten Initiative von der EU-Kommission angestoßen. Die konkrete Umsetzung wurde dabei den Mitgliedsstaaten in weiten Teilen zunächst selbst überlassen. Seitdem können hierzulande sowohl Großkunden als auch private und gewerbliche Kleinkunden ihren Energieversorger frei auswählen. Ziel war es, über den Wettbewerb die Unternehmen zum Bergen von Effizienzreserven zu bewegen, so dass es am Ende – insbesondere mit Blick auf die im internationalen Wettbewerb stehende deutsche Industrie – zu einer Strompreissenkung kommt. Anknüpfend an John Hicks, wonach „das schönste am Monopol das ruhige Leben ist“, sollte der Branche also ein Vitalitätsschub verpasst werden. Politisch nicht offen ausgesprochen wurde dabei aber – übrigens bis heute nicht –, dass funktionierender Wettbewerb zugleich auch ein Beschneiden der Unternehmensgewinne auf ein Normalmaß bedeutet und nicht nur eine einseitige Verteilung der Lasten auf die Zulieferer und die Beschäftigten. Nach einer kurzen, bis etwa 2002 anhaltenden Phase der Konsolidierung im Wettbewerb hatten sich die ehemaligen neun Regionalmonopolisten, die zugleich alle Wertschöpfungsstufen der Stromversorgung von der Erzeugung über den Netztransport bis hin zum Handel und Vertrieb bedienten, neu positioniert. Statt in den Wettbewerb zu treten, ging es ihnen vorrangig darum, auch in dem neuen Branchenrahmen wieder zu alter Stärke zurückzukehren. Die Unternehmen reagierten auf den „drohenden“ Wettbewerb mit Fusionen, die durch das deutsche Wettbewerbsrecht aufgrund zu großzügiger Zusammenschlussschwellen nicht unterbunden werden konnten. Aus neun Verbundmonopolisten bildeten sich so im Zeitraum von 1997 bis 2003 die von uns in einer früheren Studie als die „Big-4“ „getauften“ Unternehmen,5 die auch heute noch die vier zentralen Akteure im Markt darstellen (vgl. Abb. 1). Mit ihrer Gründung dominierten sie lange Zeit das Marktgeschehen. Dabei wurde der Konzentrationsprozess durch die Ausgangsstrukturen mit wenigen großen stromerzeugenden und vielen kleinen Anbietern (Stadtwerke) ohne eigene Erzeugungskapazitäten geradezu begünstig. Bereits im Vorgriff auf die Liberalisierung entstand 1997 die EnBW Energie Baden-Württemberg AG, in 2000 folgten die Gründungen der E.ON AG und der RWE AG. Den Abschluss dieses Konzentrationsprozesses bildete 2002/2003 die Vereinigung ost- und norddeutscher Anbieter zur Vattenfall Europe AG. In der Erzeugungssparte – und damit am strategisch wichtigsten Ansatzpunkt der Branche – besaßen die Big-4 zeitweise fast 90 v.H. der nationalen Produktionskapazitäten.6 Hier hätte zwar eine verstärkte Einbindung des deutschen in einen europäischen Binnenmarkt durch die Auslandskonkurrenz belebend wirken können. Dazu fehlten jedoch die technologischen Voraussetzungen. Engpässe an den Grenzkuppelstellen des Netzes schotteten den deutschen Markt recht stark ab, wobei die Netzbetreiber wegen ihrer vertikalen Integration in die vier Großkonzerne selbst wenige Anreize hatten, die Engpässe schnell zu beseitigen. Abb. 1: Gründung und Wachstum der Big-4 Quelle: Eigene aktualisierte und maßstabsgetreue Darstellung in Anlehnung an Brückmann, S. (2004). Hinzu kamen hierzulande hohe Markteintrittsschwellen für neue Stromerzeuger durch ein verändertes Investitionsparadigma. Vor der Liberalisierung garantierten die Gebietsmonopole, dass selbst die Folgekosten von nachträglich ineffizienten Investitionen in die Preise weitergewälzt werden konnten, ohne den Verlust von Kunden befürchten zu müssen. Dies verringerte zwar das Streben nach effizienten Lösungen, begünstigte aber grundsätzlich die Investitionsbereitschaft. Seit der Liberalisierung hingegen müssen sich die Investitionen, abgesehen von solchen in EE-Anlagen, im Markt gegenüber der Konkurrenz „rechnen“, da ansonsten die Abnehmer beim Versuch der Kostenüberwälzung den Anbieter wechseln (können). Dabei erweist sich aber die Renditekalkulation in der Branche wegen langer Planungs- und Amortisationszeiten, der oftmals hohen Investitionssummen, starker wechselseitiger Investitionsabhängigkeiten beispielsweise zwischen Netz- und Kraftwerksinvestitionen, längerfristig schlecht kalkulierbarer Primärbrennstoff- und CO2-Zertifikatepreise und der Ausbauwiderstände der Bevölkerung als überaus schwierig. Darüber hinaus wurde mit Blick auf die Stromtransportsparte zunächst kein diskriminierungsfreier Netzzugang geschaffen. Die Big-4 instrumentalisierten so ihre Netzhoheit im Rahmen des integrierten Unternehmensverbundes durch hohe Durchleitungsentgelte. Die wenigen neuen, auf das von der Konkurrenz betriebene Netz angewiesenen Stromanbieter zogen sich daher recht schnell wieder vom deutschen Strommarkt zurück. Damit war der Prozess der Machtkonzentration aber noch nicht beendet. Die vier großen Versorger, allen voran das zwischenzeitlich entstandene Duopol E.ON und RWE, beteiligten sich zusätzlich an zahlreichen Regionalversorgern sowie an Stadtwerken. So konnte über die dorthin abgestellten Aufsichtsräte die potenzielle Erzeugungskonkurrenz kontrolliert, Einfluss zur Sicherung von Absatzmärkten geltend gemacht und obendrein eine Beteiligungsrendite abgeschöpft werden, die dann an anderer Stelle wieder zum Machtaufbau reinvestiert wurde. Zeitweise hielten hier die Big-4 über 300 Beteiligungen. Außerdem haben die vier Großkonzerne, insbesondere E.ON und RWE, vor dem Hintergrund der Einführung eines Europäischen Binnenmarktes für Elektrizität versucht, sich über eine Internationalisierungsstrategie unabhängiger vom deutschen Markt zu machen. Ein Großteil der zuvor nicht an die Shareholder ausgeschütteten Gewinne wurde so im Ausland investiert. Zuletzt wurden dann nicht zum Kerngeschäft (Strom, Gas) gehörende Geschäftsfelder verkauft. Die noch zuvor betriebene Multi-Utility-Strategie, an der sich...