Borcsa / Wilms | Systemische Therapie | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 328 Seiten

Borcsa / Wilms Systemische Therapie

Anwendungsbereiche in der psychiatrisch-psychotherapeutischen Versorgung

E-Book, Deutsch, 328 Seiten

ISBN: 978-3-17-041164-7
Verlag: Kohlhammer
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Dieses Werk bietet erstmalig einen breit gefächerten Überblick über die Anwendungsbereiche der Systemischen Therapie in der psychiatrisch-psychotherapeutischen Versorgung: Fachpersonen aus Klinik und niedergelassener Praxis, psychiatrischer Regelversorgung und Gemeindepsychiatrie sowie aus Einrichtungen der Prävention und Rehabilitation erläutern das Verfahren. Darüber hinaus werden Finanzierungsmodelle dargestellt, Entwicklungschancen skizziert, "Nebenwirkungen" wissenschaftlich reflektiert und Problematiken an den Schnittstellen der verschiedenen Auftraggeber aufgezeigt. Zudem beschreibt der Herausgeberband die Systemische Therapie aus der Perspektive der NutzerInnen und ergänzt den Einblick in die Versorgungpraxis in Deutschland durch internationale Best-Practice-Beispiele und innovative Versorgungsmodelle aus Norwegen, Polen und Griechenland.
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1 Historischer Anschluss und Positionsbestimmung
Ulrike Borst 1.1 Einleitung
Die Systemische Therapie hat Wurzeln in vielen Wissenschaftsbereichen. Wesentliche Ursprünge sind in ? Abb. 1.1 dargestellt. Abb. 1.1:Wurzeln der Systemischen Therapie Die Familientherapie als Vorläufer der Systemischen Therapie wurde in der Psychiatrie entwickelt. Die Familien sogenannter Index-Patientinnen wurden in deren Therapie einbezogen, und bald wurde klar, dass bei psychischen Störungen eines Familienmitglieds die Interaktionen und die Kommunikation in der Familie zwar nicht ursächlich für die Erstmanifestation sein müssen, aber deutlich dazu beitragen, dass die Störung aufrechterhalten bleibt. Am meisten nutzte (und nutzt auch heute noch) die Therapie, wenn relevante Personen des Umfelds einbezogen werden. Wer relevant ist, bestimmt inzwischen die Patientin – im systemischen Kontext lieber »Klientin« genannt – zumeist selbst (? Kap. 13). Nach einer Phase, in der einer Forschungsstrategie Vorrang gegeben wurde, die strukturell eher zur Pharmako- als zur Psychotherapie passt, und in der die daraus abgeleiteten Behandlungsleitlinien – nicht verwunderlich – rein zahlenmäßig mehr medikamentöse als psychotherapeutische Interventionen empfahlen, ist heute in den Empfehlungen der Behandlungsleitlinien wieder vermehrt davon die Rede, dass Angehörige einbezogen werden sollen.1 In Zeiten, wo die Kostenträger von Hilfen sich lieber gegeneinander abgrenzen als integrativ und System-übergreifend zu handeln (? Kap. 4), muss der Begriff Therapie aber wieder vermehrt verwendet werden, um anzuzeigen, dass das Gesundheitssystem in der Pflicht ist, sobald mindestens ein Familienmitglied eine krankheitswertige Symptomatik aufweist. Häufig können von einer Familientherapie auch weitere Familienmitglieder profitieren. Zudem kann auch präventiv viel bewirkt werden, wenn die psychische Störung der Index-Patientinnen mit Familientherapie behandelt wird – denn damit kann die Resilienz der ganzen Familie gestärkt und die Entwicklung eventuell beteiligter Kinder gefördert werden. Diese Argumentationslinie wird im vorliegenden Kapitel nachgezeichnet. Schlussendlich wird dafür plädiert, statt der Symptome die Lebenswelt der Patientinnen in den Blick zu nehmen, eine systemisch orientierte Sozialpsychiatrie in Forschung, Lehre und Praxis zu betreiben und die Institutionen samt ihren darin arbeitenden Teams entsprechend weiterzubilden. 1.2 Geschichte der Familientherapie (1945?–?1980)
1.2.1 Erste Beispiele aus Psychiatrie und Schizophrenieforschung (1945?–?1970)
Bereits die Psychoanalyse kannte und betonte die Bedeutung der Familie für psychische Krankheit und Gesundheit (Sigmund Freud2), allerdings wurde die Familie für die Therapie bzw. die Analyse als eher hinderlich betrachtet. Viele Pionierinnen der Familientherapie hatten einen psychoanalytischen Hintergrund (Salvador Minuchin, Nathan Ackerman, Iwan Boszormenyi-Nagy, Murray Bowen, Mara Selvini-Palazzoli, Helm Stierlin), rückten aber ab Ende der 1940er Jahre deutlich von deren Haltung und Methoden ab und gründeten Familientherapie-Zentren und -Institute. Mitte der 1950er Jahre begannen Therapeutinnen, allen voran Frieda Fromm-Reichmann, und Forscherinnen (z.?B. Lyman Wynne, Gregory Bateson, Paul Watzlawick), ihre Beobachtungen zur Kommunikation und zu den Interaktionen in Familien psychisch erkrankter Menschen, insbesondere von Menschen mit psychotischem Erleben, zu beschreiben. Die therapeutischen Überlegungen waren von der humanistischen Psychologie (Jacob Levy Moreno, Fritz Perls, Carl Rogers; darauf aufbauend Virginia Satir) geprägt. Parallel zur Familientherapie entwickelte sich in vielen verschiedenen Wissenschaftszweigen systemtheoretisches Denken, zunächst unter dem Begriff der Kybernetik. Zirkularität wurde zum Schlagwort. So war denn auch der ursprüngliche Titel der Macy-Konferenzen (1946?–?1953), die für die Entwicklung der Kybernetik bahnbrechend waren: »Circular Causal and Feedback Mechanisms in Biological and Social Systems«. Ziel der Konferenzen war es, eine allgemeine Wissenschaft zur Funktionsweise des menschlichen Geistes (Kognitionswissenschaft) zu begründen. Die Konferenzen befassten sich mit neuronalen Netzen, Kommunikation und Sprache, digitalen Computern, Neurophysiologie, Mustererkennung, Kindheitstraumata, Gruppendynamik und Gruppenkommunikation. Zur Kerngruppe gehörten Forscherinnen unter anderem aus Anthropologie (Gregory Bateson, Margaret Mead), Biophysik (Heinz von Foerster), Mathematik (Norbert Wiener), Soziologie (Paul Lazarsfeld), Psychiatrie (Warren McCulloch, Lawrence Kubie) und Psychologie (Kurt Lewin). Diskutiert wurde hier ein Verständnis von Kausalität, das dem Alltagsverständnis entgegengesetzt ist: Ursache und Wirkung stehen in vernetzten Systemen nicht in einem linearen Zusammenhang. Eine Wirkung kann auf »die Ursache« zirkulär zurückwirken, eine Wirkung kann an anderen Stellen im System auftauchen als gedacht und eine kleine Ursache kann große Wirkung zeigen, während ein starker Veränderungsimpuls möglicherweise keine Wirkung zeigt. In Physik (Werner Heisenberg), Biologie (Umberto Maturana) und Chemie (Ilya Prigogine), in den Wirtschaftswissenschaften, in der Klimaforschung entdeckte man das scheinbar chaotische, nicht sicher vorhersagbare und doch regel- und musterhafte Verhalten von Systemen, die aus mehreren Elementen und ihren Beziehungen bestehen. Die Kybernetik schien transdisziplinär in der Lage, diese Phänomene abzubilden und zu erklären. In einer ersten Phase (Kybernetik I) ging es dabei noch um eine Theorie sozialer Systeme, deren zentrales Konzept das der Homöostase war. Im Laufe der Zeit wurde jedoch immer deutlicher, dass die Beobachterin, trotz aller Bemühungen um Objektivität, Teil des Geschehens ist, und die Kybernetik wurde immer mehr eine Theorie über die Beobachterin (Kybernetik II). Am engsten verwoben waren Systemtheorie und Familientherapie zunächst an zwei Orten in den USA: am Mental Research Institute (MRI) in Palo Alto, Kalifornien und an der Child Guidance Clinic, Philadelphia, PA. In Palo Alto arbeitete eine Forschergruppe aus Psychiaterinnen, Psychologinnen und Sozialarbeiterinnen. Das Institut wurde im Jahr 1959 von Don D. Jackson gegründet. Die Gruppe betrachtete nicht mehr einzelne Individuen, sondern beschäftigte sich mit deren Entwicklung durch Interaktion mit ihrer Umwelt, was zu der damaligen Zeit neu und ungewöhnlich war. Inspiriert von Gregory Bateson, der bereits seit dem Jahr 1954 zu Besonderheiten »schizophrener« Kommunikation geforscht hatte, untersuchte die Gruppe anfangs die Interaktionen in Familien, in denen ein Mitglied eine Schizophrenie-Diagnose hatte. Aus der Arbeit entstanden Schlüsselwerke zur menschlichen Kommunikation (Watzlawick et al. 1967) und zur lösungsorientierten (Familien-) Therapie (focused problem resolution, Jackson 1968; strategische Therapie, Haley et al. 1963). Konzepte zur Metakommunikation, Doppelbindung und paradoxer Kommunikation sowie zur Interpunktion von Sequenzen kommunikativer Äußerungen wurden entwickelt. Grundlage der Therapie war die Annahme, dass Probleme aufgrund der bisher versuchten Lösungen einerseits, sowie der Beziehungen zu sich selbst, anderen Menschen und der Welt andererseits, aufrechterhalten wurden. Paul Watzlawick wurde ganz besonders durch seine »Anleitung zum Unglücklichsein« bekannt: Hier beschreibt er, wie Menschen sich selbst das Leben schwer machen, Probleme erzeugen und diese »erfolgreich« aufrechterhalten können. Sehr stark von der Gruppe beeinflusst wurden die sogenannten Paradoxen Interventionen, die von der Mailänder Gruppe (s.?u.) um Mara Selvini Palazzoli angewendet wurden. Der Kinderpsychiater Salvador Minuchin hatte im Jahr 1957 begonnen, mit verhaltensauffälligen Jugendlichen aus den New Yorker Suburbs zu arbeiten. Er stellte bald fest, dass er mit einsichtsorientieren Methoden nicht weiterkam und fing an, die Familien einzubeziehen und aktionsorientierte Methoden anzuwenden. Im Jahr 1965 wurde er Leiter der Child Guidance Clinic in Philadelphia, die sich im Laufe der folgenden zehn Jahre zu einem großen Familientherapie-Ausbildungszentrum entwickelte. Die hier praktizierte Familientherapie, die strukturelle Familientherapie (Minuchin 1976), befasste sich mit den Grenzen familiärer Subsysteme, Regeln, Hierarchien, Koalitionen und Allianzen. Die normativen Vorstellungen, die den recht direktiven Interventionen zugrunde liegen, sind den...


Prof. Dr. phil. Maria Borcsa ist Professorin für Klinische Psychologie an der Hochschule Nordhausen; Institut für Sozialmedizin, Rehabilitationswissenschaften und Versorgungsforschung.
Dr. med. Bettina Wilms ist Chefärztin der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik am Carl von Basedow-Klinikum Saalekreis.


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