Bove | Colette Salmand | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 160 Seiten

Reihe: Werkausgabe Emmanuel Bove

Bove Colette Salmand

Roman

E-Book, Deutsch, 160 Seiten

Reihe: Werkausgabe Emmanuel Bove

ISBN: 978-3-86034-580-1
Verlag: Edition diá Bln
Format: EPUB
Kopierschutz: Kein



1917. Die einundzwanzigjährige Colette, die in Paris lebt, erhält eines Tages einen merkwürdig dringlichen Brief aus Genf: Jacques, ihr Freund, bittet sie, zu ihm in die Schweiz zu kommen. Erst nach monatelangem Zusammenleben gesteht Jacques sein dunkles Geheimnis. Aber Colettes Hingabe und ihre Bereitschaft, den schwermütigen und unberechenbaren jungen Mann vorbehaltlos zu lieben, scheinen unermesslich. Emmanuel Boves im Nachlass entdeckte Geschichte der sich verzehrenden Liebe zu einem Mörder. 'Dass der Weg dahin so leise wie folgerichtig entworfen ist, so unaufgeregt wie bedrückend, macht die große Faszination dieses Romans aus.' [Quelle: Tilman Spreckelsen, Frankfurter Allgemeine Zeitung] Zum Weiterlesen: 'Emmanuel Bove. Eine Biographie' von Raymond Cousse und Jean-Luc Bitton ISBN 9783860347096

1898 als Sohn eines russischen Lebemanns und eines Luxemburger Dienstmädchens in Paris geboren, schlug sich Emmanuel Bove mit verschiedenen Arbeiten durch, bevor er als Journalist und Schriftsteller sein Auskommen fand. Mit seinem Erstling 'Meine Freunde' hatte er einen überwältigenden Erfolg, dem innerhalb von zwei Jahrzehnten 23 Romane und über 30 Erzählungen folgten. Nach seinem Tod 1945 gerieten der Autor und sein gewaltiges ?uvre in Vergessenheit, bis er in den siebziger Jahren in Frankreich und in den achtziger Jahren durch Peter Handke für den deutschsprachigen Raum wiederentdeckt wurde. Heute gilt Emmanuel Bove als Klassiker der Moderne.
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I
Am 14. Januar 1922, gegen neun Uhr abends, konnte man im ersten Stock des vierstöckigen Hauses an der Ecke Boulevard Magenta und Rue Albouy zwei Fenster sehen, deren Fensterläden nicht geschlossen waren und aus denen ein rosiges Licht auf den Gehsteig fiel, der im Regen wirkte wie ein Spiegel. Mechanisch hoben die seltenen Passanten den Kopf zu diesen zwei Fenstern, hinter denen man einen behaglichen Salon erriet, in dem eine angenehme Temperatur herrschen musste und der sich wahrscheinlich kaum von allen anderen Salons des Viertels unterschied. Die Gardinen, aus melancholischer weißer Netzstickerei, waren nur schilfhoch, so dass man oberhalb, kaum verzerrt durch die Fensterscheiben, einen Kronleuchter aus Bastgeflechtblättern und mit farbigen Glühbirnen bemerkte. Ob das nun dem Geschmack der Passanten entsprach oder nicht, gewiss ging ihnen der Gedanke durch den Kopf, dass ihnen in dieser ersten Etage wohler wäre als in dem nassen, staubgrauen Schneeregen, der in dem Moment fiel, da diese Erzählung beginnt. Tatsächlich brannte in dem Zimmer ein Ofen, und durch die Glimmerscheibe sah man das Rot des Feuers. Fünf blendend weiße Tassen waren auf einem Kupfertablett säuberlich um Zuckerdose und Milchkännchen und einen anderen, kleineren Kreis mit Likörgläsern angeordnet. Von den vier Personen, die um den kleinen runden Tisch mit dem Tablett versammelt waren, kümmerte es keine, dass man sie von der Straße aus sah. Es schien sogar so, als sei dies für die Abendgesellschaft ein zusätzlicher Reiz. An diesem Abend hatte Mme Bénac, was sonst nie vorkam, ihren Bruder und ihre Schwägerin eingeladen, damit sie den Verlobten ihrer Tochter Denise kennenlernten, den sie im Übrigen ebenso wenig kannte. Verlobter war nicht ganz das richtige Wort. Es handelte sich eher um einen Freund, sehr reich, schon Mitte fünfzig und aus einer sehr guten, sehr alten Familie in Nancy, M. Edouard Salmand. Er war noch nicht eingetroffen. Doch ging man deshalb nicht vertrauter miteinander um. Die Fensterläden waren offen geblieben, und man plauderte, als sei der Eingeladene schon da, jeder schob alles beiseite, was das Gespräch auf Familienangelegenheiten hätte bringen können. Mme Bénac war, wie M. Salmand, etwas über fünfzig. Sie war Geschäftsfrau gewesen und war es nicht mehr. Von ihrem Sessel aus dirigierte sie die letzten Vorbereitungen und unterhielt sich gleichzeitig mit ihrem ein oder zwei Jahre jüngeren Bruder, den sie in diesem Fall einmal als Gast behandelte, was sie ihm von Zeit zu Zeit auch zu verstehen gab. Er war deshalb übrigens nicht gekränkt. Sein ganzes Leben lang hatte er von Summen aus dem Geschäft seiner Schwester gelebt, die den Tageseinnahmen entnommen und als Unkosten verbucht wurden. So nahm er das Wetter, wie es kam. Seine Frau, die er alle Augenblicke Fernande rief, um die Leute dazu zu bringen, es ihm gleichzutun, und so eine für ihn, wie er wusste, günstige Vertrautheit zu schaffen, legte mit Denise letzte Hand an die Vorbereitungen. Viel Freude hatte diese Unglückliche in ihrem Leben nicht gekannt. So war sie durch die Bedeutung, die man ihr vorübergehend zubilligte, an diesem Abend ganz verwandelt. Mit geschäftiger Miene ging sie ein und aus und erlaubte sich mit jener Sicherheit, die einem die Mühe verleiht, die man sich für andere gibt, zu fragen, wo das Silber sei. Denise Bénac wiederum, die Tochter von Mme Bénac, der Stolz der Familie, warf nur hie und da ein Wort ein. Sie war eine blonde junge Frau, die sich von ihrer Familie durch geschmackvolle Eleganz und feinere Umgangsformen abhob. Es war offensichtlich, dass sie in der guten Gesellschaft verkehrt hatte. Marcel Bénac stand auf, tat ein paar Schritte, betrachtete sich im Spiegel über dem Kamin, strich seine Weste glatt – alles mit der Befriedigung eines Mannes, den man gewöhnlich abseitshält und der nun plötzlich einer wichtigen Zeremonie beiwohnen darf. – Schon längst, sagte er plötzlich zu Denise, hättest du uns mit M. Salmand bekannt machen sollen, schon in deinem eigenen Interesse. Eine Frau hat immer mehr Einfluss, wenn man weiß, dass sie von den Ihren unterstützt wird. – Du weißt nicht, was du redest. – Frag Fernande, sie ist eine Frau. – Ich bitte dich, sei still. Das ist nicht der richtige Augenblick, mit deinen Theorien anzufangen. Marcel Bénac wandte sich um, mit unschuldigem Gesichtsausdruck. – Aber ich fange mit gar nichts an. Ich stelle einfach fest, dass … Er musste abbrechen. Es hatte gerade geklingelt. Kurz darauf trat M. Edouard Salmand ins Zimmer. Er war groß, schmal, gebeugt und allem Anschein nach unfähig, die Brust herauszustrecken. Deshalb wohl trug er den Kopf sehr hoch, zurückgeworfen fast. Er hatte einen langen, schmalen Unterkiefer und Ohren, die abzustehen schienen, so mager war der Nacken dahinter. Die Hände reibend mit dem Behagen eines Mannes, der sich freut, dass sie trocken sind, verbeugte er sich liebenswürdig vor Mme Bénac. Dann klopfte er ein paarmal auf seine Jackentaschen, damit die Dinge darin an ihren Platz rutschten und keine hässlichen Beulen warfen; dabei machte er eine Schulterbewegung, die eher ein Tick war, von dem er sich nie hatte befreien können und der von der Bemühung herrührte, den Jackenkragen hochzuschieben, um seinen fleischlosen Nacken zu verdecken. – Ich hoffe, ich habe Sie nicht warten lassen, sagte er, während er aufmerksam das Zimmer betrachtete, in dem man ihn empfing, doch ohne dass in seinem Blick irgendetwas wie Unverschämtheit gelegen hätte, so natürlich war die Neugier bei ihm. »Wenn ich mich verspätet habe«, fuhr er fort, »so ganz gegen meinen Willen. Unmöglich, bei diesem Hundewetter ein Taxi zu bekommen. Ich musste die Metro nehmen. Dreimal umsteigen. Dreimal – ich übertreibe«, setzte er lächelnd hinzu, »aber zweimal schon.« – Wenn ich das gewusst hätte, sagte Marcel Bénac, hätte ich mir erlaubt, … 1 was ebenfalls heißen sollte, man müsse M. Salmand zurückhalten, um wer weiß was für ein ärgerliches Zusammentreffen zu verhindern. Obwohl sie noch nie welche bekommen hatte, fürchtete sich Mme Bénac vor nächtlichen Besuchen. – Was haben Sie denn, Madame?, fragte M. Salmand, der ihre Verwirrung bemerkt hatte. – Nichts, ich habe nichts. Und lachend verließ sie den Salon, um diese Furcht zu verbergen, die, das war ihr bewusst, etwas Vulgäres hatte. – Es regnet immer noch, sagte der Bruder, um die Aufmerksamkeit auf einen anderen Gegenstand zu lenken, und verließ das Fenster, wo er schon eine ganze Weile gestanden hatte in der Hoffnung, dass man ihn von draußen bemerkte, wie jene Personen bei irgendwelchen Feierlichkeiten, die sich absondern und dicht bei den Absperrungen aufstellen, hinter denen sich die Schaulustigen scharen. Als sie allein war, blieb Mme Bénac einen Moment stehen, um zu Atem zu kommen. Sie war so aufgeregt, dass sie den Schalter verwechselte und zuerst in der Küche Licht machte, dann erst im Flur. Dort stand, auf einem Tisch, eine Vase mit Blumen. Ohne zu wissen, warum, nahm sie eine heraus, trocknete den Stiel an der Tischdecke ab, die auf dem Tisch lag, griff sich mit der Hand in die Haare und zerzauste sie leicht. Der Grund für dieses absonderliche Gebaren war, dass sie in den Augen des Besuchers wirken wollte, als käme sie mitten aus einem Fest, damit er begriffe, dass sie Gäste hatte, und ohne weiteres Drängen wieder ginge. Doch was für ein Besucher? Sie erwartete niemanden. Vergeblich überlegte sie, ihr fiel niemand ein, der sie um diese Zeit noch stören könnte. Schließlich öffnete sie die Tür. Eine junge Frau stand auf dem Treppenabsatz. Aus ihrer Zeit als Schmuckhändlerin hatte sich Mme Bénac eine recht summarische Art bewahrt, Menschen zu beurteilen. Von ein paar Ausnahmen abgesehen, waren sie alle vollkommen. Ein derartiger Blick ist notwendig, wenn man sich angewöhnt hat, zu jedermann liebenswürdig zu sein, ohne Ansehen der Person. Doch da das Böse nicht verschwindet, so sehr man es auch wünscht, werden einer ganz kleinen Minderheit alle Sünden aufgeladen. Und dieser Minderheit, so Mme Bénacs erster Eindruck, gehörte die Besucherin an. Ein dunkler Hut mit regenschwerer Krempe verbarg die Augen der jungen Frau. Sie trug einen hellen Regenmantel, dessen Kragen, wie der von Offizieren, von einem Riemen zusammengehalten wurde und der gerade an ihr hinabfiel, als hätte sie keinen Busen. – Entschuldigen Sie, Madame, sagte sie schnell, dass ich Sie störe. Ich warte seit über einer Stunde unten auf Dr. Salmand. Ist er noch bei Ihnen? – Gewiss, aber worum handelt es sich?, fragte Mme Bénac, ohne die Tür loszulassen. – Ich bin seine Tochter, Madame. Ich bin gerade von einer Reise zurückgekehrt. Die Haushälterin hat mir gesagt, mein Vater sei bei Ihnen. Ich dachte, er sei zu einem Kranken gerufen worden. Doch ich sehe, Sie sind Freunde von ihm. Mme Bénac hatte trotz all ihrer Bewunderung für M. Salmand immer noch gewisse Vorbehalte bewahrt. Obwohl sie sich schon vor fünf Jahren aus dem Geschäft zurückgezogen hatte, waren zwanzig Jahre des Misstrauens nicht spurlos an ihr vorübergegangen. – Treten Sie ein, Mademoiselle. Das junge Mädchen gehorchte. Mit einer schroffen Geste nahm sie den Hut ab. Dann öffnete sie den Riemen am Kragen. Und nun sah man den ganz kleinen Kopf auf einem Hals von außergewöhnlicher Länge und Zartheit. Mme Bénac beobachtete sie, ohne ihr zu helfen, ohne das leiseste Willkommenswort. Der Doktor hatte also eine Tochter, und er hatte es nie gesagt! Warum? Mme Bénac konnte den Blick nicht von der Besucherin wenden. Diese hatte sich aufgerichtet, um tief Luft zu holen. Dabei hielt sie in der...


1898 als Sohn eines russischen Lebemanns und eines Luxemburger Dienstmädchens in Paris geboren, schlug sich Emmanuel Bove mit verschiedenen Arbeiten durch, bevor er als Journalist und Schriftsteller sein Auskommen fand. Mit seinem Erstling "Meine Freunde" hatte er einen überwältigenden Erfolg, dem innerhalb von zwei Jahrzehnten 23 Romane und über 30 Erzählungen folgten.
Nach seinem Tod 1945 gerieten der Autor und sein gewaltiges Œuvre in Vergessenheit, bis er in den siebziger Jahren in Frankreich und in den achtziger Jahren durch Peter Handke für den deutschsprachigen Raum wiederentdeckt wurde. Heute gilt Emmanuel Bove als Klassiker der Moderne.


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