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Boyle | Wassermusik | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 576 Seiten

Boyle Wassermusik

Roman
1. Auflage 2014
ISBN: 978-3-446-24575-4
Verlag: Carl Hanser
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, 576 Seiten

ISBN: 978-3-446-24575-4
Verlag: Carl Hanser
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Als Boyles 'Wassermusik' 1981 erschien und noch niemand den merkwürdigen Namen Coraghessan aussprechen konnte, war trotzdem sofort klar, dass dieser Roman das Zeug zum Kultbuch hatte. Boyle erzählt darin die weitgehend wahre Geschichte des schottischen Forschers Mungo Park, der im 18. Jahrhundert als erster Weißer den Verlauf des Niger erkundete. Zur Seite stellt er ihm die frei erfundene Figur des Ned Rise, einen englischen Grabräuber und Galgenstrick, der mit dem Entdecker im tiefsten Afrika die wildesten Abenteuer besteht. Außerdem dabei: ein phantastisches Panoptikum von Hexen und Schlägern, Kannibalen, Huren, Glücksrittern. Sein legendärer Erstlingsroman nun in einer fulminanten Neuübersetzung.

T. Coraghessan Boyle, 1948 in Peekskill, N.Y., geboren, ist der Autor von zahlreichen Romanen und Erzählungen, die in viele Sprachen übersetzt wurden. Bis 2012 lehrte er Creative Writing an der University of Southern California in Los Angeles. Bei Hanser erschienen zuletzt »Das wilde Kind« (Erzählung, 2010), »Wenn das Schlachten vorbei ist« (Roman, 2012), »San Miguel« (Roman, 2013), die Neuübersetzung von »Wassermusik« (Roman, 2014), »Hart auf hart« (Roman, 2015), die Neuübersetzung von »Grün ist die Hoffnung« (Roman, 2016), »Die Terranauten« (Roman, 2017), »Good Home« (Stories, 2018), »Das Licht« (Roman, 2019), »Sind wir nicht Menschen« (Stories, 2020), »Sprich mit mir« (Roman, 2021) sowie »Blue Skies« (Roman, 2023).
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EIN WEICHER WEISSER UNTERLEIB


Während die meisten jungen Schotten seines Alters Röcke lüpften, Furchen pflügten und die Saat ausbrachten, stellte Mungo Park seinen nackten Hintern vor al-Hadsch Ali ibn Fatoudi, dem Emir von Ludamar, zur Schau. Es war das Jahr 1795. In Windsor Castle bespuckte George III. die Wände, in Frankreich verpfuschte das Directoire die Staatsführung, Goya war taub und De Quincey ein verdorbenes präpubertäres Bürschchen. George Bryan »Beau« Brummell strich seinen ersten gestärkten Hemdkragen glatt, der junge Ludwig van Beethoven, ein Vierundzwanzigjähriger mit buschigen Augenbrauen, sorgte in Wien mit seinem Zweiten Klavierkonzert für Furore, und Ned Rise trank im Pig & Pox in der Maiden Lane mit Nan Punt und Sally Sebum eine Runde Wuppdich nach der anderen.

Ali war Maure. Er saß im Schneidersitz auf einem Damastkissen und musterte die bleichen, bebenden Backen mit der Miene eines Feinschmeckers, der in seiner Vichyssoise eine Fliege entdeckt hat. Seine Stimme war wie Sand. »Umdrehen«, sagte er. Mungo war Schotte. Er kniete mit halb heruntergezogener Hose auf einer Strohmatte und sah über die Schulter zu Ali. Er war auf der Suche nach dem Niger. »Umdrehen«, wiederholte Ali.

Der Entdecker besaß zwar ein freundliches, entgegenkommendes Wesen, doch sein Arabisch war recht lückenhaft. Als er auch auf die zweite Aufforderung nicht reagierte, trat Dassoud – Alis Scherge und menschlicher Schakal – vor und schwang eine aus einem halben Dutzend Gnuschwänzen verfertigte Peitsche. Engelsflügeln gleich sausten die buschigen Schweife mit mächtigem Schwung durch die Luft. Vor Alis Zelt betrug die Temperatur zweiundfünfzig Grad. Der grob gewebte Zeltstoff war aus Ziegenwolle. Im Inneren herrschten fünfundvierzig Grad. Die Peitsche fuhr herab. Mungo drehte sich um.

Auch vorn war er weiß – weiß wie ein Bettlaken, weiß wie ein Schneesturm. Ali und seine Entourage staunten abermals. »Seine Mutter hat ihn in Milch gebadet«, sagte einer. »Zählt seine Finger und Zehen!« rief ein anderer. Am Zelteingang drängten sich Frauen und Kinder, Ziegen meckerten, Kamele röhrten und paarten sich, jemand pries Feigen an. Hundert Stimmen überlagerten einander, es war wie ein Gewirr von Fußwegen, Gassen, schmalen und breiten Straßen – welche war die richtige? –, und allesamt sprachen sie dieses rätselhafte, schnelle, harte Arabisch, die Sprache des Propheten. »La-la-la-la-la!« schrie eine Frau. Die anderen stimmten ein, in gellendem Falsett. »La-la-la-la-la!« Mungos ebenfalls weißer Penis schrumpfte und verschwand.

Jenseits der kahlen Zeltwand befand sich das Lager von Benaum, Alis Winterresidenz. Vierhundertfünfzig versengte, ausgedörrte Kilometer weiter lag das Nordufer des Nigers, eines Flusses, den keines Europäers Auge je erblickt hatte. Nicht dass die Europäer kein Interesse gehabt hätten. Herodot forschte bereits fünfhundert Jahre vor Christus nach seinem Verlauf und kam zu dem Schluss, er sei sehr groß. Aber ein Zufluss des Nils. Al-Idrisi bevölkerte seine Ufer mit seltsamen mythischen Wesen: Da waren die wurmartigen Fesselfüßer, die nicht liefen, sondern krochen und die Sprache der Schlangen beherrschten, da waren die Sphingen und Harpyien und die Mantikoren mit Löwenkörper und Skorpionschwanz und einer unangenehmen Vorliebe für Menschenfleisch. Plinius der Ältere malte den Niger in goldenen Farben und gab ihm seinen schwarzen Namen, und Alexander geriet in höchste Erregung, als seine Kundschafter ihm vom Fluss der Flüsse berichteten, wo edle Männer und Frauen in Lotosgärten säßen und aus Schalen von getriebenem Gold tränken. Und nun, am Ende des Zeitalters der Aufklärung und an der Schwelle zum Zeitalter der Rendite, wollte Frankreich den Niger, und England, Holland, Portugal und Dänemark wollten ihn ebenfalls. Den neuesten und zuverlässigsten Informationen zufolge – zu finden in der Geographia des Ptolemäus – verlief der Niger zwischen Nigritia, dem Land der Schwarzen, und der Großen Wüste. Wie sich herausstellte, hatte Ptolemäus den Nagel auf den Kopf getroffen. Nur hatte es noch nie ein Weißer geschafft, die Gluthölle der Sahara oder den miasmatischen Fiebergürtel des Gambia zu überleben und die Vermutung des Gelehrten zu bestätigen.

Doch dann, im Jahr 1788, kam eine Gruppe berühmter Botaniker, Geografen, Schürzenjäger und anderer Wahrheitssucher in der St. Alban’s Tavern an der Pall Mall zusammen und gründete die Gesellschaft zur Erforschung und Erschließung Afrikas. Der Norden des Kontinents stellte kein Problem dar. 1790 war er vermessen, kartografiert, etikettiert, seziert und verteilt. Westafrika jedoch barg nach wie vor Geheimnisse. Und das Herz dieser Geheimnisse war der Niger. In ihrem Gründungsjahr rüstete die Gesellschaft eine von John Ledyard angeführte Expedition aus. Sie sollte von Ägypten aufbrechen, die Sahara durchqueren und den Verlauf des Nigers erforschen. Ledyard war Amerikaner. Er spielte Geige und schielte. Er war mit Cook über den Pazifik gesegelt, er war in den Anden gewesen und quer durch Sibirien nach Jakutsk gewandert. Ich habe die Welt mit den Füßen bezwungen, sagte er, ich habe die Angst verlacht und der Gefahr gespottet. Ich habe Horden von Wilden getrotzt, ich bin durch sengende Wüsten und frostklirrende Steppen gereist, über ewigen Schnee und stürmische Ozeane, und bin doch unversehrt. So gut meint es mein Gott mit mir! Zwei Wochen nach seiner Landung in Kairo starb er an der Ruhr. Der nächste war Simon Lucas, Dolmetscher für orientalische Sprachen am Hof von St. James’s. Er ging in Tripolis an Land, wanderte über hundert Kilometer in die Wüste hinein, bekam Blasen, Durst und Angst und kehrte zurück, ohne mehr erreicht zu haben, als Ausgaben in Höhe von 1250 Pfund anzuhäufen. Und dann kam Major Daniel Houghton. Er war Ire, bankrott und zweiundfünfzig Jahre alt. Von Afrika hatte er nicht die leiseste Ahnung, aber er war billig zu haben. Ich machs für dreihundert Fund und ne Kiste Scotch, sagte er. Houghton fuhr in einem Einbaum den Gambia hinauf, trank Wasser aus stinkenden Tümpeln, aß Affenfleisch und überlebte dank seiner eisernen Konstitution und der ständigen Zufuhr von Alkohol Typhus, Malaria, Loaose, Lepra und Gelbfieber. Unglücklicherweise banden ihn die Mauren von Ludamar nackt an einen Pfahl auf dem Kamm einer Düne. Wo er dann starb.

Mungo stand auf und wollte sich die Hose hochziehen. Dassoud schlug ihn nieder. Die schrillen Schreie der Frauen stachelten die Menge an. »Friss Schwein, Christ!« riefen die Leute. »Friss Schwein!« Ihre Haltung gefiel Mungo nicht. Auch stellte er ungern seinen Hintern in gemischter Gesellschaft zur Schau. Aber es war nichts zu machen: Beim leisesten Anzeichen von Widerstand würden sie ihm die Kehle durchschneiden und seine Knochen von der Sonne bleichen lassen.

Plötzlich hielt Dassoud einen Dolch in der Hand, schmal wie ein Eisstichel, dunkel wie Blut. »Ungläubiger Hund!« schrie er, und die Adern an seinem Hals traten hervor. Unter der Kapuze seines Burnus hervor sah Ali düster und gleichgültig zu. Die Temperatur im Zelt stieg auf zweiundfünfzig Grad. Die Menge hielt den Atem an. Dassoud richtete die Spitze der Klinge auf den Entdecker und plapperte in seinem Kauderwelsch wie ein verrückter Anatom, der über die Eigenarten des menschlichen Körpers referiert. Die Dolchspitze näherte sich, Ali spuckte in den Sand, Dassoud peitschte die Menge auf, Mungo erstarrte. Dann piekte ihn die Klinge – nur ganz sacht – in den Bauch, wo er am weichsten und weißesten war. Dassoud lachte rauh wie ein ausgetrockneter Bach. Die Zuschauer pfiffen und johlten. In diesem Augenblick schob sich ein grauhaariger buschrin mit Stroh im Bart und einer leeren Augenhöhle durch die Menge und stieß Dassoud beiseite. »Die Augen!« heulte er. »Seht euch die Augen dieses Teufels an!«

Dassoud sah hin. Das sadistische Lächeln wich einem Ausdruck des Entsetzens und der Empörung. »Die Augen einer Katze«, zischte er. »Wir müssen sie auslöschen.«

AUFSTEHEN!


Ned Rise erwacht und hat Kopfschmerzen. Er hat Gin getrunken – auch bekannt als »Wuppdich«, »blauer Hauer«, »Fluch« –, Verderber und Zerrütter der niederen Klassen, klar wie Säuferpisse und scharf wie Wacholdersaft. Er hat Gin getrunken und weiß nicht recht, wo er sich befindet, ist aber einigermaßen sicher, dass er die Halbstiefel mit den löchrigen Sohlen, die behaarten Fingerknöchel und das zimtrote Cape erkennt, auf die sein Blick als erstes fällt. Ja: dieses Cape, diese Hände und Stiefel, der Riss in der Hose – all das ist ihm vertraut. Überaus vertraut sogar. Also, lautet sein Schluss, gehören diese Dinge Ned Rise, und daher müssen der gequälte Kopf und die höllisch schmerzenden Augen, mit denen er all dies, wenn auch unvollkommen, wahrnimmt, in irgendeiner Verbindung zu ihnen stehen.

Er setzt sich auf und kommt nach langem Innehalten auf die Beine. Wie es scheint, hat er auf einem schmutzigen Strohhaufen geschlafen. Und auf seinem Hut. Er bückt sich, um ihn aufzuheben, schwankt und findet mit einem entschlossenen Rülpsen das Gleichgewicht wieder. Der Hut ist hinüber. Für einen Augenblick bleibt er stehen und sieht gedankenvoll vor sich hin. Etwas hämmert in seinem Hinterkopf. Dann lässt er seinen Blick mit halb geschlossenen Augen durch den Raum schweifen und fühlt sich dabei ein bisschen wie ein Entdecker, der seinen Fuß auf einen neuen Kontinent setzt.

Kein Zweifel, er ist in einem Keller. Ein Boden aus gestampftem Lehm, Besen und Eimer, Mauern aus unbehauenen Steinen. An der hinteren Wand zwei Reihen versiegelter Fässer: Madeira, Portwein, Maduro, Bordeaux, Rheinwein. In der Ecke ein Häufchen Kohle. Ist dies etwa das Schattenreich unter dem Pig & Pox? In...


Boyle, T.C.
T. Coraghessan Boyle, 1948 in Peekskill, N.Y., geboren, unterrichtete an der University of Southern California in Los Angeles. Bei Hanser erschienen zuletzt Willkommen in Wellville (Roman, 1993), América (Roman, 1996), Riven Rock (Roman, 1998), Fleischeslust (Erzählungen, 1999), Ein Freund der Erde (Roman, 2001), Schluß mit cool (Erzählungen, 2002), Drop City (Roman, 2003), Dr. Sex (Roman, 2005), Talk Talk (Roman, 2006), Zähne und Klauen (Erzählungen, 2008), Die Frauen (Roman, 2009), Das wilde Kind (Erzählung, 2010), Wenn das Schlachten vorbei ist (Roman, 2012), San Miguel (Roman, 2013), die Neuübersetzung von Wassermusik (Roman, 2014), Hart auf hart (Roman, 2015), die Neuübersetzung von Grün ist die Hoffnung (Roman, 2016), Die Terranauten (Roman, 2017) und Good Home (Erzählungen, 2018).

Gunsteren, Dirk van
Dirk van Gunsteren, 1953 geboren, studierte Amerikanistik und lebt in München. Er übersetzte u.a. T.C. Boyle, Peter Carey, Jonathan Safran Foer, Patricia Highsmith, John Irving, Colum McCann, V.S. Naipaul, Thomas Pynchon, Philip Roth, Richard Stark, Oliver Sacks und Castle Freeman. 2007 erhielt er den Heinrich Maria Ledig-Rowohlt-Preis.

T. Coraghessan Boyle, 1948 in Peekskill, N.Y., geboren, unterrichtete an der University of Southern California in Los Angeles. Bei Hanser erschienen zuletzt Willkommen in Wellville (Roman, 1993), América (Roman, 1996), Riven Rock (Roman, 1998), Fleischeslust (Erzählungen, 1999), Ein Freund der Erde (Roman, 2001), Schluß mit cool (Erzählungen, 2002), Drop City (Roman, 2003), Dr. Sex (Roman, 2005), Talk Talk (Roman, 2006), Zähne und Klauen (Erzählungen, 2008), Die Frauen (Roman, 2009), Das wilde Kind (Erzählung, 2010), Wenn das Schlachten vorbei ist (Roman, 2012), San Miguel (Roman, 2013), die Neuübersetzung von Wassermusik (Roman, 2014) und Hart auf hart (Roman, 2015).



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