Boyne | Die Geschichte eines Lügners | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 432 Seiten

Boyne Die Geschichte eines Lügners

Roman
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-492-99624-2
Verlag: Piper Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, 432 Seiten

ISBN: 978-3-492-99624-2
Verlag: Piper Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



»Ein brillant geschriebener Roman, der einem in seiner Gnadenlosigkeit den Atem stocken lässt.« WDR2 Maurice Swift ist Schriftsteller. Er kann brillant erzählen, doch ihm fehlen die Geschichten. In Westberlin trifft er auf sein Idol, Erich Ackermann, der gerade mit einem großen Literaturpreis ausgezeichnet wurde. Ackermann verfällt dem Charme des jungen Mannes, der sich für alles, was er sagt, interessiert. Er nimmt ihn mit auf Lesereise durch Europa und erzählt ihm sein Geheimnis. Es ist diese Geschichte, für die Maurice endlich als Autor gefeiert wird. Und die Ackermanns Karriere beendet. Doch Maurice ist schon auf der Suche nach dem nächsten Stoff ... John Boyne erzählt von der verführerischen Macht des Vertrauens und von einem, der für Ruhm alles tut. Vom Autor des vielfach ausgezeichneten Romans »Der Junge im gestreiften Pyjama« »Amüsant, originell - kurz: ein großer Lesespaß!« ZDF Morgenmagazin »Ein Roman wie Der talentierte Mr. Ripley, voll von gieriger Täuschungslust« - New York Post

John Boyne, geboren 1971 in Dublin, ist einer der renommiertesten zeitgenössischen Autoren Irlands. Seine Bücher wurden in mehr als vierzig Sprachen übersetzt und mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Der internationale Durchbruch gelang ihm mit seinem Roman »Der Junge im gestreiften Pyjama«, der weltweit zum Bestseller wurde und von der Kritik als »ein kleines Wunder« (The Guardian) gefeiert wurde.

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1
Westberlin
Von dem Moment meiner Zusage an hatte mich der Gedanke, nach Deutschland zurückzukehren, nervös gemacht. Welche Erinnerungen würden, so viele Jahre nach meinem letzten Besuch, wohl wieder in mir aufsteigen? Es war der Frühling 1988, das Jahr, in dem das erste Mal von »Perestroika« die Rede war, ich saß in der Bar des Savoy Hotels in der Fasanenstraße und ließ meine Gedanken um meinen sechsundsechzigsten Geburtstag kreisen, bis zu dem mir nur noch wenige Wochen blieben. Vor mir auf dem Tisch stand eine Flasche Riesling, daneben ein Glas, in dem der Wein atmen konnte und das einem Hinweis in der Karte zufolge der linken Brust von Marie Antoinette nachempfunden war. Der Wein schmeckte vorzüglich, eine der kostspieligeren Sorten auf der umfänglichen Weinliste, was mich jedoch nicht zu kümmern brauchte, hatte mein Verleger mir doch versichert, der Verlag werde mit Freude für alles aufkommen. Ein solches Maß an Großzügigkeit kannte ich bislang nicht. Meine Karriere als Schriftsteller, die vor fünfunddreißig Jahren begonnen und sechs kurze Romane sowie eine unüberlegte Gedichtsammlung hervorgebracht hatte, war nie erfolgreich gewesen. Trotz zumeist positiver Besprechungen hatte keines meiner Bücher eine nennenswerte Leserschaft gefunden, und auch international war mein Werk kaum auf Interesse gestoßen. Dann aber hatte ich, zu meiner großen Überraschung, im vorangegangenen Herbst für meinen sechsten Roman Furcht einen wichtigen Literaturpreis gewonnen. Befördert durch den Prize hatte sich das Buch gut verkauft und war in zahlreiche Sprachen übersetzt worden. Das übliche Desinteresse wich schon bald Bewunderung und kritischer Wertschätzung, während das Feuilleton darüber diskutierte, wer sich denn nun mit der Wiederentdeckung meines Könnens brüsten dürfe. Auf einmal lud man mich zu Literaturfestivals ein und bot mir Lesereisen im Ausland an. Eine dieser Veranstaltungen, eine monatlich stattfindende Lesungsreihe im Literaturhaus, hatte mich auch nach Berlin geführt, doch obwohl ich hier geboren war, fühlte ich mich fremd. Ich war nahe dem Tiergarten aufgewachsen, wo ich im Schatten von Statuen preußischer Adliger gespielt hatte. Als kleiner Junge hatte ich regelmäßig den Zoo besucht und davon geträumt, dort eines Tages Tierpfleger zu werden. Mit sechzehn bejubelte ich mit einer Hakenkreuzbinde am Arm zusammen mit Freunden aus der Hitlerjugend die Ankunft von Reinhold Begas’ Bismarck-Denkmal im Herzen des Parks, wo es seine neue Heimat finden sollte, nachdem es vor dem Reichstag Hitlers Plänen für die »Welthauptstadt Germania« hatte weichen müssen. Ein Jahr später stand ich allein Unter den Linden und wohnte der Parade Tausender deutscher Wehrmachtssoldaten anlässlich der erfolgreichen Angliederung Westpolens bei. Nochmal zehn Monate später fand ich mich in der dritten Reihe bei einer Kundgebung im Lustgarten wieder, umgeben von gleichaltrigen Soldaten, die wie ich dem Führer salutierten und die Treue schworen, nachdem er uns von einem Podest vor dem Dom eines Tausendjährigen Reiches angebrüllt hatte. 1946 schließlich hatte ich mein Vaterland verlassen, um an der Universität von Cambridge englische Literatur zu studieren und im Anschluss einige unangenehme Jahre lang an einem örtlichen Gymnasium Jungen zu unterrichten, die sich über meinen Akzent lustig machten und deren Familien traumatisiert und von vier Jahrzehnten bewaffneten Konflikts und brüchiger Versöhnung zwischen ihrem und meinem Land erschöpft waren. Nach der Promotion bekam ich überraschenderweise eine Stelle im Lehrkörper des King’s College, wo man mich wie ein Kuriosum behandelte, einen Kollegen, der einer mörderischen Generation von Teutonen entrissen und in den Schoß einer ehrenwerten britischen Institution aufgenommen worden war, die sich willens zeigte, als Sieger Gnade vor Recht ergehen zu lassen. Nach nur zehn Jahren wurde ich mit einer Professur belohnt, und durch die mit dem Titel einhergehende Sicherheit und Reputation fühlte ich mich zum ersten Mal seit meiner Kindheit geborgen, denn nun waren mir bis an mein Lebensende ein Zuhause und eine feste Stellung garantiert. Wurde ich jemandem vorgestellt, den Eltern meiner Studenten beispielsweise oder einem Gönner des Colleges, wurde oft angemerkt, dass ich »auch Schriftsteller« sei, eine ebenso lästige wie peinliche Bemerkung, wie ich fand. Natürlich hoffte ich, eine Spur von Talent zu besitzen, und sehnte mich nach einer größeren Leserschaft, aber meine übliche Antwort auf die unvermeidliche Frage »Kenne ich womöglich eins Ihrer Bücher?« lautete »Wahrscheinlich nicht«. Für gewöhnlich baten mich die neuen Bekannten dann, einige Titel meiner Romane zu nennen, was ich in Erwartung der Demütigung tat, die ich beim Anblick ihrer leeren Gesichter empfand, während ich in chronologischer Reihenfolge meine Werke aufzählte. An jenem Abend, um den es hier geht, hatte ich eine schwierige Veranstaltung im Literaturhaus durchgestanden, genauer gesagt ein öffentliches Interview mit einem Journalisten der ZEIT. Da ich ungern Deutsch sprach, eine Sprache, die ich nach meiner Ankunft in England vor mehr als vierzig Jahren mehr oder weniger abgelegt hatte, war ein Schauspieler engagiert worden, um dem Publikum ein Kapitel meines Romans vorzulesen. Als ich ihm allerdings die Stelle nannte, die ich ausgesucht hatte, schüttelte er den Kopf und verlangte, stattdessen aus dem vorletzten Kapitel lesen zu dürfen. Selbstverständlich war ich dagegen, denn die von ihm vorgeschlagene Passage sollte den Leser überraschen. Nein, beharrte ich und ärgerte mich über die Arroganz dieses entrechteten Hamlets, der für nichts weiter engagiert worden war als aufzustehen, vorzulesen und dann durch den Hinterausgang zu verschwinden. »Nein«, sagte ich zu ihm und wurde lauter. »Nicht die Stelle. Diese hier.« Der Schauspieler war tödlich beleidigt. Anscheinend folgte er einem bestimmten Prozedere, wenn er vor Publikum las, und war in den Vorbereitungen genauso gründlich wie bei einem abendfüllenden Stück an der Schaubühne. Ich fand ihn affektiert und äußerte das auch, woraufhin es zu einer lautstarken Auseinandersetzung kam, die mich sehr aufregte. Schließlich gab er zähneknirschend nach, aber selbst mit meinem kläglichen Deutsch hörte ich deutlich heraus, dass er nur halbherzig vorlas, ohne den Ausdruck, den es braucht, um ein Publikum zu fesseln. Auf dem kurzen Weg zurück ins Hotel fühlte ich Ernüchterung und wollte sehnlichst nach Hause. Der Kellner, ein Bursche Anfang zwanzig, war mir gleich aufgefallen, denn er war sehr hübsch und schien immer mal wieder zu mir herüberzublicken, während ich meinen Wein trank. Kurz schoss mir durch den Kopf, er könnte sich zu mir hingezogen fühlen, aber die Vorstellung war natürlich absurd. Ich war alt und auch nie besonders attraktiv gewesen, nicht einmal in seinem Alter, in dem der Reiz der Jugend bei den meisten Menschen einen Mangel an Schönheit aufzuwiegen vermag. Seit dem Erfolg von Furcht und meiner anschließenden Erhebung in den Rang eines literarischen Prominenten hatte die Presse mein Gesicht ausnahmslos als »vom Leben gezeichnet« oder »nicht frei von Sorgenfalten« beschrieben, wobei Gott sei Dank niemand wusste, wie tief sich diese Sorgen wirklich eingegraben hatten. Solche Kommentare schmerzten mich keineswegs, denn Eitelkeit war mir fremd, und meinen Glauben an Romantik hatte ich schon vor langer Zeit aufgegeben. Die Leidenschaften, die meine ganze Jugend hindurch gedroht hatten, mich zu vernichten, hatten über die Jahre nachgelassen, ich hatte meine Jungfräulichkeit nie verloren, und die Erleichterung, die mit dem Erlöschen der Lust einherging, war wohl vergleichbar mit dem Gefühl, endlich vom Rücken eines wilden Präriepferds losgebunden zu werden. Für mich erwies sich das als wahre Wohltat, denn es machte mich unempfänglich für die Reize des schier endlosen Stroms hübscher Jungen in den Hörsälen des King’s College, von denen manche in der Hoffnung auf bessere Noten schamlos mit mir flirteten. Vulgäre Fantasien und peinliche Verbindungen blieben mir dadurch erspart, ich hielt mich stets wohlwollend distanziert. Ich bevorteilte niemanden, nahm niemanden unter meine Fittiche und gab niemandem Anlass, mir bei meiner pädagogischen Arbeit schlüpfrige Motive zu unterstellen. Und so kam es einigermaßen überraschend, dass ich mich nun dabei ertappte, wie ich den jungen Kellner anstarrte und ein derart starkes Verlangen nach ihm empfand. Ich goss mir noch ein Glas Wein ein und griff nach meiner Tasche, die ich neben den Stuhl gestellt hatte, einer Ledermappe mit meinem Kalender und zwei Büchern darin, einem Exemplar von Furcht und dem Vorabexemplar des Romans eines alten Freundes, der in ein paar Monaten erscheinen sollte. Ich las dort weiter, wo ich aufgehört hatte, am Anfang des zweiten Drittels in etwa, konnte mich aber nicht konzentrieren. Normalerweise hatte ich dieses Problem nicht, weshalb ich aufsah und mich nach dem Grund fragte. In der Bar war es nicht übermäßig laut. Eigentlich gab es nichts, was mich ablenken konnte. Aber dann, als der junge Kellner an meinem Tisch vorbeiging und der süße, berauschende Geruch von Jungenschweiß zu mir herüberwehte, wurde mir klar, dass er der Grund meiner Zerstreutheit war. Er hatte sich in mein Bewusstsein geschlichen, dieser ruchlose Schuft, und weigerte sich nun, es wieder zu verlassen. Ich legte das Buch beiseite und sah ihm dabei zu, wie er einen der Nachbartische abräumte und ihn dann mit einem feuchten Tuch abwischte, die Bierdeckel auflas und die kleine weiße Kerze wieder anzündete. Er trug die übliche Uniform des Savoy – schwarze Hose, weißes Hemd und eine elegante braune Weste mit dem Emblem des Hotels – und war...



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