Braem | Shaman: Der Herr des Feuers | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 292 Seiten

Braem Shaman: Der Herr des Feuers


1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-347-67312-0
Verlag: tredition
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)

E-Book, Deutsch, 292 Seiten

ISBN: 978-3-347-67312-0
Verlag: tredition
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Träume weisen seinen Weg Harald Braem schildert den Weg des einfachen Rentiernomaden Bokan zu seiner Bestimmung als Schamane eines großen Stammes in einem packenden Abenteuerroman. Bokan zieht aus den Weiten der sibirischen Taiga bis tief in den Süden, ins innerste China, wo die Horden des großen Khans der Mongolen wüten. Aber faszinierender noch als die Erlebnisse Bokans in der äußeren Welt sind seine Begegnungen auf dem spirituellen Weg, der ihn zu seiner Einweihung als Schamane führt.

Harald Braem, *1944, Berlin, Designprofessor, Buch- und Filmautor (u. a. Terra X). Forschungsreisen durch Europa, Asien, Afrika. Lebt auf der Kanareninsel La Palma und in Heidesheim am Rhein. Weitere Informationen: www.haraldbraem.de Instagram: harald.braem.autor

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2 Der Alte am Strom Der Alte stieg durch dichten Schnee einen Trittpfad zum Runddach des Hauses hinauf. Dort gab es in der Mitte des Hügels ein Loch, aus dem ein mächtiger Baum ragte. Der Baum war kahl, beschnitzt und behauen und auf seiner obersten Spitze hockte ein hölzerner Vogel mit Adlerfedern. »Steig hinunter in den Bauch der Erde«, sagte der Alte, wobei er auf die eingekerbten Trittlöcher im Stamm deutete. Sie führten weit in eine tiefe, warme Dunkelheit hinein. Der Alte umklammerte den Stamm, schwang sich herum und verschwand nach unten. Bokan folgte ihm mit unsicherer Bewegung. Zwölf Stufen stieg er hinab, ein endloser Weg, wie es schien. Dann kam er unten auf und spürte, dass er im Inneren des Hauses angekommen war. Zu sehen war nichts, aber er glaubte, in einer großen Halle zu sein. »Wo bist du?«, fragte er zögernd. Dicht neben ihm kam die Antwort, so überraschend laut und nah, dass Bokan zusammenzuckte. »Nun bin ich die Stimme«, sprach der Alte, »die Stimme, der du ausgeliefert bist, denn nur sie kann dir die Welt erklären. Aber ich werde nicht so töricht sein, dir mein eigenes Haus zu beschreiben, wo du doch selber sehen kannst, wenn nur das Feuer erst brennt.« In diesem Moment knackte und prasselte es, sprühende Funken stiegen auf und bläulich flackernde Flammen, die bald in Gelb, Rot und Orange übergingen, in ein stattliches Herdfeuer. Mitten in diesem Feuer stand der Alte und brach lachend ein Stück Holz zwischen den Fäusten, legte es in die Flammen. Und jetzt sah Bokan, dass der Alte nicht im Feuer stand, wie er zuerst geglaubt hatte, sondern daneben und er erkannte auch alles andere im Haus. Er sah, dass es ganz aus Balken und Holzstämmen bestand. Von außen war es nur ein schneebedeckter Erdhügel, von innen aber ein geräumiges Haus. Der Boden war mit Fellen bedeckt, Felle lagen auch als Sitzkissen und Lager herum. Irdene Krüge standen am Feuer und solche aus Eisen und an den Wänden hingen Dinge, deren Vielfalt so verwirrend war, dass sie Bokan nicht alle sogleich erfassen konnte. Er sah ein langes Ledergewand, auf dessen Brust ein Gerippe aus Eisenknochen genäht war. Daneben hingen Mütze und Trommel, Federhaube, Gurte, Stricke, Felltaschen und Gerätschaften aus Holz, von denen einige in der Form von Menschen geschnitzt waren. Ihre im Schein des Herdfeuers glänzenden Augen starrten Bokan an. Er brauchte lange, um zu begreifen, dass sie aus poliertem Metall bestanden. Er sah Stroh, Reisig und Wurzeln, Gebetsfahnen und Bündel getrockneter Kräuter. Er sah auch Haustiere umher huschen, doch sie entpuppten sich auf den zweiten Blick als fellüberzogene Schädel, als Auerhahnbälge und Stücke getrockneten Fleisches. Er sah eine zu Leder erstarrte Schlange und einen die Zähne fletschenden Zobel, der die Wand zur Decke hinaufzuklettern schien. Auch dieser hing reglos am Holz. Nichts lebte, außer dem Feuer und dem alten Mann, im Totenreich dieser Unterwelt. Umso mehr erschrak Bokan, als dicht an der Baumleiter, die sorgfältig bearbeitet, glatt poliert und schwarz vom hochziehenden Rauch war, plötzlich etwas Weißes so heftig aufstob, dass Wirbel im Feuer entstand und ein heftiger Windstoß an Bokan vorbeistrich. Unwillkürlich hob er zur Abwehr die Arme und barg sein Gesicht hinter den Händen. Aber da er die Augen dabei nicht schloss, sah er durch die Spalten der Finger hindurch einen riesigen weißen Raben mit gespreizten Krallen auffliegen. »Das ist Baikul«, lachte die Stimme des Alten neben ihm. »Er wohnt hier, solange ich denken kann und vertreibt mir die Stille mit seinem Geschwätz. Für mich fliegt er nach draußen und wenn er zurückkommt, berichtet er mir alles, was draußen geschieht.« »Hat er auch mich kommen gesehen?«, fragte Bokan und musste sich räuspern, weil seine Kehle wie zugeschnürt war. »Natürlich«, lachte der Alte noch immer. »Ich habe ihn losgeschickt, damit er dich und deinen Wolf in der Taiga findet und euch den richtigen Weg zeigt. Vielleicht hast du ihn gar nicht bemerkt, schließlich ist er so weiß wie Schnee. Oder du hast ihn mit einer Wolke verwechselt.« »Ich bin gerannt«, sagte Bokan. »Wenn man läuft, sieht man nur noch den Boden und schließlich gar nichts mehr von der Umgebung, höchstens Bilder, die im Kopf auftauchen und Dinge, die zu weit weg sind, um sie zu greifen.« »Zu greifen und zu begreifen. Ja, ich kenne das, wie es ist, im Gang der Wölfe zu laufen. Und doch ist es schlecht, denn es reicht nicht, bloß so zu sein wie ein Tier und wie ein Tier zu träumen. Der Mensch muss sehen, muss sehen als Wolf und fühlen als Mensch. Aber wissen muss er als Schamane.« Der alte Mann sprach lachend, aber zugleich auch ernst. Wie er nun vom Feuer wegtrat und sich aufrichtete, wirkte er bedeutend größer als vorher. Seine Gestalt ragte an der Baumleiter bis zum Rauchloch empor. Das Lederkleid, das er trug, floss in langen Fransen bis zum Boden. Bei der kleinsten Bewegung des Körpers schwangen diese Lederfransen mit, so dass es aussah, als rage der Kopf aus braunen Flammen empor. Und als der Alte die Mütze abnahm, flossen seine Haare mit der Wildheit eines Tieres über das Kleid. Die lachenden, glühenden Augen im starren Gesicht zwangen Bokan zum Schweigen. Mit offenem Mund starrte er die Erscheinung an. Da sah er, wie der weiße Rabe, der im Rauchabzug seine Runde gedreht hatte, zurück auf die linke Schulter des Alten flog und dort sitzenbleibend Kopf und Hals in das strähnige Haar des Alten schmiegte. »Sieh genau zu, was ich nun mache, denn von nun an wird dies eine deiner Aufgaben sein, die du täglich auszuführen hast«, sagte der Alte und beugte sich über ein Gefäß, aus dem er eine Handvoll braunen Staub holte, den er in den Kessel über dem Herdfeuer warf. »Dies ist der geröstete Samen vom Bilsenkraut, ein gutes Getränk, das erfrischt und belebt. Zu gewissen Zeiten trinken wir das, dann wieder Tee, aber niemals das gleiche hintereinander. Du wirst schon begreifen, worauf es ankommt und wie alles gemacht wird, wenn es Zeit dafür ist.« So bleibe ich also hier, dachte Bokan, hier in dieser Hütte, im Holzhaus, das unter dem Schnee tief in der Erde liegt, im Bauch der Erde, wo es warm ist und ich den Winter abwarten kann … Wer aber ist dieser Mann, dass er sich das Recht herausnimmt, mich wie ein Haustier, einen Diener zu rufen? Der Alte, der offenbar seine Gedanken lesen konnte, antwortete: »Ich bin dein Lehrer und du wirst von nun an eine Weile bei mir bleiben, bis du alles begriffen hast und verstehst, warum es geschieht. Einen Namen besitze ich nicht, es sei denn, du gibst mir einen, wie das schon viele vor dir getan haben. Jemandem einen Namen geben bedeutet, Macht über ihn auszuüben. Begrenzt lasse ich zu, dass mich jemand mit Namen nennt. Aber vergiss nie: Ich trage so viele Namen in mein Gewand eingenäht, wie es Fransen aus Leder hat. Sie schmücken mich nur, während keiner von ihnen mein wahres Wesen berührt.« »Und wer bist du?«, fragte Bokan kleinlaut. »Ich bin der Unbenennbare, dein Lehrer«, sagte der Alte, »sprich mich mit Meister an. Nun komm und setz dich ans Feuer, denn du bist durchfroren vom langen Unterwegssein im Winter. Ein seltsamer Kauz bist du schon … Deiner Kleidung nach zu urteilen, bist du einer von den Rentiermenschen. Aber ein Jäger bist du nicht, das sehe ich an deinem Blick und der Art, wie du die Felle und toten Tiere ansiehst. Vielleicht bist du ein Jäger anderer Art, ein Sammler, der gehetzt durchs Leben läuft, weil er sein Ziel noch nicht kennt. Aber das gibt sich, wenn du erst einmal angekommen bist.« »Kannst du noch mehr über mich sagen, weißt du noch mehr?«, fragte Bokan. Der Alte lachte erneut, dann ließ er sich ächzend auf ein Sitzpolster am Herdfeuer fallen. »Und ungeduldig bist du, ein richtiger Vogel, der aus seinem Nest gefallen ist. Kannst du dich noch an die große Kiefer erinnern, von deren Wipfel aus du einst losgeflogen bist? Weit war dein Flug, aber noch nicht weit genug, denn deine Kräfte reichten nicht für das aus, was du dir vorgenommen hattest. Deshalb bist du unsanft zur Erde gefallen und hättest beinahe den Verstand dabei verloren. Nur gut, dass dich jemand pflegte und wieder gesund werden ließ.« »Matzkala«, flüsterte Bokan und spürte eine starke Liebe zu der alten Heilfrau in sich aufsteigen. Er dachte an ihr Baumgrab und die Birken, an das Rauschen der Blätter im Wind und den Atem der Taiga. Diese Bilder zogen an ihm vorbei, entfalteten sich flüchtig und zerstoben wie Nebel, der morgens aus den Wiesen aufsteigt. Der Alte ließ ihn gewähren, schwieg lange und störte diese Bilder nicht, er ließ Bokans Gedanken gleiten und ihn für kurze Augenblicke wieder das weiße, fliegende Rentier mit den acht Beinen sein, den weißen Adler, den laufenden Wolf mit dem lachenden Herzen. Schließlich kam die Stimme...



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