E-Book, Deutsch, Band 6471, 177 Seiten
Reihe: Beck Paperback
Braml Die transatlantische Illusion
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-406-78516-0
Verlag: Verlag C. H. Beck GmbH & Co. KG
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Die neue Weltordnung und wie wir uns darin behaupten können
E-Book, Deutsch, Band 6471, 177 Seiten
Reihe: Beck Paperback
ISBN: 978-3-406-78516-0
Verlag: Verlag C. H. Beck GmbH & Co. KG
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Angesichts des russischen Überfalls auf die Ukraine wirkt der Westen geschlossen wie lange nicht. Doch die Weltmacht ist angeschlagen. Sie wird sich zunehmend auf ihr nationales Interesse und die Auseinandersetzung mit China konzentrieren. Zu glauben, die USA würden unsere Interessen auch in Zukunft mitvertreten, ist die transatlantische Illusion. Der USA-Experte Josef Braml analysiert unsere geopolitische Lage und zeigt, warum wir selbstständiger werden müssen: militärisch, politisch, wirtschaftlich. Das geht nicht von heute auf morgen. Aber wenn wir jetzt nicht damit anfangen, dann werden wir zu den Verlierern der neuen Weltordnung gehören und die Grundlagen verspielen, auf denen unser Wohlstand beruht.
Die neue Weltordnung stellt Deutschland und Europa vor große Herausforderungen. Die Zeiten, in denen wir uns im Schatten der USA durchlavieren konnten, sind vorbei. US-Präsident Donald Trump hat Europa mit Strafzöllen belegt, den Zusammenhalt der NATO infrage gestellt und die liberale internationale Ordnung durch seine America-First-Politik mit dem Rammbock traktiert. Zwar legt Joe Biden wieder mehr Wert auf die Einbindung von Verbündeten, doch wer garantiert, dass in vier Jahren nicht wieder Donald Trump im Weißen Haus sitzt? Das eigene Schicksal von den Ergebnissen der US-Präsidentschaftswahlen abhängig zu machen, ist in etwa so nachhaltig, wie im Kasino beständig auf Rot zu setzen. Josef Braml liefert eine schonungslose Bestandsaufnahme der weltpolitischen Gegebenheiten und zeigt, was auf dem Spiel steht, wenn Europa nicht lernt, für seine Interessen selbst einzustehen.
Autoren/Hrsg.
Fachgebiete
- Sozialwissenschaften Politikwissenschaft Internationale Beziehungen Ost-West Beziehungen
- Sozialwissenschaften Politikwissenschaft Politikwissenschaft Allgemein Politik: Sachbuch, Politikerveröffentlichungen
- Sozialwissenschaften Politikwissenschaft Internationale Beziehungen Geopolitik
- Sozialwissenschaften Politikwissenschaft Militärwesen Nationale und Internationale Sicherheits- und Verteidigungspolitik
- Sozialwissenschaften Politikwissenschaft Internationale Beziehungen Europäische Union, Europapolitik
- Sozialwissenschaften Politikwissenschaft Politikwissenschaft Allgemein Politische Studien zu einzelnen Ländern und Gebieten
Weitere Infos & Material
Der amerikanische Patient: Die USA und die liberale Weltordnung
Mit seinem Meisterwerk La Grande Illusion versuchte der französische Filmemacher Jean Renoir 1937 der Welt eine Friedensperspektive zu geben, denn er zeigte, wie in einem deutschen Kriegsgefangenenlager im Ersten Weltkrieg alle Rassen, Klassen und Nationen mehr oder weniger zivilisiert zusammenlebten. Doch die Geschichte bewegte sich in eine andere Richtung, und das war Renoir durchaus bewusst. Nach einer gelungenen Flucht aus dem Lager, auf dem Weg über die Grenze in die rettende Schweiz, äußerte Jean Gabin, in der Hauptrolle des Leutnant Maréchal, die Hoffnung, dies möge der letzte Krieg gewesen sein. «Ach, mach Dir keine Illusionen», lautete die trockene Antwort seines Kompagnons Leutnant Rosenthal, gespielt von Marcel Dalio. Wie schnell sich Ordnungsentwürfe und hehre Ziele als Illusionen erweisen können, dafür ist die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg ein gutes Beispiel. US-Präsident Woodrow Wilson begründete 1917 das Eingreifen Amerikas in den Weltkrieg mit dem Anspruch, dem Krieg an sich ein für alle Mal ein Ende zu bereiten und die Welt «safe for democracy» zu machen. Doch der Slogan «The War to End All Wars»[1] wird heute eher sarkastisch verwendet, da der Erste bekanntlich nicht der letzte Weltkrieg der Geschichte geblieben ist. Noch während Wilson in Paris über den Friedensvertrag verhandelte, verschoben sich in Washington die politischen Machtverhältnisse. Wilsons Idee eines Völkerbundes war sozusagen der Schlussstein der von ihm angestrebten neuen Weltordnung. Er sollte dazu führen, dass die Nationen ihre Streitigkeiten fortan in klar geregelten Verfahren beilegen würden, und dadurch zukünftige Kriege verhindern. Er war darin ein Vorläufer unserer heutigen internationalen Ordnung. Doch ausgerechnet die USA traten ihm am Ende nicht bei, weil sich die sogenannten Isolationisten gegenüber den Internationalisten durchgesetzt hatten. Die USA zogen sich in den folgenden Jahrzehnten weitgehend zurück und überließen Europa mehr oder weniger sich selbst. Eine Verschiebung in den innenpolitischen Machtverhältnissen der USA hatte der neuen internationalen Ordnung den Boden unter den Füßen weggezogen. Der Herausforderung durch das nationalsozialistische Deutschland und das kaiserliche Japan war der geschwächte Völkerbund in den 1930er-Jahren nicht gewachsen. Nach dem Zweiten Weltkrieg zogen sich die USA nicht erneut auf sich selbst zurück – was durchaus eine Lehre aus der Zwischenkriegszeit darstellte. Auch der Isolationismus hatte die USA nicht davor schützen können, in die Konflikte der anderen Mächte hineingezogen zu werden. Nach 1945 schuf und garantierte Washington eine liberale internationale Ordnung, deren Institutionen noch heute bestehen, die aber aufgrund des Kalten Krieges zunächst nur für einen Teil der Welt ihre volle Gültigkeit entfaltete. Nach 1989/90 schienen ihr nach dem Wegfall der rivalisierenden Supermacht keine Grenzen mehr gesetzt. Die USA wurden zum liberalen Hegemon, der, so hofften manche, für das Wohl aller agiert. Missionarische Macht
Herrschaft und Freiheitsversprechen («imperium et libertas») bilden seit jeher das Janusgesicht amerikanischer Außenpolitik. «Diese Verschmelzung von Christentum und Aufklärung, von Christentum und demokratischer Mission hat die besondere zivile Religion Amerikas hervorgebracht, eine unverwechselbare Mischung von christlichem Republikanismus und demokratischem Glauben: eine Nation mit der Seele einer Kirche. Die amerikanische Nation hat keine Ideologie, sie ist eine», brachte es der Historiker Detlef Junker auf den Punkt.[2] Das Sendungsbewusstsein Amerikas war oft mit einem quasi religiösen Eifer zumeist gegen äußere Feinde gerichtet, gegen Böses, das mit allen Mitteln bekämpft werden musste. «Auch die amerikanische Zivilreligion hat die notwendigen Feindbilder entwickelt, die eine Nation mit der Seele einer Kirche zum Überleben braucht. Nach dem Muster des spätantiken Religionsstifters Mani haben die Amerikaner besonders ihre Kriege als radikale Gegenüberstellung eines guten und eines bösen Weltprinzips gedeutet. Jeder Feind saß damit automatisch in der manichäischen Falle.»[3] Die USA verstehen sich als «beinahe auserwählte» Nation,[4] als «city upon a hill»[5]. Dieses Selbstverständnis, der sogenannte Exzeptionalismus[6], manifestierte sich in unterschiedlicher Weise: indem die USA selbstgenügsam der Welt als leuchtendes Vorbild dienten, wie es die Isolationisten sahen, oder nach den Vorstellungen der Internationalisten, indem sie die Welt aktiv zu verändern strebten,[7] sei es mit diplomatischen oder militärischen Mitteln, sei es durch Alleingänge oder mit Unterstützung anderer Staaten. Die Außenpolitik der USA changierte im Laufe ihrer Geschichte immer wieder zwischen diesen Polen der Absonderung von der Welt und dem missionarischen Drang zur Weltverbesserung. Gemein ist diesen beiden Polen der Glaube an die besondere amerikanische Mission zur Bewahrung des Guten in der Welt – ein Glaube, für den die realen Ergebnisse der US-Politik von nachgeordneter Bedeutung sind.[8] Tatsächlich ist es nicht sonderlich schwer und auch ein bisschen wohlfeil, den USA Scheinheiligkeit vorzuwerfen.[9] Ein derart überhöhter moralischer Anspruch muss zwangsläufig mit der Realität kollidieren. Doch das Janusgesicht amerikanischer Außenpolitik zeigt sich auch hier. Denn der eigene moralische Anspruch ist eben auch ein Maßstab, an dem sich die Weltmacht messen lassen muss und an dem sie sich auch messen ließ, zum Beispiel zur Zeit des Vietnamkrieges. Verfehlungen kommen ans Licht, und immer wieder hat die amerikanische Demokratie die Kraft zur Selbstkorrektur gefunden – etwas, das man sich bei den gegenwärtigen Systemen in Russland und China nur schwer vorstellen kann. Dennoch hat Washington auch allzu oft die hehren Werte bloß beschworen, um seine interessengeleitete Machtpolitik zu kaschieren. Wenn nötig, werden diese Werte und «Wertegemeinschaften» pragmatisch den Wirtschafts- und Sicherheitsinteressen untergeordnet. «Taten sprechen lauter als Worte», legte denn auch der chinesische Außenamtssprecher Wang Wenbin den Finger am Rande der Glasgower Klimakonferenz 2021 in die Wunde.[10] Macht ohne Moral
Es gibt viele Beispiele für die Diskrepanz zwischen demokratischer Rhetorik und zynischer sowie zumeist kurzsichtiger Machtpolitik seitens der USA. Washingtons Politik in Südamerika während des Kalten Krieges etwa, mit so traurigen Beispielen wie dem Sturz des Reformers Jacobo Árbenz in Guatemala durch die Central Intelligence Agency (CIA), dem Auslandsgeheimdienst der Vereinigten Staaten, im Jahr 1954, der das Land in einen nicht enden wollenden Bürgerkrieg stürzte, dem an die 200.000 Menschen zum Opfer fielen. Oder die Unterstützung und Anstachelung des Putschisten Augusto Pinochet, der 1973 den demokratisch gewählten chilenischen Präsidenten Salvador Allende beseitigte und eine brutale Diktatur errichtete.[11] Nirgends wurde diese Diskrepanz in den letzten Jahrzehnten jedoch so deutlich wie im von den USA sogenannten Mittleren Osten. Die dramatischen Konsequenzen ihrer fehlgeleiteten Realpolitik dort tragen allerdings nicht die USA selbst, sondern die Menschen vor Ort und im nahegelegenen Europa. Der Irakkrieg von 2003 war ein völkerrechtswidriger Angriffskrieg. Die Regierung von George W. Bush täuschte die Weltöffentlichkeit bewusst in der Frage der Kriegsbegründung und führte in einer peinlichen Sitzung des Weltsicherheitsrates gefälschte Beweise für die Existenz von angeblichen Massenvernichtungswaffen vor. Zudem wurde zur Legitimierung des Einsatzes ein großes Demokratisierungsszenario für den Mittleren Osten entworfen. Tatsächlich jedoch stürzte der Irak durch den Dilettantismus des amerikanischen Besatzungsregimes ins Chaos, und bis heute ist seine Staatlichkeit prekär. Die Enthüllungen über die Praktiken im Gefängnis von Abu Ghraib bedeuteten schließlich den endgültigen moralischen Bankrott der westlichen Führungsmacht – ein Tiefpunkt, den man in Washington und den westlichen Hauptstädten erstaunlich schnell wieder vergaß, während die geopolitischen Rivalen China und Russland ein deutlich besseres Gedächtnis besitzen. Im Effekt wurde eine ganze Region destabilisiert, hunderttausende Menschen ließen ihr Leben und noch mehr verloren...