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E-Book

E-Book, Deutsch, Band 2, 480 Seiten

Reihe: Milla Nova ermittelt

Brand Die Patientin

Kriminalroman

E-Book, Deutsch, Band 2, 480 Seiten

Reihe: Milla Nova ermittelt

ISBN: 978-3-641-24254-1
Verlag: Blanvalet
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



»Raffiniert und äußerst rasant: Dieser Krimi bietet coole Hochspannung mit einem unvergesslichen Ermittlerteam!« Bernhard AichnerDer blinde Nathaniel und sein kleiner Patensohn Silas geben ein merkwürdiges Paar ab – doch seit dem Tag, an dem Nathaniel Silas' Mutter das Leben rettete, sind sie unzertrennlich. Jeden Monat besuchen sie gemeinsam die Komastation des Berner Spitals, doch heute stimmt etwas nicht. Eine fremde Frau liegt in dem Bett, in dem vier Jahre lang Silas' Mutter lag. Der Oberarzt behauptet, sie sei gestorben. Doch es gibt kein Grab, keinen Totenschein, keine Antworten auf Nathaniels Fragen. Als seine gute Freundin, die Journalistin Milla Nova, herausfindet, dass in der Schweiz mehrere Komapatienten verschollen sind, wittert sie einen Skandal. Dann tauchen Leichen am Ufer der Aare auf, die alles in einem anderen Licht erscheinen lassen. Nathaniel wird klar: Die verschwundene Patientin lebt – doch sie schwebt in tödlicher Gefahr ...Die unabhängig voneinander lesbaren Krimis um Milla Nova und Sandro Bandini bei Blanvalet:1. Blind 2. Die Patientin 3. Der Bruder 4. Der Unbekannte5. Der FeindLesen Sie auch »Wahre Verbrechen»: Christine Brand schreibt über ihre dramatischsten Fälle als Gerichtsreporterin.
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1
»Schläft Mama noch?« »Ja, Mama schläft.« »Wann wacht sie endlich auf?« »Das weiß ich nicht.« »Warum schläft sie so lange?« »Weil sie sehr, sehr müde war.« »Und warum müssen wir sie dann besuchen, wenn sie sowieso schläft?« Nathaniel lässt die kleine Hand kurz los, wuschelt durch Silas’ Locken und drückt ihn während des Gehens an sich, sodass sie beide beinahe ins Stolpern geraten. »Sie schläft nicht richtig. Nicht so wie du und ich schlafen. Sie ist bloß nicht ganz wach. Aber sie spürt, dass wir da sind. Wenn wir mit ihr reden, kann sie unsere Stimmen hören. Dann weiß sie, dass sie nicht allein ist.« »Aber ich will, dass sie aufwacht! Mama ist langweilig, wenn sie immer nur schläft.« Nathaniel verspürt einen Stich im Herzen. Nie hätte er gedacht, dass er ein Kind derart lieben könnte. Sein Stock stößt mit einem hellen Klang an eine Kante. Metall, die Tür, sie müssen nach rechts, dann weiter: eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben und acht. Nach acht Schritten stoppt Nathaniel, er tastet nach dem kleinen Plättchen neben der Tür, findet es und fährt mit den Fingern über die Zahlen. Zimmer zweihundertdreizehn. Sie sind da. Nathaniel drückt auf die Klinke. Das ungleiche Paar ist längst ein eingespieltes Team. Silas führt den blinden Nathaniel ins Zimmer und legt dessen Hand auf die Metallstange am Bettende, die sich immer kalt anfühlt. Er holt die zwei Stühle, die unter dem Fenster stehen, und schiebt sie mit einigem Getöse neben das Bett. Dann weist der Kleine den Großen an, wo er sich hinsetzen kann, er macht das ganz vorsichtig, als wäre er der Erwachsene und nicht gerade erst vier Jahre alt. Sobald sie dasitzen neben der schlafenden Frau, der kleine Junge und der blinde Mann, die sich irgendwie ähnlich sehen, ohne dass es einem der beiden bewusst ist, schweigen sie erst einen Moment. Der Augenblick verlangt nach Stille. Die Worte fordern Zeit, bis sie sich finden lassen. Die Frau liegt reglos vor ihnen. Wie tot und doch nicht tot. Carole Stein ist das Opfer eines Gewaltdeliktes, und darum ist Silas das auch, ein Opfer, darum hat ihn seine Mutter noch nie gesehen, ihn nie in die Arme nehmen, ihn nie trösten, nie mit ihm schimpfen, ihm nie übers Haar streichen können. Sie wäre fast gestorben, als sie ihn mit letzter Kraft ins Leben gepresst hat. Seither liegt sie im Wachkoma. Vier Jahre schon. Nathaniel tastet nach ihrem Arm, greift nach ihrer Hand. Legt sie in seine. Er hofft jedes Mal, eine Reaktion zu spüren. Doch da ist nichts. »Nathaniel, das ist nicht meine Mama.« Silas flüstert, als fürchtete er, jemanden aufzuwecken. »Doch, sie ist deine Mama. Du hast jetzt einfach zwei Mamas. Das hatte ich auch, als ich etwas älter war als du.« Stimmt nicht, rügt Nathaniel sich selbst. Doch er erzählt Silas nicht, dass seine eigene Mutter schon tot war, als er eine Adoptivmutter bekommen hat, eine ganze Adoptivfamilie, alles inklusive. Seine falsche Familie, wie er sie nennt, wenn niemand es hört. Sie ist ihm fremd geblieben. Auch, weil sie ihn stets daran erinnert, dass er seine richtige Familie verloren hat, genau in dem Moment, als auch das Licht aus seinem Leben verschwand. Das alles wird er seinem Patenjungen vielleicht irgendwann einmal erzählen, wenn er älter ist. Das hat Zeit. »Aber die Frau hier ist nicht meine Mama.« Silas klingt trotzig jetzt. Nathaniel zögert, die richtigen Sätze fallen ihm nicht ein. Vielleicht weil es die Worte nicht gibt, die dem Kind erklären könnten, warum die Welt so ungerecht ist und manche Menschen Böses tun. Zum Beispiel einem Kind die Mutter zu nehmen. »Ihre Haare sind ganz komisch.« »Ihre Haare sind komisch?« »Ja, komisch.« »Wie sehen ihre Haare denn aus?« »Sie sind so rund und grau.« »Hm.« Unsicher legt Nathaniel die Hand auf das Bett zurück. »Du meinst, das ist eine andere Frau, die hier liegt?« »Das ist nicht Mama.« Ob er sich im Zimmer geirrt hat? Aber er hat doch die Nummer ertastet. Zweihundertdreizehn. Unschlüssig bleibt Nathaniel sitzen. »Silas, hängt über dem Bett eine Klingel oder baumelt da sonst was herunter?« »Nö.« Weil eine Komapatientin keine Klingel braucht. Nathaniel überlegt, ob er jemanden anrufen soll. Doch wer könnte ihm schon helfen? Er muss jemanden vom Pflegepersonal finden. »Wir müssen eine Pflegerin finden«, sagt er zu Silas und hört, wie der Junge noch im selben Moment aufsteht. Gemeinsam gehen sie zurück in den Flur. Die kleine Hand liegt in der großen. »Hallo, ist hier jemand?«, ruft Nathaniel. »Kann ich Ihnen helfen?« Die Stimme ist nah, die Frau muss fast neben ihm gestanden haben. Sie klingt freundlich, auch wenn Nathaniel in ihrer Stimme Müdigkeit hört. Er glaubt, dass sie kleiner ist als er. Und jünger. »Wir wollen Carole Stein besuchen. Aber der Junge sagt, es liege eine andere Frau in ihrem Bett.« Es dauert einen Moment zu lange, bis eine Antwort folgt. Nathaniel kennt das. Er spürt förmlich, wie ihr Blick nach unten auf seinen Blindenstock schweift, dann hinüber zu dem Kind. Beinahe kann er die dazugehörenden Gedanken hören. »Carole Stein?«, fragt die junge Frau schließlich zurück. »Nein, die liegt nicht hier, das ist das Zimmer von Frau Rothen. Lassen Sie mich kurz nachsehen. Ich bin gleich wieder da.« Schritte entfernen sich. »Wo ist Mama?« Silas zappelt an Nathaniels Arm herum. »Ich weiß es nicht, aber die Frau wird es uns gleich sagen.« Das gleich zieht sich in die Länge, und nicht nur Silas, auch Nathaniel wird ungeduldig. Es kann nicht sein, dass sie Carole verlegt haben. Sie liegt seit Jahren in Zimmer zweihundertdreizehn. Es ist ihr Zimmer. Die können es ihr nicht einfach wegnehmen. Außer … Der Gedanke kommt mit einem heftigen Schmerz, der ihm den Atem nimmt. Bitte lass sie nicht gestorben sein. Bitte lass sie nicht gestorben sein, bitte nicht. Der Satz in seinem Kopf hört sich an wie ein Gebet, dabei glaubt er an gar keinen Gott. Oder sie ist aufgewacht! »Autsch!«, jammert Silas. Nathaniel hat seine Hand zu fest gedrückt. Die Schritte kehren zurück. »Es tut mir leid.« Nathaniel will es nicht hören. Am liebsten würde er sich die Ohren zuhalten, doch stattdessen greift er unbeholfen nach dem Kopf des Kindes, als könnte er die Wahrheit von Silas fernhalten, wenn er zumindest ihm die Ohren zuhält. »Wir haben keine Carole Stein auf unserer Abteilung.« Nathaniel spürt, dass die Frau ihn anschaut, und er fragt sich, was sie in seinem Gesicht liest. Er weiß, dass er – anders als die meisten Blinden – über eine Mimik verfügt. Weil er elf Jahre lang ein Sehender war. Sie wird ihm ansehen, dass der Tod in seinen Gedanken ist und ihn aufwühlt. »Das kann nicht sein. Sie war immer hier«, widerspricht Nathaniel. »Wo ist Mama?«, fragt Silas schon wieder. »Wann haben Sie sie denn zuletzt besucht?« Auch die Frau klingt auf einmal unsicher. »Vor einem Monat. Montag vor einem Monat.« »Ich arbeite erst seit drei Wochen hier«, sagt die Frau, als ob dies alles erklären würde. »Können Sie noch einmal nachschauen?« »Es tut mir leid, ich habe es bereits geprüft: Hier liegt keine Patientin mit dem Namen Stein. Sind Sie sicher, dass Sie im richtigen Spital sind?« »Natürlich bin ich sicher, dass ich im richtigen Spital bin. Und im richtigen Zimmer war. Ich komme seit vier Jahren jeden Monat hierher. Was ist mit Carole passiert?« Bitte lass sie nicht gestorben sein. »Womöglich wurde sie in ein anderes Spital verlegt.« Ihre Antwort klingt eher wie eine Frage. Oder sie ist gestorben, denkt Nathaniel erneut. Wäre doch das Kind nicht hier, dann könnte er frei sprechen. »Könnte sie für immer weggegangen sein?«, fragt er vorsichtig. »Warum ist Mama für immer weggegangen?« »Das ist sie nicht, sie haben sie wahrscheinlich nur an einen anderen Ort gebracht«, erklärt die Frau Silas. »Wahrscheinlich? Und warum wurden wir nicht informiert?« Nathaniel möchte erleichtert sein, aber er ist es nicht. Weil sich alles falsch anfühlt. Die Frau schweigt. Vielleicht zuckt sie mit den Schultern. Nathaniel kann es nicht fassen, Wut kocht in ihm hoch, Wut und Verzweiflung. Doch er schluckt beides runter, ebenso die Worte, die er der Frau ins Gesicht schleudern will. Das Kind, sagt er sich, denk an das Kind. Er räuspert sich. »Ich will mit jemandem reden, der hier verantwortlich ist. Aber nicht...


Brand, Christine
Christine Brand, geboren und aufgewachsen im Emmental in der Schweiz, arbeitete als Redakteurin bei der »Neuen Zürcher Zeitung«, als Reporterin beim Schweizer Fernsehen und als Gerichtsreporterin. Im Gerichtssaal und durch Recherchen und Reportagen über die Polizeiarbeit erhielt sie Einblick in die Welt der Justiz und der Kriminologie. Neben der erfolgreichen Milla-Nova-Reihe erscheinen bei Blanvalet auch ihre True-Crime-Titel »Wahre Verbrechen« über Kriminalfälle, die sie als Gerichtsreporterin begleitete. Christine Brand lebt in Zürich und auf Sansibar.


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