E-Book, Deutsch, Band 1, 448 Seiten
Reihe: Die Origin-Trilogie
Brandhorst Origin – Die Entdeckung
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-641-33288-4
Verlag: Heyne
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Die Origin-Trilogie Band 1. Roman
E-Book, Deutsch, Band 1, 448 Seiten
Reihe: Die Origin-Trilogie
ISBN: 978-3-641-33288-4
Verlag: Heyne
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Andreas Brandhorst, geboren 1956 im norddeutschen Sielhorst, hat mit Romanen wie »Äon«, »Das Erwachen« oder »Das Schiff« die deutsche Science-Fiction-Literatur der letzten Jahre entscheidend geprägt. Spektakuläre Zukunftsvisionen verbunden mit einem atemberaubenden Thriller-Plot sind zu seinem Markenzeichen geworden und verschaffen ihm regelmäßig Bestsellerplatzierungen. Zuletzt ist bei Heyne sein Thriller »Der Riss« erschienen. Andreas Brandhorst lebt im Emsland.
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Prolog
Triton, Neptuns größter Mond
Neptun, blau und gewaltig, nahm den größten Teil des sichtbaren Himmels ein.
Flora stand still im Hangar der Raumstation Poseidon Zero in Tritons Umlaufbahn, erfüllt von angenehmer Ruhe. Durch die Kuppel sah sie zu Neptun auf. Ich komme zu dir, dachte sie.
Hinter ihr öffnete sich das Innenschott des Hangars, und Sunset kam mit leichten Schritten herein.
»Nein«, sagte sie, die besorgte Stimme höher als sonst. »Bitte nicht. Lass mich nicht allein.«
Flora drehte sich langsam zu ihr um. Wie jung sie war. Jung und schön. Für einen Moment regte sich fast so etwas wie Bedauern in ihr. Aber Neptun rief sie, laut, mit der Stimme in ihrem Innern.
Sie lächelte. »Ach, Sunset, du bleibst nicht allein. Nicht lange.« Das stimmte, wenn auch auf andere Art. Nuvola Nove – die Korporation, der die Raumstation gehörte – würde in wenigen Wochen Ersatz für sie schicken. Der vor einigen Jahren entwickelte neue M-Antrieb verkürzte die Flugzeiten innerhalb des Sonnensystems.
Die junge Sunset, nicht einmal fünfundzwanzig Jahre alt, blieb stehen, ihre grünblauen Augen groß. »Du lügst!«
»Ich komme zurück«, behauptete Flora, und diesmal war es tatsächlich eine Lüge. Plötzlich begriff sie mit überraschender Klarheit, dass sie gar nicht zurückkehren wollte.
Noch einmal in die Tiefen Neptuns, tiefer und tiefer …
»Ich komme zurück«, log sie erneut. »Ich möchte ihn nur noch einmal aus der Nähe sehen.«
Sunset setzte sich wieder in Bewegung. Wie in einem langsamen, eleganten Tanz trat sie durch den Hangar, verharrte dicht vor der zwanzig Jahre älteren Flora, hob die Hand und berührte sie erst am Kinn, dann an der Wange. Es war warm, sie trug Shorts und ein ärmelloses Shirt.
»Bitte, lass mich nicht allein«, wiederholte sie.
»Ich …«, begann Flora.
»Du hast sie zusätzlich gepanzert.« Sunset deutete an ihr vorbei zur Forschungskapsel im Startgerüst. »Und der Schirm ist verstärkt. Du willst tiefer eintauchen als beim letzten Mal.«
»Ich habe etwas gesehen«, erwiderte Flora und ergriff die Hand an ihrer Wange. »Unten in Neptuns Wolkenmeer.«
»Ich kenne die Logs«, sagte Sunset. »Die Sensoren haben nichts registriert. Nur Wasserstoff, Methan und Ammoniak.« Die Augen wurden noch etwas größer. »Und einen immensen Druck. Dafür ist die Kapsel nicht gebaut! Du kannst ihr noch so viel Panzerung hinzufügen und weitere Schirme installieren, es nützt nichts! Sie kann dem enormen Druck in Neptuns Tiefen nicht standhalten. Sie wird implodieren, und du …«
Sunset verstummte plötzlich.
Vielleicht war es genau das, was Flora lockte. Die Aussicht, mit Neptun eins zu werden, dort, wo der enorme Druck die Atmosphäre verflüssigte. Bei ihrer letzten Reise hatte sie tatsächlich etwas gesehen, da war sie sicher, obwohl die Aufzeichnungen nichts zeigten. Aber darum ging es ihr nicht.
»Warum willst du sterben?«, fragte Sunset.
»Ach.« Flora verzog das Gesicht. »Sterben will ich gewiss nicht.« Sie wollte glauben, dass es keine weitere Lüge war, aber wovon sie träumte, eins zu werden mit Neptun, mit seinen blauen stürmischen Tiefen, in denen es Diamanten regnete … Konnte das etwas anderes bedeuten als ihren physischen Tod?
»Dann bleib hier!«
Flora lächelte erneut, sanft und geduldig. »In zwölf Stunden bin ich wieder da.« Sie wandte sich um und ging zur wartenden Kapsel. Die Luke stand offen.
Jenseits der transparenten Kuppel wartete Neptun auf sie.
Ein akustisches Signal erklang, ein glockenartiges .
»Ich möchte euch nicht bei eurem Gespräch stören«, erklang die androgyne Stimme der Stations-KI namens Infinity. »Aber ich habe etwas Wichtiges für euch.«
Flora hatte die Hand nach der Luke ausgestreckt und ließ sie wieder sinken. »Ja?«
»Es geht um eine unserer Sonden im Kuipergürtel«, verkündete Infinity.
»Was ist damit?«, fragte Flora ungeduldig. »Wieder ein überfälliger Bericht?«
»Ganz im Gegenteil«, lautete die Antwort. »Eine der Sonden hat sich außerhalb der üblichen Berichtsintervalle gemeldet. Sie hat etwas entdeckt.«
Ausgerechnet jetzt, dachte Flora. »Neue Ressourcen für den Mars und die , nehme ich an. Das hat Zeit bis später.« Sie hob wieder die Hand zur Luke.
»Nein«, sagte Infinity. »Es geht nicht um Rohstoffe und dergleichen. Die Sonde NN21 hat eine technologische Signatur gefunden.«
Flora und Sunset sahen sich an. Neptun war plötzlich vergessen.
»Fass die Daten für uns zusammen.« Flora eilte mit Sunset zum Innenschott des Hangars. »Wir sind unterwegs zum Kontrollraum.«
»Was ist das?«, fragte Sunset aufgeregt. »Ein Komet? Ein Asteroid?«
Ihr Blick galt dem hohen, breiten Bildschirm hinter den Konsolen des Kontrollraums. Er wirkte wie ein Panoramafenster, das Ausblick ins All gewährte, und zeigte in seiner Mitte eine unregelmäßig geformte Ansammlung von dunklem Felsgestein und schmutzigem Eis.
Floras Finger huschten über die Schaltflächen vor ihr. Virtuelle Anzeigen erschienen und verschwanden nach einer kurzen Bestätigung. Links und rechts an den Bildschirmrändern scrollten Datenkolonnen.
»Ein transneptunisches Objekt, zu klein für einen Plutoiden«, stellte sie fest. »Der Durchmesser beträgt knapp zweihundert Kilometer. Nicht genug Masse für eine kugelförmige Struktur.«
Neue Daten erschienen auf dem Schirm, während sich der transneptunische Wanderer weiterhin drehte, dunkel selbst dort, wo Eis die Oberfläche bedeckte.
»Entfernung fünfundvierzig Astronomische Einheiten«, sagte Sunset. »Offenbar ein losgelöstes Objekt wie Sedna, nicht von Neptuns Umlaufbahn beeinflusst.«
»Sedna ist viel weiter draußen«, murmelte Flora nachdenklich. »Etwa achtzig Astronomische Einheiten. Mehr als zweieinhalbmal so weit von der Sonne entfernt wie wir. Dieser Brocken ist ein ganzes Stück näher.«
»Seine Zusammensetzung erscheint mir ungewöhnlich.« Sunset aktivierte die Analysefunktion der Konsole direkt vor ihr. »Sieh dir die Messdaten an. Kaum Metalle. Nur Eis und Gestein.«
»Was hältst du davon, Infinity?«, fragte Flora.
»Spekulation: Bei dem Objekt könnte es sich um das Fragment eines größeren Himmelskörpers handeln, das sich bei einer Kollision gelöst hat. Ein metallarmes Stück aus einer protoplanetaren Kruste.«
»Was auch immer.« Sunset konnte ihre Aufregung kaum bändigen. »Wo ist die Technosignatur?«
»Sie kommt gleich in Sicht, Sunset«, antwortete die KI.
Flora beobachtete die langsame Rotation des transneptunischen Objekts. Die Bilder stammten von der Sonde NN21 – eine von neunundzwanzig Sonden, die im Auftrag der Korporation Nuvola Nove im Kuipergürtel nach verwertbaren Ressourcen suchten – und waren aufgrund der Entfernung etwa zwei Stunden alt. So lange brauchten die Signale von NN21, um fünfzehn Astronomische Einheiten beziehungsweise eins Komma acht Milliarden Kilometer zurückzulegen.
»Wir sehen, was bereits geschehen ist«, sagte sie leise.
»Zeig uns endlich die Signatur, Infinity«, drängte Sunset ungeduldig.
Etwas erschien am Rand des Objekts, an seinem Horizont: geometrische Linien, die nach einigen weiteren Sekunden Konturen und Struktur zeigten. Rechtecke und Dreiecke wurden erkennbar, in der visuellen Darstellung cremefarben und weiß – ein deutlicher Kontrast zur dunklen Umgebung.
Die Anzeigen der Materialanalyse veränderten sich.
»Metallische Legierungen«, stellte Sunset fest. »Komposite und keramische Materialien.« Sie sah von den Konsolendisplays auf. »Mir ist kein natürlicher Prozess bekannt, der eine solche Materieansammlung hervorrufen könnte.«
Flora nickte. »Infinity, was ist mit bekannten Relikten und Havarien im betreffenden Raumsektor? Gibt es eine Korrelation mit verloren gegangenen Raumsonden oder Erkundungsmissionen? Könnte es sich um die Überbleibsel eines Absturzes handeln?«
Aus den hellen Linien und Konturen entstanden Gebäude, niedrig und ineinander verschachtelt, mit Kanten und Winkeln an für das menschliche Auge überraschenden Stellen. Nach Trümmern sah es nicht aus.
»Negativ, Flora«, antwortete Infinity. »Die Logs der Astronavigation verzeichnen keine relevanten Havarien oder vermissten Raumfahrzeuge.«
Sunset atmete tief durch. »Also?«
Flora hob die Hand. »Moment. Keine voreiligen Schlüsse.« Trotz der mahnenden Worte fühlte sie sich selbst von Aufregung erfasst. »Infinity, ich hatte dich gebeten, alle von NN21 ermittelten Daten für uns zusammenzufassen. Wie beurteilst du die Situation?«
»Wir haben es mit einer technologischen Signatur unbekannten Ursprungs zu tun«, lautete die Antwort. »Strukturell scheint sie weitgehend intakt, zumindest ihr Kern, und sie ist noch immer aktiv. Es gibt energetische Emissionen. Etwas erzeugt Energie und verbraucht sie.«
Sunset blähte die Wangen auf. »Also?«
»Die Situation ist einzigartig«, fügte Infinity hinzu. »Es könnte ein Erstkontakt bevorstehen.«
Einige Sekunden lang blieb es still.
» nenne ich eine Entdeckung«, hauchte Sunset. »Eine Station von Außerirdischen?« Freudestrahlend wandte sie sich an Flora. »Kannst du dir vorstellen, wie viele Meriten uns das einbringen wird?«
Lieber Himmel, dachte Flora und begriff: Neptun...




