E-Book, Deutsch, 120 Seiten
Brandhorst / Petersen / Hanke Internetsucht: Eltern stärken!
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-17-039474-2
Verlag: Kohlhammer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ein manualisiertes Gruppentraining
E-Book, Deutsch, 120 Seiten
ISBN: 978-3-17-039474-2
Verlag: Kohlhammer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Dr. rer. nat. Dipl.-Psych. Isabel Brandhorst ist Psychotherapeutin und Leiterin der Forschungsgruppe Internetnutzungsstörungen am Universitätsklinikum Tübingen (UKT). Dr. phil. Dipl.-Psych. Kay Petersen ist Psychotherapeut und wissenschaftlicher Projektleiter für Studien der Sektion Suchtmedizin und Suchtforschung am UKT. Dipl.-Psych. Sara Hanke ist Mitarbeiterin der Sektion Suchtmedizin und Suchtforschung mit Schwerpunkt auf Internetnutzungsstörungen am UKT. Dr. med. Gottfried Maria Barth ist Stellvertretender Ärztlicher Direktor der Kinder- und Jugendpsychiatrie am UKT. Prof. Dr. med. Anil Batra ist Stellvertretender Ärztlicher Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie im Erwachsenenalter und Leiter der Sektion Suchtmedizin und Suchtforschung am UKT.
Weitere Infos & Material
2 Das ISES! Gruppentraining
2.1 Vorbereitung
2.1.1 Struktur des Trainings
Das ISES! Gruppentraining besteht aus sechs Einheiten. Jede Einheit dauert ca. 1,5 Stunden. Es ist für eine geschlossene Gruppe konzipiert. Das bedeutet, dass eine feste Gruppe die sechs Einheiten durchläuft und kein Quereinstieg mitten im Training geplant ist.
An einer Trainingsgruppe können vier bis acht Familien bzw. Elternpaare, also vier bis 16 Elternteile teilnehmen. Die Erfahrung zeigt, dass die ideale Gruppengröße aus sechs Familien besteht. Wenn eine Gruppe mit vier Familien gestartet wird, reduziert sich der gemeinsame Austausch stark, sobald einzelne Familien nicht an allen Trainingsterminen teilnehmen können. Bei Gruppen, die aus acht oder mehr Familien bestehen, ist oft der zeitliche Rahmen sehr eng, sodass persönliche Schilderungen zu kurz kommen.
Wir empfehlen, dass beide Elternteile am Training teilnehmen. Ist dies nicht möglich, so können auch einzelne Elternteile oder die Eltern abwechselnd am Training teilnehmen. Eine abwechselnde Teilnahme der Eltern ist sowohl für den Beziehungsaufbau in der Gruppe als auch für die betreffende Familie jedoch oft schwierig, da zuhause eine gute Übergabe gelingen muss, um den Anschluss nicht zu verlieren.
Jede Einheit besteht aus drei Teilen:
- 1.
Dem Austausch (ca. 45 Minuten)
- 2.
Der Bearbeitung eines thematischen Schwerpunktes (ca. 45 Minuten)
- 3.
Der Übungsaufgabe für zuhause
Der Austausch der Familien orientiert sich stets an einem vorgegebenen Thema und bezieht sich, abgesehen von Einheit 1, auf die Übungsaufgaben für zuhause. Bei der Bearbeitung eines thematischen Schwerpunktes wird Wissen durch die Trainerinnen und Trainer vermittelt und gemeinsam durch Einzel- oder Gruppenübungen am Flipchart oder im Handout vertieft. Die Übungen haben das Ziel, das in der Einheit Gelernte anzuwenden oder neue Inhalte im Selbststudium zu erarbeiten.
2.1.2 Zielgruppe
Teilnehmen können Eltern von Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Die Evaluation des Trainings (? Kap. 3) bezog sich auf Jugendliche und junge Erwachsene im Alter von 12 bis 21 Jahren. Es spricht jedoch nichts dagegen, die Altersspanne zu erweitern, solange es sich um Jugendliche in der Autonomiephase handelt (also keine Kinder) und die jungen Erwachsenen noch zuhause leben.
Die Jugendlichen sollten gemäß der Einschätzung der Eltern Probleme mit Computerspielen oder sozialen Netzwerken haben. Das Gruppentraining wurde mit Fokus auf diese beiden Problembereiche entwickelt. Nach eigenem Ermessen könnten aber auch Eltern, deren Kinder andere Internetanwendungen problematisch nutzen, an der Gruppe teilnehmen. Mit Problemen sind Symptome einer Sucht gemeint, also Hinweise auf einen Kontrollverlust, eine Priorisierung der Nutzung gegenüber anderen Lebensbereichen sowie die Fortführung der Nutzung trotz negativer Konsequenzen (? Kap. 1.2.3). Dabei ist es nicht notwendig, dass bei den Jugendlichen zuvor eine Diagnostik stattgefunden hat. Die subjektive Einschätzung der Eltern ist für eine Trainingsteilnahme entscheidend.
Am Training nehmen ausschließlich die Eltern teil. Eine Beteiligung der Jugendlichen ist nicht vorgesehen. Damit soll der Situation Rechnung getragen werden, dass die Eltern häufig bereits Probleme sehen, bevor die Betroffenen selbst eine Problemeinsicht oder Veränderungs- bzw. Therapiebereitschaft zeigen. Dennoch ist es wünschenswert, wenn sich die Betroffenen parallel zum ISES! Gruppentraining der Eltern zu einer eigenen Diagnostik ober Behandlung motivieren lassen.
2.1.3 Anforderungen an die Trainerinnen und Trainer
Gruppentherapien oder Gruppentrainings gehen grundsätzlich mit einigen Anforderungen an die Trainerinnen und Trainern einher. Einige typische Situationen, die herausfordernd sein können, beschreiben wir in ? Kap. 2.3. Es werden aber sicherlich unerwartete und herausfordernde Situationen auftreten, auf die sich die Trainerinnen und Trainer im Vorfeld nicht vorbereiten können. Hier hilft eine gewisse Erfahrung im Umgang mit Eltern und in der Führung von Gruppen, um solchen Situationen souverän begegnen zu können. An der Wirksamkeitsstudie (? Kap. 3) waren größtenteils erfahrene Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten beteiligt. Das Gruppentraining ist jedoch nicht nur für Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten konzipiert, sondern selbstverständlich auch von anderen Berufsgruppen anwendbar, die mit der Zielgruppe arbeiten.
Wenn Sie mehr über Grundlegendes zu Gruppentherapien lesen möchten, empfehlen wir folgende Literatur: Irvin D. Yalom (2015): Theorie und Praxis der Gruppenpsychotherapie (Leben Lernen, Bd. 66): Ein Lehrbuch. 66 Bände: Klett-Cotta.
Die bisherige Erfahrung zeigt außerdem, dass ein Trainerinnen-/Trainerteam aus zwei Personen mit mindestens einer erfahrenen Person zu empfehlen ist. Dabei kann zwischen der Sprecherinnen- bzw. Sprecherrolle nach der Hälfte des Trainings, also nach dem Austausch, abgewechselt werden. Ein Team ermöglicht es außerdem, die einzelnen Termine im Sinne einer Intervision noch einmal zu besprechen.
Neben der Erfahrung mit der Führung von Gruppen ist eine grundsätzlich positive Grundeinstellung gegenüber Computerspielen und sozialen Netzwerken hilfreich. Dabei ist es nicht notwendig, dass man diese Anwendungen selbst nutzt oder dass eine ausgeprägte Expertise bezüglich aktueller Spiele oder sozialen Netzwerken vorliegt. Es ist aber hilfreich, wenn zumindest oberflächliches Wissen besteht. Informationen lassen sich leicht im Internet beschaffen. Folgende Internetseiten sind zu empfehlen (Stand 2024):
-
www.spieleratgeber-nrw.de (auch als YouTube Kanal)
Eine andere Möglichkeit ist es, sich Let's Play-Videos von bekannten Spielerinnen und Spielern anzuschauen oder Gaming-Zeitschriften wie PC Games, GameStar oder Games Aktuell zu lesen. Dabei muss man allerdings auch wissen, dass es kaum Information ohne Interessenkonflikte gibt. Die PC-Zeitschriften berichten im Interesse der Industrie, die genannten Seiten im Sinne der Suchtprävention.
Die Erfahrung zeigt, dass Trainerinnen und Trainer im ISES! Gruppentraining mit einer heterogenen Gruppe von Eltern konfrontiert sind – abgesehen vom Bildungsgrad der Eltern, der in den Gruppen meist recht hoch war (88?% mit Studienabschluss; ? Kap. 3). Die Gruppen waren heterogen bezüglich Erziehungsvorstellungen, Familienkonstellationen, Haltungen zum Internet, Expertise zu Computerspielen und sozialen Netzwerken, oder bezüglich dem Schweregrad der Problematik der Kinder. Wir empfehlen den Trainerinnen und Trainern, diese Heterogenität der Gruppe als Ressource zu nutzen und Eltern mit mehr Erfahrung einzubinden, sodass weniger erfahrene Eltern davon profitieren können.
Manche Eltern haben einen hohen Redebedarf, der die zeitlichen Ressourcen im Gruppentraining strapaziert, während andere Eltern zur Beteiligung regelrecht aufgefordert werden müssen. Wir empfehlen den Trainerinnen und Trainern darauf zu achten, dass alle gleichermaßen zu Wort kommen, und ruhigere Teilnehmende ggf. zu Redebeiträgen aufzufordern sowie Eltern mit hohem Redeanteil bei Bedarf zu begrenzen.
2.1.4 Ziele und Inhalte des ISES! Gruppentrainings
Eltern sollen darin gestärkt werden,
- 1.
Einfluss zu nehmen auf die problematische Internetnutzung ihrer Kinder,
- 2.
die Jugendlichen ggf. zu einer eigenen Diagnostik oder Behandlung zu motivieren,
- 3.
den eigenen Stress zu reduzieren und
- 4.
die Eltern-Kind-Beziehung zu stärken.
Diese Ziele werden durch verschiedene thematische Schwerpunkte erreicht, die mit den Eltern gemeinsam in den sechs Einheiten oder im Rahmen von Übungsaufgaben zuhause bearbeitet werden. Das ISES! Gruppentraining beinhaltet folgende thematischen Schwerpunkte:
- 1.
Wissen über Sucht
- 2.
Erziehungsverhalten: Modelllernen & Lernen durch Konsequenzen
- 3.
Kommunikation und Deeskalation
- 4.
Eltern-Kind-Beziehung: Wertschätzung & gemeinsame Zeit
- 5.
Stress und Entspannung für Eltern
Im Folgenden finden Sie einen Überblick darüber, welche thematischen Schwerpunkte in den einzelnen Einheiten mit welchen Zielen verbunden sind. Mehr zu den Zielen finden Sie außerdem bei der detaillierten Beschreibung der einzelnen Einheiten.
Einheit 1: Kennenlernen, Wissen über Sucht, Ziel formulieren
Hier lernen sich die Eltern zunächst gegenseitig, sowie das Training und die Trainerinnen und Trainer kennen. Einheit 1 legt somit den Grundstein für die Beziehung der Beteiligten und ermöglicht einen offenen Austausch im sicheren Rahmen.
In Einheit 1 wird erstes Störungswissen vermittelt. Die Eltern erfahren mehr über die...