E-Book, Deutsch, 176 Seiten
Brauer 37 systemische Methoden
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-7495-0642-2
Verlag: Junfermannsche Verlagsbuchhandlung
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
für Beratung, Coaching, Therapie
E-Book, Deutsch, 176 Seiten
ISBN: 978-3-7495-0642-2
Verlag: Junfermannsche Verlagsbuchhandlung
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Sandra Brauer, Diplom-Kauffrau (FH), Systemische Beraterin (DGSF-zertifiziert), Stressmanagement-Trainerin, Prozessbegleiterin in der digitalen Transformation, Lehrauftrag an der FOM Hochschule Hamburg; Gründerin des Systemischen Netzwerks. Schwerpunkte: Coaching von Einzelpersonen und Teams, Vermittlung digitaler Kompetenzen.
Autoren/Hrsg.
Fachgebiete
- Sozialwissenschaften Psychologie Allgemeine Psychologie Sozialpsychologie
- Sozialwissenschaften Psychologie Psychologie / Allgemeines & Theorie Psychologie: Sachbuch, Ratgeber
- Wirtschaftswissenschaften Wirtschaftswissenschaften Wirtschaft: Sachbuch, Ratgeber
- Sozialwissenschaften Psychologie Psychologie / Allgemeines & Theorie Psychologie: Allgemeines
- Sozialwissenschaften Psychologie Psychotherapie / Klinische Psychologie Beratungspsychologie
Weitere Infos & Material
2. Ressourcen – Stärken – Werte
2.1 Ressourcenorientierung (Sandra Brauer)
Setting: Ein-Personen-Setting, Mehr-Personen-System (Paar, Gruppe) im Coaching (Fallbeispiel), in modifizierter Form auch in Beratung und Therapie
Ziele: Stärkung des Klientensystems
Benötigtes Material: Keins
Kurzbeschreibung: Neben vielfältigen Übungen zur Stärkung der Ressourcen geht es bei der Anwendung dieser Methode eher um die Nutzung unserer Sprache und Fragetechniken (siehe auch Kapitel 3.11). Durch Paraphrasierung und das gezielte ressourcenorientierte Fragenstellen stärken wir das Klientensystem und tragen auf diese Weise zu mehr Selbstakzeptanz und Selbstbewusstsein bei.
Quelle / Urheber:in: Die Ressourcenorientierung habe ich aus meiner Ausbildung beim ptz cormann Institut als wesentlich mitgenommen.
Anwendungsbeispiel
„Wenn Sie nicht (mehr) wissen, was Sie im Beratungsprozess tun können – Ressourcenstärkung geht immer.“ So lautete der Ausspruch meiner Lehrdozentin im Rahmen meiner systemischen Weiterbildung. Nach inzwischen einigen Jahren Erfahrungen stimme ich ihr vollends zu.
Zu uns kommen Menschen, die mit Stolpersteinen in ihrem Leben zurechtkommen müssen. Oftmals sind sie voller Selbstzweifel und Unsicherheiten. Sie haben das Gefühl, allein nicht voranzukommen und bitten uns um Unterstützung.
Gerade in solchen Ausgangssituationen ist es besonders hilfreich, den Blick darauf zu lenken, über welche Ressourcen – Potenziale, Stärken und gute Eigenschaften, die eine Person ausmachen – jemand verfügt. Wir laden sie dazu ein, einen Wechsel der Blickrichtung zu erproben und verweisen auf das Gute, das bereits vorhanden ist.
Als Begleiterin eines Veränderungsprozesses komme ich mir häufig wie eine Suchende vor. Ich suche nach Zuschreibungen und Bewertungen. Ich höre zu, paraphrasiere und reframe – ich übersetze also das Gehörte in etwas Positives und Gutes. Die Wirkung? Ich schenke damit meinem Gegenüber Zuversicht und vor allem Akzeptanz.
Mein Subtext dazu ist: „Ich sehe dich mit all deinen inneren Anteilen, den hinderlichen wie auch den nützlichen – auch wenn du sie selbst gerade nicht erkennen kannst. Ich helfe dir, all das wieder zu entdecken oder auch neu kennenzulernen.“
Hilfreich für den Ressourcenblick sind auch unsere systemischen Fragen, von denen meine liebste jene nach der guten Absicht ist. Nicht selten sorge ich damit bei meinem Gegenüber zunächst für Erstaunen:
- Was ist die gute Absicht deiner Wut?
- Was meinst du, wozu könnte es gut sein, dass du Dinge nie zu Ende bringst?
- Was ist das Gute an deiner Unsicherheit?
Meine Absicht ist auch hier, zu der Erkenntnis zu gelangen: Wir sind mehr als nur das eine, wir tragen verschiedene Anteile in uns. Ich lade mein Gegenüber ein, die eigene Innenwelt zu erkunden und die Perspektive zu wechseln. Oftmals mit dem Ziel, zu mehr Selbstakzeptanz zu gelangen.
Im Begleitprozess achte ich stets auf ganz beiläufig gemachte Äußerungen wie „Das ist ja normal, dass … “ Gern kommentiere ich dann, dass ich das keinesfalls „normal“ finde. Vielen Menschen sei es absolut nicht möglich, das zu tun, was für den Klienten „ein Klacks“ ist. Er verfügt also über eine Gabe, über eine Kompetenz, die ihn ausmacht.
Nicht selten erlebe ich im Coaching Menschen, die es nicht gewohnt sind, so viel Wertschätzung zu erhalten. So manches Mal folgen auf meine Worte Tränen. Und genau in solchen Momenten wird mir bewusst, über was für einen Schatz wir verfügen: Unsere Sprache, unsere Worte können so unendlich viel bewirken. Sie sind Ausdruck unserer Werte und unserer Haltung – in diesem Fall einer von Zuversicht, Wohlwollen und vor allem von Akzeptanz geprägten Haltung.
Erinnern wir uns deshalb daran: Es muss nicht immer der Riesenstrauß an Methoden sein, mit dem wir glänzen wollen. Allein und gerade die Schlichtheit unserer Worte, der systemischen Sprache, kann sehr viel bewirken.
2.2 Mein Wertekompass (Sandra Brauer)
Setting: Ein-Personen-Setting, Mehr-Personen-System (Paar, Gruppe) im Coaching (Fallbeispiel), in modifizierter Form auch in Beratung und Therapie
Ziele: Informationsgewinnung, Erkundung des Wertesystems des / der Klient:in
Benötigtes Material: Mit Werten beschriftete (Moderations-)Karten, Notizbuch, Smartphone, Online-Tool mit Werten (z. B. Coachingspace oder selbst erzeugte Übersicht in virtuellen Whiteboards wie Miro, Mural, oder Conceptboard), eventuell auch verschiedenfarbige Spielsteine
Kurzbeschreibung: Im Coaching- oder Beratungssetting nutzen wir die Wertereflexion dazu, systematisch Werte, Verhaltensmuster und Kommunikationsweisen zu erkunden. Der daraus hervorgehende Wertekompass ist für unsere Klient:innen oftmals ein erster Schritt hin zu mehr Selbstakzeptanz und möglicherweise auch ein erster Schritt in Richtung Veränderung.
Quelle / Urheber:in: Selbstentwickelte Methode
Online-Kurs: https://www.sinnsucher.de/kurs/die-eigenen-werte-leben
Anwendungsbeispiel
Im Folgenden beschreibe ich die Anwendung der Methode in 1:1-Coachinggesprächen in Präsenz. Für mich ist ebenfalls denkbar, eine Wertereflexion in einen Therapieprozess zu integrieren. Auch ist die Erarbeitung eines Wertekompasses im Online-Setting möglich.
Anlass: Meine Klientin hadert mit sich, sie stellt sich selbst infrage.
Vorbereitung: In einem ersten Coachinggespräch zeigt sich, dass die Arbeit mit Werten für den weiteren Verlauf des Coachings nützlich sein könnte.
Ich beschreibe meiner Klientin das Ziel und die Anwendung der Methode: Mithilfe von Werte-Karten und leitenden Fragen erkunden wir gemeinsam ihr Wertesystem. So können wir Aufschluss erhalten, welche Werte und vor allem welche dahinterliegenden Bedürfnisse meiner Klientin wichtig sind. Wir gehen auf die Suche nach Glaubenssätzen, Prinzipien sowie Verhaltens- und Kommunikationsmustern und versuchen, daraus gemeinsam einen Wertekompass für sie zu erarbeiten.
Wichtig ist es, sich Zeit für die Methode zu nehmen. Immer wieder mache ich die Erfahrung, dass Menschen sich selten so tief mit ihrer Innenwelt beschäftigt haben. Hilfreich kann es zudem sein, die Wertereflexion mit einer konkreten Frage einzuleiten.
Meist stelle ich im Coaching meine eigenen Werte-Karten zur Verfügung. Es gibt aber auch im Internet zahlreiche Vorlagen, um selbst Werte-Karten zu erstellen.
Anwendung
Schritt 1: Bevor wir in die eigentliche Reflexionsübung einsteigen, schreibt die Klientin ihren Namen auf eine Moderationskarte und legt diese mittig vor sich auf den Boden. Es geht ihr konkret darum, Antworten auf folgende Frage zu finden: „Welche Werte sind mir wichtig? Welche Bedürfnisse müssen gestillt sein, damit ich ein glückliches Leben führen kann?“
Ich lade meine Klientin dazu ein, aus einem vorbereiteten Kartenstapel intuitiv Werte auszuwählen und diese Karten selbst auf dem Boden anzuordnen – je nach Resonanz dichter neben ihre Namenskarte oder weiter davon entfernt. Sollten einige Werte keine Resonanz hervorrufen, kann sie sie vorerst beiseitelegen. Mit verschiedenfarbigen Spielsteinen visualisiert sie, welche Werte positive und welche negative Gefühle beim Betrachten der Karten hervorrufen.
Für mich sind alle Äußerungen der Klientin wichtig.
- Mit meinem Ressourcenohr höre ich: Was ist meiner Klientin wichtig? Welche Stärken, positiven Eigenschaften, vielleicht auch Kompetenzen trägt sie in sich?
- Ich paraphrasiere laufend und notiere auf einem Flipchart die wichtigsten Erkenntnisse, sodass sich meine Klientin weiterhin auf den Prozess konzentrieren kann.
- Oftmals kommen bereits hier Glaubenssätze, Prägungen und Prinzipien zum Vorschein, die in Verhaltensmuster und Kommunikationsweisen meiner Klientin münden. Gerade jene, die sie gern verabschieden möchte, notiere ich.
Ein Beispiel: Die Karte „Verantwortung“ assoziiert sie stark mit sozialer Verantwortung, was u.a. in einer Äußerung deutlich wird: „Ich kann meine Kolleg:innen nicht im Stich lassen.“ Ich reframe: „Dir liegen andere Menschen sehr am Herzen, du selbst kannst dich gut zurücknehmen.“ Meine Klientin reagiert mit einem Lächeln, aber auch mit einem Seufzer. Oft sei es anstrengend für sie, sich selbst zurückzunehmen und anderen mehr Raum zu geben. Auf diese Weise haben wir einen Stolperstein in ihrem Leben gefunden, den es sich lohnt, im Anschluss an die Wertereflexion näher zu betrachten.
Wir führen den Prozess fort, bis alle Karten betrachtet, ausgewählt und aufgelegt wurden.
Meine liebste Frage im Anschluss ist stets: „Wenn du die Werte nun noch einmal betrachtest, was fällt dir auf?“
Gegen Ende des Gesprächs bitte ich meine Klientin, sich Notizen zu der Übung zu machen und ein Foto von der Kartenskulptur am Boden anzufertigen.
Nächste Schritte:
Um näher einzutauchen, stelle ich im weiteren Verlauf des Coachings meiner Klientin folgende Fragen:
- „Was assoziierst du mit den einzelnen Werten?“
- „An was denkst du, wenn du dir die einzelnen Werte anschaust?“
Abhängig davon, zu welchen Erkenntnissen das Bisherige geführt hat, nutze ich auch die folgenden Fragen, um Glaubenssätze,...