Braun | Der letzte Buddha | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 224 Seiten

Braun Der letzte Buddha

Roman
1. Auflage 2017
ISBN: 978-3-446-25785-6
Verlag: Hanser Berlin in Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, 224 Seiten

ISBN: 978-3-446-25785-6
Verlag: Hanser Berlin in Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



1995 erkannte der Dalai Lama in einem sechsjährigen Jungen den elften Panchen Lama, den zweithöchsten Würdenträger Tibets. Chinas Regierung zog den Jungen aus dem Verkehr und installierte an seiner Stelle den Sohn regimetreuer Kader. Marcus Braun lässt den echten Heiligen zwanzig Jahre später wieder auftauchen – in Los Angeles, als Surfer. Als Jonathan erfährt, wer er in Wahrheit ist, unterzieht er sich einem Lama-Coaching, das ihn schnell an seine Grenzen führt. Überraschend erhält er eine Einladung aus China. Als sich der echte und der falsche Panchen Lama gegenüberstehen, geraten alle Gewissheiten ins Wanken. Der neue Roman eines der originellsten deutschsprachigen Autoren.

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3
Will man die Revolution, dann muss man
eine revolutionäre Partei haben. Mao Tse-tung Deng Yao hatte sich eine Flasche Bier kommen lassen, für Gyaltsen stand eine Kanne Tee auf dem Tisch. Sie hatten sich die Hände geschüttelt, eine zaghafte Umarmung angedeutet, wie auch früher schon oft. Deng Yao legte sein Jackett ab. Es war die dritte Woche nach der Rückkehr vom Berg. Deng Yaos Gedanken schienen vor Gyaltsen zu liegen wie ein deutlich geschriebener Text. Vielleicht bildete er sich das auch nur ein, vielleicht hatte er die Gabe, die Gedanken seines Lehrers zu erraten, irgendwann wieder verloren. Was Deng Yao sofort auffiel: Sein Schützling hatte plötzlich männliche Züge gewonnen, war erwachsen geworden. Die neuen Ideen ließen allerdings eher auf das Einsetzen der Pubertät schließen. Eine klassische Spätentwicklung, angesichts der Umstände nicht verwunderlich. Die buddhistischen Mönche übergingen das ja gerne, blendeten die Pubertät aus. Als könnte man die Natur überlisten durch den Geist, der doch auch nur Natur war. Es war kalt in Tibet, und es erfroren Menschen in den Straßen Lhasas, die man erst Tage später mit Stemmeisen vom Boden trennte und ins Krematorium brachte. Hier in Shigatse erfror niemand. Man hatte eine Sammelaktion initiiert, die Stadtverwaltung hatte Wärmestuben eröffnet, und es gab genug mitleidige Herzen und Sicherheitsbeamte, die berauschte oder unbedachte Obdachlose vor dem Erfrieren retteten. Der Panchen Lama selbst hatte eine alte Aluminiumkelle geschwungen und Suppe verteilt. Der Panchen Lama war noch nie auf diese Art in Erscheinung getreten. Die Chinesen hielten das nach kurzer Irritation für eine gute Idee und unterstützten ihn tatkräftig. Sie kommandierten eine Versorgungseinheit der Armee ab. Deng Yao war über all das informiert und wunderte sich sehr. Bis vor ein paar Wochen noch hatte Gyaltsen keinerlei eigene Initiative entwickelt. Die Times of India veröffentlichte ein Bild: »Der chinesische Panchen Lama lindert das Leid und segnet die Tibeter.« Für das Ausland war er der chinesische Panchen Lama oder schlicht der falsche Lama. Deng kannte Gyaltsen, seit er vierzehn war. Sie hatten zusammen Fußball gespielt, gekocht, über Dao gesprochen, über den Dalai Lama, über die Rolle Taiwans, die Aufgabe des Panchen Lama in der Geschichte und in der Zukunft, darüber, wie man am besten ein Yaksteak brät. Die Barbarei des Fleischverzehrs gab Gyaltsen erst endgültig auf, als er die ersten Todesurteile zu verantworten hatte. Deng war der offizielle chinesische Kontaktmann an seiner Seite. Er hatte lange Jahre für das Amt für öffentliche Sicherheit gearbeitet, eine hohe Funktion in der KP Tibets bestritten. Vor zwei Jahren hatte er Tibet verlassen und war ins Zentralkomitee der Kommunistischen Partei aufgerückt. Er wurde zeitweise dem neomaoistischen linken Flügel zugerechnet, aber das bedeutete in den Worten, in denen es ausgesprochen wurde, nicht viel oder besser gesagt gar nichts. »Eigentlich hätte ich fast erwartet, dass Sie mich darauf ansprechen würden, bevor ich irgendjemandem meinen Entschluss mitgeteilt habe. Aber jetzt hat es so lange gedauert. Ist Peking schon so weit weg?« Deng Yao lächelte und atmete eine Menge Luft aus, die Höhe machte ihm zu schaffen. »Eure Heiligkeit, das hätte doch etwas die Etikette verletzt. Außerdem widerspricht Hellsehen meiner materialistischen Doktrin.« »Vermutlich freut man sich in Peking über meinen Entschluss.« »Den Entschluss, ein Staatsorakel zu berufen? Ganz im Gegenteil.« Gyaltsen goss sich eine Schale Tee ein. »Und auch von der anderen Idee möchte ich dringend abraten.« »Dafür sind Sie extra hergekommen? Sie haben mir doch immer eingeschärft, auch das große Ganze und China als die Mutter Tibets in alle meine Überlegungen einzubeziehen.« Deng Yao zog sich am rechten Ohrläppchen. »Bisher seid Ihr nicht durch Euren Sinn für Humor oder Ironie aufgefallen.« »Auch ich entwickle mich.« »Auch ein Panchen Lama sollte nicht den dritten Schritt vor dem ersten tun. Ich muss dringend davon abraten.« »Das müssen Sie mir nicht sagen. Ich weiß, wir sprechen hier immer auch vor Publikum.« Deng Yao nickte. »Das vergesse ich nicht. Ich war lange auf der Seite des Publikums.« Es war immer gut, erst zuzustimmen, bevor man seinem Gegenüber widersprach. Besonders, wenn es sich um einen jungen Mann mit besserwisserischen Anwandlungen handelte, dem man von klein auf eingeredet hatte, dass er auserwählt sei. »Ich glaube, dieser Schritt könnte auf großes Unverständnis bei der tibetischen Bevölkerung stoßen.« Der Panchen Lama senkte den Blick. »Tibet ist ein Teil Chinas. Und warum soll ein geistiger Führer Tibets, dafür hält man mich, nicht Mitglied der Partei sein?« »Es wäre im Hinblick auf Eure Stellung nicht klug, diesen Schritt zu unternehmen, und ich muss dringend davon abraten.« »Sie müssen das? Sie müssen dringend davon abraten?« »Ich muss gar nichts.« »Gut. Sehr gut.« »Ich erlaube mir nur, darauf hinzuweisen.« Es schien ihm an der Zeit, Deng Yao ins Wort zu fallen. »Ich bin schon 1956 der Kommunistischen Partei beigetreten.« Deng Yao suchte ein Lächeln in seinem Gesicht, aber da war kein Lächeln. Sie schwiegen, bis Deng Yao sich von dieser Unhöflichkeit erholt hatte. Er zupfte an den Haaren seiner linken Augenbraue. »Nun ja, das macht die Geschichte nicht besser.« Gyaltsen löschte die zwei Räucherstäbchen mit den Fingern. »Ich schließe aus Ihren Worten, dass Sie nicht in der Lage sind, das zu verhindern.« »Es steht mir nicht zu, Euch Vorschriften zu machen.« Deng Yao zündete sich eine Zigarette an, obwohl er wusste, dass Gyaltsen den Geruch von Tabakrauch hasste und normalerweise nicht duldete, dass jemand in seiner Gegenwart rauchte. Er war der Ansicht, nur Dämonen sollten Rauch essen. »Peking wird sicher einen weisen Entschluss fassen. Wenn ich mir nicht sicher wäre, würde ich nicht daran denken, ein solches Unterfangen zu beginnen.« »Von welchem Unterfangen genau sprecht Ihr?« »Noch einmal: Ich werde der Partei beitreten und für das Wohlergehen unseres Landes arbeiten.« »Das könnt Ihr viel besser, wenn Ihr Eure repräsentative Aufgabe wahrnehmt.« »Ich glaube, Sie verstehen nicht ganz, worauf ich hinauswill.« Vielleicht war ja doch ein Dämon bei seiner Klausur auf dem Berg in ihn gefahren. Wie auch immer. Deng Yao würde versuchen dafür zu sorgen, dass alles im Sinne Chinas verlief. Er hatte nicht vor, sich auf der Nase herumtanzen zu lassen, obwohl Gyaltsen genau das im Sinn hatte und genau das gerade geschah. »Dann erklären Sie es mir.« »Einen weltlichen Führer der Tibeter, da werden Sie mir wohl zustimmen, gibt es zurzeit nicht, während der Dalai Lama zum Leidwesen Chinas als der geistige Führer der Tibeter gilt, und das nicht nur in Indien und Amerika. Stimmen Sie mir zu?« Deng Yao verzog keine Miene. »Und wenn?« »Wir werden die Angelegenheit vom Kopf auf die Füße stellen.« Deng Yao fiel es offensichtlich schwer, sich zu konzentrieren. Er drückte seine Zigarette in einer Messingschale aus und erntete Gyaltsens ungnädigen Blick. Der Panchen Lama würde die entscheidende Rolle nach dem Tod des Dalai Lama spielen; bei der Auffindung des Nachfolgers, aber vor allem im Vakuum der Zwischenzeit. Mit dem Ableben des Dalai Lama war jederzeit zu rechnen, selbst wenn die Gerüchte über eine ernstzunehmende Erkrankung anscheinend nicht der Wirklichkeit entsprachen. Die Sterblichkeit war nach wie vor eine biologische Tatsache, und der Dalai Lama war ein alter Mann. Sein Fahrzeug näherte sich dem Ende der vorgesehenen Nutzungsdauer. Was nach dem Tod des Dalai Lama passieren würde, stand in den Sternen. Der 11. Panchen Lama stieß auf wenig Akzeptanz in der tibetischen Bevölkerung, und seine obskure Idee, der KP beizutreten, würde sein Ansehen garantiert nicht verbessern. Eigentlich war es so, dass besonders die chinesische Führung dem Dalai Lama ein langes, wenn möglich gar ewiges Leben wünschte. Deng Yao sah seine Aufgabe unter anderem darin, die Entwicklungen in Tibet absehbarer zu machen. Gyaltsen sah seine Aufgabe in etwas ganz anderem. »Ihr glaubt, Ihr könntet an die Stelle des Dalai Lama treten?«, fragte Deng Yao. »Ich werde Verantwortung übernehmen. Wenn man mich lässt.« »Wie seid Ihr auf diese Idee gekommen?« »Sagen wir, ich hatte etwas Zeit, um nachzudenken.« »Und wenn Peking diese Idee gar nicht gefällt?« »Das ist Ihre Aufgabe. Sie wird Peking gefallen. Es ist die einzige Möglichkeit.« Wenn Tibet brennt, wird man es in Peking riechen, dachte Gyaltsen, sagte es aber nicht. Deng Yao fühlte sich langsam etwas besser, auf die erste Flasche Bier war eine zweite gefolgt. Vielleicht war Gyaltsens Idee nicht so schlecht, größenwahnsinnig oder weniger dramatisch: unangemessen, das ja. »Ich werde darüber nachdenken«, sagte er schließlich. »Ich werde es mir durch den Kopf gehen lassen.« »Das kann nicht schaden. Sie erlauben, dass ich mich zurückziehe. Vielleicht...


Braun, Marcus
Marcus Braun wurde 1971 in Bullay an der Mosel geboren. Er studierte Germanistik und Philosophie in Mainz und Berlin. 1999 erschien sein Debütroman Delhi, zuletzt (2007) der Roman Armor.



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