E-Book, Deutsch, Band 9, 272 Seiten
Reihe: Die Katze, die ...
Braun Die Katze, die Lippenstift liebte - Band 9
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-95824-833-5
Verlag: dotbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Die Bestseller-Serie
E-Book, Deutsch, Band 9, 272 Seiten
Reihe: Die Katze, die ...
ISBN: 978-3-95824-833-5
Verlag: dotbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Lilian Jackson Braun (1913-2011) wurde in Massachusetts geboren. Nach der Highschool arbeitete sie als Journalistin und in der Werbebranche, bevor sie sich ganz dem Schreiben von Romanen widmete. Ihre Katzenkrimis wurden in 16 Sprachen übersetzt und standen regelmäßig auf der 'New York Times'-Bestsellerliste. Bei dotbooks erscheinen alle Bände von Lilian Jackson Brauns Erfolgsserie: »Die Katze, die rückwärts lesen konnte«, »Die Katze, die in den Ohrensessel biss«, »Die Katze, die das Licht löschte«, »Die Katze, die rot sah«, »Die Katze, die Brahms spielte«, »Die Katze, die die Postbote spielte«, »Die Katze, die Shakespeare kannte«, »Die Katze, die Leim schnüffelte«, »Die Katze, die Lippenstift liebte«, »Die Katze, die Geister beschwor«, »Die Katze, die hoch hinaus wollte«, »Die Katze, die einen Kardinal kannte«, »Die Katze, die Berge versetzte«, »Die Katze, die rosa Pillen nahm«, »Die Katze, die im Schrank verschwand«, »Die Katze, die Domino spielte«, »Katze, die Alarm schlug«, »Die Katze, die für Käse schwärmte«, »Die Katze, die den Dieb vertrieb«, »Die Katze, die Gesang studierte«, »Die Katze, die Sterne sah«, »Die Katze, die die Bank ausraubte«, »Die Katze, die den Braten roch«, »Die Katze, die ins Schwimmen kam«, »Die Katze, die Applaus bekam«, »Die Katze, die dem Truthahn lauschte«, »Die Katze, die Bananen stahl«, »Die Katze, die vom Himmel fiel«, »Die Katze, die Gedanken las« und »Die Katze, die zuletzt lachte«
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
1. Kapitel
Hätte Jim Qwilleran an jenem Morgen in der Tageszeitung sein Horoskop gelesen, dann wäre das alles vielleicht nicht passiert. Doch für Astrologie hatte er sich noch nie interessiert.
Er saß in seiner Junggesellenwohnung über der Garage, trank seine dritte Tasse Kaffee und sah auf den Fußboden, der mit überregionalen Zeitungen übersät war. Er hatte die nationalen und internationalen Neuigkeiten verschlungen, die Leitartikel studiert, sich über die in den Leserbriefen vertretenen Meinungen mokiert und die Sportseiten überflogen. Wie üblich, überschlug er die Börsenberichte und die Cartoons, und er kam gar nicht auf die Idee, einen Blick auf das Horoskop zu werfen.
Die Ratschläge, die er daher nicht las, verhießen nichts Gutes. Im Daily Fluxion stand: »Die Zeit ist nicht günstig für Änderungen Ihres Lebensstils. Seien Sie zufrieden mit dem, was Sie haben.« Im Morning Rampage hieß es: »Auch wenn Sie ruhelos sind und sich vielleicht langweilen – vermeiden Sie heute spontane Entscheidungen. Sie könnten sie bereuen.«
Qwilleran befand sich also im angenehmen Zustand der Unwissenheit in bezug auf den Rat, den ihm die Sterne gaben, und machte es sich auf seinem überdimensionalen Klubsessel bequem, in der Hand eine Kaffeetasse, auf dem Schoß eine Katze, und eine zweite auf dem Bücherregal neben ihm. Sie waren ein recht ungleiches Trio. Der schwere, einsneunzig große Mann war um die Fünfzig, nachlässig gekleidet, mit graumeliertem Haar und traurigen Augen, und sein ungewöhnlich üppiger Schnurrbart mußte wieder einmal gestutzt werden. Seine Gefährten hingegen waren Siamkatzen von edlem Geblüt – elegant und schlank, mit gutgepflegtem Fell – die es als ihr königliches Vorrecht betrachteten, verwöhnt zu werden.
Aus Qwillerans abgetragenem Sweatshirt und der unaufgeräumten Wohnung hätte man niemals auf seinen beruflichen oder finanziellen Status schließen können. Er war ein altgedienter Journalist, der schon auf der ganzen Welt gearbeitet hatte, jetzt im Ruhestand war und in Pickax lebte, einer Kleinstadt im Norden; erst vor kurzem hatte er das millionen- oder milliardenschwere Klingenschoen-Vermögen geerbt – die genaue Summe hatten die Heerscharen von Buchhaltern, die von den Testamentsvollstreckern engagiert worden waren, noch nicht feststellen können.
Qwilleran hatte sich jedoch nie viel aus Geld gemacht, und seine Bedürfnisse waren bescheiden. Er war zufrieden mit seiner Wohnung über der Klingenschoen-Garage, und zum Frühstück hatte er sich an jenem Morgen mit Kaffee und einem altbackenen Krapfen begnügt. Seine Mitbewohner hatten einen wesentlich feineren Gaumen. Für sie öffnete er eine Dose Königskrabben aus Alaska, die er mit einem rohen Eidotter vermischte und mit ein paar Stückchen feinem englischem Cheddar-Käse garnierte.
»Die Spezialität des Tages: Crevettes à là tartare fromagère«, verkündete er und stellte den Teller auf den Fußboden. Zwei Nasen hielten bebend über dem Gericht inne, bevor sie es kosteten – wie Weinliebhaber, die das Bukett eines seltenen Weines genossen.
Nach dem Frühstück kauerten sich die Katzen nebeneinander hin, als warteten sie auf etwas. Qwilleran las die Zeitungen zu Ende, trank noch zwei Tassen Kaffee und verlor sich dann in Grübeleien.
»Schön, ihr beiden«, sagte er, als er sich schließlich aus seinen Koffein-Träumen riß. »Ich habe einen Entschluß gefaßt: Wir fahren zum See hinauf. Wir werden drei Monate in der Hütte am See verbringen.« Er hatte sich angewöhnt, alles mit den Katzen zu besprechen. Es war befriedigender, als laut mit sich selbst zu reden, und seine Zuhörer schienen Gefallen an einer menschlichen Stimme zu finden, die sich im Plauderton an sie wandte.
Yum Yum, das liebenswerte kleine Weibchen, schnurrte. Koko, der Kater, stieß ein durchdringendes, jedoch zweideutiges »Yau-u-u!« aus.
»Was willst du damit sagen?« fragte Qwilleran. Als Antwort erhielt er nur einen rätselhaften Blick der blauen Augen. Also glättete er seinen Schnurrbart und fuhr fort: »Es gibt drei Gründe, weshalb ich von hier weg will: Pickax ist bei warmem Wetter langweilig; Polly Duncan ist den Sommer über fort; und wir haben keine Eiswürfel mehr.«
Seit zwei Jahren wohnte er jetzt schon in Pickax – nicht aus freien Stücken, sondern weil es die Klauseln des Klingenschoen-Testaments so wollten – und die alten Steinhäuser und gepflasterten Straßen wirkten im Juni öde. Im nahen Ferienort Mooseville hingegen gab es Bäume und Sträucher, Blumen und Vögel, Sonne und blauen Himmel, einen See mit leise plätschernden Wellen, gute Luft und Horden von unbeschwerten Urlaubern.
Der zweite Grund für Qwillerans Unzufriedenheit war noch gewichtiger. Polly Duncan, die Leiterin der öffentlichen Bücherei von Pickax, um die sich sein Leben jetzt zu drehen begann, verbrachte im Rahmen eines Austauschprogrammes den Sommer in England, und er fühlte sich rastlos und unausgefüllt. Obwohl er nur wenig über die freie Natur wußte und noch weniger für das Angeln übrig hatte, nahm er an, daß eine Blockhütte auf einer einsamen Düne mit Blick auf einen riesigen blauen See ihn vielleicht von seiner Verstimmung heilen würde.
Es gab noch einen dritten Grund, der viel profaner, aber dafür triftiger war: Der Kühlschrank in seiner Wohnung war kaputt. Qwilleran erwartete, daß Geräte reibungslos funktionierten; und wenn einmal eines den Geist aufgab, reagierte er mit irrationaler Ungeduld. leider war der Kühlschrankspezialist von Pickax auf Campingurlaub ins nördliche Kanada gefahren, und der einzige andere Servicetechniker im Bezirk lag mit einem Bandscheibenvorfall im Krankenhaus.
Alles in allem schien Jim Qwilleran ein Sommer in Mooseville eine glänzende Idee zu sein.
»Ihr erinnert euch vielleicht nicht mehr an die Hütte«, sagte er zu den Katzen. »Wir waren vor ein paar Jahren einige Wochen dort, und es hat euch gefallen. Es gibt zwei mit Fliegendraht bespannte Veranden. Ihr könnt Vögel und Eichhörnchen und Käfer beobachten, ohne euch die Füße naßzumachen.«
Die fünfundsiebzig Jahre alte Blockhütte mit dem riesigen Waldgrundstück und einer halben Meile Seeufer gehörte zu den ausgedehnten Ländereien, die Qwilleran mit dem Klingenschoen-Vermögen geerbt hatte. Sie wurde von den Nachlaßverwaltern betreut, bis die im' Testament festgelegten Bedingungen erfüllt waren. Er brauchte nur den Anwälten seine Wünsche mitzuteilen, und die Leute von der Immobilienverwaltung würden Strom und Wasser aufdrehen, das Telefon wieder anschließen und die Schonbezüge von den Möbeln entfernen lassen.
»Sie brauchen sich um nichts zu kümmern!« versicherte ihm Mr. Hasselrich, der Anwalt, mit seinem grenzenlosen Optimismus. »Der Schlüssel liegt unter der Fußmatte. Schließen Sie einfach nur die Tür auf, treten Sie ein und genießen Sie einen sorglosen Sommer.«
Wie sich die Dinge entwickelten, war es nicht ganz so einfach. Der Sommerurlaub begann mit einer toten Spinne und endete mit einem toten Zimmermann, und Jim Qwilleran – der angesehene Journalist, der reichste Mann im ganzen Bezirk und allgemein als überaus netter Mensch bekannt – wurde des Mordes verdächtigt.
Doch in seiner seligen Unwissenheit hatte er dem Anwalt jedes Wort geglaubt. Für den Urlaub am See lud er ein paar leichte Kleidungsstücke in sein Auto, einen Karton mit Büchern, eine große, mit feinem Kies gefüllte Bratpfanne, die als Katzenkistchen diente, eine vollautomatische Kaffeemaschine, seine Schreibmaschine und die Katzen in ihrem Transportbehälter – einem Picknickkorb, der mit einem Daunenkissen ausgelegt war. Yum Yum hüpfte bereitwillig hinein, doch Koko zögerte. Aus irgendeinem unerfindlichen Grund, den wohl nur eine Katze verstand, wollte er nicht weg.
»Hab dich nicht so«, schalt ihn Qwilleran. »Spring hinein, dann fahren wir los.«
Er hätte es wissen sollen, daß man Kokos Launen ernst nehmen mußte. Der Kater schien einen sechsten Sinn für prekäre Situationen zu haben.
Ihr Aufbruch nach Mooseville – das nur dreißig Meilen entfernt lag – war aufregend wie eine Safari. Die Sonne schien, ein sanftes Junilüftchen wehte, und es war so warm, daß Qwilleran Shorts und Sandalen trug. Um dem Urlaubsverkehr auszuweichen, fuhr er auf der Sandpit Road statt auf der Hauptstraße Richtung Norden. Freundlich winkte er fremden Menschen in Pick-up-Trucks zu, freundlich hupte er die Farmer auf ihren Traktoren an. Binnen Minuten hatte er den Streß der Stadt aus Stein abgestreift, denn obwohl Pickax nur dreitausend Einwohner hatte, herrschte hier das geschäftige Treiben einer Bezirksstadt. Mit wachsender Begeisterung schmiedete er Pläne für den Sommer. Er würde viel lesen, lange Spaziergänge am Strand unternehmen und, wenn es windstill war, mit dem Paddelboot auf den See hinausfahren. Außerdem hatte er eine journalistische Verpflichtung: Er mußte für die Zeitung von Moose County jede Woche zwei Artikel schreiben, die links unten auf Seite zwei erschienen. Seine Kolumne hieß ›Aus Qwills Feder‹; es würde Spaß machen, sie zu schreiben (der Herausgeber ließ ihm völlig freie Hand), und außerdem war es eine Herausforderung für seinen schöpferischen Geist, die ihn in Schwung hielt.
»Alles in Ordnung da hinten?« rief er über die Schulter zurück, ohne jedoch eine Antwort aus dem Korb zu erhalten.
Was den bevorstehenden Sommer anlangte, bedauerte Qwilleran nur eines: Polly Duncan würde nicht hier sein, um ihn mit ihm zusammen zu erleben. Ihre Vertreterin, eine Bibliothekarin aus den englischen Midlands, war bereits in Pickax eingetroffen. Sie war jung, überheblich und mit ihrem forschen Auftreten und der abgehackten Sprechweise so ganz anders...